Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 23.12.2009




Ein einsamer Sonnenstrahl tanzte auf meinem Gesicht, er kitzelte mich an der Nasenspitze, zupfte an meinen Augenlidern und entlockte mir schließlich ein Lächeln. Ich schlug die Augen auf und sah mich um. Ich befand mich in einem rustikal eingerichteten Raum mit langen dunklen Vorhängen, die jedoch durch einen kleinen Spalt den Sonnenstrahl ins Zimmer gelassen hatten. Lächelnd setzte ich mich auf und streckte mich. So gut hatte ich schon lange nicht mehr geschlagen und schon gar nicht in einem richtigen Bett. Erholt warf ich die dünne Decke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Meine nackten Füße erschauerten kurz beim Kontakt mit den kühlen Bodenfließen. Ich trat ans Fenster und zog energisch die Vorhänge zurück. Helles Sonnenlicht flutete herein und umhüllte meinen Körper. Mein Blick schweifte über den Hof, auf dem reges Treiben herrschte. Die Hirten trennten einige Rinder von der Herde ab und trieben sie in einen kleineren Paddock. Die Stimmen und der Hufschlag der Pferde wurden durch die Fensterscheibe gedämpft. Diego ritt heute nicht Contador, dem er wohl eine Pause gönnte, sondern ein stämmiges braunes Pferd. Es war viel kleiner als Contador und ließ deshalb Diego noch größer erscheinen als sonst. Es war nicht unangenehm ihm bei der Arbeit zuzusehen, immer noch übte er eine gewisse Faszination auf mich aus, auch wenn ich eingesehen hatte, dass ich mich vor allem wegen meiner gereizten Nerven so sehr zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Er hatte mich die Strapazen der vergangenen Wochen einfach für kurze Zeit vergessen lassen und mich nicht wie Luìs ständig daran erinnert.
Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken. Eigentlich hätte ich jetzt glücklich sein sollen. Endlich wieder ein richtiges Bett, Hufgeklapper draußen auf dem Hof und vor allem ein Telefon unten im Salon, mit dem ich meinen Bruder Raul anrufen könnte. Aber es fühlte sich einfach nicht richtig an hier zu sein, jedenfalls nicht allein. Ich hatte die Reise wegen Salvador angetreten und ohne Luìs hätte ich es bis hier her niemals geschafft. Und jetzt waren beide weg. Ich wusste, dass ich meinen tiefen Schlaf in dieser Nacht lediglich meiner körperlichen und auch psychischen Erschöpfung zu verdanken hatte und dass ich vermutlich niemals mehr ruhig schlafen würde, bis ich nicht wusste wo die beiden waren.
Langsam schlenderte ich durch mein Gästezimmer zum Bad. Es war mit weißen Marmorfließen gekachelt, eine goldene Bordüre ließ alles sehr edel erscheinen. Das Waschbecken und die Wanne hatten goldene Armaturen und eine große Grünpflanze am Fenster aus Milchglas lockerte das Bild auf. Auf einem kleinen Tischchen lagen frische, flauschig weiße Handtücher, Seife und Shampoo bereit. Außerdem fand ich ein weißes Kuvert mit meinem Namen. Ich runzelte die Stirn, riss es aber schnell auf, um meine Neugier zu befriedigen. 'Liebe Juliana' stand da in zierlicher Handschrift, die ganz eindeutig einer Frau gehörte. 'Da du gestern verständlicherweise zu müde warst um mit uns zu Essen und uns näher kennen zu lernen, möchte ich dir schriftlich mitteilen, dass du dich ganz wie zu Hause fühlen kannst. Das Zimmer gehört meiner Tochter, die momentan in Lissabon studiert. Du kannst dir etwas zum Anziehen aus ihrem Schrank aussuchen, sie hat sicher nichts dagegen. Ich denke ihr habt ungefähr dieselbe Größe. Außerdem habe ich dir Handtücher bereitlegen lassen und mir erlaubt dir ein Frühstück ans Bett zu schicken. Ich hoffe du erholst dich gut und wir lernen uns dann beim Mittagessen kennen. Rosa' Ich lächelte. Was für eine freundliche Frau diese Rosa war. Ich fühlte mich wie in einem Hotel.
Schnell ließ heißes Wasser in die Badewanne laufen und kehrte noch einmal in das Schlafzimmer zurück und ging zum Wandschrank. Beherzt öffnete ich die Türen und ließ meine Augen rasch über die Kleider gleiten. Als erstes griff ich nach einem seidenen Morgenmantel und entschied mich anschließend für ein paar enge Jeans und ein lockeres Shirt. Außerdem Unterwäsche. Es war komisch zu wissen, dass die schon von einer anderen Frau getragen wurde, aber da Luìs ja meine Packtasche hatte mitgehen lassen, blieb mir nichts anderes übrig. Mit den Sachen bewaffnet wollte ich zurück ins Bad, ließ aber meinen Blick noch einmal rasch durchs Zimmer schweifen. Und wirklich! Auf dem Tisch in der Nähe der Tür stand ein reich beladenes Tablett. Mein Magen grummelte beim Anblick von frischen Obst und Brioche, aber erstmal wollte ich jetzt in die Wanne und mir den ganzen Schmutz der Reise abwaschen.
Rasch ließ ich meinen nackten Körper ins heiße Wasser gleiten und seufzte wohlig auf. Ein paar Minuten blieb ich einfach liegen, dann wusch ich mich. Als ich dampfend aus der Wanne stieg, war das Wasser schwarz. Angeekelt ließ ich es ablaufen und duschte mich dann noch einmal kalt ab, bis das Wasser komplett rein von meinem Körper abperlte. So schmutzig war ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Nachdem ich meine Haare in ein Handtuch und mich selbst in ein zweites gewickelt hatte und in den Spiegel blickte, fühlte ich mich wieder ich selbst. Ich rubbelte mich ab und ließ dann das Handtuch zu Boden fallen, um mich im Spiegel anzusehen. Nicht etwa aus Eitelkeit, aber weil ich untersuchen wollte, welche Spuren die Strapazen hinterlassen hatten. Ich seufzte als ich bemerkte, dass meine Hüftknochen stark hervortraten und meine Wangen etwas eingefallen waren. Die Haut meiner Hände war rissig und meine Schultern und Gesicht von der Sonne verbrannt. Schnell griff ich zum Cremetiegel der am Waschbecken stand und cremte mich ein. Dabei fand ich noch allerlei Narben und Schrammen und blaue Flecke. Insgesamt war es aber weniger schlimm als ich gedacht hatte. Schnell schlüpfte ich in die Klamotten und trocknete mein Haar nur ein wenig mit dem Handtuch, um es dann noch feucht durchzubürsten. Wenigstens meine Haare waren so schön geblieben wie vor der Reise, dachte ich und machte mich dann über das Frühstück her.

Die nächsten drei Tage vergingen relativ ereignislos. Ich lernte die Gutsbesitzer, Rosa und ihren Mann, ein wenig kennen. Die beiden ließen keinen Moment aus, um mir zu zeigen wie willkommen ich ihnen war und ich fühlte mich fast wie in einer richtigen Familie. Mit Diego wechselte ich nur wenige Worte, auch wenn ich ihn oft im Stall traf, in dem ich mich am Liebsten aufhielt. Er schien meine innere Abneigung zu spüren und ließ mich in Ruhe. Hin und wieder spürte ich seinen eisigen Blick auf mir ruhen, aber er wand sich schnell ab, sobald sich unsere Blicke kreuzten. Ich wusste nicht ob er verletzt war oder sich einfach nur zurückzog weil ich auf seinen letzten Annäherungsversuche am ersten Abend auf dem Gut nicht eingegangen war, aber es war mir irgendwie auch egal. Ich hatte mich erholt und wusste, dass ich nun bald meinen Bruder anrufen musste. Er würde vor Sorge um mich sicher schon halb umgekommen sein, aber ich brachte es nicht übers Herz, denn ohne Salvador war meine ganze Reise umsonst gewesen. Und ich schuldete Luìs noch Geld, damit er wenigstens für die erste Zeit etwas hatte, wenn er nach Spanien zurückkehrte. Irgendwie wusste ich ohne die beiden nichts mit mir anzufangen. Ich hatte mich so an ihre Präsenz gewöhnt. Mir fehlte der große braune Wallach, mir fehlte es ihn zu streicheln, seine weichen Bewegungen unter mir zu spüren, mir fehlte seine Intelligenz und seine Wachsamkeit. Und seltsamerweise vermisste ich auch die Streitereien mit Luìs, vermisste jemand den ich für alles verantwortlich machen konnte, jemand den ich anschreien und über den ich mich aufregen konnte. Ich vermisste sein spöttisches Lächeln und seine unverbesserlich arrogante Art. Verdammt er fehlte mir, er fehlte mir sogar sehr!

'Verflixt aber auch!' rief ich aus. Ich hatte nun die dritte Nacht in Folge von Luìs geträumt. 'Warum geht mir dieser blöde Spanier einfach nicht aus dem Sinn!?' Ärgerlich warf ich die Bettdecke zurück...







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