Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 24.04.2009




Der Pfad war schmal, aber gut breitbar, sodass wir relativ rasch vorwärts kamen. Von unten hörte ich wie viele Stimmen wild durcheinander schreien, das Geräusch vieler Hufe, Gewieher. Und plötzlich ein Schuss!
Augenblicklich blieb Salvador stocksteif stehen, auch ich verharrte in der Bewegung. Ein eiskalter Schauer rann mir den Rücken hinab und auch Salvadors starker Körper zitterte. Ich widerstand der Versuchung und sah mich nicht um. Energisch legte ich die Beine an den warmen Pferdeleib und schnalzte mit der Zunge. 'Wir müssen weiter' flüsterte ich verzweifelt und trieb Salvador heftig an und trotz der starken Steigung setzte er sich in Galopp.
Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf die kräftigen Muskeln des Pferdes, auf sein rhythmisches Schnauben. Ich wollte nichts anders hören, nichts anderes fühlen, nichts anderes denken. Ich wollte gar nicht wissen, was der Schuss zu bedeuten hatte.
Als wir schließlich die Hochebene erreicht hatten, brannten meine Augen vor Tränen. Um dem Wallach und mir eine kleine Pause zu gönnen, ließ ich ihn Schritt gehen. Das hohe, trockene Gras reichte ihm bis zur Brust und peitschte meine nackten Schenkel, die an den Innenseiten schon ganz wund gescheuert waren. Der Wald zeichnete sich scharf gegen das Blau des Himmels ab. Ich konnte es kaum erwarten in den Schatten der Korkeichen einzutauchen, aber noch mussten wir die Ebene überqueren. Hinter mir hörte ich erneut Stimmengewirr und Pferdehufe. Gehetzt drehte ich mich um und sah, dass die Reiter schnell aufschlossen. Ich schnalzte wieder mit der Zunge. Salvador sprang gehorsam an, aber seine Galoppsprünge waren mittlerweile schwerfällig. Ich strich ihm über den muskulösen Hals. 'Tut mir leid, mein Guter. Aber ein Stück musst du noch durchhalten.' Dann trieb ich ihn stärker an. Er legte die Ohren an und ich hatte schon Angst, er würde sich widersetzten und mich erneut abwerfen. Aber Salvador war ein kluges Pferd, er streckte seinen Körper und wurde schneller. Das Gras schnitt mir nun in die Beine und vor Schmerz konnte ich mich kaum im Sattel halten, aber der Wald rückte immer näher. Immer wieder drehte ich den Kopf und jedes Mal waren die Verfolger ein Stück näher gekommen. Verzweifelt trieb ich Salvador immer wieder an, aber der Wallach war müde geworden und schien keinerlei Reserven mehr zu haben. 'Nur noch ein kleines Stück! Du kannst es schaffen, du musst einfach!' schrie ich auf Portugiesisch in den Wind. Die Ohren des Braunen zuckten zu mir und er verlängerte seine Sprünge. Vollkommen perplex starrte ich seine Ohren an. Hatte er auf die Sprache reagiert? Mit Luìs hatte ich immer nur Spanisch gesprochen. Nein! Unmöglich! Oder nicht? Einen Versuch ist es wert, dachte ich und wiederholte meine Worte auf Spanisch. Nichts geschah. Ich versuchte es erneut auf Portugiesisch und wieder zuckten die Ohren und der Wallach mobilisierte die letzten Kräfte. Unglaublich! fuhr es mir durch den Kopf. Die Verfolger waren nun ganz nah, ich konnte sie hören. 'Halt an, dann passiert dir nichts!' Ich lachte trocken auf und lenkte Salvador zwischen die ersten Bäume. Am Ende des Weges sah ich die ehemaligen Grenzpfosten. 'Lauf! Lauf! Lauf Salvador!' schrie ich mit aller Kraft und Salvador lief! Er raste den anderen Pferden davon, raste an den rotweißen Pfosten vorbei und den weichen Waldweg entlang. Ich hörte die Flüche der Verfolger, hörte ihre Pferde schnauben, wusste, dass sie die Grenze nicht überschreiten würden. 'Brrr' machte ich und Salvador parierte hart zum Schritt durch. Überschwänglich lobte ich den Braunen, der fast so schnell atmete wie ich selbst. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er wieder normal atmete. Die Schmerzen, die ich zwanghaft verdrängt hatte, kehrten nun mit aller Macht zurück. Ich beschloss anzuhalten. Gerade noch so schaffte ich es Salvador abzusatteln, dann verlor ich das Bewusstsein. Den Aufschlag auf dem federnden Waldboden spürte ich schon nicht mehr.

Alles war dunkel, Lichtfunken wirbelten wild durcheinander, ich spürte einen warmen Luftzug. Mühsam öffnete ich die Augen. Das große braune Pferd vor mir stupste mich sanft mit den Nüstern an. Meine Beine waren taub vor Schmerz. Was war passiert? Das Pferd schnaubte und wand sich von mir ab. Ich folgte seinem Blick, sah den Korkeichenwald um mich herum, sah den Sattel mit dem Gepäck. Die Verfolger, die Flucht durch die Schlucht, loses Gestein, Panik, Hufschlag, Geschrei, ein Schuss! Die Bilder hasteten an meinem inneren Auge vorbei. Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück und ich seufzte erleichtert auf. Salvador und ich waren endlich in Sicherheit. Doch dann drängte sich das Bild dunkler Augen in meine Gedanken. Dunkle Augen, die mich leer anstarrten. 'Luìs!' entfuhr es mir und augenblicklich schossen mir die Tränen in die Augen. Verzweifelt presste ich mir die Hand auf den Mund. Kraftlos sackte ich wieder zu Boden. War es möglich? Hatte der Schuss ihm gegolten? Hatten sie ihn getroffen? Unruhig tänzelte Salvador um mich herum. Ihm gefiel nicht, wie ich da auf dem Boden lag und starr zum Himmel blickte. Ich hätte gerne geweint, aber es ging nicht.







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