Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 03.05.2009




Die größte Mittagshitze hatten wir im Schatten der Felsen verbracht. Schweigend. Es war kein unangenehmes Schweigen gewesen, auch wenn viel Unausgesprochenes darin lag.Er hatte seit der Berührung am Morgen keinen weiteren Annäherungsversuch gemacht und ich war ziemlich sicher, dass er es auch nicht mehr tun würde. Ich konnte es ihm nicht verübeln, schließlich hatte ich nicht unbedingt positiv darauf reagiert.
So hatten wir stumm in der Hitze gesessen, Luìs an die eine, ich an die andere Seite des schweren Sattels gelehnt. Nur hin und wieder war einer von uns aufgestanden, um Wasser zu holen. Salvador hatte derweil fast die ganze Zeit dösend in der Nähe gestanden, trockene Halme aus den Felsritzen gezupft, aufgestampft, mit dem Schweif Fliegen verjagt. Er schien äußerlich ruhig, aber ich sah am nervösen Zucken seiner Haut, dass dem temperamentvollen Wallach die viele Ruhe nicht bekam.
Gegen Nachmittag, als die größte Kraft der Sonne endlich langsam nachließ, fasste ich einen Entschluss und ging mit einer Bürste zu dem großen Wallach hinüber. Er drehte mir kurz ein Ohr zu, öffnete noch nicht mal die Augen. Erst als ich begann sein staubiges, von Sand und Meerwasser verklebtes Fell energisch zu bearbeiten, wachte er vollends auf. Seinen Unmut über meine Putzattacke tat er mit ärgerlichem Schnauben und heftigem Stampfen kund. Immer wieder wich er mir zur Seite aus, legte die Ohren an. 'Mensch Salvador' sagte ich und trat wieder zu ihm. Doch Salvador ließ sich nicht beirren und trabte davon. Ärgerlich kehrte ich zu den Satteltaschen zurück. Luìs grinste mir unverschämt entgegen. Ich beachtete ihn nicht, schnappte mir Salvadors Halfter, Strick und einen Apfel. Salvador stand am Wasser, die Wellen rauschten um seine Fesseln. Ich rief ihn.
Der Wallach kam nicht, ließ sich aber holen. Den Apfel fraß er gierig und schnoberte mir über den Arm, als ich ihm das Halfter überstreifte. Als er das Seil im Genick spürte, riss er ärgerlich den Kopf in die Höhe und stieg. Ich ließ den Strick locker. Hoch spritze das Wasser auf, als die harten Hufen des Braunen wieder auf dem nassen Sand aufkamen. Wild schüttelte er den Kopf, ging rückwärts. Ich brachte mich in eine Position neben seiner Schulter, den Strick durchhängen lassend. Salvador rollte mit den Augen, ich hätte damit rechnen müssen, dass ihm das Halfter nach den Tagen in völliger Freiheit nicht behagen würde. 'Ruhe!' befahl ich mir innerlich und begann leise auf Portugiesisch zu reden. Belangloses Zeug, über das Rauschen des Meeres, über den warmen Wind, der die dunkle Mähne des mächtigen Pferdes bauschte. Unruhig tanzte Salvador neben mir auf der Stelle, der nasse Sand flog auf und klatschte schmerzhaft gegen meine nackten Beine. Immer wieder schlug er mit dem Kopf, stieg wieder und wieder kerzengerade in die Luft, machte aber keine Anstalten sich loszureißen. Unbeirrt redete ich weiter vor mich hin, sah ihn nicht an, sondern blickte Richtung Felsen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er mir ein Ohr zudrehte und endlich stehen blieb. Probeweise zupfte ich am Strick. Gehorsam folgte mir der große Wallach, mit geblähten Nüstern und rollenden Augen zwar, aber er folgte mir.
Luìs stand auf, als ich Salvador in der Nähe unseres Lagerplatzes anband und nickte mir anerkennend zu. 'Ich muss ins Dorf reiten' sagte ich zu ihm. 'Mein Bruder wird dann hoffentlich einen Pferdehänger schicken und du kannst dann auch endlich nach Hause.'Er hielt in der Bewegung inne, die ihn näher zu mir gebracht hätte. Einen Moment starrte er mich reglos an, die Augen geweitet, wie Salvador kurz zuvor. Dann senkte er den Blick, nickte und entfernte sich. Irritiert sah ich ihm nach, wie er am Wasser entlang ging, die Hände in den Taschen, den Kopf gesenkt. 'Luìs' rief ich leise, zu leise als dass er es hätte hören können, und streckte die Hand in seine Richtung aus. Eine weiche Pferdenase stieß mich sanft in den Rücken. Ein wenig mechanisch strich ich über die samtenen Nüstern, zerzauste den tiefschwarzen Schopf. Wüst warf Salvador den Kopf auf, wobei er mir einen heftigen Kinnhaken verpasste und wieherte. Kurz wurde mir schwarz vor Augen, dann drehte sich alles. Der Schmerz ließ nicht gleich nach, war aber auszuhalten und so machte ich mich wieder an die ursprüngliche Idee, Salvadors Fell zu reinigen. Diesmal ließ er es sich einigermaßen ruhig gefallen, auch wenn ich stets auf der Hut sein musste, nicht von seinem peitschenden Schweif oder seinen stampfenden Hufen erwischt zu werden. Nach einer guten Stunde war es aber doch vollbracht. Der große Braune glänzte im Licht der Sonne wie poliertes Holz und auch der Metallglanz, den ich immer schon an ihm bewundert hatte, war wieder sichtbar, eingerahmt von seinem tiefschwarzen Langhaar. Begeistert sah ich ihn an und als er mir den Kopf zudrehte und leise Schnaubte machte mein Herz einen Freudensprung. Selten in der letzten Zeit hatte ich so ein warmes Gefühl in der Brust, selten war mein Lächeln strahlender und echter gewesen.
Und plötzlich drängte sich Luìs vor mein inneres Auge. Wie er am ersten Tag unserer Reise in der Sonne gelegen hatte, einen Grashalm zwischen den Lippen. Wie entspannt sein Gesicht gewesen war im Schlaf, wie ebenmäßig seine Haut. Wie gemalt sah ich den sanften Schwung seiner Brauen, die markante Linie seines Kinns, das dunkle Haar, das vom lauen Wind sacht bewegt wurde, der leicht spöttische Zug um seine Lippen, der sich selbst im Schlaf nicht verlor... Ein Gefühl der Zärtlichkeit breitete sich in mir aus, stärker noch als das zuvor für den schönen Wallach. Ich vergaß sogar, gegen das Gefühl anzukämpfen. Wie ein Film zogen all die Bilder an mir vorbei. Luìs' Wut im Dorf, Luìs sanft und fast schüchtern im Olivenhain, Luìs Verzweiflung in der Schlucht, Luìs' Unverschämtheit, seine Hände, von der Arbeit rau und rissig, auf meinen Schultern und dann ich. Unwillig, bockig, undankbar, abweisend. Ob ich all das je wieder gut machen würde können? Sicher nicht, ich hatte ja eben verkündet keinerlei Interesse an Luìs zu haben, indem ich ihm mitgeteilt hatte, dass er bald nach Hause könne.
Endlich schaffte ich es die Bilder weg zu schieben und sah mich suchend am Strand um. Salvador hatte sich entfernt und wälzte sich genüsslich im Sand. 'Salvador!' meine Stimme überschlug sich. All die Arbeit war dahin, eine Stunde Putzen umsonst. Der Braune sprang auf, trabte munter zu mir herüber und schüttelte sich heftig. Schnell kniff ich die Augen zusammen. Wie kleine Granatsplitter prasselten die feinen Sandkörner auf meine schutzlose Haut. Tausend kleine Nadelstiche durchbohrten mich. Endlich war der Sandschauer vorbei und ich öffnete die Augen. Mit zerzaustem Schopf und weit geöffneten Nüstern stampfte Salvador auf, wendete und galoppierte ungestüm davon.
Schallendes Lachen ließ mich herum fahren. Da stand er - schön wie eine griechische Statue. Er war gerade aus dem Meer gekommen, Tropfen lösten sich aus dem nassen Haar, fielen auf seine Schulter und rollten langsam über die Brust abwärts. Das Licht der tief stehenden Sonne verfing sich in seinem Blick. Fast verschlug es mir den Atem, dennoch schaffte ich es einigermaßen böse drein zu blicken. Er schien es entweder nicht zu bemerken oder sich genau darüber zu belustigen. Einen langen Moment starrte ich ihn so an und machte dann ein paar energische Schritte auf ihn zu. Auf halber Strecke hatte sich meine Wut in Luft aufgelöst und ich fragte mich was ich eigentlich vorgehabt hatte.
Derweil hatte er sich keinen Zentimeter bewegt, lediglich die Arme vor der Brust verschränkt und das Gewicht auf das rechte Bein verlagert. Unsicher blieb ich stehen. Er lachte nicht mehr, das spöttische Lächeln konnte er sich aber nicht verkneifen. Seinem klaren direkten Blick hielt ich nicht lange stand, außerdem war ich immer noch peinlich berührt von seiner atemberaubenden Schönheit. Aus der anderen Richtung ertönte Salvadors Wiehern und erleichtert über die Ablenkung drehte ich mich um. Der Wallach preschte durchs seichte Wasser, schlug übermütig nach den Wellen aus, die nach seinen schlanken Beinen griffen.'Vielleicht solltest du erst morgen ins Dorf reiten' ertönte plötzlich Luìs Stimme dicht an meinem Ohr. Zu dicht, denn als ich den Kopf wandte stieß ich beinahe gegen sein Kinn. Erschrocken zuckte ich zusammen. 'Meinst du? So langsam werden aber die Vorräte knapp.' Ich sah ihn nicht an, aber ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. 'Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es ja wohl nicht mehr an. Und morgen kannst du ja immer noch einkaufen.' Ich atmete geräuschvoll aus und schaute wieder nach Salvador, der immer noch am Wasser entlang galoppierte und langsam immer kleiner wurde. Natürlich hatte Luìs vollkommen Recht, aber es gefiel mir nicht das zuzugeben. 'Schon, aber das Geld reicht nicht. Mir ist nur dein Gehalt geblieben, das rühr ich nicht an.' In gleichen Moment bereute ich, was ich gesagt hatte. Energisch packte mich Luìs an den Schultern und drehte mich zu sich um. 'Hast du eigentlich immer noch nicht verstanden, dass ich dein Geld nicht will?!' Ich spürte wie mir das Blut in den Kopf schoss. Er war mir so nah, viel zu nah. Der Duft seiner Haut berauschte mich. 'Hey!' rief er und schüttelte mich. 'Sieh mich an!' Seine Stimme hatte einen wütenden Klang angenommen, was mich unwillkürlich zurück weichen ließ. Doch der Griff um meine Schultern ließ nicht nach. Ärgerlich versuchte ich mich heraus zu winden, bis es mir schließlich gelang. 'Salvador!' schrie ich in der Hoffnung der Wallach würde mir irgendwie helfen. Sein Wiehern ertönte auch gleich, auch wenn ich ihn nicht sah. So schnell mich meine Beine trugen rannte ich in seine Richtung, wollte weglaufen vor der Auseinandersetzung. Doch Luìs war schneller und hielt mich am Handgelenk fest. 'Als ob ich dir etwas tun würde!' schnaubte er missbilligend. Ich blieb stehen und sah auf meine nackten Füße. 'Du tust mir weh.' sagte ich trocken. Sofort ließ er mich los. 'Verzeih!' flüsterte er, ich rieb mein schmerzendes Handgelenk. Ich hörte wie er heftig atmete, während ich dem mächtigen Pferd entgegen blickte, das sich rasch näherte und kurz vor uns zum Stehen kam. Gerührt, dass er mich gehört hatte trat ich neben ihn und verbarg mein Gesicht an seinem Hals, atmete tief seinen süßlichen Geruch ein, der mich sogleich beruhigte. Der Braune hielt ganz still, seine breite Brust hob und senkte sich kräftig im Takt seines Atems. Endlich traute ich mich den Blick zu heben. Salvador knabberte an meinem T-Shirt. Langsam drehte ich mich im Kreis, suchte jeden Meter ab - von Luìs fehlte jede Spur, während die Sonne das Meer in ein kräftiges Blutrot hüllte. Seufzend machte ich mich auf den Weg zum Lagerplatz. 'Komm Salvador, Zeit fürs Futter.' Er wieherte leise und kehlig und folgte mir dann, den Kopf auf der Höhe meiner Schulter.







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