Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 34

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 24.03.2011


Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ein leichter Schwindel erfasste mich. „Nein, nein, nein! Reiß dich endlich los und jag ihn zum Teufel!“ schrie meine innere Stimme. Aber sein Duft war so berauschend, seine Rabenaugen hatten mich hypnotisiert, ich konnte mich nicht wehren. „Alles nur Ausreden!“ ätzte die altbekannte Stimme und ich wusste, dass sie Recht hatte. Aber schon lagen seine Lippen auf meinen, schon hatte er mich noch fester an sich gezogen, schon spürte ich, wie mein Körper auf den seinen reagierte. „Lass mich los, verdammt!“ Er lachte kehlig und meine Stimme war nur ein Hauch und ging ungehört zwischen zwei Küssen unter. Zugegeben es war ein schwacher Protest. Ich war schwach, wieso konnte ich mich nicht von ihm lösen. Ich wollte ihn nicht! Ich wollte Luìs! „Was zum…!!!“ Es war jetzt! Genau jetzt in diesem Moment, dass meine Welt zusammenbrach! Diego ließ mich los und auf einmal stand ich dort allein, allein vor Luìs der an den Türrahmen gelehnt dastand und mich anstarrte.
Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, seine Lippen zusammenpresst und eine steile, mir nur all zu bekannte, Falte bildete sich auf seiner Stirn. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wollte etwas sagen, hob die Hand, um ihn an der Wange zu berühren, ließ sie hilflos wieder sinken.
„Vorbei“ lästerte die Stimme in meinem Kopf. „Aus und vorbei, du hast es dir verspielt!“ Unwillig schüttelte ich den Kopf, ich konnte die Stimme jetzt nicht gebrauchen. Ich brauchte Luìs, musste es ihm erklären, wollte, sollte…
„Luìs, ich…“ „Still!“ sagte er leise. Ich klappte den Mund wieder zu, hob wieder die Hand um ihn zu berühren. „Wag es ja nicht!“ Ich tat es dennoch. Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn, drückte ihn an mich. Er tat nichts. Er erwiderte nicht meine Umarmung, er stieß mich nicht von sich. Reglos! Und wo war überhaupt Diego? Warum sagte er nichts, um mir zu helfen? Vorsichtig sah ich mich nach ihm um. Er stand mit dem Rücken zu uns und sah aus dem Fenster. Unbeteiligt, so als ginge ihn das alles nichts an. Wie konnte er aus dem Fenster sehen? Jetzt, in diesem Moment, der an Dramatik wohl kaum zu überbieten war!?
„Schau ihn dir nur an“ sagte Luìs immer noch mit dieser leisen Stimme. „Er wird dir nicht helfen. Er wird dir nicht beistehen. Und ich auch nicht mehr.“
Er erhob nicht die Stimme, keine Wut, keine Trauer schwang in ihr mit. Vorsichtig suchte ich in seinen Augen nach den Emotionen, die ich in seiner Stimme vermisste. Ich wollte, dass er mich anschrie, wollte, dass er mir eine Ohrfeige gab, wollte, dass er mich wütend von sich stieß und mich fragte, wie ich ihm das hatte antun können! Aber Luìs tat nichts dergleichen. Sein markantes Gesicht blieb leer.
„Sag doch verdammt noch mal was!“ schrie ich ihn an. Ich hasste ihn, hasste seine Selbstkontrolle! Er zuckte nicht mit der Wimper. Ich boxte ihn auf die Brust. Er bewegte sich nicht. Ich schlug fester zu. Immer und immer wieder. Er lehnte sich an den Türrahmen und ließ mich gewähren. Ruhig sah er mich an. Er hielt sich gerade wie immer, hatte die Hände lässig in den Hosentaschen und wie immer lag ein ironischer Zug um seinen schmalen, wohlgeformten Mund. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig, zwischenzeitlich verlagerte er das Gewicht von einem auf das andere Bein. „Um Gottes Willen“ dachte ich. „Er muss doch irgendwann reagieren!“
Das tat er auch. Aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Er packte mich an den Handgelenken und zwang mich gegen die Wand. Dann küsste er mich mit geschlossenen Lippen. Küsste mich als wäre er aus Stein, küsste mich als wäre er tatsächlich nur eine Statue von Leonardo da Vinci, wunderschön aber eben aus Stein gemeißelt. „Adiòs, Juliana“ flüsterte er und sah mir ins schreckerstarrte Gesicht. Seine Augen musterten mich kühl, einen winzigen Moment noch schien er zu zögern. Dann lächelte er grimmig und ging ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen.
Ich wollte ihm nachrennen, wollte seinen Namen rufen, wollte ihn festhalten, wollte in Tränen ausbrechen. Aber ich tat nichts dergleichen. Ich blieb an die Wand gelehnt stehen ohne mich zu rühren und wartete, dass die Realität es mir knallhart ins Gesicht schrie. Sein Schweigen, seine Zurückhaltung, seine Selbstkontrolle - er hatte mich in Diegos Arme laufen lassen ohne mit der Wimper zu zucken. Nein, er hatte nicht um mich gekämpft, es nicht einmal versucht. Nicht zu Beginn, nicht jetzt und er würde es niemals tun.

Mitten in der Nacht erwachte ich. Der Schmerz in mir war grenzenlos. Mühsam rang ich nach Atem. Es war als stecke ich in einem Eisblock fest, alles war kalt und hart. Sogar mein Herzschlag kam nur langsam voran. Gewaltsam beigezäumt quälte er sich vorwärts, tat keinen Hopser, keinen Bocksprung, um sich zu befreien. Immer noch waren meine Augen Tränen leer. Wieso weinte ich nicht? Wieso rannte ich nicht über den Flur zu Luìs Zimmer und flehte ihn an mir zu verzeihen? Meine Gedanken verliefen sich in der eisigen Wüste und ich schaffte es nicht ihrer Herr zu werden. Irgendwann in den nächsten Stunden würde ich wohl erfrieren. Die Vorstellung für immer im ewigen Eis eingeschlossen zu sein, vergessen von der Welt, war nicht unangenehm und so schloss ich die Augen mit der Gewissheit sie nie wieder zu öffnen.

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Etwas mehr als fünf Jahre waren seit der Rückentführung von Salvador vergangen, Jahre in denen sich unsere Geschichte bei fast allen Rinder- und Pferdezüchtern der Gegend rumgesprochen hatte. Jahre die wie im Flug vergangen waren. Dank Salvador hatte unser Gut eine gewissen Berühmtheit erlangt, Touristen kamen und wollten das Pferd sehen und seit einem Jahr führte ich, angeschlossen an das eigentliche Gut, eine kleine Pension. Raul hatte mich ihrer Leitung betraut. Für uns beide allein und Rauls Verlobte Chiara war das alte Herrenhaus viel zu groß und außerdem erhofften wir uns durch die zusätzlichen Einnahmen finanziell in der Lage zu sein die Pferdezucht weiter auszubauen. Wir hatten viele Zimmer in unserem Gutshaus zu Gästezimmern, einen Aufenthaltsraum und einen kleinen Wellness-Bereich umgebaut und waren fast jeden Sommer ausgebucht. Durch die viele Arbeit war meine abenteuerliche Reise fast in Vergessenheit geraten. Hin und wieder noch suchten mich die Geister der Vergangenheit heim, manchmal träumte ich von Luìs, manchmal von den spanischen Häschern. Aber meistens hatte ich die Träume am Morgen bereits vergessen. Immer noch war mein Herz von einem eisigen Panzer umschlossen und ich hatte keinerlei Absichten dies zu ändern.

An einem Morgen Ende Mai schrillte mein Wecker in aller Frühe und schnell war ich auf den Beinen. Eine neue Gruppe Urlauber sollte heute gegen 10 Uhr eintreffen und es gab noch einiges vorzubereiten. Der Mann neben mir seufzte schwer, als ich nach dem Duschen wieder ins Schlafzimmer kam. „Ist es nicht viel zu früh?“ Ich lächelte und setzte mich auf die Bettkante. Zärtlich strich ich sein dunkles Haar zurück und küsste ihn auf den wundervoll weichen Mund. Schnell schloss er die Arme um mich und zog mich weiter zu ihm herab. „Lass das!“ sagte ich, gespielt empört. „Ach komm…“ nörgelte er und knabberte sanft an meinem Ohrläppchen. Ich kicherte und ließ es mir einen Moment gefallen. „mmmh… hör auf, ich muss noch alle Gästezimmer vorbereiten…“ wand ich dann eher schwach ein. Er lachte und hatte mit einer fließenden Bewegung den Knoten an meinem Handtuch geöffnet. Seine rabenschwarzen Augen flogen über meinen Körper und ich spürte seine Blicke als leises Kribbeln auf der Haut. Es war mir auch nach Jahren noch rätselhaft wie er das schaffte. Es war einfach unverschämt, was er mit diesen Augen alles anzustellen wusste und ich versuchte erst gar nicht ihrem dunklen Blick zu widerstehen. Ich wusste, dass jeder Protest zwecklos gewesen wäre und längst wollte ich gar nicht mehr protestieren. Ich wollte ihn, wollte seinen Körper spüren, wollte, dass er mich mit seiner Leidenschaft mitriss und ich nichts weiter tun musste, als es zuzulassen; wollte nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, wollte, dass er mich meiner selbst vergessen ließ. „Du hast gewonnen“ flüsterte ich heiser. „…wenn du mir nachher hilfst haben wir vielleicht noch ein Bisschen…“ Er erstickte meine Stimme in einem wilden Kuss und ich überließ mich seinen schwarzen Edelsteinaugen, ließ mich überrollen von seiner Leidenschaft, die wie eine Welle über meinem Kopf zusammenschlug.








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