Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 37

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 02.08.2011


Am Abend, nachdem ich einen Angestellten gebeten hatte den Gästen beim Essen Gesellschaft zu leisten, kam Diego zu mir in die Küche. Normalerweise war ich selbst beim Abendessen der Gäste dabei, aber ich fühlte mich einfach nicht in der Lage ihnen eine heile Welt vorzuspielen und so zu tun als hätte ich gute Laune.
Gedankenverloren schnitt ich Tomaten für den Salat, den ich für Diego und mich angerichtet hatte. Geruch von geröstetem Brot stieg aus dem Backofen. Ich sah nicht auf, als Diego eintrat. Ohne ein Wort zu sagen trat er hinter mich und umschlang mich mit beiden Armen. Scheinbar ungerührt arbeitete ich weiter. Die Wärme, die von ihm ausging, machte mir schmerzlich bewusst, wie kalt es in mir war und wie sehr ich mich anlehnen wollte an ihn. Ich wollte, dass er mich mein Herz aus Eis vergessen ließ, wollte dass er mit seiner Leidenschaft den Gedanken an Luìs in mir auslöschte. „Ich glaube das sind jetzt genug Tomaten!“
Seine Stimme war samtig weich und warm und kitzelte an meinem Ohr. Seine Lippen streiften meinen Hals. Zart fuhr seine Zungenspitze über meine Haut. Er wusste, wie er mich um den Verstand bringen konnte. „AH!“ schrie ich auf und starrte ein Bisschen geschockt auf meine Hand. Ich hatte mir doch tatsächlich in den Finger geschnitten. Blut tropfte auf das Schneidebrett. Diego lachte leise und löste sanft das Messer aus meiner Hand. „Mein kleiner Tollpatsch“ flüsterte er zärtlich und hauchte einen Kuss auf meine Schläfe. Ärgerlich ließ ich mir ein Pflaster auf den Schnitt kleben und ließ mich dann auf einen Stuhl fallen.
Schweigend tischte er Salat, warmes Brot und Knoblauchsauce auf und setzte sich zu mir. Schweigend aßen wir und schweigend räumten wir das benutzte Geschirr in die Spülmaschine. Unsere Blicke kreuzten sich, als unsere Hände sich am Geschirrtuch trafen.
Er lächelte, ich lächelte unwillkürlich zurück. Die Sehnsucht nach seinem Körper durchzuckte mich und ich schmiegte mich in seine Arme. Mühelos hob er mich auf und trug mich ins Schlafzimmer, erwiderte meinen leidenschaftlichen Kuss und verschwand weiterhin wortlos im Bad. Ungeduldig wartete ich auf seine Rückkehr. Aber er kam nicht. Irgendwann stand ich auf und öffnete die Badezimmertür. Das Bad war leer.
Ich ging weiter und fand ihn ihm Wohnzimmer auf der Couch. Eine Weile starrte ich ihn vorwurfsvoll an. Er erwiderte meinen Blick ernst. Ich ging zu ihm und ließ mich in seine Arme fallen, presste mich an ihn, spürte seinen vertrauten Körper und vergaß, dass ich eigentlich sauer auf ihn sein wollte. „Küss mich“ hauchte ich und er gehorchte. Sein Kuss war sanft, nicht leidenschaftlich wie ich es von ihm kannte. Verwirrt schlug ich die Augen auf und suchte in seinen Edelsteinaugen nach Antworten, die er mir nicht geben konnte. „Bitte“ flüsterte ich. „Ich brauche dich jetzt!“ Gequält schüttelte er den Kopf. „Tust du nicht.“ Schon wollte ich wieder aus der Haut fahren, schon spürte ich wieder die Wut in mir, doch er streichelte meine Wange und küsste mich wieder. Zart wie eine Feder strichen seine Lippen über die meinen und als ich die Augen wieder aufschlug, war meine Wut verraucht. „Du weißt, dass ich nicht das bin, was du brauchst.“ Ernst sah er mich an. Irgendwann stand ich auf. Noch einen Moment lang verhakten sich unsere Blicke, dann ging ich langsam zurück ins Schlafzimmer. Noch lange lag ich wach in dieser Nacht und spürte die Einsamkeit wie nie zuvor.

Diego weckte mich noch vor Sonnenaufgang. Seine Rabenaugen waren voll von unterschiedlichen Emotionen. Das erste Mal seid ich ihn kannte. Irritiert beobachtete ich das Schauspiel eine Weile, bis plötzlich der Vorhang fiel.
Den Blick dunkel verschleiert, wie ich es gewohnt war, streichelte er mir über das wirre Haar und ließ mich allein. Ich duschte kurz, kämmte mein Haar bis es seidig glänzte und glatt über die Schultern hinab fiel. Ironisch lächelte ich meinem Spiegelbild zu und folgte dem Geruch von frischem Kaffee in die Küche. Diego stand am geöffneten Fenster, er drehte sich nicht um. Das Zwielicht des kommenden Morgens umschmeichelte seine Silhouette, ließ ihn beinahe eins sein mit den Schatten. Er lehnte mit der Schulter am Fensterrahmen und hatte die Tasse mit beiden Händen umschlungen, sein Blick ging in die Unendlichkeit.
Lächelnd goss ich mir Kaffee ein und trat wortlos neben ihn. Kurz musterte ich sein aristokratisches Gesicht, ließ den Blick über sein kantiges Kinn hoch zu seinen rabenschwarzen Augen streifen. Er zuckte nicht mit der Wimper. Leise seufzend folgte ich seinem Blick, der weit hinaus ging über den im Zwielicht liegenden Hof, das Land dahinter, die Olivenbäume in der Ferne, die sich als dunkle Schattenrisse vor dem silbrigen Streifen am Horizont abzeichneten, der den Sonnenaufgang ankündigte. Eine Weile noch standen wir einträchtig schweigend nebeneinander und atmeten tief den belebenden Duft des Kaffees ein. Ein magischer Moment. Noch heute erinnere ich mich lächelnd an diese Magie.
Dann, fast gleichzeitig, wandten wir uns zum Gehen.
Leise gingen wir die Treppenstufen hinab und über den Hof zum Stall. Die Pferde wieherten leise. Es war noch zu früh für die Fütterung und so schienen die Vierbeiner leicht verwirrt. Ich blieb einen Moment am Eingang stehen und sah zu wie Diego ein Pferd nach dem anderen begrüßte. Vertrauensvoll streckten sie ihm ihre schönen Köpfe mit den ausdrucksvollen Augen entgegen und jedes einzelne von ihnen erhielt seine ganz persönliche Streicheleinheit. Ich lächelte. Seine Bewegungen waren mir so vertraut, ich kannte den Ausdruck den er jetzt in den Augen hatte, obwohl er mir den Rücken zugewandt hatte. Trotz seiner Körpergröße und seiner geheimnisvollen, manchmal sogar drohenden Aura, war er einer der sanftesten Männer, die ich je kennen gelernt hatte. Anders als Luìs, der jede Menge scharfkantige Ecken hatte, an denen man sich wehtat wenn man nicht aufpasste.
Ärgerlich wischte ich den Gedanken beiseite und folgte Diego ins hintere Ende des Stalls, um Salvador zu begrüßen. Aufmerksam beobachtete der Wallach jede meiner Bewegungen. Während ich noch mit Salvador beschäftigt war, hatte Diego bereits seinen Contador aus der Box geholt und auf der Stallgasse angebunden. Nur kurz fuhr er mit den Händen über den schwarz glänzenden Körper, um Staubpartikel und einzelne Strohhalme zu entfernen, dann verschwand er schon in der Sattelkammer.
„Was hast du vor?“ brach ich endlich unser Schweigen. Er kam wieder aus der Sattelkammer hervor, beladen mit Sattel und Zaum. Er lächelte. „Ich gebe dir Gelegenheit ein paar Dinge zu klären.“ Als wäre das Erklärung genug machte er sich daran Contador zu satteln. Ich trat zu dem Hengst und legte meine Hand auf den warmen Hals. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Was bedeutet das?“ fragte ich heiser. Diego arbeitete schweigend weiter.
Dann endlich war er fertig und sah mich an. Er überbrückte mit einem einzigen Schritt die Distanz zwischen uns und schlang die Arme um meine Taille. Tief sah er mir in die Augen, wieder einmal drang sein Blick mir durch Mark und Bein, bis auf den Grund meiner Seele. Ohne es zu merken durchlief mich ein Zittern. Als sich unsere Lippen trafen setzte mein Herz für mehrere Schläge aus. Wie eine Ertrinkende klammerte ich mich an ihn, ließ mich wie schon so oft von einer Welle der Leidenschaft hinfort reißen.
Er löste sich ruckartig von mir, stieß mich sanft von sich und mit einer fließenden, eleganten Bewegung saß er auch schon im Sattel seines Pferdes. Ein Blick aus seinen Rabenaugen und schon war er durch das Stalltor geritten. Atemlos starrte ich ihm nach, lief zum Tor und sah hilflos zu, wie er Contador antrieb und in vollem Galopp Richtung Sonnenaufgang ritt.

Langsam, ganz langsam stieg die Wut in mir auf. Erst brodelte sie wie Lava in den Tiefen der Magengegend, stieg dann langsam aber sicher immer höher und setzte sich als dicker Kloß in meiner Kehle fest, da ich den Ausbruch gewaltsam verhinderte indem ich die Lippen fest zusammenpresste. Wie konnte er nur?! Erst bot er Luìs ein Gästezimmer in meiner Pension an und ließ mich dann auch noch mit ihm allein! Niemals hätte ich Diego so eine Kaltschnäuzigkeit zugetraut. Er wusste doch ganz genau, dass ich Luìs in eine winzige Kammer aus verstaubtem Eis in der hintersten Ecke meines Herzen eingeschlossen hatte. Und da sollte er verdammt noch Mal auch bleiben!
Wutschnaubend ließ ich die Pferde im Stall zurück und stampfte die Treppe zur Wohnung hinauf, ohne nach rechts und links zu blicken. Mit einem lauten Knall schlug ich die Tür zu und lehnte mich an. Mein Atem raste. „AAAAAAAAAaaah!!!!“ ließ ich die Wut endlich aus mir heraus und schlug mit der Faust gegen die Wand. Schmerz durchzuckte mich, fluchend und vor mich hin zeternd ging ich in die Küche, um die schmerzenden Fingerknöchel unter kaltes Wasser zu halten. „Verdammter Mist!“ knurrte ich abschließend, als ich mich wieder ein Bisschen beruhigt hatte, und ließ mich auf einem Küchenstuhl nieder. In meiner Hand pochte es leise und ich konnte förmlich zuschauen wie sie langsam aber sicher anschwoll. Was war ich auch so dämlich gegen die Wand zu hauen. Ich schüttelte den Kopf und ein müdes Lächeln huschte über meine Lippen. Von unten hörte ich, wie Leben auf den Hof kam. Die Pferdepfleger unterhielten sich leise, ein paar Pferde wieherten ihnen freudig zu, Eimer klapperten.
Seufzend trat ich ans Fenster und sah zu wie die Sonne langsam über dem Gut aufging, welches mein zu Hause war und wo ich mich immer wohl gefühlt hatte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir wünschte nicht hier, sondern ganz weit weg zu sein.
Und der Grund dafür trat gerade munter aus der Tür des Gästehauses, streckte sich und schlenderte in Richtung Stallungen. Ich kniff die Augen zusammen und verfolgte wie er sich umsah, die Pferdepfleger grüßte und dann im Stall verschwand. Mein Herz wollte ihm nacheilen, aber ich rief es harsch zur Ordnung. Sollte ich nachschauen, was er im Stall trieb? Wollte er womöglich zu Salvador? Ehe ich noch einen Entschluss gefasst hatte, kam er wieder auf den Hof. Er hatte zwei der Reitpferde am Strick und band sie an der weißgetünchten Mauer an. Was tat er da? Wieder verschwand er kurz und kehrte bald darauf mit einem unserer Bereiter zurück, sie unterhielten sich und lachten. Von hier oben war Luìs nicht im Geringsten arrogant und schien bei meinen Leuten bestens anzukommen. Ich knurrte böse, wartete aber noch ab. Ich wollte wissen, was er vor hatte. Gerade war er dabei die Pferde zu striegeln. In meinem Kopf türmten sich Gewitterwolken und ein paar Fragezeichen. „Ruhig jetzt“ sagte die Stimme in meinem Kopf, die seid gestern plötzlich wieder da war. Ich rollte mit den Augen und atmete tief ein und aus. Sie hatte ja Recht.
Ich warf noch einen Blick aus dem Fenster und ging dann langsam zur Tür, die Treppe hinunter und schon stand ich auf dem, mittlerweile Sonnen beschienen Hof. Ich zwang mich nicht zu Luìs und dem Stall hinüber zu sehen, sondern ging scheinbar unbeteiligt zum Gästehaus, um in der Küche und im Frühstücksraum nach dem Rechten zu sehen.
Alles musste so sein, wie jeden Morgen. Ich brauchte knapp eine halbe Stunde für meinen allmorgendlichen Rundgang. Hier und da zupfte ich eine Tischdecke oder ein Brotkörbchen zu recht, erneuerte das Wasser in den Blumenvasen, gab Anweisungen an das Personal.
Es war mittlerweile 7.00 Uhr und in etwa einer Stunde würden die ersten Gäste aufstehen. Bis dahin musste es leise sein, im Haus.
Nachdem alles erledigt war, trat ich wieder hinaus auf den Hof und steuerte nun auf den Stallkomplex zu. Luìs hatte die beiden Pferde wohl wieder in ihre Boxen gebracht, auf jeden Fall fehlte von ihnen jede Spur. Die Stallgasse war sauber gefegt und alle Pferde fraßen an ihrem Morgenheu. Ich begrüßte jedes einzelne und ging dann zu Salvador. Als ich an der leeren Box von Contador vorbeiging runzelte ich unwillig die Stirn. „Mistkerl!“ fluchte ich leise. „Meinst du mich?“ Die Stimme ließ meinen Körper auf der Stelle zu Eis erstarren, während mein Herz wild gegen den kurzen Zügel kämpfte.
Luìs trat aus der Futterkammer, er trug ein weites, weißes Hemd, das seinen Körper umschmeichelte, sein Haar hing ihm wirr ins Gesicht und in seinen Augen blitzte es. Sein Anblick war zauberhaft. Schnell scheuchte ich den Gedanken fort, ich konnte mir jetzt keine Schwäche erlauben. Er wischte sich die Hände an der Hose ab und kam auf mich zu. Unwillkürlich machte ich einen Schritt Richtung Salvador, doch er schnitt mir den Weg ab. „Ich hab es satt, dass der Braune dir zur Seite steht“ murmelte er und machte noch einen Schritt auf mich zu...












Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32 Teil 33 Teil 34 Teil 35 Teil 36 Teil 37 Teil 38 Teil 39


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz