Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 33

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 02.03.2011


Wir schwiegen lange und sahen alle drei dem hochbeinigen Wallach zu, der etwa einen Steinwurf weit von uns entfernt graste. Er hatte sich an die Anwesenheit Rauls gewöhnt und beachtete ihn nicht weiter.
Luìs und ich hatten den Ausführungen meines Bruders stumm gelauscht. Luìs war es schließlich, der das Schweigen brach. „Aber wie kannst du so sicher sein, dass er es ist?“ Rauls Augen wanderten von Salvador zu Luìs. „Dieser Stern… - ich weiß es einfach!“ Luìs nickte bedächtig. „Dennoch wird sich die Polizei darauf allein sicher nicht verlassen.“ Ich legte ihm die Hand auf den Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ich wollte nicht, dass sich die Beiden stritten, noch ehe sie sich wirklich kennen gelernt hatten. Er nahm meine Hand in seine und schwieg. Ärgerlich hatte Raul die Stirn gerunzelt, bemerkte aber unsere ineinander verschränkten Hände und beruhigte sich wieder. „Sicher werden sie sich nicht nur auf den Stern verlassen, aber er hat ja die Tätowierung.“ „Tätowierung?“ echote ich. „Ich habe bei ihm nie eine entdeckt.“ Luìs nickte. „Ich auch nicht.“ Raul lächelte. „Holt ihn doch noch mal her.“ Ich pfiff leise und Salvadors Kopf flog in die Höhe. Ich stand auf und machte ein paar Schritte auf ihn zu. „Komm“ lockte ich mit leiser Stimme und der Braune kam vertrauensvoll näher.
„Schau in sein rechtes Ohr“ sagte Raul und Luìs stand auf, um mir zu helfen. Sanft zog ich den großen Pferdekopf zu mir hinunter und kraulte ihn unter dem Kinn. „Sieh nach!“ drängte ich Luìs und er nahm vorsichtig das besagte Ohr in die Finger und versuchte hinein zu schauen. Dann schüttelte er den Kopf. „Zu viele Haare, ich kann nichts erkennen… doch, warte mal.“ Gespannt sah ich in sein konzentriertes Gesicht und betete gleichzeitig, dass Salvador noch einen Moment still halten möge. Ich spürte, wie es dem Wallach langsam nicht mehr behagte. Er zuckte mit den Ohren, versuchte Luìs abzuschütteln.
„Da, da ist es!“ rief Luìs plötzlich, Salvadors Kopf flog mit einem Ruck in die Höhe und verpasste mir einen heftigen Kinnhacken.
Alles wurde schwarz und ich stürzte zu Boden. Schnell war ich wieder auf den Beinen, schwankend zwar, aber ich stand. Luís und Raul waren gleich bei mir und stützten mich. „Geht schon wieder“ sagte ich und schüttelte die Arme ab. „Sicher?“ fragten die beiden wie aus einem Munde und ich lachte laut auf. Einen Momente nur, dann lachten sie mit. Raul war glücklich, weil er das verlorene „Fohlen“ wieder hatte, ich war glücklich weil alles gut gegangen und wir heil bis hier her gekommen waren und Luìs war glücklich, weil ich glücklich war. Wir lachten und lachten und konnten uns nicht mehr einkriegen. Alle Anspannung fiel von uns ab und Freudentränen rannen über mein Gesicht. Völlig außer Atem ließen wir uns schließlich wieder ins Gras fallen. Raul rechts, Luìs links neben mir sahen wir in den makellos blauen Himmel hinauf, solange es uns möglich war, da sie Sonne unangenehm in die Augen stach.

Am Abend saßen wieder einmal alle zum Essen auf der Terrasse beisammen, es herrschte ausgelassene Stimmung. Plötzlich hupte es von der Einfahrt her. Rosa schickte einen Jungen, der bald darauf eilig zurückkehrte. „Es… es ist… Amalia!“ stieß er völlig außer Atem hervor. „Amalia?“ Rosa sprang auf und stürzte, gefolgt von ihrem Mann, dem Jungen nach. Luìs, Raul und ich sahen uns fragend um, bis sich einer der Rinderhirten erbarmte und uns zuflüsterte, dass Amalia die Tochter der beiden war.
Und da kamen sie auch schon wieder herein. Rosa, ihr Mann und eine unglaublich schöne junge Frau. Alle Hirten und Angestellten erhoben sich und einer nach dem anderen umarmte sie. Sie lachte und ihr dunkelbraunes Haar flog dabei in alle Richtungen.
Etwas peinlich berührt blickte ich an mir hinab. Ich trug ein himmelblaues Seidenkleid, dass eben dieser Amalia gehörte. „Und das ist Juliana, von der ich dir am Telefon erzählt habe“ hörte ich Rosa in meinem Rücken sagen. Ich seufzte, zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht und stand auf. „Juliana, hallo!“ sagte die Schöne und ich ergriff die mir dargebotene Hand. „Hallo“ Schüchterner als sonst blickte ich ihr in das schön geschnittene Gesicht. Sie lächelte. „Das Kleid steht dir prima!“ Ich lachte, ein Bisschen verschämt. „Obrigada!“ Das Eis war damit gebrochen.
Nacheinander begrüßte sie auch Raul und Luìs, die ihr die Hand küssten. Dann ging sie um die lange Tafel herum, wo Diego saß. Der war der einzige, der sie nicht eines Blickes würdigte. Sie setzte sich neben ihn und küsste ihn auf die Wange. Er schien unbewegt, aber seine Augen rasten. Interessiert beobachtete ich ihn, nachdem das normale Tischlärmen wieder eingesetzt hatte. Er bemerkte meinen Blick und feuerte zwei tiefschwarze Blitze auf mich ab. Ich lächelte in mich hinein. Irgendetwas sagte mir, dass es etwas ziemlich Starkes zwischen den beiden gab. Irgendwas? Natürlich waren es Diegos Augen, die ihn verrieten. Diese Rabenaugen, die auch mich in ihren Bann hatten ziehen können. Wieso sollte es Amalia anders ergangen sein?
Das Abendessen verlief mit harmlosen Plaudereien, es war eine leicht angespannte Atmosphäre zu spüren, von der keiner so recht zu wissen schien woher sie eigentlich kam. Und so verabschiedete man sich dann auch recht schnell in die Nachtruhe.
Natürlich war ich nun, da Amalia wieder da war, ebenfalls in einem Gästezimmer untergebracht. Es lag im Erdgeschoss, im gleichen Flur in dem auch Luìs und mein Bruder ihre Zimmer hatten.
Seufzend streifte ich mir im Bad das Kleid von den Schultern, als es an der Tür klopfte. Schnell wickelte ich mich in ein großes Handtuch. „Herein!“ Ich hörte die Tür klappen. „Weißt du“ rief ich durch die angelehnte Badezimmertür. „… ich wollte eh noch etwas mit dir besprechen. Also du hast ja… huch! Was machst DU denn hier?“
Ich hatte plappernd den Kopf aus der Tür gesteckt und starrte nun den Mann an, der auf dem Bett saß. Mit ihm hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Er lächelte und ich musste mich einen Moment am Türrahmen festhalten.
„Diego“ sagte ich schließlich leise. „Eben der.“ Seine sanfte Stimme drang mir bis ins Mark. „I-ich, ich zieh mir nur schnell was an.“ Er lächelte wieder. „Brauchst du nicht:“ Ich warf ihm einen, wie ich glaubte, bösen Blick zu und verschwand wieder im Bad. Wieso nur klopfte mein Herz so stark? „Viel zu stark“ verbesserte mich wieder einmal die nervige Stimme in meinem Kopf. Wenn ich nicht im Handtuch unter seine Augen treten wollte, blieb mir nur der seidene Morgenmantel, denn der Schrank stand natürlich im Zimmer. Seufzend ließ ich das Handtuch fallen und schlüpfte in den kühlen Stoff. Sorgfältig wickelte ich mich ein und machte einen festen Knoten. Kurz blickte ich in den Spiegel. Der dünne, seidene Stoff des Mantels schmiegte sich an meinen schlanken Körper fast wie eine zweite Haut. Eventuell hatte das Handtuch mehr versteckt, aber der Mantel konnte mir wenigstens nicht bei einer unbedachten Bewegung herunterfallen. Ärgerlich schüttelte ich den Kopf. Was für eine unbedachte Bewegung meinte ich eigentlich? Ich würde lediglich fragen, was er wollte und ihn dann wieder raus schicken!
Ich atmete noch einmal tief durch und trat ins Zimmer. Diego saß immer noch auf dem Bett. Unschlüssig blieb ich etwa einen halben Meter vor ihm stehen. Er sah zu mir auf. Bei dem Gedanken musste ich lachen, unwillkürlich. Es brach aus mir heraus, glucksend hinter vorgehaltener Hand, aber dennoch. Ja, er sah tatsächlich zu mir auf. Lächelnd dachte ich an unsere erste Begegnung. Seine riesige Gestalt, seine rabenschwarzen Augen und seine so sanfte Stimme hatten mich vollkommen aus dem Konzept gebracht.
Ehe ich mich noch weiter in Erinnerungen verlieren konnte, stand er auf. Und schon waren die Verhältnisse wieder so, wie ich sie von Anfang an gewohnt war. Und ich musste zugeben, dass seine Erscheinung mich erneut aus dem Konzept brachte. Es war das erste Mal, dass wir einander so nah waren, seit wir auf dem Gut angekommen waren. Er trug ein schlichtes weisses Unterhemd, welches an jedem anderen Körper schmuddelig und ungepflegt gewirkt hätte. Aber an ihm sah es einfach fantastisch aus. Oh Gott, was zum Teufel dachte ich da nur! Schnell musste ich mich auf andere Gedanken bringen. War sagte er nichts? Um in sein aristokratisches Gesicht blicken zu können, wanderte mein Blick von seinem Bauch, über seine Brust und seinen Hals, hinauf bis zu seinem Kinn und Mund, um dann endlich bei seinen Augen anzukommen. Er lächelte auf mich herab und schwieg.
„Also?“ fragte ich schließlich, nachdem wir uns eine Weile so angeschaut hatten und mein Nacken begann zu schmerzen. „Nun“ sagte er und fixierte mich mit seinem Rabenblick. „…ich kann dich nicht einfach so gehen lassen.“ Peng! Das hatte gesessen. Hatte ich geglaubt er würde einfach so locker lassen? Ja, hatte ich. Hatte ich mich überhaupt darum gekümmert, wie er mit der Enttäuschung umgegangen war? Nein, hatte ich nicht. Und er hatte nichts besseres zu tun, als genau jetzt damit heraus zu rücken.
„Ich dachte es wäre…“ sprach er weiter und innerlich betete ich, dass er es nicht aussprechen wűrde. „… etwas Besonderes!“
Er hatte es gesagt! Er hatte ausgesprochen, was ich gefűhlt hatte, als wir uns das erste Mal in die Augen geschaut hatten. Ich wusste, dass er Recht hatte, wusste, dass da etwas Besonderes zwischen uns war, hatte es aber erfolgreich verdrängt. Nun wusste ich, dass er es auch gespűrt hatte. Allerdings gefiel mir der Ausdruck auf seinem Gesicht űberhaupt nicht. Zu sanft, zu liebevoll. Was auch immer dieses „Besondere“ war, es hatte nichts mit Liebe zu tun. Wie sonst hatte ich mich in Luis verlieben können?! Es musste etwas anderes sein und Diego musste das einsehen. Fieberhaft suchte ich nach einer Art und Weise, um es ihm schonend beizubringen.
„Du kennst mich doch gar nicht!“ fiel ich ihm erst einmal ins Wort, hauptsächlich um ihn am Weiterreden zu hindern. Es funktionierte, Diego klappte den Mund zu und starrte mich einen langen Moment an. Dann lächelte er leicht, eigentlich war es nur ein Kräuseln seiner Mundwinkel und ein kurzes Aufflackern in seinen Augen.
„Dann lass mich dich kennen lernen.“ Ich verdrehte die Augen und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Wieso war er nur so hartnäckig? Ich raufte mir die Haare und sah ihn flehend an. „Wie stellst du dir das vor? Du kannst mich nicht kennen lernen… Morgen Vormittag fahren wir ab…“ „Juliana!“ fiel er mir ins Wort und hielt mich am Arm fest. Sein Griff war sanft, ließ aber keinen Widerstand zu. Er zog mich an sich, an seine Brust. Er war warm und es fűhlte sich viel zu gut an. Ich seufzte. Warum tat er das? Mit der freien Hand hob er mein Kinn an. Der Griff seiner riesigen Hand war so sanft und unnachgiebig. Zwecklos sich dagegen zu wehren. Schon war ich im Schwarz seiner Augen gefangen. „Wir haben noch die ganze Nacht“ flüsterte er beschwörend und sein schöner Mund kam dem meinem immer näher. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ein leichter Schwindel erfasste mich...





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