Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 21.04.2009




Luìs drängte zur Eile. Er hatte seit ein paar Minuten eine Staubwolke am Horizont hinter uns bemerkt. Unruhig drehte ich mich immer wieder um. Wie hatten sie es geschafft uns einzuholen?
In den letzten beiden Tagen waren wir fast ununterbrochen geritten, hatten uns und den Pferden nur wenige Pausen gegönnt. Um unsere Verfolger abzuhängen hatte Luìs die unbequemsten und steilsten Wege gewählt, fern ab der Straßen und Dörfer und jetzt waren wir nur noch wenige Kilometer von der portugiesischen Grenze entfernt.
Doch die Staubwolke rückte näher, langsam zwar - aber stetig. Mein Atem ging flach, auf einmal hatte ich unglaubliche Angst. Was wenn sie uns einholten? Was würden sie mit uns tun? Mit mir, die ich Salvador entwendet hatte? Und was erst mit Luìs, der meine Flucht durch seine Führung erst möglich gemacht hatte?
Nach Außen schien Luìs trotz der nahenden Gefahr ruhig, aber ich wusste, dass er innerlich genauso bebte wie ich. Ich sah das an seinen Augen, die gehetzt hin und her wanderten und an seiner Stute, die heute immer wieder unruhig mit dem Kopf schlug.
'Juliana!' sagte er plötzlich. 'Wir werden jetzt in die Schlucht da reiten und hoffen, dass sie uns nicht entdecken!' Er sagte das in seinem üblichen Befehlston, der mir immer noch nicht gefiel. Mürrisch lenkte ich Salvador hinter Lotus her und dann sah ich die Schlucht. -
Da runter? Auf diesem nicht mal einen halben Meter breiten Pfad? Mit den Pferden? Salvador stemmte die Hufe in den Boden und auch ich schüttelte den Kopf. 'Nein Luìs, es ist zu steil!' Er war schon abgestiegen und kontrollierte ob alle Riemen gut verschlossen waren. Er ließ die Zügel seiner Stute los und kam herüber. Ich weiß nicht wer die Augen weiter aufriss, beim Anblick des steil in die Tiefe führenden Pfades, ich oder mein Pferd. Luìs blieb kurz vor mir stehen und fixierte mich mit einem forschenden Blick. 'Es ist der einzige Ausweg Juliana!' Wieder schüttelte ich den Kopf. Er machte noch einen Schritt auf mich zu, streckte die Hand nach mir aus. Als sie meine Wange berührte schoss ein Blitz durch meinen Kopf und ich wich zurück. Ich wollte nicht, dass er mich berührte.
Zu frisch war noch die Erinnerung an die Nacht im Olivenhain, wo wir uns für meinen Geschmack viel zu nahe gekommen waren. Ich wollte nicht wissen, wie gut es tun würde, sich an ihm anzulehnen.
Sein Blick veränderte sich augenblicklich, es war als würde ein Vorhang zugezogen. Auch seine Stimme wurde hart. 'Entweder du kommst jetzt mit mir da runter oder ich steige wieder auf und mach mich auf den Weg nach Hause!' Tränen schossen mir in die Augen, ich schaffte es gerade noch sie zurückzuhalten. Wie konnte er mich so behandeln? Ich hasste ihn dafür.
Ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, nahm er Lotus am Zügel und begann den Abstieg. Lotus tat vorsichtig, aber sicher einen Schritt nach dem anderen.
Mit rasendem Herzen stand ich am Rande der Schlucht und überlegte fieberhaft, was zu tun war. Es war nicht mehr weit bis zur Grenze, es dürfte kein allzu großes Problem sein allein den Weg zu finden. Ich warf einen Blick in den Abgrund und sah Luìs und Lotus wie sie sich langsam entfernten. Dann warf ich einen Blick über die Schulter und sah eine Reitergruppe, die sich rasch näherte. Noch hatten sie uns nicht bemerkt. Schon vom Weiten erkannte ich die hoch gewachsene Statur des jungen Mannes aus dem Dorf. Unsere Verfolger hatten uns also erreicht.
Jetzt hatte ich keine Wahl mehr. Ich sprang vom Pferd und führte Salvador an den Rand der Schlucht. Er wehrte sich, wollte diesen Pfad nicht betreten. 'Oh bitte Salvador!' flehte ich und blickte mich immer wieder nach den Männern um. 'Komm schon.' Und plötzlich machte der Wallach einen Satz, verlor den Halt und rutschte gut drei Meter in die Tiefe, mich hinter sich herschleifend.
Zum Glück waren die ersten Meter nicht ganz so steil, dass er rasch zum Stehen kam. Ich hatte mir die Arme übel aufgeschürft und einen Schlag gegen den Kopf erhalten. Mir auf die Lippen beißend, um mich nicht durch einen Schmerzeslaut zu verraten, rappelte ich mich auf. Salvador suchte meine Nähe und stupste mir in die Seite. Ich unterdrückte einen Schrei, es tat fürchterlich weh, vermutlich hatte ich mir die Rippen geprellt.
Dann packte ich Salvadors Zügel und ging voraus. Der große Braune hatte Angst. Ich merkte das, weil sein Hals schwarz von Schweiß wurde und er hektisch die Nüstern aufriss. Beruhigend redete ich auf ihn ein, ließ ihm Zeit sicheren Halt auf dem lockeren Geröll finden. Ein paar Mal rutschte er aus, konnte sich aber fangen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich hatte starke Schmerzen, doch ich versuchte dem nervösen Wallach Ruhe und Vertrauen zu vermitteln...
Fast hatten wir es geschafft. Am Grund der Schlucht stand Luìs und sah mit zufriedenem Lächeln zu uns hoch. Ich wusste, dass er von dem Sturz nichts mitbekommen hatte. Dennoch hatte ich eine unglaubliche Wut auf ihn.
Er war der Führer, er war verantwortlich, dass ich und das Pferd heil in Portugal ankamen. Dafür bezahlte ich ihn schließlich.
Endlich erreichten wir das Ende des Pfades, jemand schrie etwas Unverständliches. Salvador sprang zur Seite, ich verlor den Zügel und er rutschte die letzten Meter über das Geröllfeld hinab. Ich schrie auf, sah das schöne Pferd schon mit gebrochenen Beinen vor mir, und rannte so schnell ich konnte hinterher. Der Wallach hatte sich aber gleich wieder aufgerappelt und von Luìs einfangen lassen. Ihm schien nichts passiert zu sein. Wieder ertönte die Stimme. Luìs und ich richteten unsere Blicke nach oben. Die Männer hatten uns entdeckt und begannen mit dem Abstieg.
'Schnell!' schrie Luìs und schwang sich in den Sattel. Mühsam stieg auch ich auf, trotz der Schmerzen. Wir mussten hier weg! Unsere einzige Chance war es schnell einen Vorsprung heraus zu reiten, während die anderen in die Schlucht hinab stiegen.Im vollen Galopp rasten wir über den unebenen Untergrund. Es war unverantwortlich und gefährlich, aber die Angst trieb uns zu dem mörderischen Tempo. Dicht hinter einander galoppierten wir die Schlucht entlang. Sie verjüngte sich zusehends, mir schien es als ob die steilen Hänge rechts und links immer näher rückten. Doch ich hatte keine Zeit Angst zu haben, zu sehr war ich damit beschäftigt irgendwie den Weg im Auge zu behalten. Der scharfe Wind ließ meine Augen tränen, sodass ich kaum etwas erkennen konnte, außer Lotus weiß leuchtendes Fell. Plötzlich machte die Schimmelstute einen gewaltigen Satz. Bevor ich verstand, was los war, spürte ich schon wie sich Salvador kräftig vom Boden abdrückte und mitten in den Bach sprang. Ich hatte das Gewässer nicht gesehen, da ich zu dicht hinter Lotus geritten war. Salvador strauchelte bei der Landung, ich wurde heftig nach vorne geworfen. Vor Schmerz verlor ich fast das Bewusstsein, krallte mich aber geistesgegenwärtig am Vordergeschirr fest, während Salvador weiter raste. Immer wieder schlug ich mit dem Oberkörper gegen das Sattelhorn.
'Du musst dich wieder hinsetzten' beschwor ich mich selbst. In meiner linken Seite pochte es heftig und immer wieder durchzuckten mich heftige Schmerzen. Salvador galoppierte nun vollkommen unkontrolliert, rutschte immer wieder auf dem Geröll. Ich weiß nicht mehr, wie ich es schaffte mich in den Sattel zurück zu ziehen, aber nach unzähligen Versuchen und einigen Beinahe-Stürzen hatte ich es irgendwann geschafft und krallte mich nun am Sattel fest, um nicht hinunter zu fallen.
Ein ganzes Stück weiter vorn, sah ich Lotus hart bremsen, da die Schlucht vor einem schmalen Gebirgspfad endete, der in die Höhe führte. Die schlanke Stute rutschte dabei aus und prallte mit voller Wucht gegen die Felswand. Harsch sog ich die Luft ein und riss verzweifelt an den Zügeln. Salvador wurde irritiert langsamer und stieg. Ich war zu schwach um mich zu halten, hart schlug ich auf dem Boden auf. Trotz aller Schmerzen gelang es mir mich einigermaßen abzurollen und gleich wieder aufzurappeln. Alles drehte sich und ich suchte Halt an dem großen Wallach, der glücklicherweise stehen geblieben war. Als der Schwindel etwas nachgelassen hatte, sah ich zu Lotus hinüber. Die Stute stand schwer pumpend neben der Felswand. Luìs hing reglos im Sattel. So schnell ich konnte eilte ich hin.Ich sah, dass die Stute am ganzen Körper zitterte und sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Als ich sie erreicht hatte, knickte sie in den Knien ein. 'Luìs' rief ich, doch er rührte sich nicht. Erst als Lotus zu Boden stürzte, wachte er auf. Glücklichweise war die Stute nicht zur Seite gekippt. Mit zitternden Händen löste ich die Feldflasche vom Sattel und schüttete das Wasser über Lotus Hals und Flanken, die Stute schnaufte schwer. Luìs war mittlerweile zu sich gekommen und versuchte den schweren Sattel von der Stute zu ziehen, er hatte Tränen in den Augen. Gemeinsam schafften wir es schließlich die Weiße von dem Lederzeug zu befreien. Sie versuchte aufzustehen - es gelang ihr nicht. Mittlerweile weinte auch ich, es schien keine großen Hoffnungen für die Stute zu geben. Salvador wieherte plötzlich laut und warnend.
Wir sahen uns um. Unsere Verfolger waren bereits in Sichtweite. 'Scheiße!' entfuhr es Luìs. Dann reagierte er blitzschnell. 'Schnell, steig auf und mach, dass du weg kommst! Du musst nur dem Pfad folgen und dann links Richtung Wald reiten, dann siehst du die Grenze.' Ich wollte widersprechen, wollte ihn und die Stute nicht zurücklassen. Doch Luìs packte mich grob und zerrte mich zu Salvador. Ich wehrte mich unter Tränen. Da nahm er plötzlich mein Gesicht fest zwischen seine Hände und küsste mich heftig. Ich starrte ihn entsetzt an. Der Griff seiner Hände tat fast schon weh, ich konnte die Sache nicht einordnen. Dann riss er mich in die Realität zurück und brüllte mich dermaßen an, dass ich erschrocken zusammenzuckte. 'Tu verdammt noch mal was ich dir sage!' Alles in mir schrie, wie konnte er es wagen! Wütend starrte ich ihn an und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Ohne ihn noch einmal anzusehen, zog ich mich in den Sattel und ließ Salvador anspringen. 'Wir treffen uns am Meer'!' rief Luìs, doch ich wollte nichts hören.







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32 Teil 33 Teil 34 Teil 35 Teil 36 Teil 37 Teil 38 Teil 39


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz