Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 25.10.2009




Vor mir stand nicht Luìs, sondern der junge Rinderhirte mit den rabenschwarzen Augen. Harsch zog ich die Luft ein und machte unwillkürlich einen Schritt zurück, um Abstand zwischen uns zu bringen. Stumm machte er den Schritt wieder auf mich zu. Ich runzelte die Stirn und trat wieder einen Schritt zurück, er folgte mir. Wieder wich ich zurück und wieder verkürzte er den Abstand gleich wieder. Langsam wurde er mir unheimlich. Ich tat ein paar kleine rasche Schritte, bis ich mit dem Rücken an einen Baum stieß und ich in der Falle saß. 'Hast du etwa Angst?' fragte er mit samtiger Stimme und hob eine Augenbraue. Ich schüttelte den Kopf und blickte ihm fest in die Augen. Er stützte eine Hand neben meinem Kopf an den Stamm und kam noch ein Stückchen näher. Fast hielt ich den Atem an, als ich den seinen auf meinem Gesicht spürte. Einen Moment noch sah er mich intensiv an, dann seufzte er leise und hob die Hand. Ein leicht amüsiertes Lächeln hielt Einzug auf seinen Lippen, als er mein Misstrauen bemerkte, mit dem ich seiner Bewegung folgte. 'Du hast geweint' sagte er leise. 'Ach ja?' dachte ich verbiss mir aber den Kommentar. 'Ich dachte nur… du hast da… ich dachte du wolltest nicht, dass es alle sehen.' Er zuckte entschuldigend die Schultern und hob erneut die Hand. 'Darf ich?' Ich nickte stumm und er wischte mir die Tränenspuren von der Wange. Keinen Moment zu lange ließ er seine Finger in meinem Gesicht verweilen. Trotzdem hinterließ seine Berührung ein prickelndes Gefühl auf der Haut. Er machte einen Schritt zurück und sah mich wieder an. 'Ich wollte dir meine Hilfen anbieten' sagte er schließlich. 'So, wolltest du das' sagte ich und entspannte mich etwas. Noch immer, so jedenfalls schien es mir, spürte ich den Hauch seines Atems auf meiner Haut. Er nickte. 'Wegen deinem Pferd.' Aufmerksam sah ich ihn an. 'Wenn du willst, reiten wir gemeinsam zum Wasserloch. Jetzt! Dann hast du vielleicht noch eine Chance.' Ich konnte es nicht fassen. Warum tat er das? Was erwartete er dafür von mir? Als hätte er meine Gedanken erraten sagte er ernst. 'Ich weiß wie es ist etwas Geliebtes zu verlieren. Für mich selbst ist es zu spät, aber ich würde mich freuen, wenn ich wenigstens dir helfen kann.'
Einen Moment ließ ich seine Worte auf mich wirken. So sehr sich mein Verstand auch sträubte, mein Herz vertraute ihm bereits. Und so nickte ich schließlich und wagte einen Blick in seine Schwindel erregende Höhe. Er lächelte und streckte die Hand aus. 'Dann komm.' Ich ergriff die dargebotene Hand, die sich warm und trocken anfühlte und ungewöhnlich weich, für einen Rinderhirten. Er zog mich die Böschung hinab in Richtung Feuer und ließ meine Hand erst los, als wir in Sichtweite der anderen waren. Die Blicke der andern beiden Männer zeigten mir, dass sie von seinem Plan wussten. Sie nickten mir zu. Während der Rabenäugige zu einem großen Rappen ging, lenkte ich meine Schritte zu Luìs der mit den Hufen der Grauschimmelstute beschäftigt war.
Er sah nicht von seiner Arbeit auf, als ich vor ihm zu stehen kam. 'Luìs' sagte ich schließlich leise. Er seufzte und lies den Huf sinken, den er gerade mit der Feile bearbeitet hatte. Er blickte mir gerade in die Augen, was mir wieder einmal kurzzeitig den Atem verschlug. Schnell wandte ich den Blick ab und legte ihm knapp meinen Plan dar. Er schien nicht sonderlich begeistert, im Gegenteil an der steilen Falte auf seiner Stirn konnte ich gut erkennen, was er von der Sache hielt: gar nichts. Beiläufig streichelte er das Fell der Grauschimmelstute und starrte nun feindselig zu dem Rabenäugigen hinüber, der nicht weit entfernt mit seinem Rappen wartete. In seinen Augen flackerte es gefährlich. Ich kannte dieses Flackern bereits, dennoch war es mir in diesem Zusammenhang fremd. Was konnte er schon gegen den Mann haben? Schließlich zuckte der die Achseln und nahm den Huf der Stute wieder auf. 'Bis nachher'. Ich stand da wie ein begossener Pudel uns starrte ihn an. Davon völlig unbeeindruckt raspelte er gekonnt den Huf der Stute, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Dieser Kerl war einfach nicht zum Aushalten. Wie der mich schon wieder behandelte… Ärgerlich schnaubte ich aus. 'Ist noch was?' hörte ich seine raue Stimme und glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. 'Unverbesserlich!' dachte ich und stapfte mühsam beherrscht davon.
'Können wir?' fragte mich die samtige Stimme des rabenäugigen Rinderhirten. Ich sah zu ihm auf, wozu ich den Kopf weit in den Nacken legen musste, und schluckte den Ärger über Luìs hinunter. 'Klar.' Er lächelte sparsam. 'Das hier ist Contador' sagte er und deutete auf den Rappen neben sich. Er war wunderschön und sah mich aus klaren Augen an. Ich streichelte ihm zart über die dunklen Nüstern. 'Hallo Contador.' Der Hengst schnaubte und suchte in meinen Taschen nach Essbarem. Lächelnd strich ich ihm über den mächtigen Hals. Sein tiefschwarzes Fell war weich und glatt und ich bemerkte, dass er noch größer war als Salvador.
'Na dann, lass uns los' sagte der Besitzer des schönen Tieres. Mit einer einzigen weichen und flüssigen Bewegungen schwang er sich in den Sattel und streckte die Hand nach mir aus. Ich ergriff sie und setzte mich seitlich hinter seinen Sattel. Er ließ seinen Hengst antreten und nach ein paar Metern im Schritt, wechselten wir in einen leichten Kanter. Eine ganze Weile ritten wir so schweigend durch die Nacht.
Die Bewegungen des Hengstes waren wunderbar kraftvoll und taktklar, ich spürte seine perfekt trainierte Muskulatur die sich für jeden Galoppsprung an- und wieder entspannte. 'Sitzt du bequem?' fragte der Mann und verlangsamte den Galopp etwas. 'Alles gut' erwiderte ich und lächelte. 'Ich bin übrigens Diego' meinte er. 'Wir hatten noch nicht die Gelegenheit uns vorzustellen.' Ich lachte herzhaft und streckte die Hand an seinem Rumpf vorbei nach vorne. 'Juliana, freut mich dich kennen zu lernen.' Er lachte mit und ergriff meine Hand. 'Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich Contador einen Zahn zulegen lassen.' Er ließ meine Hand los. 'Halt dich gut fest.' Ehe ich seinem Rat folgen konnte, spürte ich wie sich die massive Hinterhand des Pferdes unter mir absenkte und er sich gleich drauf so kraftvoll vom Boden abstieß, dass ich mit voller Wucht nach vorn geschleudert wurde. Hart stieß ich gegen Diegos Rücken und hätte durch den Aufprall beinahe das Gleichgewicht verloren. 'Ich sagte doch: gut festhalten' sagte er amüsiert und packte meinen Arm, damit ich mich wieder in Position bringen konnte. Also schlang ich zögerlich die Arme um seine Hüften. 'Viel besser' meinte er und ich beschloss mich nicht über diesen machomäßigen Kommentar zu ärgern.
Contador beschleunigte nun noch einmal und ich überließ mich dem Geräusch donnernder Hufe auf trockenem Untergrund und dem Gefühl arbeitender Muskeln unter mir. Ich schloss die Augen und lehnte mein Gesicht an Diegos Rücken. Durch den Stoff seines Hemdes spürte ich, wie auch seine Muskeln arbeiteten, flüssig den Bewegungen des Hengstes unter ihm folgend. Tief atmete ich die laue Nachtluft und den herben Duft des Mannes ein, dessen Hüfte ich mit meinen Armen umklammert hielt. Es war ein seltsames Gefühl. Flüchtig erinnerte ich mich an die Flucht auf Salvadors blankem Rücken und an Luìs Arme die von hinten um meinen Körper geschlungen waren. Aber es war anders gewesen. Sicher, wir waren alle drei in Panik und es war kein Raum für romantische Empfindungen, aber ich bezweifelte, dass ich mich so sorglos hätte fühlen können wie jetzt, mit der Wange an Diegos Rücken…Abrupt brachte er seinen Hengst zum Stehen und riss mich unsanft aus meiner Träumerei. Zum zweiten Mal in dieser Nacht stieß ich heftig gegen ihn. Er drehte sich zu mir um und lächelte, sagte aber nichts weiter dazu. 'Siehst du die Baumgruppe da vorn?' Ich spähte an ihm vorbei nach vorne und nickte. 'Dort ist das Wasserloch. Am Besten du gehst zu Fuß vor und schaust ob er überhaupt da ist, falls er dann versucht abzuhauen warte ich hier auf ihn und kann die Verfolgung aufnehmen.' Es war ein guter Plan. Langsam und ein ganz klein wenig widerstrebend löste ich meine Arme von ihm und rutschte an der Flanke des schwer atmenden Hengstes Richtung Erde. Er war so verdammt riesig, dieser Contador. Ich strauchelte ein wenig bei der Landung, aber Diego hielt mich abermals am Arm fest. Einen Moment durchbohrte er mich mit seinem Blick aus rabenschwarzen Augen, dann deutete er aufmunternd in die Richtung des Wasserlochs. Ich machte mich also auf den Weg…







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