Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 03.05.2009




Mit langsamen Bewegungen schüttete ich das Futter auf den flachen Stein, wie jeden Morgen, gab den letzten Apfel dazu und warf ein paar trockene Zweige auf die schwache Glut des Feuers. Die Sonne war schon zur Hälfte ins Meer getaucht und alles, der Strand, die Felsen, Salvador schien wie aus Bronze, gehüllt in ihre intensiven Strahlen. Still fragte ich mich, ob auch mein Haar so wunderschön schimmerte wie das Fell des großen Braunen, der genüsslich an seinem Futter kaute.
'Juliana?' Wieder einmal hatte ich ihn nicht kommen gehört. Ich wagte nicht mich umzudrehen. 'Ja?' Er blieb hinter mir stehen, sorgsam Abstand haltend. 'Ich wollte das nicht…' hörte ich seine Stimme. Ich starrte auf mein Handgelenk, das immer noch schmerzte. Natürlich wusste ich, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, mir wehzutun, aber dennoch musste ich mich zusammen reißen ihm das nicht übel zu nehmen. Seufzend drehte ich mich zu ihm um, die letzten Sonnenstrahlen wärmend im Rücken spürend.
Es dauerte einen Moment bis sich meine Augen an die geänderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Luìs hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Wieder war ich fast erschlagen von seiner Schönheit, die nun zu allem Überfluss auch noch vom goldenen Schein der Sonne abgerundet wurde. Seine Gesichtszüge waren entspannt, aber seine Augen ernst. Wie immer war er die Ruhe selbst, strotzte vor Selbstbewusstsein. 'Es tut mir leid' begann er ruhig. Ich schwieg. 'Du weißt es passiert mir nicht oft, aber ich habe die Nerven verloren. Aber es ist auch für mich nicht so einfach, wie du denkst.' Einen Moment schloss ich die Augen und atmete tief durch. 'Nicht so einfach wie du denkst' äffte ich ihn in Gedanken nach und verdrehte die Augen en Himmel. 'Schön, dass wenigstens du weißt, was ich über dich denke. Ich hab`s nämlich immer noch nicht kapiert' antwortete ich dann und wusste nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Er nahm mir die Entscheidung ab und lachte aus vollem Halse. 'Komm lass und etwas essen - ich sterbe vor Hunger' brachte er schließlich hervor und versuchte nicht zu sehr zu grinsen. Innerlich hätte ich ihm wieder einmal gern eine Ohrfeige verpasst, wozu ich natürlich niemals den Mut gehabt hätte.
Zerknirscht folgte ich ihm zum Feuer. 'Viel haben wir ja nicht mehr' meinte Luìs nachdem er unsere Satteltaschen untersucht hatte. Ein halbes Brot, mittlerweile fast trocken, ein Stückchen Käse, etwas Trockenfleisch, zwei Tomaten und ein Päckchen Milch. 'Du hast mich ja nicht ins Dorf reiten lassen!' erwiderte ich bewusst zickig. Er sah auf, einen Moment blitzen mich seine Augen böse an, dann stahl sich wieder das sparsame Lächeln auf seine Lippen. 'Dafür kannst du dann ja gleich morgen früh los reiten.' Ich murmelte eine Zustimmung und entfernte mich ein Stück vom Feuer, um nach Salvador zu sehen.Der Wallach hatte sorgsam auch die letzten Futterreste vom Stein geleckt und rieb gerade seinen Hals am Felsen. 'Na mein Schöner' sagte ich leise. Er drehte den fein geschnittenen Kopf zu mir und schnaubte. 'Kommst du mit Holz sammeln?' fragte ich, ohne eine Antwort zu erwarten und löste den Strick. Folgsam trottete der große Wallach hinter mir her am Feuer vorbei. 'Wir gehen Holz holen' sagte ich als wir fast schon in der Dämmerung verschwunden waren. Luìs sah uns nach und lächelte, das spürte ich im Rücken. Während das Licht immer weniger wurde stapfte ich den Strand hinauf, Salvador locker am Strick haltend. Hin und wieder blieb er kurz stehen, hob den Kopf und witterte der kommenden Nacht entgegen. Doch jedes Mal genügte ein sanftes Anheben des Strickes, um ihn wieder in Bewegung zu setzten. Ich führte ihn Richtung Korkeichenwald, klaubte hin und wieder ein paar lose Zweige auf. Mittlerweile war es ganz dunkel geworden. Lediglich ein roter Streifen am Horizont war verblieben, der jedoch kein Licht mehr spenden konnte. Ich hatte keine Angst, auch wenn ich die Hand vor Augen nicht sah. Es war still um mich herum, nur selten schrie ein Nachtvogel oder es raschelte im Gehölz. Salvador neben mir war nun ganz angespannt, ein Schauer nach dem anderen jagte über seinen muskulösen Körper hinweg. Dennoch folgte er mir willig und ohne jegliches Zögern. Langsam machten wir uns auf den Weg zurück zum Lagerplatz, auch wenn ich ewig neben dem großen Wallach hätte durch die Nacht wandern können. Ich konnte mich nicht satt fühlen, an dem Gefühl in meiner Brust, was mich erfasste, wenn ich das erregte Zittern des mächtigen Tieres spürte, den gedämpften Klang seiner Hufe hörte, spürte wie er all den interessanten Gerüchen und Geräuschen hätte nachlaufen wollen, aber mir zu Liebe an meiner Seite blieb. Sanft strich ich über den gewölbten Hals und erntete ein leises Schnauben. Als ich schon den Schein des Feuers unten am Strand wahrnahm hielt ich den Braunen an und legte die Zweige zu meinen Füßen ab. Einen Moment noch wollte ich die Nähe und das Vertrauen des wunderschönen Tieres für mich alleine haben. Tief atmete ich die warme Nachtluft ein, die mein Haar sanft nach hinten wehte. Warmer Atem streifte mich und eine Gänsehaut rieselte meinen Rücken hinab, als Salvador mit den weichen Nüstern an meiner Wange entlang fuhr. 'Komm' flüsterte ich glücklich. 'Wir wollten ja eigentlich nur kurz Holz holen.' Ich klaubte die Zweige zusammen und machte mich mit entschlossenen Schritten auf den Weg zum Lagerplatz, Salvador warf den Kopf auf und folgte mir leichten Hufes.
Schon vom Weiten stieg mir ein verführerischer Duft in die Nase und ich spürte was für einen Hunger ich hatte. Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte. Das Feuer verbreitete ein angenehm warmes Licht, Luìs stand mit dem Rücken zu mir da und rührte in der kleinen Pfanne herum. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er uns nicht kommen hörte. Erst Salvadors kräftiges Schnauben ließ ihn zusammen zucken. 'Da seid ihr ja endlich' sagte er mit leiser Stimme und umfing uns mit einem langen Blick, der mir das Mark in den Knochen gefrieren ließ. 'Ich dachte schon, ihr wärt abgehauen.' Ich überhörte die Provokation und warf die Zweige auf den Boden. 'Ich sehe du hast gekocht.' sagte ich ausdruckslos und führte Salvador am Feuer vorbei, ohne Luìs noch einen Blick zu schenken. Ich konnte seine Überraschung fast anfassen und diesmal, dieses eine Mal, das erste Mal, war ich es die leise in sich hinein lachte. Mit vor Stolz geschwellter Brust kehrte ich zu ihm zurück, nachdem ich Salvador angebunden hatte. Diesmal hatte ich mich nicht provozieren lassen. Luìs saß inzwischen an meinen Sattel gelehnt da, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen.
Er hatte sich in den letzten zwei Tagen gut erholt, die Farbe war in sein Gesicht
zurückgekehrt. Der Bart machte ihn älter, als er war, und ich musste mir eingestehen, dass er ihm ein verwegenes Aussehen verlieh, das mir zu gefallen vermochte. Mein Hochgefühl machte sich auf leisen Sohlen davon, während ich immer noch auf der anderen Seite des Feuers stand. Luìs öffnete die Augen, sein Blick war sofort auf mich gerichtet, was mir verriet, dass er gewusst hatte, dass ich da stand und ihn anstarrte. Innerlich wappnete ich mich gegen eine seiner bekannten Provokationen, aber Luìs schenkte mir nur eines dieser bezaubernden Lächeln, die man kaum als solches erkennen konnte und stand auf. 'Hast du Hunger?' fragte er und nahm die Pfanne von dem Flachen Stein, den er nah am Feuer platziert hatte. 'Ich denke es ist essbar' fuhr er Schulter zuckend fort. 'Was ist? Traust du mir nicht? Komm schon rüber oder willst du Wurzeln schlagen?' Er redete zu viel, er redete zu schnell - ich schwieg und machte die paar Schritte, die mich von einem viel versprechend duftenden Abendessen trennten.
Wir aßen schweigend, beide eigenen Gedanken nachhängend. Ich lauschte auf das Rauschen der Wellen und Salvadors gelegentliches Schnauben, sein gedämpftes Stampfen auf dem weichen Sand, auf das Knacken im Feuer. Nach dem Essen lehnte ich mich zufrieden zurück an den Sattel und ließ den Blick in den Himmel schweifen. Nach all den Nächten, die wir nun schon unter freiem Himmel verbracht hatten, hatte der Nachthimmel nichts von seinem Zauber verloren. Jedes Mal, wenn ich in das Lichtermeer dort oben eintauchte, klopfte mein Herz ein Bisschen schneller und wie jedes Mal eilten meine Gedanken nach dort oben um zu ergründen, was dort wohl war, am anderen Ende der Nacht. Normalerweise verloren sich die Gedanken dann irgendwo im Sternenmeer. Diesmal schafften sie es nicht einmal bis dort. Nein, auf halber Strecke trudelten sie sanft zur Erde zurück, wie Herbstlaub im milden Wind. Ich folgte ihnen mit meinem Blick, um sie wieder einzufangen. Sie waren an Luìs Wimpern hängen geblieben. Offen erwiderte er meinen Blick, ohne zu lächeln, ohne mir über den Moment hinweg zu helfen. Wieder einmal fragte ich mich, wie er es schaffte so ruhig zu bleiben, während sich in meinem Kopf alles drehte. 'Das meinst du nur' sagte er, meine Gedanken erahnend, und schlug, zu meiner Überraschung, die Augen nieder. 'W-Was?' stammelte ich. Er sah wieder auf, zögerte einen Moment und griff dann entschlossen nach meiner Hand. Zu spät hatte ich versucht sie zurück zu ziehen und so lag sie nun auf seiner Brust. Erst sträubte sich alles in mir gegen diese Geste, doch dann, wie von selbst, entspannte sich meine Hand. Und dann spürte ich es: sein Herz. Endlich verstand ich, was er hatte sagen wollen - es schlug schnell, zu schnell. 'Ich hab genauso Angst wie du' sagte er leise und nahm meine Hand in seine. 'Woher willst du wissen, dass…?' begann ich, doch er schnitt mir das Wort ab. 'Bitte Juliana.' Seine Stimme war kaum ein Flüstern, aber dafür umso eindringlicher. Ich nickte und lehnte probeweise meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Mit fliehendem Atem ließ ich zu, dass er seine Arme um mich schlang und seine Lippen meine Stirn streiften. Es fühlte sich gut an, fremd, aber irgendwie doch vertraut und unwillkürlich rückte ich noch ein Stückchen näher an ihn heran, lauschte seinem Herzen, dessen Schlag gemeinsam mit dem meinen davon galoppierte. Ein lautes Wiehern zerriss die Nacht und verhallte dann in der Dunkelheit. Auf einen Schlag war der Zauber verflogen.

'Salvador!' entfuhr mir ein Schrei und schon war ich auf den Beinen, ohne Luìs wahrzunehmen, der neben mir in Richtung des großen Wallachs rannte. Salvador tanzte auf der Stelle, versuchte zu steigen, wobei sich der Strick gefährlich spannte, schlug kraftvoll nach hinten aus. Er benahm sich wie wahnsinnig. Ich hatte Angst, dass der Strick reißen, Salvador sich überschlagen und das Genick brechen könnte. Als er uns sah hielt er einen Moment inne und sah uns mit rollenden Augen an, dann begann er wieder zu toben. Ich kam nicht an ihn heran, ohne in Gefahr zu laufen von den wirbelnden Hufen getroffen zu werden. 'Mach den Strick los!' schrie ich Luìs zu und wandte mich dann auf Portugiesisch an Salvador. Wieder einmal quasselte ich sinnloses Zeug, bemühte mich das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. Doch diesmal hatte die vertraute Sprache keine Wirkung auf den massigen Wallach. Endlich hatte Luìs es geschafft das Seil zu lösen und Salvador raste in die Dunkelheit davon. Heftig atmend starrte ich ihm nach, auch wenn ich ihn natürlich schon längst nicht mehr sehen konnte, und ließ mich in den Sand fallen.
Was hatte er nur? Luìs setzte sich neben mich. 'Irgendwas hat ihn mächtig erschreckt' sagte er mit wohltuend ruhiger Stimme. Ich seufzte, während sich der kräftige Hufschlag immer weiter entfernte. Eine Weile lauschte ich angestrengt in die Dunkelheit, doch es war nichts anderes zu hören als das monotone Rauschen der Wellen. Luìs Hand auf meiner Schulter nahm ich erst nicht wahr, erst seine Stimme holte mich aus der Trance zurück. 'Lass uns zum Feuer gehen Juliana, du frierst doch schon.' Ich nahm seine angebotene Hand und ließ mich zum Feuer zurückführen. Schweigend warf Luìs noch ein paar Holzstücke in die Flammen und legte mir eine Decke um die Schultern. Er selbst setzte sich mit dem Rücken zum Feuer in den Sand, die Beine untergeschlagen, die Hände locker in den Schoß gelegt. Flüchtig nahm ich wieder einmal seine gerade Haltung wahr, die ich immer schon bewundert hatte und versuchte ein Lächeln, auch wenn mir eigentlich nicht danach zu Mute war. Er lächelte still zurück und erwiderte meinen Blick. Eine halbe Ewigkeit verstrich und irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein. Denn als ich erwachte war das Feuer fast herunter gebrannt. Es war noch dunkel, suchend blickte ich mich nach Luìs um. Er kehrte gerade mit einer zweiten Decke aus dem Schatten der Felsen zurück. 'Du bist ja wach.' Ich nickte und dachte an Salvador. 'Was Neues?' Er schüttelte den Kopf und ließ sich neben mir in den Sand fallen. Während er sich in die Decke hüllte, spürte ich seine angenehme Wärme an der Seite und stellte fest, dass sein Duft eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. 'Ich hoffe er kommt zurück' flüstere ich, krank vor Angst, dass der schöne Wallach wirklich nicht mehr zurückkehren würde. 'Sicher wird er das' erwiderte Luìs ruhig. 'Schlaf jetzt!' Ein Kommando! Innerlich rumorte es in mir, schon wollte ich mich aufsetzten und protestieren, schließlich konnte ich selber entscheiden, wann ich was tun wollte. Doch eh ich auch nur den Mund öffnen konnte, strich Luìs mir behutsam übers Haar und drückte mein Gesicht an seine Schulter. 'Er hat sein Herz schon längst an dich verloren' sagte er leise und ich war mir nicht mehr so sicher ob er wirklich Salvador oder doch sich selbst meinte.
Eine ganze Weile noch starrte ich ins Feuer und lauschte angestrengt in die Dunkelheit, immer hoffend Salvadors Hufschlag in der Ferne zu vernehmen - doch alles blieb still. Nur der Atlantik rauschte seine alte, vertraute Melodie.







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32 Teil 33 Teil 34 Teil 35 Teil 36 Teil 37 Teil 38 Teil 39


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz