Wenn 2 Herzschläge ganz besonders klingen, dann nur, weil sie im selben Rythmus swingen :) - Teil 10

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 21.03.2012


Der grelle Laut meiner Türklingel dröhnte mir noch ca. 2 Minuten lang um die Ohren, bis ich im Anflug eines Geistesblitzes endlich manuell die Klingel ausstellte. Fassungslos lehnte ich mich gegen die Wand, mein Herz klopfte laut und schnell gegen meine Brust und endlich konnte ich es mir erlauben gelähmt vor Angst in eine Starre zu fallen. Oh mein Gott! Was für ein Alptraum!
Ich musste mir immer wieder einreden, dass ich in meiner Wohnung sicher war, dass der Mann keine Möglichkeit hatte durch die untere Tür zu kommen, und wenn, dann würde er trotzdem nicht durch meine Wohnungstür gelangen. Nein! Ich war in Sicherheit.
Trotzdem lauschte ich mindestens eine Viertelstunde in den Hausflur und betete darum, keine Schritte auf der Treppe zu hören. Irgendwann traute ich dann, mich wieder zu bewegen. Das Licht lies ich aus. Ich schlich auf Zehenspitzen in mein Schlafzimmer. Immer wieder durchlief mich ein Zittern und meine Hände fühlten sich taub an. Von meinem Schlafzimmerfenster aus konnte ich in den Innenhof sehen. Ich nahm all meinen verbliebenen Mut zusammen und riskierte einen Blick durch das Rollo. Meine Augen suchten den spärlich beleuchteten Hof ab, huschten hin und her, fanden aber keine Gestalt. Das Gefühl der Erleichterung, was mich in diesem Moment überfiel, war einfach nur herrlich und übermächtig.
Ich sank auf den Fußboden und versuchte erstmal wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Oh Mann, das war definitiv der Stoff aus dem die Alpträume waren. Wie ein Horrorfilm, ab jetzt würde ich dieses Genre noch mehr als zuvor verabscheuen. Was war da gerade passiert? Und vor allem: Warum war es mir passiert?
Die Tatsache, dass mich ein unbekannter Mann verfolgt hatte, war an sich gar nicht so schlimm in meinen Augen. So etwas passierte tagtäglich. Es gab überall solche Vorfälle, sei es weil der Täter die Frau ausrauben, überfallen oder einfach nur erschrecken will. Doch was mir besonders Angst machte und was mir in diesem Moment erst richtig bewusst wurde: Mein Verfolger hatte mich nicht zufällig ausgewählt! Nein, er musste mich kennen! Er hatte an MEINER Tür geklingelt, er kannte meinen Namen und er hatte es definitiv auf mich abgesehen.
Die Gewissheit trieb mir die Tränen in die Augen und ich heulte erst einmal verzweifelt los. Scheiße, scheiße SCHEIßE!!! In was war ich da hinein geraten? Was war auf einmal mit meinem Leben los?
So ein Mist passierte doch sonst nur Anderen?
Ich versuchte mich zu beruhigen, zählte langsam bis Zehn und brachte meine Gedanken wieder in Ordnung. Ich durfte mich nicht dazu hinreißen lassen in meiner Angst zu versinken. Logisches Denken half mir mit Sicherheit weiter als sinnloses Rumgeflenne. Ich musste stark sein; ich war ihm entkommen. Außerdem wusste ich ja nicht einmal, was dieser Mensch von mir wollte. Vielleicht hatte er ja gar keine bösen Absichten gehabt? Hätte er diese wirklich gehabt, dann wäre er doch anders vorgegangen? Die kleine Jagd hätte er sich sparen können.
Ich war völlig verwirrt. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf, ich musste dringend mit jemandem reden, eine andere Meinung hören. Ohne groß darüber nachzudenken schnappte ich mir mein Handy und rief Erik an. Erst als es schon tutete, fragte ich mich, warum ich nicht Kim angerufen hatte und bereute die unüberlegte Handlung. Ich war kurz davor aufzulegen, als es verschlafen in der anderen Leitung ertönte:
„Ja???“
„Notfall!“ Irgendwie brachte ich in dem Moment nicht mehr zu Stande und das Wort war nur als ein Hauchen aus meiner Kehle gedrungen.
„Was?“
„Notfall!!“ Schon etwas lauter und eindringlicher.
„Hä?“ Ich verdrehte die Augen, und mich nannte er begriffsstutzig!
„Ich habe einen NOTFALL!“
„Jetzt sag bitte nicht, du rufst mich wieder an, weil ne Spinne in deinem Schlafzimmer sitzt. Hast du eigentlich mal auf die Uhr gesehen? Ich muss Morgen arbeiten und ich habe ein wirklich wichtiges Meeting und ich brauch meinen -“ Ich unterbrach ihn:
„Es ist wirklich ein Notfall!!! Ich...ich...mich hat...“ Irgendwie fiel es mir schwer darüber zu sprechen.
„Bist du betrunken? Du hast doch nicht wirklich ernsthaft zum Sonntag Abend getrunken?! Dein Alkoholkonsum nimmt echt absonderliche Ausmaße an. Und dann belästigst du mich noch mitten in der Nacht, hast du gar kein Gewissen? Du machst mich fertig Maya, ehrlich!“ Warum redete er so viel Unsinn? Ich musste deutlicher werden, das Nächste brüllte ich förmlich:
„Jetzt hör mir doch mal zu!!!“
„Schrei doch nicht gleich so! Aua...das tut ja in den Ohren weh!“ Das war nicht zu fassen. Ich hatte wirklich den Falschen angerufen. Ich zählte innerlich bis drei und begann dann nochmal von vorne.
„Erik! Es ist was wirklich Schlimmes passiert! Könntest du mich bitte ernst nehmen?“
Und das tat er dann auch. Ich erzählte ihm in Kurzfassung was passiert war und auch von der Erkenntnis, dass der Unbekannte meinen Namen wusste, mich also kannte. Erik war während des Berichts still geworden. Ich beendete die kleine Ansprache mit:
„...und jetzt sitze ich hier in meiner finsteren Wohnung und habe eine Scheißangst!“
„Okay okay, ganz ruhig erstmal! Hast du die Polizei verständigt?“ Er klang jetzt genauso aufgelöst wie ich.
„Die was? Willst du mich verarschen? Ich rufe doch nicht die Polizei an!“
„Warum nicht? Das wäre doch das Logischste!“ Er und seine Logik immer...
„Erik – meinst du nicht, ich würde die Bullen rufen, wenn ich wüsste, dass sie mir nützen? Ich hatte nach Lexies Tod genug mit diesem Gesindel zu tun und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Polizei nicht helfen kann. Ich habe sie also nicht verständigt, weil das nichts bringen würde, klar?“ Ich hatte mich etwas in Rage geredet. Meine Erlebnisse, die im Zusammenhang mit den Gesetzeshütern standen, waren nicht die besten und so war ich nicht mal im Ansatz auf den Gedanken gekommen, bei diesen anzurufen. Was sollten sie auch tun? Der Verfolger war verschwunden. Wahrscheinlich würden sie mir nach einem Blick in meine Akte nicht mal mehr Glauben schenken. Erik beharrte jedoch auf seiner Meinung. Das war typisch. Sein Glaube in die Macht und damit verbundene Sicherheit unserer „Freunde und Helfer“ war unerschütterlich, ein ganz normales Verhaltensmuster für jemanden, der in seinem Leben noch nie mit besagten in Kontakt und somit auch in Konflikt geraten war.
„Ich denke du solltest den Vorfall unbedingt melden! Sie müssen dir helfen!“ Er war so überzeugt, dass ich es schon wieder fast niedlich fand.
„Die müssen nen Scheiß Erik! Was denkst du überhaupt? Ein Anruf und mir wird ab sofort 24-Stunden Personenschutz zur Verfügung gestellt?“ Meine Worten schwammen im Sarkasmus. Jetzt verlor Erik die Geduld:
„Was erwartest du von mir Maya? Erst gestern stelle ich fest, dass jemand deinen Rechner auf krasseste Weise gehackt hat, dann erzählst du uns deine noch krassere und schockierende Vergangenheit und jetzt rufst du mich mitten in der Nacht an und erzählst mir mal so nebenbei, dass dich ein Fremder durch die halbe Stadt gejagt hat und womöglich noch vor deiner Haustür lauert! Ich stehe grad einfach nur unter Schock und mache mir tierische Sorgen um dich! Was ist bei dir nur los?“
Ich schluchzte verzweifelt:
„Ich weiß es nicht...“
„Gut! Dann RUF DIE POLIZEI!“ Er betonte jedes einzelne Wort laut und deutlich.
„Nein.“ Es klang wie ein trotziges Kleinkind.
„Soll das ein verdammter Witz sein? Warum denn nur nicht?“ Langsam war er außer sich, ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt.
„Du verstehst das nicht, das erwarte ich auch nicht...“
„Was erwartest du dann? Das ich vorbei geflogen komme und dich rette? Sorry, aber ich bin nicht so wie dein kleiner Held Tom. Ich liefere dir Fakten und sage dir vernünftige Alternativen. Wenn du damit nicht klar kommst, tut es mir Leid!“ Ich war sprachlos. Nur ein Wort kam noch über meine Lippen:
„Arschloch!“ Dann legte ich auf.

Das Gespräch war ja mal gründlich schief gelaufen und ich dachte über Eriks Worte nach. Was hatte ich von ihm erwartet? Mir die Antwort einzugestehen war nicht einfach, aber ich hatte wahrscheinlich gehofft, dass er mich tröstete, dass er mir meine Angst nahm, mich beschützte. Das hätte zumindest Tom getan. Er hätte keine Sekunde gezögert, wäre, um es mit Eriks Worten zusagen „zu mir geflogen“ und hätte mich die ganze Nacht im Arm gehalten. Doch Erik war nicht Tom. Erik war Pragmatiker, ein Vernunftwesen, das sich nicht von Gefühlen leiten lies. Ging es um heldenhafte Beschützertaten, dann war ich bei ihm an der falschen Adresse. Und daraus machte er nicht mal einen Hehl. Er kannte sich selbst ziemlich gut.
Dass mir seine Worte nicht gepasst hatten, obwohl er wahrscheinlich das Richtige gesagt hatte, verbesserte meine Laune nicht im geringsten. Zumindest lenkte mich die Wut von der Angst ab. Das Licht hatte ich noch immer nicht angeschaltet. Ich schlich nochmal zum Fenster und spähte auf den Hof, es war niemand zu sehen. Resignierend und ziemlich fertig ging ich in die Küche, nahm die angebrochene Flasche Wein, goss mir ein Glas ein und leerte dieses schonungslos auf Ex. Sofort wurde es in meinem Bauch angenehm warm und ich spürte, wie sich Geist und Körper entspannten. Auf diese Weise wurden Menschen zum Alkoholiker, dachte ich verbittert. Aber was blieb mir übrig?
Ich ging leicht schwankend in mein Schlafzimmer, schlüpfte aus meinen Klamotten und zog mir nur ein langes T-Shirt über, dann fiel ich ins Bett. Ich kuschelte mich ganz tief in meine Kissen, die Kater legten sich zu meiner Rechten und Linken und ihr regelmäßiges Schnurren beruhigte mich noch mehr. Ich lauschte in die Nacht, wartete auf verdächtige Geräusche im Hausflur und schlief irgendwann ein.

Meine Wecker klingelte erbarmungslos am nächsten Morgen und läutete damit die Normalität des Alltags ein. Ich fand es irgendwie unpassend, dieses banale Geräusch am Morgen nach so einer Nacht.
Ich sah als erstes auf mein Handy, drei verpasste Anrufe von Erik. Da hatte wohl jemand doch ein schlechtes Gewissen! Ich drückte ziemlich selbstgefällig die Anzeige weg und stand auf. Dann folgte der übliche morgendliche Ablauf, aus der Routine der tagtäglichen Rituale schöpfte ich Kraft und die Vorkommnisse des letzten Abends verblassten. Je mehr Zeit verging und je mehr normales Sachen ich tat, umso unwirklicher wurde die Verfolgungsjagd in meiner Erinnerung. Als ich auf dem sonnigen Balkon stand und meine erste Zigarette in Kombi mit einer großen Tasse Milchkaffee genoss, hatte ich alles schon fast in die hinterste und dunkelste Ecke meines Kopfes manövriert. Ich war ein Verdrängungskünstler, das hatte man mir ironischerweise sogar beigebracht. Gedanken ausschalten, Ablenkung – das war ein Hauptbestandteil meiner Therapie gewesen. Und jetzt kamen mir diese Methoden sogar zu Gute. Das dies auf Dauer keine Lösung war, das wusste ich. In der Therapie wurde mir das nur beigebracht, um erstmal den Schmerz zu überwinden und ein halbwegs normales Leben führen zu können. Das man sich früher oder später den Problemen IMMER stellen musste, war eine Grundregel, die ich momentan ebenfalls verdrängte.
Es würde wieder ein richtig heißer Tag werden. Lang anhaltende Hitzewellen verschafften mir normalerweise besonders gute Laune, ich war ein Sommerkind und konnte selbst bei Temperaturen über 30°C noch jeden Sonnenstrahl genießen. An diesem Tag schwebte dennoch meine ganz persönliche dunkle Wolke über mir und so zog ich mich mies gelaunt an und machte mich auf den Weg zur Arbeit.
Im Treppenhaus wurde mir dann doch etwas mulmig und ich musste meine flatternden Nerven beruhigen. Im Hinterkopf nagte die Angst in mir, dass der Typ vielleicht doch noch vor der Haustür auf mich wartete. Ich musste mich regelrecht runter fahren und sagte mir, dass es hellerlichter Tag war und die Straßen waren voller Menschen, ein ziemlich ungünstiger Moment für einen Überfall. Dennoch öffnete ich ganz vorsichtig und mit schwitzig kalten Händen die Haustür und blinzelte vorsichtig auf den Hof.
Es war nichts zu sehen und ich ging zielstrebig los. Im Augenwinkel sah ich nur, wie sich ein menschlicher Umriss direkt neben mir von der Hauswand abhebte und ich schrie vor Schreck einen spitzen kurzen Schrei aus und zuckte heftig zusammen. Ich war kurz davor wieder wie von der Tarantel gestochen drauf los zu rennen, als ich jedoch erkannte, dass es Erik war, der da lässig an der Hauswand lehnte und mich mit einem unergründlichen Blick musterte.
„Na? Noch am Leben?“ Seine selbstgefälligen Sprüche konnte er sich sonst wohin stecken und ich ging kommentarlos an ihm vorbei. Ich bedachte ihn ausschließlich mit einem Wonach-siehts-denn-aus-Blick und verzog meinen Mund zu einer harten Linie. Nach wenigen Metern hatte er mich eingeholt und wir liefen erst einmal schweigend nebeneinander her.
Ich musterte ihn unauffällig und ärgerte mich über seine Erscheinung. Wieso sah er immer so pedantisch perfekt aus? Er trug ein dunkelblaues Hemd über einer schwarzen Anzughose. Das Hemd steckte in der Hose und man sah, dass er eine ausgesprochen wohl proportionierte Figur hatte. Er war schlank, groß und wirkte nicht mehr so schmächtig, wie noch vor 4 Jahren, als ich ihn kennen gelernt hatte. Aus ihm war ein richtiger Mann geworden, mit Muskeln und einem untrüglichen Geschmack für italienische Mode.
Nur sein Haar war wie immer total unordentlich und stand wild in alle Richtungen ab. Dieser Stilbruch im Kontrast zu seiner Kleidung verlieh ihm eine einzigartige Aura. Er sah echt sehr gut aus, zu gut, fast sexy...- Nein! Was dachte ich denn da und warum starrte ich ihn andauernd von der Seite an? Um Himmels Willen, was war nur los mit mir. Solche Gedanken bezüglich Erik? Puhhh...
Als könnte er meine Blicke deuten, fing er plötzlich an mit mir zu reden:
„Ich habe gestern, nachdem du auf meine Anrufe nicht reagierst hast, eine ziemlich kindliche Verhaltensweise nebenbei bemerkt -“ Ich unterbrach ihn barsch:
„Ich habe schon geschlafen!“
„Wie auch immer. Was ich sagen wollte, ich habe dann Kim angerufen. Sie wusste von nichts!“
Ich ahnte noch nicht worauf er hinaus wollte und blieb bei meiner ablehnenden Haltung.
„Und?“
„Tja..und dann habe ich Luca angerufen. Und auch ihn hattest du nicht kontaktiert!“
„Wieso sollte ich denn Luca anrufen???“ Das einzige, womit Luca meinen Angreifer hätte verscheuchen können, wäre wahrscheinlich eine Geschlechtskrankheit gewesen. Erik blieb stehen und hielt mich vom Weitergehen ab, indem er mich sanft am Arm festhielt.
„Wieso hast du ausgerechnet mich angerufen? Und nur mich?“ Er sah mir sehr eindringlich und wahnsinnig tief in die Augen. Kurzzeitig verlor ich mich in den Seinen. Sie glitzerten golden im Tageslicht und ich erkannte vereinzelnd bräunliche Sprenkel rund um die Iris. Sein Blick verursachte ein zartes Prickeln in meiner Bauchgegend. Ich entzog ihm erschrocken meinen Arm. Er macht mich auf einmal total verrückt und ich wusste auch plötzlich, worauf er hinaus wollte. Hatte er bemerkt, dass ich ihn öfter als sonst betrachtete? Ich wurde leicht rot und mir war die Situation peinlich. Ich hatte ihn in letzter Zeit oft beansprucht und dachte daran, dass ICH es ja gewesen war, die ihn jedes Mal angerufen hatte. Und auch ich war an seiner Schulter gelehnt eingeschlafen. Es war an der Zeit, ein eindeutiges Zeichen zu setzen und ich antwortete schnippisch:
„Wenn ich Toms Nummer haben würde, dann wäre es definitiv er gewesen, den ich angerufen hätte!“ Ich wusste nicht warum, aber schon während ich diesen Satz aussprach läutete eine winzige Alarmglocke in meinem Kopf und ich fühlte mich auf einmal schlecht. Richtig schlecht. Und noch viel schlechter, als ich einen winzigen Anflug von Enttäuschung mit einem wissenden Aufflackern in Eriks Bernstein-Whisky-Honig-Augen sah. Dann blickte er sofort weg und ging langsam weiter. Ich folgte ihm.
Das Prickeln in meiner Magengegend war schon längst einem hohlen undefinierbarem Gefühl gewichen. Erik lies ein klein wenig den Kopf hängen und mich beschlich eine verstörende Vermutung. Doch er lies mich den Gedanken nicht zu Ende denken:
„Ich bin noch immer der Überzeugung, du solltest mit der Polizei in Kontakt treten. Ich erwarte ja nicht, dass sie sofort Spurensuche und damit Verfolgung aufnehmen, aber vielleicht haben sie einen Tipp für dich. Einen Rat, wie du dich am besten verhalten sollst. Und ich halte es für klug, sie zumindest über diese Vorfälle zu informieren.“ Jetzt fing er schon wieder mit diesem leidlichen Thema an. Ich seufzte und verdrehte die Augen.
„Ich geh nicht zu den Bullen! Schluss, aus, Ende! Mich kriegen da keine 10 Pferde hin, okay?“
Erik schüttelte resignierend den Kopf.
„Ich kapiers nicht! Du bist so stur wie ein trotziges Kleinkind! Und du bist unvernünftig! Deine Gedankenwelt ist komplizierter als die Relativitätstheorie und dabei bist du doch so einfach gestrickt! Ich werde aus dir nicht schlau!“ Oha! Da war der alte Erik wieder! Und wie er da so vertraut herablassend mit mir sprach, kündigte sich sofort dieses Prickeln wieder an.
Wir waren mittlerweile vor meiner Filiale angekommen und blieben vor dem duftenden Geschäft stehen. Ich war spät dran, der Laden hatte schon geöffnet.
Ich lächelte Erik zum Abschied an, froh, dass er wieder „der Alte“ war und etwas verwirrt über meine Gefühle. Jetzt musste ich mir doch mal ernsthafte Gedanken über diese neuen Entwicklungen machen. Wie war das noch? Verdrängen bringt nichts? Pah!
„Ich wünsche dir einen schönen Arbeitstag!“ Mein Lächeln ging über das ganze Gesicht und sollte eigentlich ironisch und verzerrt wirken. Ich hoffte, dass es bei ihm so an kam.
„Ja, bis heute Abend!“ Jetzt war es an ihm ein absolut fieses Grinsen aufzusetzen. Ich sah ihn verwirrt an.
„Wieso heute Abend?“ Ich war leicht verdattert. Unter der Woche trafen wir uns nur Mittwochs im Copa auf ein bis zwei Drinks, Bergfest feiern. Sein Grinsen wurde noch breiter und er sagte ziemlich arrogant und ohne Wiederworte zu erwarten:
„Weil ich so lange bis du zur Polizei gegangen bist, dich jeden Tag zur Arbeit begleiten und auch wieder abholen werde. Du wolltest einen Bodyguard, jetzt bekommst du ihn! Schönen Tag noch, Zuckerschnitte!“ Dann gab er mir einen flüchtigen Schmatzer auf die Wange und verschwand schnellen Schrittes die Straße entlang.

Ein klein wenig verärgert, aber eigentlich mehr glücklich ging ich gedankenverloren in das Geschäft, begrüßte die Verkäuferinnen und bahnte mir meinen Weg durch bunte Regale hin zu der Tür, hinter welcher die Treppe hinauf zu den Büros der Personalabteilung führte.
Mir blieb keine Zeit, um nochmal an Erik, sein Verhalten, meine beängstigenden und gleichzeitig peinlichen Empfindungen und damit verbundene Konsequenzen zu denken, denn auf dem Weg zu meinem Schreibtisch tippelte mir schon Nina mit klickenden Stöckelschuhen aufgeregt entgegen. Sie säuselte mir ein „Da hat jemand etwas für dich abgegeben!“ in die Ohren und zwinkerte wissend.
Ich blickte stutzig auf das winzige Paket vor meinem Arbeitscomputer. Es war klein, mit rotem Papier umwickelt und an den schwarzen Geschenkband hing eine einsame kleine Rose. Mein vollständiger Name, Maya Hansen, und die Geschäftsadresse standen in schnörkeligen und irgendwie altmodischen Buchstaben auf der rechten oberen Hälfte des Päckchens.
Nina stand hinter mir und beugte sich ungeduldig zu dem Geschenk hinab. Ich fragte sie:
„Weißt du wer das abgegeben hat?“ Sie blickte mich aus ihren haselnussbraunen Augen an.
„Nein, das lag schon hier als ich vorhin gekommen bin. Wahrscheinlich mit der Post...oder irgendeinem Paketlieferant. Was weiß ich. Mach es schon auf!!!“ Ich konnte mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wer mir ein Paket auf Arbeit schicken sollte, trotzdem war ich neugierig ob des Inhalts und löste zaghaft die Schleife und das Papier. Ich öffnete die darunter liegende kleine Pappschachtel und zum Vorschein kam ein Lipgloss.
Stutzig nahm ich ihn aus der Schachtel und betrachtete ihn genau. Er war von der Marke, die ich immer benutzte. Ziemlich teuer, aber mit dem Geschmack von Erdbeeren und Vanille. Es war sogar die gleiche Farbe, die ich schon seit Jahren verwendete. Er war zur Hälfte aufgebraucht und sah benutzt aus, kleine Kratzer am Verschluss verrieten, dass er wahrscheinlich schon länger in einer unaufgeräumten Tasche herum geflogen war. Moment...Tasche!!!
Leicht zittrig nahm ich mir meine Handtasche, diejenige, die ich gestern Abend auf der Flucht erst wegwerfen wollte. Ich suchte wie verrückt, kramte panisch alle Fächer durch, schüttelte letztendlich voller Ungeduld den gesamten Inhalt auf meinen Schreibtisch, nur um ernüchtert festzustellen, dass sich in dort kein Lipgloss mehr befand. Nein. Mein Lipgloss lag hier vor mir, in der mysteriösen Schachtel! Mein Herz pochte sofort wieder schneller und mir wurde ganz heiß.
Ich sah nochmal in die Schachtel und stellte erschrocken fest, dass am Boden ein zusammengefalteter Zettel lag. Bitte nicht!
Ich zog ihn ganz langsam und vorsichtig hervor, öffnete ihn widerwillig und als ich das Geschriebene las, lief mir nicht zum ersten Mal seit der letzten Tage ein eiskalter Schauer den Rücken herunter.
„Den hast du gestern Abend verloren!“





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