Wenn 2 Herzschläge ganz besonders klingen, dann nur, weil sie im selben Rythmus swingen :) - Teil 19

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 09.06.2012


So, weiter gehts, ihr Lieben.
Ich bin gespannt, was ihr von dem Teil haltet :)
Natürlich freue ich mich über jeden Kommentar!
Hab ich schon mal gesagt, wie sehr mich euer Feedback motiviert? Ohne euch wäre ich wahrscheinlich nie so weit gekommen, DANKE!
Maggie ♥



Ich kochte vor Wut. Blutrausch, so nannte man das.
Ich stöckelte schwankend aus dem Schulgebäude, fingerte hektisch nach meinen Zigaretten und presste das Telefon an mein Ohr. Was Erik da vom Stapel ließ war unglaublich, fast abartig.
Nun war ich endgültig überzeugt, dass er diesen ganzen Mist verzapft hatte. Wie konnte er es wagen Tom zu beschuldigen? Dass er mir vielleicht die Wahrheit sagte, war für mich in diesem Augenblick utopisch.
Ich zündete mir umständlich die Zigarette an, zog kräftig den Rauch ein und suchte nach den richtigen Worten. Es musste etwas sein, was ihn tief verletzten würde. So wie er mich verletzte. Prompt kam der Geistesblitz und ich giftete ihn an:
„Du willst mir gerade also ernsthaft zu verstehen geben, dass ich vorhin mit meinem Stalker geknutscht habe?“ Peng! Es war raus, verdammt fies und ich spürte nicht mal den Ansatz eines schlechten Gewissens. Erik schwieg, ich konnte es in seinem Superhirn quasi rattern hören, bis er begriff. Er klang ganz ruhig:
„Du und Tom, ihr habt euch geküsst?“ Der resignierte Tonfall seiner Stimme hätte mir das Herz brechen müssen, doch ich war in diesem Moment ein emotionaler Eisklotz.
„Ja, haben wir. Und du kannst jetzt mit deinem kleinen kranken Spielchen aufhören.“ Ich lief durch die verlassene Dunkelheit meines Dorfes, sah mir in einem Anflug von Verfolgungswahn über die Schulter und wartete auf sein Geständnis. Er antwortete jedoch verständnislos:
„Von was für einem Spielchen redest du bitte?“ Ich stöhnte genervt.
„Jetzt hör doch endlich auf damit! Ich weiß, dass du hinter all dem steckst!“
„Von was zur Hölle sprichst du ,Weib?“ Er klang aufgebracht, kleine Zweifel ereilten mich, dann rief ich mich wieder zur Besinnung, natürlich stritt er noch immer alles ab und ich zollte innerlich seinem schauspielerischen Talent höchsten Respekt. Trotzdem fauchte ich ihn an:
„Frag doch nicht so dumm! Ich spreche von der Hackerattacke, von der SMS, von der Verfolgungsjagd und den ganzen anderen Mist, den du mir angetan hast!“ Ich hörte Erik am anderen Ende der Leitung schnauben.
„Und WARUM verdammt nochmal sollte ich das getan haben?“ Ich verdrehte die Augen, wie lange wollte er denn noch die wackelnde Fassade aufrecht erhalten?
„Weil du wolltest, dass ich mich in dich verliebe! Was du im übrigen nicht geschafft hast, du Arsch!“ Lüge. Aber in manchen Situationen sollte man dann doch nicht zu seinen Gefühlen stehen, es könnte die eigene Authentizität in Frage stellen. Ich hörte Erik lachen, herablassend und ziemlich gemein:
„Mädel, deine Selbsteinschätzung überrascht mich immer wieder. Ich fasse es nicht, dass du das ernsthaft selber glaubst, was du da gerade faselst. Bildest du dir wirklich so viel auf dich ein?“ Seine Antwort war wirklich niederschmetternd und verletzte mich. Noch nie hatte er so verächtlich mit mir gesprochen und sein abwertender Tonfall machte mich stutzig. Ich wollte mich sofort verteidigen:
„Ob du es glaubst oder nicht, ich selber wäre auch nie darauf gekommen. Mich musste erst ein Außenstehender auf deine Machenschaften aufmerksam machen, also werte nicht über meine Selbsteinschätzung. Schließlich bist doch du der überhebliche von uns beiden!“ Ich zog wieder völlig aufgebracht an meiner Zigarette und stolperte fast über meine eigenen Füße, die mir nebenbei bemerkt höllisch weh taten, dank den halsbrecherischen Highheels, die nicht mal im Ansatz für eine längere Strecke geeignet waren. Ein weiterer Umstand, der meiner allgemeinen Laune nicht zu Gute kam. In dieser Verfassung hätte ich eigentlich niemals mit Erik dieses heikle Thema besprechen dürfen und wieder war an allem die Himbeerbowle schuld, redete ich mir ein. Erik sprach dann auch nicht um den heißen Brei herum:
„Lass mich raten, Tom hat dir diesen Floh ins Ohr gesetzt?“ Ich schluckte.
„Ja.“ Es war nur ein Murmeln. Er atmete tief ein.
„Findest du das nicht verdächtig?“
„Es ist genauso verdächtig, dass du jetzt behauptest, er wäre es!“ Und prompt schwirrte mir schon wieder der Kopf. Eriks Reaktion war ziemlich glaubhaft, Toms Argumente dagegen waren auch überzeugend. Ich hatte eindeutig ein Problem mit diesen zwei Männern.
„Maya, ich habe doch nie behauptet, dass er hinter all den Angriffen steckt. Ich habe dir gesagt, dass er definitiv mindestens einmal deinen Laptop gehackt hat. Und dafür habe ich einen eindeutigen Beweis und sogar Zeugen.“ Ein schlauer Einwand, so einleuchtend, dass plötzlich sämtliche Himbeeren in meinem Bauch rebellierten. Mir wurde übel. Was war ich für ein Mensch? Beeinflussbar ohne Ende, mir konnte man wahrscheinlich auch glaubhaft machen, dass die Erde eine Scheibe war, es musste nur der richtige Mann zu mir sprechen.
„Ich weiß nicht mehr was ich glauben soll. Es tut mir leid.“ Mehr brachte ich nicht raus. Ich hielt es eh für besser in nüchternen Zustand über das alles nachzudenken.
„Das finde ich sehr schade, wirklich! Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber dass du gleich davon aus gehst, ich würde dir so etwas antun, das schockiert mich! Und wo wir einmal bei den Vorwürfen sind, ich finde es voll schlampig von dir, dass du einen Mann geküsst hast, der verlobt und nebenbei auch noch der Bruder deiner verstorbenen Freundin ist. Was ist eigentlich aus deiner Moral geworden?“
Das war zu viel für mich. Bereits am Anfang seines kleinen Monologs, war mir eine einsame Träne die Wange hinab gekullert. Der Alkohol machte mich stets schnell weinerlich und meine Fähigkeit mit Kritik umzugehen, schwamm auf einer Welle süßer roter Bowle davon. Mein Hals schnürte sich zu und ein Gefühl von Reue überrollte mein angegriffenes Gemüt. Dennoch würde ich mir vor ihm nicht die Blöße geben und durch das Telefon schluchzen.
In einem letzten Anflug von Trotz antwortete ich ihm:
„Du wagst es nach meiner Moral zu fragen? Wenigstens war ich immer ehrlich zu dir! Du wusstest genau, wie ich für Tom empfinde und außerdem hat ER mich geküsst, ICH hab den Kuss beendet und überhaupt: Das ist alles nur im Affekt passiert, weil er mich davor beschützt hat, von einem Junkie zusammengeschlagen zu werden. Weißt du überhaupt, was ich hier durchgemacht habe? Wie es mir geht? Wie ich – Ahhh -“ Natürlich musste das passieren, ich war auf meinem Absatz umgeknickt. Verdammtes Dorf voller unsanierter Fußwege! Ich stand mittlerweile am Rande des Parks und sah unschlüssig in die Dunkelheit. Vor mir lag der Trampelpfad, der zwischen den hohen Bäumen in die finstere Grünanlage führte. Der Weg durch den Park würde wesentlich schneller sein, früher war ich oft hier durchgegangen, ständig und meistens völlig drauf. Außen rum zu laufen wäre ein absurder Umweg, jedoch war die Straßenbeleuchtung eine echte Verlockung. Eriks Antwort lenkte mich kurzzeitig von meinem Gedankengang ab und ich humpelte wie automatisch vom Bürgersteig zu dem Trampelpfad.
„WAS? Dich wollte ein Junkie zusammenschlagen? Verdammt, WO bist du? In den Slums von Sao Paulo?“ Er klang entrüstet und fassungslos. Ich bemerkte, dass sich das wirklich ziemlich krass anhörte und erzählte ihm von Laslo und unserem kleinen Zwist, sowie von Toms heldenhafter Rettung. Währenddessen stapfte ich unbeholfen den unwegsamen Pfad entlang und versuchte mich krampfhaft daran zu erinnern, wo ich überhaupt langgehen musste. Immer wieder zweigten kleinere Wege von dem Hauptpfad ab, manche Stellen waren komplett von Büschen zugewachsen und ich hatte Mühe in der Dunkelheit überhaupt etwas zu erkennen. Schnell wurde mir klar, dass das mal wieder ein saublöde Idee gewesen war.
„Habe ich das so richtig verstanden?“ Erik klang extrem skeptisch „Dein ehemaliger Drogendealer, den du vor fünf Jahren an die Bullen verpfiffen hast, war heute bei einem Absolvententreffen von Abiturienten und hat dich zufällig wieder erkannt und dich dann mal eben nach draußen geschliffen um dir mafiamäßig zu zeigen, wie man mit Verrätern umgeht. Dann kam Tom, im letzten Moment, selbstverständlich, verdrosch machohaft deinen Angreifer und küsste dich dann?“ Er holte tief Luft und sprach dann ganz vorsichtig: „Ich glaube du bist verflucht oder so. Wie kann einem so viel Mist passieren? Und damit meine ich auch den Kuss!“
Ich musste kichern, es war erfrischend, wie er mich trotzdem noch zum lachen brachte, obwohl er ja selbst durch mein handeln verletzt war.
„Klingt alles ganz schön absurd, was?“ fragte ich ihn versöhnlich.
„Absurd? Aus deinem Leben könnte man den zweiten Teil von \'City of God\' drehen!“ Ich lachte wieder und er dann schließlich auch. Ein wahnsinniges Gefühl durchströmte meinen Körper. Ich hatte diesen Erik, meinen Erik, so vermisst. Ich brauchte ihn. Doch was ich in diesem Augenblick noch viel dringender brauchte, das war eine Taschenlampe. Ich wusste nicht mehr, wo ich genau war. Der Park hatte enorme Ausmaße und ich ahnte nur grob die Richtung, in die ich zu gehen hatte. Der Weg vor mir war undurchdringlich geworden, vollkommen zugewachsen. Die Büsche und Sträucher hatten mir bereits die nackten Beine und Arme zerkratzt, nun war ich an einer Stelle angelangt, an der es beim besten Willen nicht weiter ging. Verzweifelt drehte ich mich um, sah in die dunkle Umgebung und vermied es, auf die vielen Geräusche und Schatten zu achten, die sich jedoch ständig in mein Bewusstsein drängten. Mittlerweile war ich auch wieder nüchtern, zu nüchtern, um allein durch den Park bei Nacht zu laufen und mich NICHT zu fürchten. Hektisch lief ich den Pfad zurück, bis mich ein Schmerz an meiner Kopfhaut kurz aufschrien ließ. Erik reagierte sofort:
„Maya? Alle klar?“ Meine Haare hatte sich in einem Ast verfangen und ich fluchte kurz vor mich hin, während ich die von Haarspray verklebten Strähnen aus dem vorwitzigen Strauch entfernte.
„Maya?!“ Seine Stimme klang leicht panisch.
„Ja, alles klar. Jetzt weiß ich wieder, warum ich in die Stadt gezogen bin. Ich hasse Grünanlagen, sie sind gefährlich!“ Trotzig schritt ich weiter, ich wollte Erik nicht gestehen, dass ich mich verirrt hatte. Mal wieder!
„Wo bist du überhaupt? Ich dachte du wolltest nach Hause gehen?“
„Erinnerst du dich an den Park, von dem ich dir erzählt habe? Der, in dem Lexie und ich den kleinen Kater gerettet haben? Da bin ich.“ Es klang selbstsicherer, als ich mich fühlte.
„Was zur Hölle hast du da verloren? Mitten in der Nacht?“ Er klang besorgt, verständlich, war ja auch mega gruselig hier. Ich versuchte meine Impulshandlung, die ich bereits zutiefst bereute, zu rechtfertigen und vor allem herunterzuspielen.
„Es ist eine Abkürzung zu mir nach Hause und wenn du wüsstest, welche Schuhe ich trage, würdest du nicht so doof fragen. Außerdem ist das nur ein Park, ein von Bäumen und Sträuchern übersätes Areal, völlig ungefährlich und friedlich und -“ Erik unterbrach mich lachend:
„Du hast eine Scheißangst, stimmts?“ Ich blieb stehen, versuchte mich erneut zu orientieren und seufzte resigniert.
„Ja! Hast du eine Ahnung wie dunkel es hier ist? Es ist vollkommen schwarz, überall stehen Bäume, die hier früher noch nicht waren und werfen riesige Schatten und außerdem erinnere ich mich nicht mehr an den Weg! Oh mein Gott! Ich bekomme Panik!“ Schnappartig holte ich Luft als mir meine Situation bewusst wurde. Erik versuchte mich zu beruhigen:
„Ganz ruhig Süße! Geh einfach den Weg wieder zurück, den du gekommen bist und dann gehst du an der Straße entlang nach Hause, okay? Ich bleibe so lange am Telefon und le -“ ...Nichts. Ich hörte nichts mehr.
Abrupt blieb ich stehen, starrte auf mein Handy, tippte wie eine Irre auf den Touchscreen, bis mir klar wurde, dass mein Akku versagt hatte. Sofort klopfte mein Herz wild los. Ich versuchte das Telefon anzuschalten, doch es machte keinen Mucks. Am liebsten hätte ich es vor Wut irgendwo ins Nichts dieses furchtbaren Parks geworfen. Verdammte neumoderne Smartphones deren Akku nicht mal mehr einen Tag durchhielten! Jetzt stand ich hier, allein und orientierungslos, prima!
Ich versuchte mich selbst zu beruhigen. Ich sollte einfach nur Eriks Anweisungen folge leisten, zurück gehen, ganz ruhig und besonnen, und dann eben die Straße entlang, keine Thema! Also ging ich den Pfad zurück, verlor aber ganz schnell den Überblick, ob ich überhaupt noch auf dem ursprünglichen Weg war. Einige Abzweigungen hatten mich ins grübeln gebracht und ich war einfach ohne stehen zu bleiben weiter gegangen. Immer wieder sah ich hinter mich weil ich das Gefühl nicht los wurde, verfolgt zu werden. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und meine Schritte wurden automatisch immer schneller. Dann hörte ich ein leises Knacken ein paar Meter hinter mir. Ich blieb sofort stehen, drehte mich vorsichtig um und starrte verbissen in die Nacht. Ich konnte nicht viel erkennen, vor mir hingen Äste in den Weg und selbst wenn jemand nur einige Meter von mir entfernt gestanden hätte, ich hätte ihn nicht sehen können, so dicht war dieser Teil des Parks bewachsen. Ich staunte über die Wucht der Natur und dachte an genmanipulierte Bäume. So schnell konnte doch hier nicht alles zugewachsen sein? Früher waren hier offene Wege, man konnte nebeneinander mit dem Fahrrad fahren und jetzt kam es mir vor, als würden die Äste nach mir greifen, mich umwickeln wollen und mich dann in den Dschungel ziehen.
Beklommen ging ich weiter, duckte mich unter eine Ahornbusch hindurch und stolperte dabei fast über eine Wurzel, als es hinter mir wieder knackte, lauter und viel näher. Wieder drehte ich mich hektisch um, voller Angst, doch es war auch diesmal nichts zu erkennen. Dann krachte es genau neben mir und ich zuckte vor Schreck zusammen. Panisch drehte ich mich im Kreis, suchte nach der Ursache des Geräuschs, während mir mein Herz in die Hose rutschte. Eine Gänsehaut nach der anderen jagte mir über den Körper.
Dann blieb ich stehen, versuchte mich zusammen zu reißen und ging weiter. Ich musste aus diesem Park raus, sofort! Ich würde sonst den Verstand vor Angst verlieren. Ich atmete ganz bewusst ein und fing an gedanklich mit mir selbst zureden. Hier sind nur Bäume, Sträucher, kleine Tiere und Vögel. Niedliche kleine Vögelchen, die gern mal riesige Äste hinter dir zerknacken, kein Grund zur Panik. Alles schick. Nur kleine Vögelchen, keine aggressiven Kinder aus dem Heim, kein Laslo und erst recht kein Stalker. Nur Vögelchen... KNACK! Ich schrie kurz auf. Das Geräusch kam diesmal direkt links von mir. Ich machte mir nicht die Mühe hinzusehen, ich rannte einfach los. Rannte den Pfad entlang, kopflos und ohne überhaupt auf irgendetwas zu achten, außer meine Füße, die beharrlich einen Schritt nach den anderen nahmen. Blätter und Äste schlugen mir ins Gesicht, Brennnesseln verbrannten mir die nackte Haut an den Beinen und immer wieder stolperte ich über Wurzeln. Ich drehte mich nicht um, hatte aber das Gefühl verfolgt zu werden, obwohl ich über meine eigenen Geräusche nichts weiter hörte, so bildete ich mir doch ein, dass hinter mir jemand war. Entweder ging meine Fantasie mit mir durch oder es war wirklich jemand da, ich wollte es nicht rausfinden. Ich flüchtete immer tiefer in den Park, lief auf einmal durch einen kleinen Bach und versank im Schlamm. Verzweifelt zog ich meine Füße aus dem Morast, verlor dabei das Gleichgewicht und landete auf Händen und Knien im knöcheltiefen Wasser. Ich jammerte vor Schmerz auf, irgendetwas hatte mir in die Hand gestochen, wahrscheinlich ein spitzer Stock. Auf allen Vieren und ziemlich unwürdevoll kroch ich aus der leichten Senke des Baches, schnappte nach Luft und sah mich zum ersten Mal um.
Ich war vollkommen allein und bis auf meinen rasselnden Atem vernahm ich keinerlei Geräusche. Erschöpft ließ ich mich am Rande des Baches fallen, holte erstmal wieder richtig Luft und sortierte meine Gedanken. Panisch durch den Park zu rennen, dass war noch dämlicher gewesen, als alles, was ich an diesem Tag verbockt hatte. Warum war ich so eine Scheißhose? Früher war ich hier dauernd allein unterwegs gewesen, auch mitten in der Nacht und sogar zugedröhnt, selbst da hatte ich nicht so viele Halluzinationen wie heute.
Ich schüttelte mit dem Kopf.
Ich rappelte mich auf, trocknete meine nassen und verklebten Hände an meinem eh schon versautem Kleid und beschloss, einfach dem Bach zu folgen. In spätestens zehn Minuten würde ich dann aus diesem gottverdammten Dickicht wieder die Zivilisation erreichen und morgen würde ich wieder nach Hause fahren, wieder in meiner geliebten Wohnung mit meinen Katern kuscheln. Ich hatte die Schnauze voll, ich wusste ja schon vorher, dass der Aufenthalt hier nicht gut enden würde. Warum hatte ich mich nur von Erik überreden lassen? Aus einem Wochenendaufenthalt bei meinen Eltern war ein richtiger Survival-Trip geworden.
Ich stapfte wie ein gackeliger Storch durch das Unterholz, missachtete das ständige Pochen in meiner Hand und dachte an Eriks warme und wohlige Umarmungen. Gerade fragte ich mich, ob wir uns wieder zusammen raufen würden können, als sich der Vollmund hinter einer dicken Wolke hervortraute. Endlich war es ein bisschen heller und ich begutachtete kritisch meine Hand. Eine kleine Schürfwunde an der Handinnenseite, aus der etwas Blut sickerte, halb so wild. Dann sah ich mich um und erkannte nur wenige Meter vor mir eine kleine Brücke, bestehend aus ein paar Holzbrettern, die über den Bach gelegt worden waren. Diese Stelle kannte ich! Gepackt von Euphorie und Vorfreude lief ich zu der Stelle, von da aus führte ein Weg zu einer der zahlreichen Lichtungen und dann waren es vielleicht noch zweihundert Meter zu Tom und Lexies Elternhaus. Mir war es egal, dass ich an dem Haus vorbei gehen musste und dann einen noch weiteren Heimweg hatte, hauptsache ich kam endlich hier raus.
Siegessicher ging ich einen kurzen Pfad entlang und betrat dann die kleine Lichtung.
Doch die Erleichterung stellte sich nicht ein, im Gegenteil, bei dem, was mich auf der schmalen Wiese erwartete, blieb mir das Herz stehen. Eine dunkle Gestalt hob sich von dem Schatten der Bäume ab, nur wenige Schritte von mir entfernt. Der Umriss löste sich aus dem Schutz der Dunkelheit und kam direkt auf mich zu.
Ich konnte mich nicht bewegen, war vor Schreck wie festgefroren und starrte auf den sich nähernden Menschen. Laslo! -schoss es mir sofort durch den Kopf und ich begriff, dass nun endgültig mein letztes Stündlein geschlagen hatte. Mit klopfendem Herzen, schweißnassen Händen und einer kalten Angst, die mir die Wirbelsäule empor kroch, stand ich regungslos auf der Lichtung und ergab mich meinem Schicksal.
Doch dann spiegelte sich eine blonde Haarmähne im Mondlicht und mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich Tom erkannte.

Er kam mit einem leidenden und verwirrtem Gesichtsausdruck auf mich zu, sah so ganz anders aus und kurz fragte ich mich, ob ich mich nicht doch vor ihm fürchten sollte. In meinem Nacken stellten sich die Haare auf, als ich daran dachte, was Erik behauptete. Kurz vor mir blieb er stehen, ich spannte meinen ganzen Körper an, beobachtete ihn genau und suchte nach einem verrückten Funkeln in seinen himmlischen Augen, doch sein Blick wirkte einfach nur leer, was mir fast noch mehr Angst machte. Er sah mich total entgeistert an:
„Was hast du denn hier verloren?“ Eine ganz normale Frage, ich ließ mich davon nicht irritieren.
„Das selbe könnte ich dich fragen!“ Ich sah ihn fordernd an, irgendetwas störte mich an ihm. Er sah vertraut und gleichzeitig fremd aus.
„Nachdenken.“ Antwortete er abwesend. Ich runzelte dir Stirn.
„Hier? Und über was denkst du da nach?“ Meine Frage klang skeptisch. Tom reagierte nicht mal darauf, er musterte mich nur geistesabwesend von oben bis unten, bis sein zerstreuter Blick an meiner Hand hängen blieb. Sofort beugte er sich hinab und ergriff mein Handgelenk.
„Du blutest ja! Was ist pa -“ Ich entriss ihm mit einem Ruck meinen Arm und trat einen Schritt nach hinten. In diesem Moment hatte ich erkannt, warum er so anders war und warum mir der Anblick trotzdem bekannt vor kam - er war drauf! Fassungslos starrte ich ihn an, er sah mir direkt in die Augen und ich registrierte entsetzt, dass seine Pupillen etwas geweitet waren. Nicht so sehr, wie bei Laslo, aber trotzdem unverkennbar. Er wirkte unglaublich abwesend, als sei er in seiner eigenen Welt gefangen. Ich schüttelte angewidert mit dem Kopf.
„Tom! Bist du irre?!“ Er wusste sofort worauf ich anspielte, sein leidender Gesichtsausdruck verstärkte sich, es wirkte abartig armselig. Mich ekelte es, wie konnte er Lexie nur so verraten?
„Ich...ich...-“ Er begann zu stammeln, klang verzweifelt und mir schnürte es die Kehle zu. „Ich kann es nicht ertragen!“ brach es schließlich aus ihm raus.
„Was?“ schrie ich ihn an.
„Alles! Dich...“ Mein ganzer Körper zitterte. Es war unbegreiflich. Tom nahm noch immer Drogen, an diesem Tag mit Sicherheit nicht zum ersten mal wieder. Mir verschlug es die Sprache, ich wusste nicht was ich sagen sollte. Eigentlich wollte ich nur weg, weg von ihm, raus aus diesem Dorf und weg vor der Vergangenheit. Doch ich musste es ihn fragen, musste es wissen:
„Warum?“ Ich flüsterte es fast und er sah mir direkt in die Augen, sein Blick stach mir mitten ins Herz. Sehnsucht lag darin, ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mir galt.
„Weil DU nicht mehr hier bist!“
Ich schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Er war doch auch nicht mehr hier? Er hatte sich auch nie bei mir gemeldet! Was sollte das auf einmal? Seine kryptischen Antworten verwirrten mich und ich fürchtete immer mehr, dass er den Verstand verloren hatte. Nun stieg Zorn in seinem Gesicht auf, ein finsterer, fast anziehender Ausdruck, der mir allerdings eine Gänsehaut verpasste. Ich schluckte schwer, SO hatte er mich auch noch nie angesehen, so wütend. Wusste er überhaupt, dass ich es war, die vor ihm stand? Verzweifelt versuchte ich mit ihm zu reden:
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst, ich -“ Er unterbrach mich sofort, barsch und ungehalten, er schrie förmlich:
„Du weißt genau wovon ich rede!“ Ich trat einen weiteren Schritt zurück, jetzt machte er mir tatsächlich Angst und ich spürte, wie meine Knie schlotterten. Dann schnappte er blitzschnell meinen Arm und ehe ich mich versah, schliff er mich hinter sich her. Ich schluchzte auf, stemmte meine Füße in den Boden und versuchte mich seinem Griff zu entwinden, doch ich hatte keine Chance. Ohne auf meinen Protest zu achten, stampfte er unerbittlich über die Wiese und schlug die Richtung zu seinem Elternhaus ein. Ich ließ mich auf den Rasen fallen, versuchte ihn aufzuhalten, doch er zog mich sofort wieder zu sich hoch, als wäre ich nicht schwerer als eine Puppe. Dann biss ich ihm vor lauter Verzweiflung in den Arm, dies zeigte Wirkung. Er ließ mich vor Schreck kurz los und ich nutzte den Moment und floh. Vor mir lag der Park, wieder Dunkelheit und Dickicht, doch was hatte ich für eine Alternative?
Ich schaffte genau fünf Meter, dann lag ich der Länge nach auf dem Bauch im Dreck, auf mir Tom und kurz schoss es mir durch den Kopf, dass ich mir das -Tom liegend auf mir – immer gewünscht hatte, nur irgendwie nicht so. Er drückte mich mit seinem Gewicht nieder, umklammerte meine Arme und ich spürte, wir er sich zu mir hinab beugte. Ich strampelte wie verrückt, wand mich wie ein Wurm und keuchte vor Anstrengung, bis ich bemerkte, dass sich Toms Griff gelockert hatte. Ich schaffte es mittlerweile meinen Oberkörper ein Stück zu drehen und sah dann genau in sein stutziges Gesicht. Er lag halb auf mir und sein Blick drückte vollkommenes Unverständnis aus.
„Seid wann hast du Angst vor mir?“ fragte er mich liebevoll. Ich hielt in meiner Bewegung inne und kniff verwundert die Augen zusammen, bevor ich ihm antwortete.
„Seit dem du mich brutal hinter dir her schleifst, Tom!“ Ich war von der Anstrengung kurzatmig und mein Herz hämmerte mir gegen die Brust. Er schüttelte mit traurigen Augen den Kopf und strich mir dann zärtlich über die Haare, ich wich kurz zurück, ließ ihn aber dann gewähren. Warum war er auf einmal so fürsorglich?
„Du brauchst doch keine Angst zu haben, ich will dir nur etwas zeigen!“ Er sprach in völliger Überzeugung, vorwurfsvoll gegenüber meinem Misstrauen und ich hätte ihm sofort geglaubt und über meine panische Reaktion und Flucht vor ihm lachen müssen, doch mir saß noch sein kurzzeitiger Zorn in den Knochen.
Er hatte krasse Stimmungswechsel, dies wurde mir sofort klar und ein Zittern überfiel mich. Solche Gemütsschwankungen waren gefährlich, sehr sogar, sie konnten in einer Schizophrenie enden, wenn es bei ihm vielleicht nicht sogar zu spät war. Ich musterte ihn genau, er sah mich liebevoll und verunsichert an, da war nichts gespielt und es schien so, als könnte er sich an den kleinen Wutausbruch von vor dreißig Sekunden nicht mal erinnern. Sämtliche Härchen stellten sich bei der Erkenntnis, die mich in diesem Augenblick überkam, an meinen gesamten Körper auf: Hatte Tom eine gespaltene Persönlichkeit entwickelt?
Alles deutete darauf hin. Ob es von den Drogen kam oder ob es bei ihm ein Dauerzustand war, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen und ich flehte zu Gott, als eigentlich bekennende Atheistin, dass sein geistiger Zustand augenblicklich von den Drogen herrührte. Die Vorstellung, er hätte eine dauerhafte Psychose, versetzte mich nicht nur in Angst und Schrecken, sondern trieb mir die Tränen der Trauer in die Augen. Das durfte nicht sein! Ich atmete tief ein und zwang mich um Beherrschung.
Es nützte nichts darüber zu grübeln, zu beten oder zu flehen, denn momentan stand er unter dem Einfluss von halluzinogenen Drogen und ich war ihm hier ausgeliefert, also war es wohl besser, dieses Spielchen so lange mitzuspielen und zu verhindern, dass seine Stimmung wieder in die gefährliche Richtung umschwanken würde. Ich schluckte und zwang mich zu einem Lächeln.
„Gut, ich vertraue dir.“ In meiner Stimme war kein verräterisches Zittern, stellte ich erleichtert fest und lobte mich für mein schauspielerisches Talent. Tom lächelte umwerfend schön, ahnungslos und unschuldig, es versetzte mir tausend tiefe Stiche in mein Herz ihn so zu sehen. Was war nur aus ihm geworden?
Er rappelte sich auf, reichte mir seine Hand und zog mich zu sich hoch. Dann nahm er mich in den Arm und führte mich behutsam den mir bestens bekannten Pfad entlang. Ich schwankte an seiner Seite, die Angst fraß sich mein Rückgrat hinauf und trotzdem hielt ich mich aufrecht. Er streichelte behutsam über meinen Rücken und sagte dann leise:
„Ein Glück sind unsere Eltern nicht zu Hause, so sind wir wenigstens ungestört...Lexie!“





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