Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 17.04.2009




Etwas kitzelte meine rechte Wange. Unwillig drehte ich den Kopf zur anderen Seite, ich war noch nicht bereit aufzuwachen, aber schon war der Schlaf verflogen. Als ich die Augen aufschlug blickte ich direkt in ein dunkles Augenpaar. Ich brauchte einen Moment, um es Luìs zuzuordnen. Er lächelte. 'Sorry, aber wir müssen aufbrechen.' Sofort war ich auf den Beinen und nahm war, dass er diesmal nur sein Pferd gesattelt hatte. Ich hievte also den schweren iberischen Sattel auf den Rücken meines Wallachs Salvador, trenste ihn auf und verschnallte das Gepäck. Ich wusste, dass ich etwas zu lange brauchte, aber die Hitze schwächte mich mehr, als ich angenommen hatte. Luìs beobachtete mich schmunzelnd, verkniff sich aber einen Kommentar. Als ich endlich fertig war, saß er schon lange auf dem Rücken seiner Stute und wartete. Meinen bösen Blick ignorierte er vollkommen. 'Auf geht's Senorita, wir haben noch viel vor.' Sagte es, schnalzte mit der Zunge und ritt voraus. Ich spürte wieder die Wut in mir brodeln - seine arrogante Höflichkeit würde mich noch wahnsinnig machen. Salvador spürte meine Unruhe und beschloss ein paar Meter seitwärts zu tänzeln. Ärgerlich trieb ich ihn vorwärts, er verweigerte sich energisch und stieg. Er mochte es nicht hart angefasst zu werden. Nachdem ich ihn wieder herunter gebracht hatte, ließ ich die Zügel lang und streichelte ihn entschuldigend. Er drehte seinen schönen Kopf zu mir und schnaubte versöhnlich. Luìs, der seine Stute angehalten und zu uns hinüber gesehen hatte, verkniff sich freundlicherweise einen Kommentar. <bR>Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Die Landschaft war gleich bleibend öde, das Meer lag immer weit unten zu unserer Linken. Nach zwei Wochen hatten wir es fast geschafft. Die Grenze lag nur noch einen Tagesritt entfernt. Unsere Vorräte waren aufgebraucht und so langsam wurde auch das Pferdefutter knapp. Wir waren auf unserem Ritt niemandem begegnet, hatten uns fern von den Straßen und Dörfern gehalten. Doch jetzt mussten wir das Risiko eingehen. Luìs wusste von einem winzigen Dörfchen, ein paar Kilometer weit im Landesinneren, in das sich kaum jemand verirrte. Die meisten Menschen lebten dort noch, wie vor Jahren. Unsere Chancen nicht verraten zu werden waren also relativ hoch. Also ließen wir die Küste hinter uns und folgten einem staubigen Feldweg, der ins Nirgendwo zu führen schien. Das Gras wurde immer spärlicher und gelber, nackter Fels ragte hier und da aus dem Grund. 'Hinter der nächsten Kurve ist es' sagte Luìs schließlich. Wir hielten an und ich versuchte mich mit Hilfe meines kleinen Spiegels einigermaßen herzurichten. Es brauchte ja keiner wissen, dass wir seit zwei Wochen unterwegs waren. Als ich den Umständen entsprechend zufrieden war, reichte ich den Spiegel an Luìs weiter. Er warf einen flüchtigen Blick hinein, wischte sich ein Bisschen Dreck von der Wange und schüttelte den Kopf. Ich musste zugeben, dass er Recht hatte. Man sah ihm die Strapazen der letzten Tage kaum an und außer, dass sein Hemd verschwitzt war sah er aus wie immer. Neidisch verstaute ich den Spiegel und machte mich daran Salvadors Mähne zu entwirren. Nicht nur die eigene, auch die Pferdepflege war in den letzten Tagen zu kurz gekommen. Schließlich konnten wir aufbrechen. Wir hatten uns eine feine Geschichte ausgedacht, ritten nun nah bei einander und unterhielten uns auf Französisch. Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Schließlich hielten wir vor einem Gemüseladen, eine alte Frau saß davor schlafend auf einem Schaukelstuhl.Die ganze Szene schien so unwirklich in der flimmernden Nachmittagshitze, dass ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Sie schreckte auf, als Luìs sie ansprach. Ich stand mit den Pferden auf der Straße und konnte nicht verstehen was er sagte. Aber die Alte schaute recht freundlich drein und musterte mich neugierig aus kleinen dunklen Augen. Ihre Haut schien aus Pergament zu bestehen und spannte stark über den Wangenknochen. Das schneeweiße Haar war straff nach hinten gekämmt und in einem Dutt im Nacken befestigt. Ich war mir sicher, dass kein Sturm auch nur eine Strähne hätte heraus zupfen können. Nach einem kurzen Gespräch warf Luìs mir noch einen Blick zu und legte den Finger an die Lippen. Genervt richtete ich die Augen gen Himmel. Für wie blöd hielt der mich? Mir war schon klar, dass die Geschichte der französischen Pilgerin auffliegen würde, sobald ich den Mund aufmachen würde. Er lächelte und folgte der Alten ins Haus. Salvador schnaubte mir in den Rücken. Ich streichelte seine weichen Nüstern. Mittlerweile wusste ich, dass er die richtige Wahl gewesen war. Beim Aufbruch vor zwei Wochen war ich mir nicht sicher gewesen, ob der nervige Wallach zuverlässig genug war. Es hatte sich jedoch herausgestellt, dass der Braune viel ausgeglichener war, als er sich auf dem Gestüt gezeigt hatte. Oder hatten wir nur einen besonderen Draht zueinander? Leicht zu Händeln war er jedenfalls nicht gewesen, als ich ihn das erste Mal unter dem Sattel des Bereiters gesehen hatte. Aber ich war sofort fasziniert von dem mächtigen Pferd. Und wahrlich; Salvador war ein Kraftpaket, hengstig und äußerst sensibel. Bis zu unserer Flucht hatte ich ihn nicht ein einziges Mal geritten, mich wohl aber mit ihm angefreundet, da er den Paddock neben meinem Bungalow bewohnte. Als ich ihn in der Nacht vom Paddock geholt und gesattelt hatte war er furchtbar aufgeregt und tänzelte die ganze Zeit auf der Stelle. Ich hatte schon Angst er würde das halbe Gestüt aufwecken, aber es blieb alles ruhig. Als ich es dann endlich geschaffte hatte ihn einigermaßen herzurichten, hatte er mich kaum aufsteigen lassen. Irgendwie hatte ich dann aber einen Fuß in den Bügel bekommen und er war losgerast. Glücklicherweise ritt ich seit ich denken konnte und zog mich in den Sattel. Erst nachdem Salvador wie ein Verrückter die Auffahrt hinab gestoben war, bekam ich ihn annähernd unter Kontrolle. Ein so mächtiges Pferd wie ihn hatte ich selten geritten. Als ich schließlich am Treffpunkt ankam, hatte Luìs beinahe einen Herzinfarkt bekommen. 'Ausgerechnet den!' Unwillkürlich lächelte ich bei der Erinnerung. 'Was grinst du denn so blöd?' zischte er mir zu. Ich schreckte auf, ich hatte ihn und die alte Frau gar nicht kommen hören. Verwirrt sah ich mich um. Luìs stopfte allerhand Zeug in unsere Satteltaschen, die Alte stand auf der Veranda und sah ihm zu. Ein junger Mann stand mittlerweile neben ihr. 'Ein außerordentlich schönes Pferd, was sie da haben.' sagte er zu mir. Ich lächelte und tat als hätte ich nicht verstanden. 'So ein Idiot' fauchte Luìs mir auf Französisch zu und dann wieder auf Spanisch zu dem Kerl: 'Danke, sie mag ihn auch sehr.' Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie der Mann nickte und dann wieder zu mir sah. Rasch drehte ich mich zu Salvador um. Er sollte nicht meinen, dass ich zum Flirten aufgelegt sei. 'So fertig.' Luìs reichte mir eine Plastikflasche mit Wasser. Gierig trank ich, besann mich aber schnell und holte den Eimer aus der Satteltasche. Luìs nahm ihn mir aus der Hand und machte ein paar Schritte auf die Veranda zu. Der junge Mann nahm ihm den Eimer aus der Hand. Wenig später kehrte er mit dem vollen Eimer zurück. Salvador weigerte sich dem Mann zu Nahe zu kommen. Er blähte die Nüstern und rollte mit den Augen, während er angespannt da stand, alle Muskeln gespannt, bereit jeden Moment loszupreschen. Ich führte ihn ein paar Meter weg und er beruhigte sich etwas. Aber ich merkte, dass mit dem Mann etwas nicht in Ordnung war. Salvador atmete immer noch schnell und sein Hals war schweißnass, was nicht an der Hitze lag. Luìs Stute Lotus trank ohne zu zögern, dann kam der Mann wieder in meine Richtung. Salvador neben mir blähte sich auf und schien immer größer und breiter zu werden, er nahm mich gar nicht mehr wahr. Luìs nahm dem Mann schließlich den Eimer ab und entschuldigte sich. Die beiden verschwanden zusammen im Haus, die alte Frau beobachtete mich und ich gab meinem Wallach zu trinken, der nun, wo der Mann weg war, ganz friedlich schien.<bR>Ungeduldig wartete ich in der Hitze. Wo blieb er nur? Und was zum Teufel hatte er mit dem fremden Mann zu reden? Und hatte diese Frau nichts Besseres zu tun, als mich unentwegt anzustarren? Ich hatte wohl oder übel die Pferde näher zum Haus geführt, weil das Dach der Veranda wenigstens Schatten spendete. Die Alte saß auf ihrem Schaukelstuhl und beobachtete jede meiner Bewegungen. Salvador schnaubte laut und begann wieder unruhig auf und ab zu tänzeln. Ein Zeichen dafür, dass der komische Mann nicht fern sein konnte. Und richtig: es öffnete sich die Tür und die beiden Männer kamen heraus. Luìs lächelte grimmig und schüttelte dem anderen die Hand. Dann eilte er auf mich zu. 'Verschwinden wir!' Ich wollte protestieren. Was meinte er wer er war, dass er mich erst ewig in der Hitze warten lassen und dann so rumscheuchen konnte? Doch als ich gerade zum Sprechen ansetzte, legte er mir energisch die Hand vor den Mund und sah mich eindringlich an. Ich war dermaßen überrascht, dass mir die Spucke wegblieb. Was für eine respektlose Geste! Alles in mir war in Aufruhr, meine Augen schossen Blitze. Ich wollte mich losreißen, doch er drückte mich mit dem ganzen Gewicht gegen Salvador, der unwillig die Ohren anlegte. 'Juliana, tu was ich dir sage!' Ich schlug die Augen nieder und nickte. Der Klang seiner Stimme war auf einmal so fremd, eine Gänsehaut lief meinen Rücken hinab. Ein zartes Lächeln huschte ganz kurz über sein Gesicht. Flüchtig strich seine raue Hand über meine Wange. 'Steig auf!' befahl er und wand sich seiner Stute zu. Ich wusste, dass es nun besser war zu gehorchen und schwang mich in den Sattel. Sofort sprang Salvador an. Bevor ich ihn zurückhalten konnte, rief Luìs mir ein 'lass ihn rennen' zu und schon war ich außer Hörweite. Ich gab dem Wallach die Zügel hin und er nahm das Angebot dankend an. In atemberaubender Geschwindigkeit preschte er den Feldweg entlang und schon bald sah ich die Biegung, an der wir auf dem Hinweg angehalten hatten. Vorsichtig nahm ich die Zügel auf und setzte mich probeweise tiefer in den Sattel. Und siehe da: Salvador gehorchte augenblicklich und fiel in Schritt. Lobend strich ich ihm über den schweißnassen Hals und drehte mich nach Luìs um. Er war nicht zu sehen. Unruhig ließ ich Salvador auf und ab gehen und endlich erblickte ich eine kleine Staubwolke am Horizont, die rasch größer wurde und sich in der Schimmelstute Lotus verwandelte. Luìs parierte zum Schritt durch und ritt einfach weiter. 'Komm schon.' Warf er mir über die Schulter zu. Das war zuviel. Ich hielt an und schrie ihm hinterher. 'Was glaubst du eigentlich wer du bist?' Er drehte sich im Sattel zu mir um. Überraschung zeichnete sein Gesicht. Ich bemerkte es nicht. 'Du meinst doch nicht im Ernst ich würde mir deine Respektlosigkeit gefallen lassen! Du kannst mich nicht so behandeln.' Sein Gesicht verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. Er ritt näher zu mir, gab Salvador einen Klaps, sodass er wieder antrat. 'Ach, kann ich nicht?' Ich konnte nicht glauben, dass er das wirklich gesagt hatte. 'Nein! Kannst du nicht! Verdammt noch mal Luìs, warum tust du das?' Er schwieg. Hilf ihm nicht darüber hinweg befahl ich mir, auch wenn es mir schwer fiel nichts mehr zu sagen. Er seufzte und trieb Lotus in einen langsamen Galopp, Salvador spitze die Ohren, wartete aber bis ich ihm mit einem Schnalzen zu verstehen gab, dass er mitgehen sollte. Eine Weile galoppierten wir still nebeneinander her. Als die Pferde schließlich stark schwitzten parierten wir durch. Er sah mich nicht an, als er endlich auf meine Frage antwortete. 'Um dich zu beschützen.' Jegliche Arroganz war aus seiner Stimme verschwunden. Ungläubig starrte ich ihn an. Dann lachte ich. 'Du hast sie doch nicht mehr alle…' Er warf mir einen vernichtenden Blick zu und ich verstand, dass er die Wahrheit gesagt hatte. 'Schon mal dran gedacht, dass ich niemanden brauche, der mich beschützt?' fragte ich provozierend und wusste schon im nächsten Moment, dass ich zu weit gegangen war. Tonlos erwiderte er: 'Der Kerl, den wir in dem Dorf getroffen haben arbeitet für genau die Leute, denen du das bekloppte Pferd abgeluchst hast. Er hätte dich sofort mitnehmen können.' Ich konnte förmlich spüren wie alle Farbe aus meinem Gesicht wich. 'Oh Luìs… ich… ich hatte ja keine Ahnung. Es tut mir leid, wirklich…' Er winkte ab. 'Lass gut sein, ich werds verkraften. Ich bringe dich bis zur Grenze wie abgemacht und dann geht jeder seiner Wege. So war's doch abgemacht oder?' Nie hätte ich gedacht, dass diese Reise so aufregend werden würde. Ich hatte mir einen schönen Urlaub auf spanischen Pferden vorgestellt und was war daraus geworden? Ich ritt auf einem gestohlenen Pferd der Rasse Alter Real Richtung portugiesischer Grenze und hatte jede Menge Probleme am Hals. Und Luìs war nur eines davon.







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