Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 30.10.2009




Je näher ich der Wasserstelle kam, desto flauer wurde das Gefühl in meinem Magen. Würde ich endlich Salvador wieder sehen? Würde er sich einfangen lassen? Würde er mich überhaupt erkennen? Was, wenn er gar nicht da war?
Und dann plötzlich sah ich ihn! Aufmerksam stand er da und sah mir entgegen. Vor Aufregung vergaß ich fast zu atmen. 'Salvador!' rief ich sanft und er zuckte mit den Ohren. Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu und blieb dann stehen.
Er war so wunderschön! Sein massiger Körper hob sich als dunkler Umriss vor mir ab, in seinen Augen blitzte das Weiße auf. Ich konnte nicht sehen, ob er ok war. Vorsichtig setzte ich einen Schritt vor den anderen. Er beobachtete mich reglos. Wieder rief ich ihn beim Namen. Ich hatte wahnsinnige Angst, dass er wieder davon laufen würde, jetzt wo ich ihn endlich wieder hatte.
Doch es war ganz leicht. Für jeden Schritt den ich tat, machte der Wallach einen auf mich zu und schließlich streichelte ich endlich wieder ehrfürchtig über seine Stirn. Er schnaubte und rieb sanft seinen edlen Kopf an meiner Schulter. 'Ach Salvador' sagte ich überglücklich und schlang die Arme um seinen Hals. 'Ich hab dich so vermisst.' Ein wenig unruhig warf er den Kopf zurück, ließ sich aber durch sanftes Streicheln am Hals dazu bewegen, sich zu mir hinab zu beugen. Vorsichtig legte ich ihm das mitgebrachte Halfter an. Als ich leicht am Strick zupfte, wieherte Salvador protestierend. Ich hatte mit diesem Widerstand gerechnet. Er würde jetzt ein Bisschen toben und sich dann beruhigen, wie immer, wenn man ihm das Halfter nach ein paar Tagen völliger Freiheit anlegte. Aber Salvador tobte nicht und sobald ich etwas energischer am Strick zog und mich selbst in Bewegung setzte, kam er mir nach. Unwillig zwar und ärgerlich mit dem Schweif peitschend, aber ohne großes Theater. Sofort sah ich warum er seinen Widerstand so schnell aufgab. Er lahmte! Ängstlich untersuchte ich das rechte Vorderbein. Es war heiß und geschwollen. 'Ach Salvador, du wirst dich bald ausruhen dürfen' sagte ich mehr zu mir selbst als zu dem großen Pferd, welches mir aber vertrauensvoll folgte.
Als Diego sah, dass ich Salvador gefunden hatte, kam er uns entgegen. Sein Hengst machte ein Bisschen Theater und auch Salvador plusterte sich ein Wenig auf, aber sie hatten sich recht schnell wieder beruhigt. Glücklich sah ich zu Diego, er lächelte zurück. Den wehmütigen Blick bemerkte ich aber nicht. Er warf mir ein langes Seil zu, das ich gegen den Strick tauschte und so Salvador an sein Sattelhorn band. Mein mächtiger, wilder Wallach war so müde, dass er ohne Probleme neben Contador mit lief.
Eigentlich hatte ich mir schon ausgemalt wie schön es wäre neben einander, auf den beiden tollen Pferden zurück zu galoppieren, aber das konnte ich getrost streichen. Mehr noch, ich konnte auf Grund seiner Lahmheit, noch nicht einmal auf Salvador aufsteigen. Stattdessen musste ich mich wieder hinter Diego auf Contador schwingen.
Er lächelte mir über die Schulter zu. Für einen winzigen Moment verlor ich mich in seinen so unendlich dunklen Augen, seufzte schließlich und lehnte mich an ihn. Er nahm sanft einen meiner Arme und drapierte ihn um seine Hüfte und tat das Gleiche dann mit dem anderen. Ich wehrte mich nicht. 'Ich danke dir!' sagte ich aus tiefstem Herzen und wieder schenkte er mir sein strahlendes Lächeln, bei dem die Sonne in seinen Augen aufging, aber es konnte auch sein, dass es tatsächlich die Sonne war, die langsam im Osten empor stieg. 'Sehr sehr gern geschehen' antwortete er und streichelte zart meine Wange. Es war ein so gutes Gefühl loszulassen, genau das zu tun, wonach einem war und er machte es mir so leicht. Ich legte meinen Kopf in seine Hand und schloss die Augen. Er war es, der schließlich seine Hand von meiner Wange nahm und das Kommando zum Anreiten gab. Ich legte den Kopf an seine Schulter und blickte zufrieden zu Salvador, der neben uns humpelte.
Diego ritt einhändig, wie es sich für einen Rinderhirten gehörte und legte seine freie Hand auf meine vor seinem Bauch verschränkten Hände. Innerlich zuckte ich ein ganz klein wenig zusammen, aber es fühlte sich gut an und so ließ ich zu, dass er seine Finger mit meinen verschränkte.
Der Rückweg dauerte unendlich viel länger, da wir nur langsam vorankamen, aber es machte mir nichts aus. Eigentlich war es wunderschön an Diegos Schulter gelehnt in den Sonnenaufgang zu reiten. Das erste Mal seit ich auf diese unmögliche Reise aufgebrochen war, fühlte ich mich vollkommen zufrieden und wunderbar entspannt. Etwas zu entspannt vielleicht, denn ich versank in einen friedlichen Schlummer, aus dem ich erst erwachte, als das Pferd unter mir anhielt.







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