Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 25.10.2009




'Wer da?' rief der Mann und Luìs schubste mich vor, da er sich als Spanier nicht gleich unbeliebt machen wollte... 'Hallo' sagte ich nur und ging weiter auf ihn zu. 'Wir sind auf der Suche nach Wasser.' Er musterte mich kurz und ließ seinen Blick dann zu Luìs schweifen. 'Ihr habt doch was ausgefressen…' stellte er nüchtern fest und dann, als ich nicht antwortete: 'Paolo! Komm mal rüber, wir haben Besuch.'
Bei besagtem Paolo handelte es sich um einen Mann mittleren Alters, nicht gerade groß, doch von kräftiger Statur. Auch er musterte uns kritisch, bedeutete uns dann schließlich ihm zu folgen. Der Mann auf dem Schimmel blieb bei der Herde zurück.
Am Feuer saßen noch zwei andere Männer, ihre Pferde standen nicht weit entfernt und sahen neugierig auf, als wir uns näherten. Einer mit grobschlächtigem Gesicht, Vollbart und unzähligen Fältchen um die kleinen, wachsamen, blauen Augen, deutete auf die ihm gegenüberliegende Seite des Feuers. Ein kleiner Brauner wieherte nervös, was uns einige böse Blicke einbrachte.
Wir ließen uns nieder und nahmen dankend die angebotenen Becher. Die Männer redeten kein Wort, sahen nur stumm zu wie wir gierig das kühle Wasser tranken. Zwei Mal noch schenkte Paolo uns nach, dann nahm er uns die Becher wieder ab. 'Besser ihr trinkt nicht so viel auf einmal' sagte er schließlich. Flüsternd übersetzte ich für Luìs, der daraufhin von den Männern nicht unbedingt freundlicher betrachtet wurde. 'Ihr seid Spanier?' fragte einer der drei und kratzte sich am bärtigen Kinn. Energisch schüttelte ich den Kopf. 'Er schon, aber ich komme aus dem Alentejo. Mein Bruder hat dort ein Gut. Er züchtet Pferde und Rinder…' Ich verstummte, mehr mussten sie ja eigentlich nicht wissen. Paolo legte die Stirn in Falten und auch die beiden anderen warfen uns erneut kritische Blicke zu. Ein peinliches Schweigen entstand.
Luìs rutschte neben mir unruhig herum. So unauffällig wie möglich stieß ich ihm den Ellebogen in die Rippen, was ihn leise aufjaulen ließ. 'Dein spanischer Begleiter scheint nervös zu sein' sagte nun der dritte, der bis jetzt geschwiegen hatte. Er war mit Abstand der Jüngste und hatte ein markantes, glatt rasiertes Kinn, eine gerade Nase, eine hohe Stirn und rabenschwarze Augen die mich nun intensiv musterten. Seine Musterung machte mich unruhig, aber ich schaffte es seinem forschenden Blick standzuhalten.

Während wir uns am Feuer gegenüber saßen und uns anstarrten, überlegte ich fieberhaft was ich den Rinderhirten erzählen sollte und was nicht. Würden sie uns an die Polizei verraten? Anderseits wussten sie wohl kaum, dass die hinter uns her war…
Schließlich entschied ich mich für die Wahrheit, ohne allerdings zu erwähnen, dass ich Salvador gestohlen hatte und dass wir verfolgt wurden. Die drei Männer und Luìs hörten mir stumm und aufmerksam zu und als ich geendet hatte, breitete sich erneut Schweigen aus. 'Was hast du ihnen erzählt?' zischte Luìs mir zu, da er nur die Hälfte verstanden hatte. 'Die Wahrheit' erwiderte ich schlicht und hörte ihn tief die Nachtluft einsaugen. Er packte mein Handgelenk, was mich veranlasste ihm in die Augen zu blicken. Sie flackerten gefährlich. 'WAS hast du?' seine Stimme war leise und bedrohlich. Einen Moment fochten wir einen stummen Kampf aus. 'Als wir in Spanien waren, habe ich deinen Befehlen gehorcht. Auf dieser Seite der Grenze entscheide ich und du hast das zu tun, was ICH dir sage' sagte ich schließlich und versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Er schnappte vor lauter Überraschung nach Luft. Sein Griff um mein Handgelenk wurde ein wenig fester. Ich wusste genau er wäre ausgeflippt, wenn ihn die drei Männer auf der anderen Seite des Feuers nicht so feindselig angestarrt hätten. Ärgerlich versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien. Der mit den Rabenaugen richtete seinen beunruhigend intensiven Blick nun auf Luìs und richtete sich ein wenig auf. Selbst ich spürte die stumme Bedrohung die von seiner Körpersprache ausging. Er war ungewöhnlich hoch gewachsen und dennoch von kräftiger Statur, sodass selbst Luìs neben ihm einem Schwächling glich. Seufzend lockerte Luìs seinen Griff und ich entzog mich schnell seiner Reichweite.
Um die Stimmung etwas aufzulockern bot ich den Hirten an, dass Luìs sich um die Hufe ihrer Pferde kümmern könnte, wenn sie uns heute Nacht hier kampieren ließen. Einen Moment berieten sich die drei Männer flüsternd, dann gaben sie mir ihre Zustimmung. Leise übersetzte ich für Luìs, der mich mit bösem Blick bedachte, sich aber gleich erhob und zu den Pferden herüber ging. Drei Augenpaare folgten ihm. 'Er ist ein wirklich guter Hufschmied' versuchte ich das Misstrauen zu zerstreuen. Die drei reagierten nicht. Als der nervöse Braune, der vorhin so unruhig geworden war, sich unter Luìs streichelnden Händen jedoch vollkommen entspannte und sich ruhig einen Huf nach dem anderen anheben und betasten ließ, schienen die Männer mit dem seltsamen Spanier versöhnt und wandten sich mir zu.
'Wir haben dein Pferd gesehen' sagte der Bärtige und Paolo und der andere nickten zustimmend. Er kam vor knapp einer Stunde angerast wie vom Blitz getroffen und brachte unsere ganze Herde in Unordnung. Das war eine Arbeit alle Viecher wieder zu beruhigen und einzufangen!' Er machte eine bedeutungsschwere Pause und mein Herz raste. Gerade wollte ich weiter nachfragen, als er wieder zu sprechen begann: 'Er ist nach Osten davon gestürmt. Es war ein herrlicher Anblick! Wir haben uns schon gefragt, wo der Teufelskerl herkommt. Meine Stute…' er deutete hinter sich, wo neben dem Braunen eine kräftige Grauschimmelstute stand. '… war schon drauf und dran ihm nachzulaufen. Ich hatte alle Hände voll zu tun.' Er lachte rau. Ehe ich die Frage aussprechen konnte, machte Paolo eine Handbewegung, die mich meinen Mund gleich wieder zuklappen ließ. 'Ein paar Stunden von hier gibt es ein Wasserloch. Er wird sicher dorthin gelaufen sein.' Er deutete in die entsprechende Richtung. 'Wenn ihr aber nicht sofort aufbrecht, wird er vermutlich schon wieder über alle Berge sein, wenn ihr ankommt' fügte er dann hinzu. 'D-Danke' stammelte ich und schaffte es kaum die Tränen zurück zu halten. Wie um alles in der Welt sollten wir das schaffen? So erschöpft wie ich war und dann auch noch ohne Pferde? Er würde weiter und weiter laufen, bis ihn endlich jemand fing oder aber er wieder den Weg über die Grenze nach Spanien fand. Ich wusste nicht, welche der Möglichkeiten schlimmer für ihn sein würde. Verzweifelt verbarg ich meinen Kopf in meinen Armen. Lautlos liefen die Tränen an meinen Wangen hinunter.
'Juliana?' flüsterte plötzlich eine wohlbekannte Stimme dicht neben meinem Ohr. 'Weinst du?' 'Nein' erwiderte ich schluchzend, konnte der Versuchung jedoch nicht widerstehen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Sein Duft stieg mir in die Nase. Unverschämt wie gut er roch! 'Und ob du weinst' hörte ich ihn sagen. 'Komm schon her!' Wieder einmal lag dieser unterschwellige Befehlston in seinen Worten. 'Nein!' sagte ich lauter als beabsichtigt, sprang auf und lief ihm davon. Er folgte mir nicht, was ich wohl den Rinderhirten zu verdanken hatte.
Traurig lehnte ich mein Gesicht an den Stamm eines der knorrigen Bäume und ließ den Tränen freien Lauf. Plötzlich spürte ich eine Präsenz im Rücken. Ich verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. 'Luìs bitte! Ich möchte jetzt allein sein!' Er kam einen Schritt näher und jetzt spürte ich auch die Wärme die von ihm ausging. Ich konnte nicht leugnen, dass sie mir angenehm war. Aber dennoch! Dieser Kerl war einfach unmöglich! Konnte er nicht einmal akzeptieren, was ich sagte? 'Geh bitte!' stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich hörte das Gras rascheln und dachte schon er hätte endlich kapiert, aber dann streifte mich ein warmer Luftzug im Nacken. Ein Prickeln lief von dort ausgehend in einem wohligen Schauer meine Wirbelsäule hinab. Ich rührte mich nicht, spürte den Hauch seines Atems am Hals, seine Wärme an meinem Rücken. Die Tränen versiegten und fast wäre ich der Versuchung erlegen, mich einfach fallen zu lassen, mich an seine Brust zu lehnen und mich seiner Umarmung hinzugeben.
Tief atmete ich ein und aus und zählte im Geiste bis zehn, um mich wieder unter Kontrolle zu haben. Wie eine Furie fuhr ich schließlich herum, um ihn von mir zu stoßen, und erstarrte!







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