Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 05.07.2009




Etwas angenehm Kühles legte sich auf die Stirn und über die Augen. Einen Moment genoss ich die feuchte Kühle auf meiner heiß brennenden Haut, dann drehte ich den Kopf zur Seite und öffnete die Augen. Als der Schwindel verblasst war, erkannte ich Luìs makelloses Gesicht. Aus sorgenvollen Augen blickte er mich an und lächelte sein sparsames Lächeln. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet. 'Da bist du ja' sagte er leise. Ich rang mir ein Lächeln ab und dann bemerkte ich die Veränderung. 'Du hast dich rasiert!' Die Sorge in seinen Augen wich purer Überraschung. Einen Moment starrte er mich irritiert an, dann brach er in fast hysterisches Gelächter aus. 'Ich bin vor Sorge um dich fast umgekommen und das Erste was DIR einfällt, ist mich nach meinem Bart zu fragen?' Aus seinem Tonfall war nicht wirklich zu erkennen, ob er sich ernsthaft verletzt fühlte oder aber scherzte. Etwas unsicher suchte ich daher in seinen Augen eine Antwort. Wie immer war es mir fast unmöglich seinem dunklen, unbestimmten Blick standzuhalten. 'Schön, dass du wieder da bist!' hörte ich mich flüstern und schlug dir Augen nieder. Harsch zog er den Atem ein und setzte gerade zu einer Antwort an, als sich eine dunkle Pferdenase energisch zwischen uns schob und mir sanft ins Gesicht prustete. 'Schön, dass IHR wieder da seid!' verbesserte ich mich und streichelte Salvadors samtweiche Nüstern. Wir lachten - die Befangenheit war verflogen. Zufrieden trottete der Wallach dann davon. Meine Augen kehrten zu Luìs zurück, der inzwischen aufgestanden war. Er lächelte. 'Bleib du nur noch etwas liegen…. Ich werde Salvador absatteln und dann etwas zu Essen machen.' Essen! Seufzend ließ ich meinen Kopf zurück auf die zusammengerollte Decke sinken und lauschte versonnen dem Grollen in der Magengegend. Auch wenn ich einen staubtrockenen Hals, eine dicke Zunge und stechenden Kopfschmerz hatte - ich war glücklich.

Noch immer tobte weit draußen über dem Atlantik ein Sturm, der die Wellen wie wilde Pferde vor sich hertrieb. Hoch gen Himmel bäumten sie sich auf, schüttelten ihre schäumenden weißen Mähnen aus Schaum, wölbten die muskulösen Hälse aus glasklarem Wasser und kamen mit ohrenbetäubendem Gedonner auf dem Strand auf; zerschellten in Millionen kleiner Wassertröpfchen, die im Licht der Sonne in allen Farben des Regenbogens glitzerten. Salvadors massiger Körper hob sich dunkel vor dem goldenen Licht der untergehenden Sonne ab. Aufgeregt galoppierte er am Strand auf und ab, zerschlug mit den Hufen Welle um Welle. Den Kopf hatte er, wie üblich, hoch erhoben, die Ohren steil aufgerichtet und die Augen geweitet. Hektisch zog er Luft in die geblähten Nüstern und stieß sie kräftig wieder aus, hielt an und raste wieder los. Sein Fell war nass vor Schweiß und Wasser, jeder Muskelstrang, jede Sehne, jeder Nerv an seinem Körper war bis aufs Äußerste gespannt - es war ein herrliches Schauspiel. Luìs und ich sahen dem Braunen schweigend zu. Im Feuer knackte es leise. Tief zog ich die laue Abendluft ein und bemerkte den ersten Stern am Horizont. Während Salvador weiter am Strand tobte, hatten wir uns endlich zum Essen niedergelassen. Ich fühlte mich danach um Meilen besser, auch wenn wir es bei geröstetem Brot und Schinken belassen hatten - um unsere Mägen, speziell meinen Magen, nicht überzustrapazieren. Jetzt erst, nachdem der Hunger gestillt war, der Tag langsam der Nacht wich, fragte ich nach dem Ritt. Ohne die Augen von dem herrlichen Pferd abzuwenden, welches gerade ein lautes Wiehern übers Meer schickte, berichtete Luìs von seinem ersten Ritt mit Salvador. Ich war sicher, dass es die reinste Katastrophe gewesen war, doch Luìs Bericht zu Folge hatte sich der eigensinnige Wallach tadellos verhalten. Etwas heftig ja, aber kontrollierbar - so Luìs Einschätzung. Ich spürte, dass ich bei diesen Worten unwillig die Stirn runzelte. Kontrollierbar? Ich dachte an meinen ersten Ritt auf Salvador. Von Kontrolle konnte da nicht einmal annähernd die Rede sein und auch nach zwei Wochen, in denen ich den Wallach als Freund gewinnen konnte, hatte ich nie ein wirklich 100% sicheres Gefühl auf ihm gehabt - wohl wissend, dass er jederzeit bereit war seinen eigenen Kopf durchzusetzen. Und da sollte ein spanischer Hufschmied, der noch nicht einmal des Portugiesisch mächtig war, sich einfach so mal in den Sattel schwingen und ihn für 'kontrollierbar' erklären?! Die Sorge, die ich um Pferd und Reiter gehabt hatte, wich langsam aber sicher dem bitteren Geschmack der Eifersucht. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. 'Morgen werde ich noch mal ins Dorf reiten müssen. Wir können schließlich nicht ewig hier bleiben!' Luìs riss sich von Salvador los und sah mich grinsend an. 'Wieso nicht, ist doch ganz nett hier!' Das spöttische Blitzen in seinen Augen entging mir nicht und ich musste mich arg am Riemen reißen. 'Luìs' hob ich an und versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben. 'Ich habe ein Pferd geklaut! Bis hinter die Grenze sind sie uns nicht gefolgt, aber die Polizei werden sie wohl verständigt haben. Und ich möchte bei meinem Bruder sein, BEVOR sie uns finden!' Er fasste mich am Arm. 'Zu spät, würde ich sagen!' 'Was?' Wir starrten wie hypnotisiert auf das Polizeiboot, was sich der Bucht näherte. Der helle Suchscheinwerfer durchbrach blenden das Dämmerlicht. 'Scheiße!' sagten Luìs und ich fast gleichzeitig. 'Weg hier!' rief er und griff nach den Satteltaschen. 'Salvador!' hörte ich meine Stimme rufen. Der große Wallach kam sofort angetrabt, er hatte den alarmierenden Klang meiner Stimme verstanden. Rasch half mir Luìs auf den blanken Rücken. 'Macht das ihr wegkommt!' befahl er und reichte mir die Satteltaschen. Einen Moment starrte ich ihn verstört an. 'Stehen bleiben! Polizei!' tönte es aus dem Lautsprecher und vier Männer sprangen vom Boot ins seichte Wasser. Ich schüttelte den Kopf. 'Dieses Mal nicht, Luìs! Noch einmal allein pack ich es nicht!' 'Du musst!' flüsterte er. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. 'Keine Bewegung und Hände weg von dem Pferd!' Die Männer rannten auf uns zu, ich streckte die Hand aus. 'Komm mit!' Meine Stimme bebte, fast hatten sie uns erreicht. Unruhig tanzte Salvador auf der Stelle. 'Bitte!' flehte ich. Einer der Männer packte Luìs Schulter, ein anderer griff nach meinem Bein - ich schrie und Salvador stieg himmelan, kerzengerade in die Luft! Ich spürte wie ich gefährlich rutschte, auf dem blanken Rücken des Wallachs. In dem Moment erst wurde mir klar, dass ich ohne jegliche Kontrolle über das Pferd war, welches immer unruhiger wurde. Weder Zaum noch Halfter mit denen ich wenigstens hätte versuchen können das Pferd auf den Boden zurückzubringen. Noch einmal wirbelte Salvador mit den Hufen in der Lust und kam dann hart wieder auf dem Boden auf. Mit voller Wucht wurde ich nach vorn geschleudert und stieß mit dem Kopf hart gegen den muskulösen Hals. Einen Moment drehte sich alles um mich herum und dann ging alles ganz schnell. Ich spürte wie Salvador einen gewaltigen Satz tat. Es war als reiße man mir das Bein aus, doch in panischer Angst krallte ich mich mit Macht an der Mähne fest. 'Luìs' schrie ich und versuchte Salvador zum Anhalten zu bewegen. 'Halt doch die Klappe' hörte ich es dicht an meinem Ohr und nahm dann erst seine Arme wahr, die fest um meinen Körper geschlungen waren. Erschrocken und erleichtert zugleich, atmete ich heftig ein und aus und wagte einen Blick über die Schulter. Die Männer wurden immer kleiner, wir preschten am Strand entlang. Ich spürte Luìs' Wärme im Rücken und die arbeitenden Muskeln des Pferdes unter mir. 'Lauf Salvador! Lauf!' schrie ich in den Wind, der mir sofort die Worte von den Lippen riss. Und Salvador lief - er galoppierte mit aller Kraft. Ich war unfähig ihn zu lenken. Er spürte, dass er frei war, bis auf die beiden Reiter auf seinem Rücken. Immer schneller wurden seine Sprünge, immer flacher machte er sich und schleuderte feuchten Sand unter sich weg. Ganz darauf bedacht nicht zu fallen, krallten wir uns an seiner Mähne fest und hofften, dass er uns in Sicherheit bringen würde.







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