Wenn 2 Herzschläge ganz besonders klingen, dann nur, weil sie im selben Rythmus swingen :) - Teil 8

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 10.03.2012


So, es geht weiter.
Wie immer bedanke ich mich herzlichst für die Kommentare. Leider ist dieser Teil ohne Erik, ist aber trotzdem wichtig für die gesamte Geschichte. Viel Spaß bem Lesen.
Ganz liebe Grüße, Maggie ♥




Irgendwann lagen wir alle auf meinem Bett.
Wir saßen zu viert nebeneinander, lehnten mit dem Oberkörper an meinem Kopfteil. Erst Erik, daneben ich, dann Kim und neben ihr Luca. Ich war ganz leicht an Eriks Arm gelehnt und hätte nur zu gern meinen Kopf wieder an seiner gemütlichen Schulter abgelegt. Ich war müde und doch innerlich zu tiefst aufgewühlt, war aufgeregt, weil ich im Begriff war meinen Freunden die volle Wahrheit über mich zu erzählen, war aber auch fertig von der emotionalen Achterbahnfahrt.
Ich hatte ihnen gesagt, sie sollen es sich gemütlich machen, ich hätte etwas zu erzählen. Ich wollte ihnen nicht eine Meinung vor ab in den Mund legen, also bereitete ich sie auch nicht auf das Nachfolgende vor. Ich begann einfach zu reden. Es war, als würde ich über eine andere Person sprechen, ich versuchte nüchterne Distanz zu waren. Ich erzählte ihnen die Geschichte von 3 Jugendlichen, die den falschen Weg genommen hatten.
Alles begann eigentlich einen Monat vor meinem 16. Geburtstag. Es war ein Wochenende wie jedes Andere. Überhaupt nichts besonderes – und doch die Wendung unseres Schicksals.
Lexie und ich, wir waren ganz sicher keine Kinder von Traurigkeit. Gerade zu dieser Zeit kannten wir keine Grenzen, lebten unsere Jugend völlig aus, waren risikofreudig und vielleicht auch ein kleines bisschen verrückt. Wir feierten wilde Partys, betranken uns bis zur Besinnungslosigkeit, kotzten danach um die Wette, küssten wildfremde Jungs, küssten uns gegenseitig, hatten dem Alkohol abgeschworen, eine Woche später wieder getrunken, geraucht, geliebt, gestritten und uns versöhnt - kurz: Erfahrungen gesammelt.
Tom war zu dieser Zeit mehr oder weniger präsent. Wir waren auf den selben Partys, hatten den gleichen Freundeskreis, doch uns verband nur die Zeit der gemeinsamen Kindheit. Ich schwärmte für ihn, war aber noch nicht verliebt. Das sollte sich natürlich ändern.
Am besagtem Wochenende sollte eine Fete im Haus einer Mitschülerin stattfinden. Wir waren selbstverständlich eingeladen, zu diesem Zeitpunkt waren Lexie und ich noch ziemlich beliebt, auch das sollte sich ändern.
Tom hing immer öfters mit seinem ehemaligen Klassenkameraden Peter Hofmann rum. Alle nannten ihn nur Pete. Er war ein Versager, wie er im Buche stand. War vom Gymnasium geflogen und hatte mit Ach und Krach seinen Hauptschulabschluss geschafft. Dann bekam er zwar eine Lehrstelle, lies sich dort aber auch nur sporadisch blicken. Er hatte irgendwie eine finstere Seite und war der Typ Freund, vor dem unsere Eltern uns schon immer gewarnt hatten. Er fiel durch schlechtes Benehmen, Pöbelei und krimineller Aktivität auf. Dennoch sah er unwahrscheinlich gut aus und das Bad-Boy-Image schadete nicht im geringsten seiner Beliebtheit. Man sah schnell über seinen asozialen Lebenswandel hinweg, besonders mit naiven jugendlichen Mädchenaugen. Er war so etwas wie der unerreichbare und unnahbare Star.
Auch wenn sich Pete nicht im geringsten für die „Gymnasiums-Streber“ interessierte und sein Freundeskreis sich aus lauter hirnlosen Vollidioten zusammensetzte, so mochte er trotzdem Tom und pflegte zu ihm schon immer eine recht enge Freundschaft. Und er hatte eine Schwäche für Lexie.
Das war unser Verderben.
An diesem Abend kamen auch Tom und Pete mit seiner Clique zu der Party.
Lexie und ich genossen es bei ihnen zu stehen. Die anderen Mädchen aus unserer Klasse hatten zu viel Respekt und Angst vor diesen Leuten, obwohl sie sich nach derer coolen Gesellschaft sehnten. Doch wir 2 standen im Mittelpunkt. Lexie wurde von Pete umschwärmt. Er baggerte was das Zeug hielt, Lexie lies ihn wie immer abblitzen. Sie fand ihn zwar interessant, hatte aber nie die Absicht sich auf ihn einzulassen. Lexie konnte sich vor Verehrern kaum retten. Die ganzen Typen verliebten sich immer in sie. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Die strahlend blauen Augen in Kombination mit langen barbieblonden Haaren, einer niedlichen Stupsnase und vollen Lippen – sie war der Traum aller Männer, auch schon mit 15. Sie hatte eine ähnliche Figur wie ich. Wir waren beide mittelgroß und sehr schlank, doch sie hatte etwas mehr Oberweite. Ich hatte zwar auch ein paar Jungs, die sich für mich interessierten, doch das der Großteil hinter Lexie her war, war kein Geheimnis. Eifersucht war nie ein Thema zwischen uns, doch ich stand schon etwas in ihrem Schatten, was aber vielleicht auch daran lag, dass ich schon immer die Unfreundlichere von uns Beiden war. Lexie war einfach nur liebenswert, sie konnte selbst bei einem Korb noch unwiderstehlich süß und charmant sein. Vielleicht aber verliebte ich mich gerade deshalb in den Jungen, der für sie nie mehr als brüderliche Gefühle gehegt hatte und auch hegen würde.
Und ausgerechnet an diesem Abend musste ich mir eingestehen, dass Tom mehr als nur der große Bruder für mich war. Ich wusste noch genau, was er trug. Es war die Zeit der tief sitzenden Baggyjeans , ständig hörte man Wu Tang Clan auf Partys und alle sagten „alter“ und schrien „whats uuup“. Tom hatte an diesem Abend eine dunkelblaue PellePelle Jeans an, trug ein Halfcap und ein hellblau kariertes Hemd betonte fast beängstigend stark seine unglaublichen Augen. Die blonden Mähne ragte ihm unter der Mütze verwegen ins Gesicht. Er hatte so dichtes und volles Haar, dass man ständig versucht war es durch zu wuscheln. Ich weiß noch wie gestern, dass ich an diesem Abend ständig seine Nähe und seinen Blick suchte und er mich mehr als einmal intensiver als sonst betrachtet hatte.
Die Erinnerung an diese Feier und an diese vielen Details sollten sich für immer in mein Gedächtnis brennen, denn es war der Abend, an dem wir es das 1. Mal getan hatten.
Irgendwann gingen Pete und Tom uns mit bedeutungsvollen Blicken ansehend in die hinterste Ecke des zugewachsenen Gartens unserer Freundin. Lexie und ich folgten ihnen, wir ahnten schon, was sie vor hatten. Das Ereignis war schon länger geplant und wir waren aufgeregt wie junge aufgescheuchte Hühner.
Wir standen heimlich im Kreis und Pete packte ihn aus – unseren 1. Joint.
Wir hatten danach ein wahnsinnig schlechtes Gewissen und uns verband das Geheimnis etwas illegales getan zu haben. Im Nachhinein betrachtet spürten wir von unserer ersten Tüte nicht das Geringste. Wir warteten gespannt auf das Feeling bekifft zu sein. Pete hatte es schön öfters getan und das Zeug für uns besorgt. Als wir aus lauter Langeweile geplant hatten mal einen zu Rauchen, einfach mal zu probieren, schworen wir uns, dass wir es nur ein einziges Mal versuchen wollten. Einmal bekifft sein, mal erleben, mit welchem Gefühl Pete und seine Leute da immer vor uns angaben. Wir wollten so richtig schön klischeehaft es einmal und nie wieder tun, denn wir wussten ja, dass wir was besseres waren als Pete. Dass wir von so etwas niemals abhängig werden könnten und dass wir das im Prinzip ja auch nicht nötig hatten. Es war einfach nur Spaß und geschah aus dummer Naivität.
Am darauf folgenden Wochenende rauchten wir unseren zweiten Joint.
Wieder eine ähnliche Veranstaltung, wieder die üblichen Verdächtigen: Pete, Tom, Lexie und ich.
Und diesmal haute es uns aus den Socken.
Wir waren bilderbuchmäßig bekifft und absolut breit. Der Lachkrampf hielt mindestens 3 Stunden an. Wir verfielen in einen Rausch und feierten ekstatisch über die banalsten Dinge. Tom war eh schon ein sehr witziger Mensch, doch bekifft hielt man es mit ihm kaum aus. Er konnte so albern sein und brauchte nur im Ansatz kichern, sofort zog er einen mit und wir wussten am Ende gar nicht mehr, worüber wir überhaupt zu Beginn gelacht hatten. Diese Erkenntnis fanden wir wiederum so lustig, dass wir noch mehr lachen mussten. Es war wie ein Teufelskreis, eine Endlosschleife sinnloser Lachanfälle und es fühlte sich so gut an. Zu gut.
Bald blieb das wochenendliche Gras rauchen nicht mehr nur Ausnahme sondern entwickelte sich zur Gewohnheit, ein Ritual um dem langweiligen Alltag zu entfliehen und es brachte uns so viel mehr als der Alkohol. Wir fanden nichts verwerfliches am Kiffen. Wir wussten immer was wir getan hatten und genossen den Zustand völliger Befreiung.
Innerhalb kürzester Zeit wurde es zur absoluten Normalität. Wir brauchten nicht mal mehr einen Anlass.
Dann kamen die Sommerferien und wir fuhren so gut wie jeden Tag an den See und rauchten unsere Joints. Pete verlor irgendwann das Interesse an unserer Gesellschaft, da er bei Lexie einfach nicht landen konnte. Und so kam es, dass wir nur noch zu dritt abhingen. Wir schotteten uns von unseren Schulfreunden ab. Sie waren uninteressant geworden, außerdem durfte niemand wissen, was wir taten.
Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann war uns das Kiffen nicht mehr genug.
Es befriedigte uns nicht mehr, wir hatten schon lange keinen Lachflash gehabt, wir hatten uns systematisch auf die nächste Stufe vorbereitet. Tom brachte an einem Abend kurz vor Weihnachten das erste mal ein Tütchen mit weißem Inhalt mit und wir verfielen den chemischen Drogen gleich beim 1. Konsum.
Nach dem Speed kam Ecstasy, nach Ecstasy das Kokain und irgendwann schlug Crystal ein wie eine Bombe.

Wir lebten nur noch für das Wochenende. Die Session begann meistens schon Freitag Nachmittag und endete Sonntag Abend. Wir schliefen und aßen nicht, feierten aber wie die Großen. Wir fuhren auf die härtesten Beats, tanzten zu den bekanntesten DJ's und waren sogar ein Jahr bei Love-Parade in Berlin. Wir wurden zu absoluten Tekkern. Aus den Baggyjeans wurden Soffschlaghosen.
Irgendwann hingen wir dann auch wieder in Petes Wohnung und bei seinen jämmerlichen Freunden ab, dabei fiel uns nicht mal auf, dass wir selber nicht viel besser geworden waren. Wir dachten, wir hätten es im Griff, dabei waren wir so was von abhängig. Ohne Drogen hatten wir keinen Spaß mehr und wenn es mal nicht genug Stoff zu kaufen gab, dann gifteten wir uns gegenseitig an. Trotzdem schafften die Drogen es nicht, so wie man es sonst hört, uns auseinander zu bringen. Im Gegenteil, sie schweißten uns zusammen. Wir waren eine große sich liebende Familie. In dieser Zeit lag ich manchmal stundenlang in Toms Armen und wir quasselten über Gott und die Welt. In solchen Momenten waren wir mehr als nur auf einer Wellenlänge. Wir hatten die gleichen Ansichten, denselben Humor und wir waren uns so nah. Ich war bis über beide Ohren verliebt.
Am Anfang bemerkte keiner in unserem Umfeld unseren neuen Lebenswandel. Da wir zu dritt waren, konnten wir uns gut gegenseitig Alibis geben. Doch irgendwann fiel es auf. Die ständige Müdigkeit unterhalb der Woche, die schlechteren Leistungen in der Schule, wie wir immer dünner wurden, die Augenringe immer tiefer und das Wegbleiben am Wochenende immer länger. Doch keiner sprach uns darauf an. Die Lehrer interessierte es nicht, die Mitschüler mochten uns nicht mehr und unsere Eltern sahen weg.
Als Tom dann zum Studium ging, wurde es noch schlimmer. In Kassel gab es besseren Stoff und das auch reichlich. Wenn er am Wochenende mit 3g Crystal kam, dann war das für uns keine Herausforderung mehr. Wir waren so kaputt, psychisch und physisch...und wir sahen es nicht.
Hochmut kommt vor dem Fall.
Es war der 7. Januar. Lexie und ich waren 18 und sollten in wenigen Monaten unser Abitur machen. Wir hatten Silvester zusammen mit Tom, Pete und 2 anderen Freunden in Prag gefeiert. Unser 1. Silvester als Volljährige. Wir waren 3 Tage wach. In Tschechien hatten wir uns vom Weihnachtsgeld in großen Mengen ein gedeckt, wir hatten es nicht mal geschafft alles zu verbrauchen. An diesem Wochenende wollten wir es etwas ruhiger angehen lassen, wir hatten uns von Silvester noch nicht erholt und außerdem ging am Montag die Schule wieder los.
Trotzdem versammelten wir uns Freitag Abend wieder bei Pete in seiner dreckigen und stinkenden Wohnung.
Ich machte mir zu der Zeit schon etwas Sorgen um Lexie. Sie hatte kurz vor Weihnachten einen bösen Absturz gehabt mit Paranoia und leicht schizophrenen Anwandlungen. Ich dachte, dass sie langsam nicht mehr auf dem vielen Zeug klar kommt, behielt aber meine Bedenken für mich. Dafür sollte ich mich ewig hassen.
Wir waren zu fünft an diesem Abend: Tom, Lexie, Pete, Karsten und ich. Karsten war ein Bekannter und hatte schon öfters mit uns gefeiert. Es war wie immer. Wir zogen unser Crystal und schmissen anschließend noch Pillen. Irgendwann ging es los, wir kamen drauf. Rauchten eine nach der anderen, redeten ununterbrochen, hörten stundenlang Schranz und tanzten in der Wohnung zu den harten Beats.
Das Zeug von Tschechien war krass. Wir hatten einen unglaublichen Rausch. Lexie konnte an diesem Abend nicht genug bekommen und zog viel zu viel. Irgendwann saß sie nur noch auf der Couch und nickte mit dem Kopf im Takt der Musik. Sie beteiligte sich an keinem Gespräch, war nicht mal mehr ansprechbar. Das hätte mich beunruhigen müssen, doch ich kannte diesen Zustand an ihr. Sie übertrieb es manchmal und war dann für mehrere Stunden förmlich ausgeknockt. Danach war sie wieder die Alte. Sie sagte, sie sei während dieser Zeit in ihrer Welt. Jeder hatte so seine Macken auf Zeug, also ließen wir sie in diesem Zustand meistens in Ruhe. Tom und ich hatten die Angewohnheit, uns zusammen irgendwohin zurück zu ziehen und dann Arm in Arm die Welt in Grund und Boden zu diskutierten. Ich genoss diese Stunden mit ihm so sehr und war immer nur einen Sekundenbruchteil davon entfernt, ihm meine Liebe zu gestehen. Doch die Angst, dieses magische Feeling zu zerstören, hielt mich davon ab.
Eine von vielen Nebenwirkungen von chemischen Drogen war die peinliche Tatsache, dass man während des Rausches Gefühle, insbesondere Zwischenmenschliche, als extrem stark empfand, die sogenannte Chemieliebe.
Sogar bei seinem größten Feind war man versucht ihn einfach nur lieb zu haben.
Am Anfang hatten wir diese Gefühlsduselei auf Zeug noch schlecht unter Kontrolle und versöhnten uns oft mit Leuten, die wir gar nicht mochten oder umarmten uns ständig gegenseitig und beteuerten unsere einzigartige Freundschaft. Irgendwann lies auch das nach. Umso mehr hätte mich Lexies Verhalten an diesem Abend stutzig machen müssen.
Wir gingen wie immer zusammen auf Toilette. Während ich mich im Spiegel nach schminkte und dabei versuchte meinen flatternden Kiefer unter Kontrolle zu bringen, bemerkte ich, wie mich Lexie durch unser Spiegelbild hindurch betrachtete. Ich konnte mich noch ganz genau an ihren Anblick erinnern. Es war das letzte Mal, dass ich mit ihr gesprochen hatte und ich hatte dieses Gespräch mindestens eine Millionen Mal in Gedanken lebendig werden lassen.
Im Grunde sah sie furchtbar aus. Ihr hübsches Gesicht zu einer Fratze entstellt. Ihre sonst so wundervollen Augen waren riesig und traten aus den Augenhöhlen gespenstisch hervor. Die Pupillen war so sehr geweitet, dass man nichts von dem strahlenden Blau erkennen konnte. Sie war stark geschminkt und ihre Augenringe waren dunkel und bläulich. Sie kaute unkontrolliert auf ihren eh schon rissigen Lippen und ihre Wangenknochen waren so deutlich zu sehen, dass ihr Gesicht für mich kurzzeitig wie ein Totenschädel wirkte. Eine Halluzination, an die ich mich mit Schrecken immer wieder erinnern musste.
Ich selbst sah nicht besser aus. Wir wogen beide keine 50kg mehr und waren ungefähr gleich groß. Doch ich hatte an diesem Abend noch nicht so viel konsumiert und erschrak vor Lexies Zustand.
Sie betrachtete mich eingehend und sagte dann in ihrer typischen Art:
„Schnecke, du siehst furchtbar aus!“ Sie war dabei so ernst, dass ich lachen musste.
„Und das sagt die, die sich gerade die Unterlippe weg kaut!“ Ich schüttelte mit dem Kopf und sah sie gespielt mitleidig an, sie studierte ihr eigenes Spiegelbild und hielt endlich mal den Kiefer still, lange hielt sie es nicht durch. Sie hatte eine nachdenkliche Miene aufgesetzt.
„Maya, wie lange soll das so noch weiter gehen?“ Ich wusste nicht, wovon sie sprach.
„Tja, ein paar Stunden wird deine letzte Nase wohl hoffentlich anhalten. Du ziehst wie ein Staubsauger...“
„Nicht das!“ Sie verdrehte die Augen, lächelte mich aber liebevoll an. „Ich wollte grad ein tiefsinniges Gespräch mit dir führen, aber du denkst nur an das Eine. Mit Tom kannst du doch auch über ernste Themen reden.“ Sie zwinkerte mir viel sagend zu, ich lächelte mein typisches Lächeln, welches ich immer auf setzte, wenn es um Tom ging, mein Tom-Lächeln – leicht verträumt und ziemlich deppig.
„Ich meinte damit, wie lange können wir noch so weitermachen. Jedes Wochenende, immer mehr und ohne Grenzen. Wie lange halten wir das noch durch? Ich meine, sieh uns doch an...“ Ich starrte ungläubig in unser Spiegelbild, erschrocken von den bedeutungsvollen Worten. Lexie und ich hatten nie übers Aufhören gesprochen. Weniger machen – ja. Mal einen Schritt zurück treten – Gerne. Doch Aufhören – Niemals! Woher kam auf einmal der Sinneswandel?
„Worauf willst du hinaus? Willst du etwa aufhören?“ Der Gedanke war so absurd.
„Vielleicht? Eigentlich nicht...ich weiß es nicht...!“ Ich war leicht schockiert. Lexie war immer die Letzte, die mal eine Auszeit und Pause von dem Zeug brauchte. Sie war die treibende Kraft und nie hätte ich gedacht, dass sie übers Aufhören nachdenken würde. Wir liebten doch unser Leben. Wir waren toll, unerreichbar, unglaublich cool und WIR hatten die Unschuld kotzen sehen.
Anstatt, dass mir ihre Worte eine Warnung waren, dachte ich nur selbstsüchtig daran, meine liebste Feierfreundin zu verlieren. Denn ich wollte nicht aufhören und hoffte in dem Moment, dass sie das Gesagte nicht ernst meinen würde.
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du damit aufhörst? Mal davon abgesehen, dass du es so wie so nicht einfach mal eben nebenbei schaffen würdest...!“ Wir wussten beide, dass wir hochgradig abhängig waren.
„Nein...wohl eher nicht.“ Sie sah mich wissend und aus tief traurigen Augen an.
„Ich frage mich nur manchmal, wo das noch hinführen soll? Was hat das alles für einen Sinn? Wir machen uns doch nur noch kaputt. Wir sind geistig und körperlich am Ende....wir können doch nicht ewig so weiter machen, oder?“
„Klar können wir das! Was hast du nur?“ Ich war leicht verdattert „Sicher werden wir das nicht ewig machen, irgendwann ist natürlich mal Schluss. Aber doch nicht jetzt. Wir sind jung und haben unseren Spaß. Was ist denn plötzlich los mit dir? Was ist unserem Motto geworden, mhm?“ Ich stieß ihr spielerisch mit dem Ellenbogen in die Seite. Sie setzte sich kraftlos auf den Badewannenrand und sah mich schon optimistischer gestimmt an.
„Was für ein Motto? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir je ein Motto hatten?“
„Ähm...'Einmal Druffie – immer Druffie'?“ Das hatte ich mir grad ausgedacht und sie lachte. Ich setzte mich neben sie. Sie roch nach unserem derzeitigen Lieblingsparfüm, es erinnerte mich immer an Sonnenblumen. Ich hatte das Parfüm nie wieder gekauft.
„Das is nen scheiß Motto!“ Sie grinste und schüttelte dabei den Kopf ganz leicht. „Ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist. Hab irgendwie nen Moralischen vielleicht.“ Sie zuckte mit den Schultern und sah mich entschuldigend an. Ich legte meinen Arm um sie.
„Den haben wir doch alle mal.“ Dann drückte ich sie leicht an mich.
„Maya...ich bin so froh, dich an meiner Seite zu haben. Du bist die Beste...ich hab dich so lieb!“ Sie erwiderte meine Umarmung, ich lächelte leicht überheblich.
„Chemieliebe?“
„Nein...das würde ich auch sagen, wenn ich nichts gemacht hätte. Und das weißt du!“ Natürlich wusste ich das. Als Zeichen meiner Zuneigung nahm ich sie noch fester in den Arm, spürte ihre knochigen Schultern und drückte mein Gesicht an ihre Wange.
Dann standen wir auf.
„Ich glaub ich schmeiße noch ne Murmel nach...geht ja gar nicht, dieses Tief. Und das zum Wochenende!“ Sie war eindeutig wieder besser drauf. Ich antwortete erfreut:
„Sehr schön. So kenne ich mein Mädchen!“
2 Stunden später versagte ihr Herz.

Tom und ich hatten uns in die Küche zurück gezogen und über irgendwelchen sinnlosen Kram philosophiert. Pete und Karsten waren unterwegs, weil sie neuen Stoff besorgen wollten. Lexie hatte sich auf die Couch gelegt und uns gesagt, dass sie in Ruhe Musik hören wolle.
Also ließen wir sie allein. Und so starb sie auch: Allein. Auf der schmierigen Couch einer stinkenden verqualmten Assiwohnung, während ihr Bruder und ihre beste Freundin sich das Hirn weg zogen. Im Hintergrund lief der „This is the End“-Mix von Rush in Endlosschleife, es war ihre Lieblingsset.
Als wir irgendwann feststellten, dass sie schon ziemlich lange in der gleichen Postion lag, war sie schon mindestens eine Stunde tot. Wir hatten es nicht mal bemerkt. Sie sah aus, als würde sie nur schlafen. Ihr Gesicht nur noch ein Schatten ihrer selbst und doch engelsgleich.
An alles was geschah, nachdem wir festgestellt hatten, dass Lexie nie wieder die Augen öffnen würde, konnte ich mich nicht mehr erinnern. Mein Gehirn hat ab einen gewissem Punkt nicht mehr gearbeitet und der Schock zusammen mit den Drogen hat mir die Erinnerungslücke verschafft.
Ich wollte mich nicht eine Sekunde an die Tage und Wochen danach erinnern. Die Erkenntnis, was geschehen war, schmerzte wie eine Millionen Nadelstiche auf der Haut. Und selbst das hätte man lieber jeden Tag ertragen, als sich damit abfinden zu müssen, dass Lexie nicht mehr da war und auch nie wieder kommen würde.
Es war unbeschreiblich. Der Schmerz zerfraß mich, spuckte mich aus, nur um mich dann wieder von vorne zu zerkauen. Ich war gefangen in einer Endlosschleife – unüberwindbare Trauer, Scham, Schuldzuweisung, Qual, Verzweiflung und Sinnlosigkeit. Und dieses absolut grässliche Gefühl, es nicht erkannt zu haben. Vielleicht hatte Lexie ja schon eine Vorahnung gehabt und ich hatte sie ermuntert weiter zu machen. Ich hasste mich so sehr!
Die Ärzte sagten, ihr kleines Herz hätte versagt. Die 2 Jahre Dauerkonsum hatten irreversible Schäden der Blutgefäße verursacht. Sie hatte mit 18 Jahren einen tödlichen Schlaganfall.
Ich lag selbst nach der Nacht für 1 Woche im Krankenhaus. Wurde mit Infusionen aufgepäppelt und bekam einen Seelsorger ans Bett gesetzt. Meine Nieren waren schon stark geschädigt, teilte man mir teilnahmslos mit. Ich wurde schrecklich behandelt, auch von meinen Eltern und ich hatte es nicht anders verdient.
Ich konnte mich selbst nicht im Spiegel betrachten. Nach und nach wurde mir klar, was ich getan hatte. Welche Ausmaße alles angenommen hatte. Und das egal was ich tun würde, Nichts und Niemand würde mir Lexie zurück bringen.
Mit jeder Faser meines geschundenen Körpers vermisste ich sie. Ich konnte nicht begreifen, dass sie nicht mehr da war. Dass sie mich hier in der Scheiße zurück gelassen hatte, dass es vorbei sein sollte.
Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde wünschte ich sie mir zurück. Hätte es irgend etwas gegeben um sie zurück zu holen, ich hätte ALLES getan.
Sie hätte so viel aus ihrem Leben machen machen können. Sie war schlau, wunderschön und absolut einzigartig – und doch war sie auf einmal nicht mehr da. Ich durfte weiter leben, obwohl ich es nicht mal ansatzweise verdient hatte. Und wieder einmal mehr dachte ich verzweifelt:
'Nur die Besten sterben jung.'





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