Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 29

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 10.10.2010


Ich lauschte in die Dunkelheit. Nichts. Dabei war alles so real gewesen. Besonders seine Stimme, die mich innerlich hatte erzittern lassen. „Alles nur Fantasterei“ murmelte ich. „Juliana!“ Beinahe hätte ich einen Herzinfarkt bekommen, als ich die Stimme wieder hörte. Aber ich war doch jetzt wach? „Juliana, bitte!“ Schon wieder… Ich stand auf und ging zum Fenster. Vorsichtig spähte ich zwischen den Vorhängen hindurch und dort unten auf dem Hof stand tatsächlich Luìs! „Na endlich, ich dachte schon du kommst gar nicht mehr. Bist du taub?“ Verblüfft starrte ich ihn an. „Komm runter!“ sagte er. „Was, jetzt?“ Endlich hatte ich meine Sprache wieder gefunden. Er verdrehte die Augen, was ich freilich nicht sehen, aber sehr gut erahnen konnte. „Ja, jetzt!“ Einen Moment zögerte ich. Was sollte das schon wieder? „Na gut“ hörte ich mich sagen und schalt mich innerlich ihm ohne Widerstand zu gehorchen. „Bin gleich da.“
Rasch und ein kleines Bisschen aufgeregt streifte ich mir den seidenen Morgenmantel über und huschte leise über den Flur, die Treppe hinunter in die große Eingangshalle. Die Marmorfließen waren empfindlich kalt und ich beeilte mich zur Tür zu kommen, wo ich schnell noch in ein paar Sandalen schlüpfte. Dann drückte ich vorsichtig die Klinke hinunter und huschte auf den mondbeschienenen Hof. Luìs stand auf der anderen Seite, lässig an das Stalltor gelehnt. Mit ein paar eiligen Schritten hatte ich die Distanz überbrückt und wollte gerade den Mund öffnen, um ihn zu fragen, was das Ganze sollte, als er mir rasch einen Finger auf die Lippen legte. Ich erstarrte sofort, wegen der ungewohnten Berührung und beschränkte mich darauf ihn fragend anzusehen. Einen Moment lang sah er mir direkt in die Augen und ich meinte einen leicht wehmütigen Ausdruck in den seinen erkennen zu können. Immer noch lag sein Finger auf meinen Lippen. Er schüttelte leicht den Kopf und nahm seine Hand zurück. Wie beiläufig streifte sein Finger dabei mein Kinn und eine Gänsehaut überzog meine Haut. Luìs drehte sich um und öffnete das Tor einen Spalt breit und schlüpfte in den Stall. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir ihm zu folgen. Unsicher starrte ich einen Augenblick in das Dunkel des Stalles. Sein Kopf tauchte wieder auf. „Komm schon!“ flüsterte er tonlos. Ich gab mir einen Ruck und huschte ihm nach. Sofort umfing mich völlige Dunkelheit. Es roch intensiv nach Pferd und Heu und ich hörte das gelegentliche Rascheln der Hufe im Stroh, Aufstampfen und Schnauben. „Luìs?“ flüsterte ich in die Dunkelheit, erhielt aber keine Antwort. Vorsichtig tastete ich mich vor, versuchte mir den Stall bei Tageslicht vorzustellen. Die breite gepflasterte Stallgasse, rechts und links die großzügigen Boxen aus dunklem Holz mit ihren halbhohen Trennwänden. Links neben dem Tor müssten die Besen, Heu- und Mistgabeln sein und geradeaus am Ende der Stallgasse die Tür zur Sattelkammer. Gleich daneben die Waschbox mit Wasserschlauch, Waschbecken, Eimern, Schwämmen, Shampoo und allem was man eben braucht um ein Pferd nach einem anstrengenden Arbeitstag unter der sengenden Sonne abzuwaschen. Vorsichtig arbeitete ich mich vor, man konnte schließlich nie wissen, ob nicht jemand zufällig einen Futtereimer vor einer Box oder eine Mistgabel auf dem Boden hatte liegen lassen. Am Ende der Stallgasse sah ich den hellen Kopf des Schimmelhengstes, mein einziger Anhaltspunkt. Also steuerte ich auf ihn zu und stützte mich an seiner Box ab. „Na du“ sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen. Der Schimmel drehte mir ein Ohr zu und kam an die Tür. Gelassen ob meines nächtlichen Auftauchens ließ er sich streicheln. Von Luìs keine Spur. Wo zum Teufel war der eigentlich hin? „Luìs!“ rief ich wieder leise in die Dunkelheit des Stalles. Und dann noch einmal ein Bisschen lauter. „Luìs!“ Als Antwort erhielt ich ein kehliges Wiehern von einer Box im vorderen Teil des Stalles. Fröstelnd schlang ich den Morgenmantel enger um mich und umschlang meinen eigenen Körper fest mit beiden Armen. Ich sollte schleunigst wieder in mein Bett zurückkehren. Was auch immer mir Luìs hatte sagen wollen würde eben bis morgen warten müssen. Was war ich auch so dumm und ließ mich von ihm mitten in der Nacht aus dem Haus locken. War ja klar, dass er mir irgendeinen dummen Strich spielen wollte. Ganz toll, Juliana. Du lässt dich nach Strich und Faden an der Nase herumführen und merkst es nicht einmal. Was hatte ich mir denn nur dabei gedacht? Ja. Was hatte ich erwartet? Ärgerlich über mich selber und wütend auf Luìs, schlich ich langsam wieder die Stallgasse entlang in Richtung Tor. Mittlerweile hatten sich meine Augen ein kleines Bisschen an das Dunkel gewöhnt und ich kam schneller als gedacht beim Tor an. Ich musste mich mit meinem gesamten Gewicht gegen das massive Tor stemmen, damit es sich öffnete. Gerade als ich es endlich geschafft hatte das Tor einen Spalt weit zur Seite zu schieben, wurde ich hart an der Schulter zurück gerissen. „AH!“ Ein Schrei entwich meiner Kehle, wurde aber sofort von einer Hand auf meinem Mund unterdrückt. „Halt bloß die Klappe!“ zischte die bekannte Stimme. Aber ich brauchte diese Stimme nicht, um zu wissen, wer mich da gegen das Tor gedrückt festhielt. Die trockene, raue Hand auf meinem Mund hatte ihn schon verraten. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass er seine Identität auch gar nicht verbergen wollte. „Und wehe du kommst auf den Gedanken mich zu beißen“ hörte ich ihn ganz dicht an meinem Ohr und musste unwillkürlich grinsen. Anscheinend hatte ich ihm ganz schön wehgetan. „Hör auf zu grinsen!“ Seine Stimme war schneidend und mir verging das Grinsen. Was hatte er vor? Wie wild schlug mein Herz gegen meinen Brustkorb und drohte ihn zu zersprengen. Aber wenigstens blieb es diesmal wo es hingehörte, dachte ich missmutig und versuchte mich aus seinem Griff zu winden. Aber diesmal hatte ich nicht den Hauch einer Chance. Er hatte mich mit seinem kompletten Körpergewicht gegen das Tor gepresst und war mir so nah, dass ich noch nicht einmal mein Knie heben konnte, um es ihm zwischen die Beine zu rammen. Obwohl vielleicht klappte es doch… Als hätte er meine Gedanken erraten, presste er seinerseits sein Knie zwischen meine Beine, sodass mir nun auch die letzte Chance genommen war, irgendetwas zu unternehmen. Langsam erschlaffte ich in seinen Armen. Mir wohlbewusst, dass ich eh nichts gegen ihn ausrichten konnte. Und sobald ich meinen Körper entspannte, wurde mir bewusst, wie nah er mir schon wieder war. Viel zu nah! Und es fühlte sich schon wieder viel zu gut an! Wer sollte da noch stark bleiben, wenn diese Mensch gewordene Leonardo da Vinci-Statue sich mit ihrem unverschämt perfektem Körper fest an einen presste, sodass es mir fast den Atem verschlug?! Ich wusste, dass er nicht bezweckte mich spüren zu lassen wie sich sein Körper auf meinem anfühlte, sondern dass er mit der Aktion lediglich bezweckte mich festzuhalten, aber dennoch konnte ich nicht umhin es unglaublich erregend zu finden, wie er mich festhielt. Ach du scheiße! Was dachte ich da eigentlich? Nein, nein, nein. Juliana, du musst hier ganz schnell weg! Was auch immer er von dir will, es kann nichts Gutes sein. Sonst würde er wohl kaum auf die Idee kommen, dich nachts im Stall gegen das Tor zu drücken und dir zu allem Überfluss auch noch den Mund zu halten! Auch wenn er sich noch so gut anfühlte, ich musste irgendetwas tun. Ich atmete tief ein und schloss die Augen. Wild bäumte ich mich auf, nahm in Kauf dass ich ihm so noch näher kam und mit verzweifelter Kraftanstrengung schaffte ich es mich aus seinem Arm zu winden und in die Knie zu gehen. Mein Plan war einfach mich unter ihm wegzuducken und abzuhauen. Er war dermaßen überrascht, dass es gelang. Ich entwischte ihm und sobald ich von ihm los war ließ mich die Kühle der Nachtluft erschaudern und ich erwischte mich dabei mich nach seiner Wärme zu sehnen. Leider hatte er das Tor wieder zugeschoben, sodass ich nun verzweifelt versuchen musste es wieder aufzubekommen. Es bewegte sich keinen Zentimeter und da war er auch schon wieder bei mir und presste mich erneut gegen das Tor. „Uff!“ machte ich, da ich diesmal mit dem Rücken zu ihm stand und ich in dieser Position noch wehrloser war als zuvor. Er lachte leise und jagte mir damit einen Schauer über den Rücken. Super Juliana! Fauchte die inzwischen altbekannte Stimme in meinem Kopf. Dein Plan hat ja mal wieder glänzend funktioniert. Ich verdrehte die Augen und schnaubte. „Halt die Klappe!“ „Mit wem redest du?“ fragte er amüsiert. Huch! Hatte ich das etwas laut gesagt?! „Mit meiner imaginären Freundin. Was dagegen?“ erwiderte ich bissig und erntete ein spöttisches Grunzen. „Sicher nicht, wenn sie genau so temperamentvoll ist wie du!“ Ich rammte meinen Ellebogen nach hinten und traf ihn in die Rippen. „Ach Juliana“ raunte er, packte mich bei den Handgelenken und presste mich ein Bisschen fester gegen die Wand. Ich gab es auf und hielt still. Eine ganze Weile lang rührte auch er sich nicht und es wurde wieder still im Stall. Abgesehen von den Geräuschen der vierbeinigen Zeugen des ungewöhnlichen Schauspiels und seinem Atem. Sein Atem in meinem Haar, der langsam über meinen Hals kroch und dessen Geruch mich beinahe um den Verstand brachte. Ruhig und gleichmäßig ging er und ich spürte sein rhythmisches Herzklopfen und wie sich sein Brustkorb unter seinen Atemzügen hob und senkte. Durch den fast durchsichtigen Stoff des Morgenmantels spürte ich jeden einzelnen Muskel an seinem Bauch, der fest gegen meinen Rücken gepresst war und ich war mir seiner Nähe mehr als bewusst. Auch konnte ich nicht verhindern, dass mein Körper auf den seinen reagierte. Eine Gänsehaut jagte die andere und mein Atem raste wie nach einem Marathonlauf. „Was ist los?“ fragte er schließlich und seine Stimme klang ruhig und überlegt, wie ich es von ihm kannte. Gute Frage, dachte ich und schwieg. Er lockerte den Griff um meine Handgelenke etwas, was ich mit einem erleichterten Seufzer quittierte. „Also“ fing er wieder an und brachte seinen Mund noch etwas näher an mein Ohr heran. „Wie war das mit der imaginären Freundin?“ Unwillkürlich musste ich lachen. „Nein! Ich werde sie nicht vorstellen!“ Er lachte leise mit. „Nicht nötig“ erwiderte er. „Zur Not kann mich auch mit dir anfreunden.“ Ich spürte, dass er mich provozieren wollte und dennoch kam ich nicht dagegen an. „Anfreunden?!“ fragte ich bitter und erntete wieder nur ein leises Lachen. „Nicht gut?“ fragte er flüsternd und seine Lippen streiften dabei mein Ohr. Scharf zog ich die Luft ein und schüttelte mühsam beherrscht den Kopf. „Hm“ machte er. „Schade.“ Ich schwieg weiter und spürte wie flau es mir im Magen wurde. Ein zarter Schweißfilm hatte sich auf meiner Stirn gebildet. Mit einer schnellen Geste vereinte er meine Handgelenke über meinem Kopf und hielt nun mit nur noch einer Hand fest. Ehe ich mir Gedanken darüber machen konnte, wie um alles in der Welt er es schaffte beide meiner zarten Handgelenke in nur einer Hand zu halten, spürte ich wie er mir mit der anderen Hand vorsichtig die Haare zurückstrich, die mir ins Gesicht gefallen waren. Hörbar stieß ich die Luft aus, weil mein Hals nun frei lag und der leise Lufthauch seines Atems mich streifte. Er lachte leise. Es war ein dunkles, kehliges Lachen, das irgendwo tief in ihm begann, seinen Brustkorb an meinem Rücken vibrieren ließ und langsam seine Kehle hinauf und aus seinem Mund an mein Ohr drang. Erst nachdem ich ausreichend über dieses Lachen nachgedacht hatte, bemerkte ich seine Hand, die von meinem Hals, den er vorhin bloß gelegt hatte, abwärts über meine Schulter, meine Flanken bis zu meiner Hüfte strich. Ehe ich mich auf das neue Gefühl konzentrieren konnte, war sein Mund plötzlich wieder ganz nah an meinem Ohr, streifte meinen Hals. In mir überschlug sich alles, mein Herz hatte sich erneut losgerissen und raste nun, Hacken schlagend und wild bockend unkontrolliert durch die Wirren meiner Gefühle und ich konnte nichts anderes tun als die Zügel schießen zu lassen, um mich fest zu klammern, damit ich nicht herunter fiel. „Um noch einmal auf deine imaginäre Freundin zurück zu kommen…“ hörte ich undeutlich seine Stimme, die sich irgendwo in meinem Kopf zu befinden schien. „Sag ihr, dass sie sich verziehen soll. Ich wäre gern allein mit dir.“ Ich war unfähig die Bedeutung dieser Worte auch nur im Ansatz zu verstehen, ich war unfähig überhaupt irgendetwas zu tun, da ich mich nur noch hilflos an die Mähne meines wild gewordenen Herzens klammerte, durchgeschüttelt vom rasenden Takt des Galopps. In meinem Kopf drehte sich alles und bunte Farben tanzten vor meinen Augen. Ohne es zu bemerken, knickten meine Knie ein und ich fiel in Luìs Arme, ohne dass ich das herrliche Gefühl auskosten konnte, bevor ich endgültig die Sinne verlor...





Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32 Teil 33 Teil 34 Teil 35 Teil 36 Teil 37 Teil 38 Teil 39


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz