Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 29.11.2009




Die Stimmung der Hirten war gelöst, ihre Pferde griffen munter aus, trabten mit gespitzten Ohren. Erwartungsvolles Schnauben mischte sich mit den Lauten der Rinder und den rauen Stimmen der Hirten.
Mir war klar, dass das Gut nicht mehr weit sein konnte. Ich wollte mich von ihrer Stimmung anstecken lassen, aber es war mir unmöglich. Den ganzen Ritt über hatte ich mir den Kopf zerbrochen. Wo war Luìs? Warum war er verschwunden? Diego hatte ein paar Mal vergeblich versucht ein Gespräch in Gang zu bringen, dann war auch er es leid und schwieg. Missmutig stierte ich vor mich hin, als Salvador plötzlich ein fanfarengleiches Wiehern von sich gab und stehen blieb. Das Seil ruckte hart, dann hielt Diego seinen Hengst auch an.
Salvador stand da wie in Bronze gegossen. Reglos. Er fixierte einen Punkt am Horizont, jeder einzelne Muskel war angespannt und zeichnete sich deutlich unter dem schimmernden Fell ab. Die kleinen, wohlgeformten Ohren steil gespitzt, die Nüstern gebläht, die Adern am Kopf traten deutlich hervor. Der laue Wind spielte nachlässig mit Mähne und Schweif. Ihn so anzusehen ließ mir einen Schauer des Entzückens über den Rücken rieseln. Noch immer rührte er sich nicht. Nur hin und wieder zuckte ein Muskel unkontrolliert, regelmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb unter seinen Atemzügen, die Augen hatte er weiterhin fest auf einen für mich unsichtbaren Punkt am Horizont gerichtet.
Während Diego unruhig im Sattel herumrutschte, weil die Herde mittlerweile schon ein Stück weiter gezogen war und die anderen Hirten ihm schon zuriefen sich zu beeilen, bewunderte ich weiter den perfekten Körperbau des mächtigen Wallachs. Ich bemerkte nicht, dass Diego am Seil zog, um Salvador zum Weitergehen zu animieren, bemerkte nicht, dass das Halfter gefährlich spannte und Salvador langsam aber sicher begann gegen den Zug im Genick wehren.
Ich erwachte aus meiner Starre, als sich das Pferd unter mir in Bewegung setzte. 'Was soll das?' rief ich aus, aber Diego achtete nicht auf mich. Wild schüttelte Salvador den Kopf, als der Zug am Seil stärker wurde. Entschlossen rammte er alle vier Beine in den Boden, hob den Kopf und stemmte sich mit all seiner Kraft gegen Diegos Hengst Contador. Vor Anstrengung begann Salvador zu schwitzen, hektisch zog er die Luft ein und war auf einmal nicht mehr anmutig und schön, sondern einfach nur ein Pferd, das sich verzweifelt gegen seine Fesseln wehrte. Das Lederhalfter schnitt ihm so sehr ins Genick, dass er einen Sprung nach vorn machte, aber nur um sich gleich darauf noch vehementer zu widersetzten. Ich flehte Diego an endlich stehen zu bleiben, ich schrie, ich weinte, ich hieb mit meinen Fäusten auf seinen Rücken, aber er drehte sich nicht einmal um. Seinem Hengst wurde das ganze mittlerweile zu viel. Ich spürte wie verkrampft er war und dass Diego ihn energisch treiben musste, damit er überhaupt weiter ging.
Mittlerweile hatten die anderen Hirten die Herde etwas weiter weg eingekreist und angehalten. Der Schimmelreiter näherte sich. Schon bevor er bei Salvador angelangt war, erkannte ich seine Absicht. 'Nein!' schrie ich, aber es war schon zu spät. Mit einem langen Seil gab er Salvador einen kräftigen Hieb auf die Kruppe. Rasend wirbelte Salvador herum. Die Wut auf seinen neuen Peiniger ließ ihn ungeahnte Kräfte entwickeln und Contador war darauf nicht gefasst. Er wurde regelrecht von den Beinen gerissen. Hart schlug ich mit dem Kopf auf dem Boden auf, dennoch sprang ich auf und stürzte auf den tobenden Wallach zu. Alles verschwamm vor meinen Augen, Diegos Schreie mischten sich mit denen des Schimmelreiters und dem angestrengten Schnaufen der Pferde. Plötzlich wurde ich hart an der Schulter zurückgerissen. Gerade noch rechtzeitig, denn da wo ich eben noch gestanden hatte, kam Salavdors wirbelnder Huf gerade heruntergesaust. Ich wollte wieder aufstehen, aber ich wurde gewaltsam am Boden festgehalten. Ich hatte keine Chance und mit Tränen in den Augen sah ich wie Salvador kerzengerade in die Luft stieg und dann riss das Halfter. Da er plötzlich dem Druck nicht mehr standhalten konnte, verlor der Braune das Gleichgewicht und stürzte hintenüber. 'Salvador!' Der Schrei blieb mir in der Kehle stecken, als ich das Geräusch hörte mit dem der mächtige Pferdekörper auf dem Boden aufschlug. 'Nein, nein, nein' schluchzte ich, doch bevor ich Zeit hatte mir über die Folgen Gedanken zu machen, stand er schon wieder auf den Beinen und raste davon. Das zweite Mal in meinem Leben musste ich hilflos mit ansehen, wie der herrliche Braune panisch davon stürmte. Ich konnte nicht mehr, ich hatte genug. Heulend schloss ich die Augen und wollte sie nie wieder öffnen. Für den Moment jedenfalls war mir die Welt egal.

'Was bist du nur für ein Idiot!' 'Was hätte ich denn sonst machen sollen, wenn der Gaul nicht weiter will?' 'Gar nichts! Ich hatte die Sache vollkommen unter Kontrolle!' 'Ha! Unter Kontrolle, das ich nicht lache…' Die wütenden Stimmen brachten mich letztendlich doch dazu die Augen wieder zu öffnen. Ich brauchte einen kleinen Moment um mich zu orientieren. Ich saß auf dem Boden mit dem Rücken an einen Sattel gelehnt, Schatten viel auf mich. Ich wischte mir ein paar Mal über die Augen um endlich wieder klar zu sehen. Der Schatten hinter mir gehörte zu Diegos großem Rappen, stellte ich fest. '… du hattest dich verdammt noch mal nicht einzumischen!' Diegos Stimme zog wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Breitbeinig stand er vor dem Mann, der den Schimmel ritt. An der Anspannung seiner Armmuskeln erkannte ich, dass Diego sich nur mühsam beherrschte. Er hatte mit einer Hand in die Zügel des Schimmels gefasst und gestikulierte wild mit der anderen. Der Andere hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck und war ganz offensichtlich ebenfalls mehr als einfach nur wütend. Ganz offensichtlich diskutierten die beiden über die Situation mit Salvador. Ein Stich traf mein Herz, als ich an den braunen Wallach dachte und ich schluckte schwer um die Tränen zu unterdrücken. Es gelang mir mit einiger Mühe und ich wand mich wieder den Männern zu. Ich spürte instinktiv, dass die Situation bald eskalieren würde und wenn ich mir den Ausdruck des Pferdes ansah, wurde mir das nur bestätigt. Der Schimmel stand unruhig da, die Ohren flach angelegt und heftig mit dem Schweif peitschend. Hin und wieder stampfte er auf und an der Art wie er die Luft in die geblähten Nüstern sog, konnte ich sehen, dass er sich alles andere als wohl fühlte. Schnell stand ich auf und legte Diego die Hand auf den Arm, der das Pferd hielt.
Weder von ihm noch vom anderen Mann kam irgendeine Reaktion. Ich zupfte an Diegos Hemd, stieß ihn in die Seite, aber er beachtete mich nicht. Einen Moment schloss ich die Augen und atmete tief ein und aus. Was waren das nur für Idioten! 'Es reicht, verdammt!' brüllte ich schließlich mit aller Macht und legte dem Schimmel dabei beruhigend die Hand auf den Hals. Dieser warf erschrocken den Kopf auf und die beiden Männer starrten mich überrascht an. 'Lass los' sagte ich leise zu Diego und spürte wie meine Stimme zitterte. Er atmete unruhig und man konnte förmlich an seinen Augen ablesen wie er innerlich mit sich rang. 'Bitte!' sagte ich und strich zart über seine Hand. Eine Gänsehaut kräuselte seine Haut und ich musste unwillkürlich lächeln. Ganz langsam wurde der Blick seiner Augen wärmer und sein Atem ruhiger. Ich nickte ihm zu und löste langsam Finger für Finger von den Zügeln des Schimmels. Dann nahm ich seine große Hand in meine beiden kleinen Hände und zog ihn weg. Er folgte mir widerstandslos und ein Blick über die Schulter bestätigte mir, dass der andere Mann mit dem Schimmel wieder zur Herde zurück ritt. Erleichtert seufzte ich auf und ließ Diegos Hand los. Warum mussten eigentlich alle Männer mit denen ich etwas zu tun hatte irgendwie wahnsinnig sein!? Wäre ich nicht so traurig über Salvadors Verschwinden gewesen, hätte ich gelacht. So aber rang ich mir nur ein müdes Lächeln und ein Kopfschütteln ab. 'Ehrlich Diego, du hast sie doch nicht mehr alle' rutschte es mir heraus und ich hätte mir gleich darauf am Liebsten die Zunge abgebissen. Verletzt sah er zu mir runter und hob hilflos die Schultern. 'Kann sein' murmelte er dann und wand sich seinem Hengst zu, der sich mittlerweile erholt hatte und tatendurstig schnaubte. Ich verdrehte die Augen. Nicht nur, dass alle Männer um mich herum irgendwie am Rande des Wahnsinns standen, nein. Sie waren auch noch empfindlich wie kleine Mädchen. Ich würde irgendwann auch noch mal durchdrehen, wenn das so weiter ging.

Einige Stunden später trafen wir am Gut ein. Gierig stürzten sich die Rinder auf den großen Brunnen in der Mitte des Hofes und auch die Pferde waren sichtlich erleichtert endlich zu Hause zu sein. Müde rutschte ich von Contadors Kruppe und sah mich um.
Es handelte sich um eine großzügige Anlage mit weiß getünchten Ställen und einem schönen Wohnhaus. Ein riesiger Oleander rankte sich an eben diesem hoch und protzte mit seinen rosa Blüten. Ein hagerer Mann um die fünfzig mit tiefschwarzem Haar und Vollbart stand auf der Veranda und beobachtete das Treiben. Neben ihm stand eine rundliche Frau, deren Lächeln einen zum Mitlächeln animierte.
Während die anderen Männer die Rinder in einen weitläufigen Paddock trieben, half ich Diego die Pferde zu versorgen. Ich führte den Grauschimmel und den kleinen Braunen hinter ihm in eines der weißen Stallgebäude. Ein paar Pferdeköpfe lugten über die Boxentüren und wieherten ihren Kollegen einen freudigen Gruß zu. Der Stallgeruch versöhnte mich mit allem was passiert war und während ich die Pferde absattelte und ihre verschwitzten Körper mit einem nassen Schwamm abrieb fühlte ich mich einfach nur glücklich. Ich bemerkte nicht wie Diego Heu in die Boxen warf und als letztes den Schimmelhengst in den Stall führte. Ich war zu sehr auf meine vertraute und lang vermisste Arbeit konzentriert. 'Ich glaube wir haben jetzt alles erledigt' riss mich Diegos Stimme schließlich aus meiner glücklichen Geschäftigkeit. Ich hielt inne und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Mein Blick schweifte über die Pferde, die zufrieden im frischen Stroh standen und an ihrem Heu kauten. Es gab kein schöneres Geräusch auf Erden als zufrieden mampfende Pferde. Schließlich warf ich den Schwamm ins Waschbecken und nickte Diego zu. Er lächelte und zupfte mir einen Strohhalm aus den Haaren. 'Komm, ich stelle dir meinen Patron vor.' Ich nickte und folgte ihm aus dem schattig kühlen Stall hinaus in die Wärme der Abendsonne.







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