Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 24.04.2009




Es war Abend geworden. Ein blasser Mond hing unwirklich groß über mir und schickte sein bleiches Licht durch die Äste. Salvador hatte sich ein Stückchen entfernt und graste. Stöhnend stützte ich mich auf den Ellebogen. Auch wenn mir alles wehtat, stand ich auf.
Salvador kam angetrottet, als ich ihn rief. Ich versuchte den Sattel auf seinen Rücken zu heben, doch ich schaffte es nicht. Verbissen versuchte ich es wieder und wieder, aber meine Arme weigerten sich einfach, den schweren Sattel höher zu heben, als meine eigenen Schultern. Vor Wut hatte ich Tränen in den Augen. Ich nahm einen Schluck aus der Feldflasche und spuckte das Wasser sofort wieder aus, es schmeckte scheußlich. Was sollte ich nur tun? Ich schaffte es noch nicht einmal mein Pferd zu satteln, wie sollte ich es je bis nach Hause schaffen.
Doch ich hatte meine Rechnung ohne Salvador gemacht. Als ich den Sattel wütend zu Boden fallen ließ, schaute mich der schöne Wallach eine Weile eindringlich an. Dann schüttelte er den Kopf, schnaubte und knickte in den Knien ein. Erschrocken starrte ich ihn an. Was war los? Hatte er etwa einen Schweäheanfall? War der wilde Ritt zuviel gewesen?
Er verharrte in der Position und plötzlich verstand ich. Rasch wuchtete ich den Sattel auf seinen Rücken. Sofort richtete er sich wieder auf. Kopfschüttelnd lobte ich den Wallach. Unglaublich was für eine Intelligenz in dem sensiblen Tier steckte. Beim Aufzäumen streckte er mir den Kopf entgegen, sodass ich kaum die Arme heben musste und beim Aufsteigen stand er ganz still, was er noch nie getan hatte. Dieses Pferd war wirklich etwas Besonderes.

Wir folgten dem Waldweg, der Mond begleitete uns schweigend.
Wir erreichten das Meer in den ersten Morgenstunden. Befreit atmete ich die salzige Luft. Mit weitaus größerer Kraft, als das Mittelmeer in Spanien, prallte der Atlantik auf den weißen Sand. Die Wellen rauschten heran, bauschten sich auf, brachen und liefen weiß schäumend auf dem Strand aus.
Ich rutschte aus dem Sattel und kniete mich in den warmen Sand, ließ ihn durch die Finger rieseln. Salvador stand ganz still und starrte aufs Wasser hinaus, die Ohren gespitzt und die Nüstern geweitet. Ein Zittern durchlief seinen muskulösen Körper und er schickte ein lautes, herrisches Wiehern hinaus aufs Meer. Ich ließ ihm den Moment, dann sattelte ich ihn ab und machte mich zu den Felsen auf, weil ich mich dunkel erinnerte, dass dort irgendwo ein Bach ins Meer mündete. Ich hatte quälenden Durst und Salvador dürfte es nicht anders gehen. Nachdem wir beide getrunken hatten, schüttete ich Futter auf einen flachen Stein und kaute selbst an einem Stück Brot herum.
Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Nur ein schmaler heller Streifen am östlichen Horizont kündigte ihr Kommen an. Die Sterne strahlten noch. Meine Gedanken wanderten zu Luìs, zu der Nacht im Olivenhain, zu dem dunklen Blick seiner Augen. Ob er jetzt auch irgendwo lag und in den Himmel blickte? Ob er mich am anderen Ende der Nacht fühlen konnte, so wie ich ihn? Jetzt in diesem Moment? Ein weicher Wind spielte mit meinem Haar und streichelte meinen geschundenen Körper. Wie gut würden jetzt seine Hände tun, seine Nähe.
Salvador schnaubte neben mir und prustete mir ins Gesicht. Ich streichelte sein weiches Fell. 'Bald ist die Reise zu Ende, mein Schöner. Bald sind wir zu Hause.' Während ich das sagte, spürte ich einen Stich in der Herzgegend und verstand. Ich wollte nicht, dass die Reise aufhörte. Ich wollte ewig weiter reiten, aber nicht um des Reitens Willen. Ich wollte, dass Luìs weiter an meiner Seite blieb. Die Einsicht traf mich wie ein Schlag ins Gesicht und sein Fehlen wurde mir noch unerträglicher. Was wenn der Schuss wirklich ihm gegolten hatte? 'Wir treffen uns am Meer' hallten seine Worte in meinem Kopf nach.
Salvador und ich waren in Sicherheit, zwei drei Kilometer weiter gab es ein Dorf. Ich konnte es mir also leisten ein paar Tage zu bleiben, auf Luìs zu warten.
Als die Sonne aufgegangen war und wir uns ein Bisschen erholt hatten rief ich Salvador zu mir. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, ihn anzubinden. In der letzten Nacht hatte ich gemerkt, dass er ohnehin nicht weglief. Der braune Wallach fraß gerade vom dürren Gras, das zwischen den Felsen wuchs und hob nun den edlen Kopf. Er kam nicht, ließ sich aber leicht holen. Mit langsamen Bewegungen sattelte ich auf, noch immer schmerzte mein Körper. Meine rechte Seite war mittlerweile taub und ich konnte mich nicht mehr bücken. Unser Gepäck ließ ich weitgehend zwischen den Felsen zurück, nahm nur leere Satteltaschen und das Bündel aus Geldscheinen mit.
Salvador war ausgeruht und sprang sofort in einen langsamen Kanter. Hart spürte ich die Sprünge im Kreuz. 'Brrr' sprach ich dem Braunen zu. Unwillig, aber gehorsam parierte er durch und schüttelte ärgerlich den Kopf. Zwar blieb er im Schritt, sprang aber immer wieder mal mit allen vieren in die Luft, hüpfte zur Seite oder stieg kurz hoch, zuckte beim kleinsten Geräusch zusammen oder machte ein paar Galoppsprünge. Ich hatte wahrlich Mühe oben zu bleiben, meine Kraft reichte noch nicht und so klammerte ich mich krampfhaft fest, um nicht von einem Hopser überrascht zu werden. Endlich sah ich die ersten Häuser. Ich ritt nicht bis ins Dorf hinein, sondern dirigierte Salvador in die erste Hofauffahrt.
Zwei Frauen pflückten im Garten Orangen. Sie sahen auf, als sie das Geräusch der Hufe hörten. Die ältere setzte den Korb ab und eilte auf mich zu. Sie lächelte aus schwarzen Augen, ihr Gesicht war übersäht mit kleinen Fältchen, aber ihr Haar fiel in einem dicken tiefschwarzen Zopf über ihren Rücken hinab. Salvador warf misstrauisch den Kopf auf und schnaubte. Schaum tropfte vor der Frau auf den Boden. Sie lachte, griff in ihre Rocktasche und zauberte ein Stück Brot hervor. Salvador schlang es gierig hinunter und beruhigte sich. 'Wie kann ich dir helfen?' fragte die Frau mich frei heraus. Ich lächelte und stieg ab. 'Bist du verletzt?' Mit geübtem Blick hatte sie gesehen, wie steif ich mich bewegte. Aber ich schüttelte den Kopf. 'Alles in Ordnung danke. Ich brauche nur Vorräte für mich und mein Pferd.' Sie wiegte bedächtig den Kopf und musterte mich eingehend. Ich widerstand der Versuchung die Augenlider niederzuschlagen und hielt ihrem forschenden Blick stand. Schließlich nickte sie. 'Komm mit.' Ich nahm Salvador am Zügel und folgte ihr Richtung Haus. 'Du kannst dein Pferd hier anbinden.' So schnell es meine müden Arme schafften, zog ich Salvador das Halfter über die Trense und band ihn locker an eine Stange vor dem Haus. Ein Vordach spendete Schatten und so konnte ich den Braunen guten Gewissens zurück lassen und der Frau ins Haus folgen.
Ohne Zeit und Worte zu verlieren wies sie mir einen Platz am großen polierten Holztisch zu, tischte mir ein Glas mit eiskaltem Milchkaffe auf und verschwand hinter einer Tür am anderen Ende des Raumes. Ich blickte mich um. Die Küche war schlicht eingerichtet, aber groß und hell. Auf dem Tisch stand eine riesige Vase mit Blumen. Alles wirkte ein Bisschen verstaubt, machte aber einen wohlhabenden Eindruck. Die Frau kam mit vollen Armen zurück und legte die Lebensmittel auf den Tisch. Es war viel zu viel. 'Hören sie, ich brauche so viel nicht.' Die Menge, die sie da sorgsam in Papier einwickelte und in Tüten packte, behagte mir nicht. Diese Leute schienen mir nicht so wohlhabend zu sein, als dass sie all das abgeben konnten. Doch die Frau lächelte nur und gab mir mit einem scharfen Blick zu verstehen, dass ich schweigen sollte. Ich kannte diese Art von Frau und senkte den Blick in meinen Milchkaffee. Widerstand war zwecklos.
Schließlich half sie mir alles nach draußen zu tragen und in die Satteltaschen zu quetschen. Unruhig trat Salvador von einem Huf auf den anderen. Nachdem die Frau mich auch noch mit Futter für meinen Wallach versorgt hatte, legte sie mir die Hand auf den Arm. Ich drehte mich zu ihr um. Sie sah mich wieder eindringlich an und drückte mir dann etwas in die Hand. 'Opfere das dem Meer, es wird dir helfen...' Ehe ich reagieren konnte, hatte sie sich umgedreht und war davon geeilt. 'Danke für alles' rief ich ihr hinterher, doch sie drehte sich nicht um. Dann blickte ich auf das kleine silberne Kettchen in meiner Hand. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und sah mich nach der Frau um. Sie war verschwunden. Als ich Salvador am Obstgarten vorbeiführte, lag er verlassen da. Die Körbe voller Orangen standen noch unter dem Baum. Meine Verwirrung wuchs, aber ich war zu erschöpft um mir weiter Gedanken um die seltsame Frau zu machen.
Unter großer Anstrengung kletterte ich in den Sattel. Salvador wollte nicht stillstehen, erst als ich einmal energisch am Zügel ruckte, wartete er wenigstens bis ich den Fuß im Bügel hatte. Dann stürmte er los. Diesmal gelang es mir nicht ihn zu kontrollieren. Erst nachdem wir den Hof weit hinter uns gelassen hatte, reagierte er auf mein Zupfen am Zügel und fiel in Schritt. Zufrieden streckte er den Hals und schnaubte. Mir ging es weniger gut. Wie ein nasser Sack hing ich im Sattel. Die Schmerzen schienen immer stärker zu werden und ich wusste, dass ich der Ohnmacht nah war. 'Steh Salvador' sagte ich mit rauer Stimme, weil ich noch nicht einmal fähig war die Kreuzhilfe zum Anhalten zu geben. Salvador hielt an und wand seinen kleinen edlen Kopf zu mir um. Aus großen dunklen Augen sah er mich an. Sein Blick erinnerte mich wieder an Luìs und ich brach in Tränen aus. Salvador schnaubte verächtlich und setzte sich wieder in Bewegung. Auf mein verzweifeltes Ziehen am Zügel reagierte er nicht und so blieb mir nichts anderes übrig als oben zu bleiben. Die Sonne brannte mittlerweile unerträglich heiß auf uns herab, in meinem Kopf drehte sich alles, das Haar klebte mir an den nackten, verbrannten Schultern. Salvador trottete gemächlich voran, den Hals gestreckt, die Ohren gespitzt.







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