Wenn 2 Herzschläge ganz besonders klingen, dann nur, weil sie im selben Rythmus swingen :) - Teil 24

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 17.08.2012


Ich habe fertig :D
Und bin verdammt stolz auf mich. Unglaublich! Ich habe eine Geschichte geschrieben!!!Über ein halbes Jahr hat es gedauert und mir einige Nerven gekostet, trotzdem hat es so viel Spaß gemacht. Ohne euch wäre ich nie so weit gekommen ♥

Achja...und: Rhythmus wird mit zwei h's geschrieben ;)

Nun viel Spaß!!!








Die nächsten Wochen lebten wir in einem Vakuum aus rosaroter Watte, pinken Wölkchen und kleinen, roten Mini-Herzchen, die uns beständig aus den Augen schossen.
Erik wurde das Zentrum meines Daseins, der Mittelpunkt meines Lebens und ich hatte kein bisschen vor, diesen Zustand zu ändern. Es war einfach zu schön mit ihm. Ich hatte mich weitestgehend erholt, bis auf ein paar lästige Alpträume und die feinen dünnen Narben an meinen Hand- und Fußgelenken, war ich wieder ich selbst und konnte mein Leben langsam so richtig genießen. Leider kämpfte ich manchmal noch mit den Erinnerungen, es war unvermeidlich, dass sie mich ab und zu aus dem Nichts überraschten – das gehörte dazu. So war es nach Lexies Tod auch gewesen. Doch diesmal konnte ich alles viel besser verkraften, ich hatte endlich jemanden an meiner Seite. Jemanden, dessen völlige emotionale und moralische Unterstützung nur mir galt und auf den ich mich hundertprozentig verlassen konnte. Die Welt drehte sich weiter und ich hielt Schritt.
Kim und Malte waren mittlerweile ein Pärchen, auch wenn ich Kims Beweggründe nicht ganz nachvollziehen konnte, so freute ich mich trotzdem für die Beiden. Sie waren genauso erschreckend verliebt und turtelten den ganzen Tag vor sich hin, manchmal gingen wir uns mit unserem Geschnulze sogar gegenseitig auf den Sack – wir waren zu so einer verachtenswerten Doppelpärchen-wir-können-die-ganze-Welt-umarmen-Truppe geworden. Früher hatte ich diese Menschen gehasst, wenn sie alle freudestrahlend und dauergrinsend an einem Vierertisch im Copa saßen und ich mir heimlich vorstellte, dass sie garantiert niemals so glücklich waren wie sie da taten. Tja und ausgerechnet zu so einer war ich geworden – und ich brauchte nicht mal so zu tun, denn ich war wirklich absurd zufrieden, wirklich erschreckend.
Der arme Luca hielt es nie lange in unserer Gegenwart aus und vögelte munter weiter all das, was bei drei nicht auf den Bäumen war – und das war meistens blutjung, blond und ziemlich dämlich. Franzi kam nur noch sporadisch zu uns. Sie hatte wahrscheinlich nie ganz verkraftet, dass ausgerechnet ich, die Mittelmäßigkeit in Person, mit diesem hochintelligenten, von-mir-mit-Sicherheit-ganz-schnell-gelangweilten Informatikergenie zusammen war und das wir zu allem Übel auch noch verdammt glücklich waren. Ein kleines bisschen erfreute mich ja ihr Neid, obwohl ich das vor Erik nie zugegeben hätte.
Die Arbeit hinter dem Tresen hatte ich an den Nagel gehängt. Gerade in den Wochen nach der Alptraumnacht war ich seelisch und körperlich nicht im Stande gewesen, mit kundenfreundlichem Lächeln einen Drink nach dem anderen zu servieren. Die Zeiten waren eindeutig vorbei. Ich verdiente in meinem Hauptberuf genug, außerdem wollte ich die gewonnene Freizeit ganz uneigennützig mit meinem Liebsten verbringen. Gerade hatten wir beschlossen, dass wir bald zusammenziehen würden. Erik war sowieso Tag und Nacht bei mir, ich schlief nur ungern bei ihm, da sonst die Kater alleine waren und in dieser Hinsicht war Eriks schlechtes Gewissen meist größer als mein eigenes – er vergötterte die Fellnasen. Wir würden eine hübsche kleine Patchwork-Familie ergeben, zusammen mit dem Aquarium voller Guppies, welches ganz einsam und unterpflegt bei ihm verlassen vor sich hinvegetierte. Bei dem Gedanken, ihn offiziell in meiner Wohnung zu haben, machten meine Eingeweide eine freudige Drehung. Zusammenziehen – das war sowas wie eine erste Bewährungsprobe unserer Beziehung und gleichzeitig der Beweis schwarz auf weiß, Maya Hansen und Erik Nolte – ich freute mich schon auf das Klingelschild.
Ich schlenderte verträumt und mit mir selbst im Reinen durch die Kölner Innenstadt. Es war Donnerstag Abend, ich wollte noch einkaufen und einen kurzen Abstecher bei LUSH einlegen, da mir meine Lieblingsbodybutter ausgegangen war. Danach würde ich etwas köstliches zum Abendessen für uns kochen und wir würden den Tag wahrscheinlich auf dem Sofa ausklingen lassen – mein Gott, was waren wir für Spießer geworden.
Ich lief schnell durch die Einkaufsstraße, hielt mir meine zu dünne Jacke fest an den Körper und verfluchte den Herbst, als mir direkt in der Menschenmasse der Geschäftsmeile ein flüchtig bekanntes Gesicht ins Auge stach. Ich blieb sofort stehen, machte quasi eine Vollbremsung und ein Passant, der hinter mir gelaufen war, knallte mit mir zusammen.
„Dämliche Kuh!“ Er zischte mich an und lief dann kopfschüttelnd an mir vorbei. Ich registrierte ihn nur aus dem Augenwinkel, meine volle Aufmerksamkeit galt den dunklen Augen, die mich aus fünf Metern Entfernung anstarrten.
Jesse, der unheimliche Ex-Mitbewohner von Tom. Ich hatte in den letzten Wochen zu oft über ihn nachgedacht, dank Lenas beiläufiger Enthüllung, dass Tom wahrscheinlich bei ihm gewesen war. Mein erster Instinkt war Flucht. Ich war kurz davor umzudrehen und mich wie ein Berserker durch die Schildergasse zu kämpfen, während er bereits steif auf mich zu kam.
Dann besann ich mich, straffte die Schultern und setzte einen abwesenden Blick auf.
„Hallo Maya.“ Jesse presste sich ein freundliches Lächeln heraus, was in seinem finsteren Gesicht irgendwie fehl am Platz wirkte. Ich nickte nur zur Begrüßung. Sofort erinnerte ich mich kurz an unsere letzte Begegnung, wie schrecklich dieser Abend ausgegangen war.
„Wie geht es dir?“ Auch die Frage wirkte unecht. Ich zuckte mit den Schultern und antworte so knapp wie möglich. „Bestens.“
Nervös strich er sich über seine kurzen schwarzen Haare, es sah aus, als würde er mit den Worten ringen und wüsste nicht so recht, was er sagen sollte. Mir ging es ähnlich, mal davon abgesehen, dass ich überhaupt nicht mit ihm reden wollte. Von ihm ging eine bedrohliche Aura aus. Die zahlreichen Tattoos, die Plugs und Piercings und dazu die nachtschwarzen Augen. Ich fragte mich ernsthaft, warum ich ihn überhaupt anziehend gefunden hatte, er war ein überheblicher Macho, der davon ausging, dass ihm alle Frauen zu Füßen lagen. Selbst hier auf der Straße registrierte ich die neugierigen Blicke, die er sich von zahlreichen, vorbei laufenden Schickimicki-Püppchen einfing. Er leckte sich kurz die Lippen, eine Geste, mit der er wahrscheinlich die gesamte weibliche Spezies in den Wahnsinn trieb. Dann sprach er wieder. „Ich habe davon gehört, was dir passiert ist...-“, er stockte kurz. „ -mit Tom.“ Ein fieser, altbekannter Blitz fuhr durch meinen Körper, doch ich ließ mir die Reaktion nicht anmerken. Ich presste die Lippen aufeinander und schwieg weiterhin. Kurz wartete er auf meine Antwort, doch schnell schweifte sein Blick ab, er hielt meinen Augen nicht stand. Dann räusperte er sich lautstark, verzog die Lippen zu einer nachdenklich Schnute und legte den Kopf schief. Seine ganze Art widerte mich an.
„Vielleicht sollten wir kurz irgendwohin, wo es ruhiger ist?“ Er sah sich schon suchend um, während ich mich wie betäubt fragte, warum um alles in der Welt er mit mir irgendwohin wollte. Das fragte ich ihn dann auch kurzerhand in einem leicht empörten Ton. „Wo sollten wir denn bitte hingehen? Ich wüsste nicht wozu!“ Meine Worte lenkten ihn von der Suche ab, er sah wieder zu mir und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Weil ich gerne mit dir reden würde.“ Dieser plötzliche selbstsichere Ausdruck in seinem Gesicht brachte mich zurück in die Wirklichkeit. Was glaubte er eigentlich wer er war? Einmal schief lächeln und mit dem Finger schnippen, zack – schon dackelte ich ihm brav hinterher? Ich hatte keine Lust mit diesem aufgeblasenem Hahn über mich, Tom und alles was damit zusammenhing zu reden, geschweige denn, ihm seine neugierigen Fragen zu beantworten. Er war wahrscheinlich nur sensationsgeil und wollte irgendwelche Einzelheiten aus mir herauspressen. Ich schnaubte abfällig. „Schön, dass du das willst. Ich allerdings, habe keine Zeit und erst recht kein Interesse auf einen Plausch mit dir. Machs gut Jesse!“ Ich straffte die Schultern, zog die Jacke noch enger um meinen Körper und machte auf dem Absatz kehrt. Ich mühte mich um einen würdevollen Abgang, wurde aber sofort aus dem Gleichgewicht gebracht, als sich eine Hand fest um meinen Oberarm schloss. Augenblicklich schlug mein Herz schneller und ich unterdrückte einen Anflug von Panik. Ganz ruhig drehte ich mich wieder zu ihm um, sah ihm fest in die schwarzen Augen und sagte mit zusammengepressten Zähnen: „Lass mich sofort los, oder ich schreie die ganze Innenstadt zusammen.“ Der Griff um meinen Arm lockerte sich, Jesse blickte verwundert auf mich hinab. „Ganz ruhig Maya, ich will dir doch nichts tun. Mein Gott!“ Er schüttelte verständnislos mit dem Kopf und betrachtete mich, als sei ich eine durchgeknallte Irre. Ich ignorierte diesen demütigenden Blick und konterte bissig. „Was willst du dann? Und lass mich endlich los!“ Dabei deutete ich vielsagend auf seine lästige Hand. Er ging nur auf meine Frage ein. „Ich will mich bei dir entschuldigen.“ Jetzt stutzte ich. Was war das denn? Mussten sich eigentlich ständig alle bei mir entschuldigen? Das war doch nicht normal! Ich beschloss, mich nicht auf diese Psychospielchen einzulassen und entgegnete kühl: „Für was willst du dich denn entschuldigen, immerhin- “ Er unterbrach mich, indem er mir ein Zitat entgegen schleuderte und dabei seine Stimme verstellte. „Heute wäre ihr Tag gewesen, du hast ihn ihr genommen. Wenn du nicht wärst, wäre sie noch da.“ Ein vielsagender Blick folgte. „Na? Sagt dir das noch was?“
Erst verstand ich nicht, der Satz klang vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen und ich stellte kurzzeitig seinen geistigen Zustand in Frage, da er einen wirklich verdammt merkwürdigen Ton angeschlagen hatte und mich dabei auch noch angrinste. Doch als ich bemerkte, dass mir die Wortwahl ziemlich bekannt vor kam, überfiel mich eine gewaltige Gänsehautwelle. Ich konnte nicht fassen, was er da eben zu mir gesagt hatte! Mir blieb förmlich die Spucke weg und mein Mund stand offen, während ich wie versteinert zu diesem unheimlichen Mann hinauf sah. Er hatte gerade jene merkwürdige SMS zitiert, die ich an einem gewöhnlichen Freitagmorgen erhalten hatte und mit welcher meine kleine Welt zusammengebrochen war. In meinem Hirn ratterte es wie in einem alten Ottomotor. Woher kannte er diese Nachricht? Er schmunzelte selbstgefällig. Bei mir setzten irgendwie sämtliche Alarmglöckchen aus und ich wollte nur noch eins: Ich wollte Antworten auf meine Fragen, die Ungereimtheiten und Rätsel der Zeit vor meinem Aufenthalt in meiner Heimat. Erik und ich hatten in den letzten Wochen so viel spekuliert, dass wir irgendwann aufgegeben und beschlossen hatten, auf die Gerichtsverhandlung zu warten. Auch wenn es uns brennend interessiert hatte, wie Tom es geschafft hatte, mich förmlich zu stalken und dabei stets und ständig wusste, wo ich mich aufgehalten hatte. Erik war sich mehr als sicher gewesen, dass Jesse dabei eine Rolle spielte, was ich allerdings immer bestritten hatte, den Grund wollte ich mir jedoch nie eingestehen. Nun fragte ich mehr als zögerlich: „Als wir uns das erste Mal begegnet sind, vor dem Copa, das war kein Zufall, oder?“ Meine Stimme zitterte etwas, aber es war mir egal. Er hatte wenigstens noch den Anstand, seine Augenlider zu senken, bevor er meine Frage beantwortete. „Nein. Das war selbstverständlich kein Zufall.“
Wir saßen in einem kleinen Café, das Geschäft war fast leer und wir hatten uns an einen hinteren Tisch niedergelassen. Eine Übelkeitswelle nach der anderen überfiel mich. Als die rundliche Kellnerin mich mit einem übertriebenen Lächeln nach meiner Bestellung fragte, war ich nicht in der Lage zu antworten und Jesse bestellte schnell zwei Kaffee, wartete ab, bis die Frau geschäftig verschwunden war und wandte sich dann mir zu. „Was ich dir jetzt erzähle, habe ich der Staatsanwaltschaft schon längst mitgeteilt, du hättest es also spätestens zur Gerichtsverhandlung erfahren, doch ich dachte mir, es wäre für dich vielleicht besser, wenn du darauf vorbereitet bist.“ Wie gütig von ihm, dachte ich sarkastisch und sah ihn schweigend an. Er seufzte leise und es kam mir vor, als fiele es ihm ab jetzt sehr viel schwerer, mir in die Augen zu sehen. „Ich hatte wirklich keine Ahnung, das Tom so weit gehen würde, geschweige denn, dass er so krank im Kopf ist.“ Seine Einleitung bereitete mir allein schon eine Gänsehaut. Ich wollte irgendetwas gemeines erwidern, mir fiel aber beim besten Willen nichts ein. Ich stand unter Schock, allein schon die Tatsache, dass unser erstes Zusammentreffen Absicht gewesen war, warum auch immer, machte mir zu schaffen. Warum hatte ich diesen irrwitzigen Zufall nie in Frage gestellt? Und WARUM zum TEUFEL habe ich mich von diesem intriganten Arschloch küssen lassen?! Ich war so naiv und verabscheuenswert. Während ich mich gedanklich selbstkastaite, begann Jesse seinen widerlichen Bericht und ich fühlte mich ein paar Wochen zurückversetzt, als Lena bei uns war und ich zum ersten Mal erfahren hatte, dass ein wildfremder Mensch an meine Alpträumen eine Teilschuld trug, hier erfuhr ich es zum zweiten Mal. Erik fehlte an meiner Seite, ganz gewaltig!
„Vor ein paar Wochen schlug Tom urplötzlich bei mir auf. Seit meinem Auszug vor über einem Jahr hatten wir kaum noch Kontakt, sein Besuch überraschte mich, ebenso wie sein Auftreten. Er wirkte zerstreut, übernächtigt und nicht ganz bei sich selbst. Er sagte, er hätte in letzter Zeit schockierende Dinge erfahren, viel gearbeitet und wäre jetzt hier, um etwas zu regeln. Dabei bräuchte er meine Hilfe, schließlich stand ich in seiner Schuld.“ Kurz stoppte er in seiner Erzählung, die Kellnerin knallte den Kaffee vor uns auf den Tisch. Meine Hände umschlossen wie automatisch den Keramikbecher, sie waren eiskalt und die Wärme des Gebräus hauchte ihnen wieder Leben ein. „Was wollte er von dir?“, fragte ich knapp. Jesse sah mich mitleidig an. „Es war nur ein kleiner Gefallen. Er bat mich, dir dein Handy für wenige Sekunden zu entwenden.“
Schon war ich überfordert. Mein Handy? Ich verstand rein garnichts. Jesse redete unbeirrt weiter. „An dem Morgen, bevor wir zusammen im Copa waren, da hast du eine SMS bekommen, richtig?“ Ich nickte, er hatte die SMS ja vor wenigen Minuten noch wortwörtlich zitiert. „Und du hast auf diese SMS nicht geantwortet, oder?“ Diesmal schüttelte ich mit dem Kopf, nein, ich hatte wie immer, das war ja meine Paradedisziplin, alles ignoriert und verdrängt. Nie im Traum wäre ich darauf gekommen, auf diese unheimlich Botschaft auch noch zu antworten. Jesse fühlte sich durch meine Reaktion bestätigt.
„Davon ist Tom auch ausgegangen und an dieser Stelle kam ich ins Spiel.“ Er senkte kurz den Blick , es schien, als würde er schnell Kraft schöpfen, um dann weiterzureden. „Ich sollte mich an diesem Abend an dich ranmachen, so weit, dass ich unauffällig an dein Handy kommen würde und auf genau diese Nachricht eine simple Antwort verschicken konnte.“
Nun fühlte ich mich zu allem Übel nicht nur noch unwissend und dumm, nein – vor allem fühlte ich mich einfältig. Ich hatte geglaubt, dieser Mann hätte wirklich Interesse an mir gezeigt, damals, obwohl ich es da schon nicht fassen konnte, doch nun hatte er mir netterweise erklärt, dass das alles nur ein Spiel gewesen war. Diese Faszination von mir, das Zueinander-hingezogen-Gefühl, alles nur geheuchelt. Sehr schön. Also war ich nach wie vor ein Mädchen absolut außerhalb seiner Reichweite, sehr ernüchternd. Dummerweise fühlte ich mich in meinem Stolz verletzt, ich eitle Gans und nun konnte ich ihm wiederum nicht mehr in die Augen sehen. Ich riss mich zusammen und versuchte die Verbitterung zu überspielen, indem ich ihn über Details ausfragte. „Erklär mir bitte, was es mit dieser SMS auf sich hatte. Ich kann dir nicht folgen.“ Er schien meine distanzierten Worte zu überdenken. „Die SMS war eine Art Virus.“ erklärte er „Der Virus wird allerdings nur durch eine Antwort aktiviert. Das funktioniert so, als würdest du irgendwo den AGBs zustimmen. Durch eine Rück-SMS erlaubst du dem Virus, sich auf deinem Smartphone auszubreiten. Natürlich ist das nicht legal und auch kaum bekannt, doch immer wieder schaffen es Hacker, solche Programme zu entwickeln.“ Erik hätte wahrscheinlich bestens verstanden, was er da faselte. Ich beschränkte mich darauf, so zu tun, als würde ich ihm komplett folgen können. „Was für eine Art Virus war es?“ Nun lächelte Jesse wieder, fast, als wäre er stolz auf diese geniale Enthüllung. „Ein GPS-Tracker.“, sagte er freudestrahlend.
Gut, nun musste ich mit offenen Karten spielen und meine geistige Unterlegenheit im vollem Maße zugeben. „Ich habe keine Ahnung, was das sein soll.“, gab ich herausfordernd zu. Zu meiner Verblüffung erhielt ich keinen abfälligen Blick, sondern sah nur das Feuereifer in den Augen meines Gegenübers, er schien total fasziniert zu sein. „Der Virus aktiviert heimlich dein GPS und sendet dann deine ID an den Hacker. Dank unseres neumodernen Zeitalters und haufenweise Satelliten im Weltall, war es Tom somit möglich, ständig zu wissen, wo du dich gerade aufgehalten hast. Zumindest dann, wenn du dein Handy bei dir hattest, was wahrscheinlich immer der Fall war.“ Meiner Meinung nach, klang er wirklich etwas zu begeistert. Er schien völlig vergessen zu haben, dass dieses Programm absolut illegal war und was es letztendlich angerichtet hatte. Das machte mich wütend, sehr sogar. „Und das fandest du so in Ordnung? Sich hinterhältig an mich ranzuschleichen, mich nach Strich und Faden zu verarschen, mein Handy zu stibitzen und irgendeinen fragwürdigen Virus zu aktivieren, der nebenbei einfach nur das Letzte ist, weil er mindestens ein Dutzend meiner Persönlichkeitsrechte verletzt!“ Sofort war das Lächeln verschwunden, es wich einem reumütigem Ausdruck. „Nein, natürlich war das nicht in Ordnung. Wobei ich mir nur deinen letzten Vorwurf zu Herzen nehme.“ Ich war so in Rage, dass ich seine Antwort nur mit halbem Ohr wahrgenommen hatte. Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte, irgendwie interessierte es mich auch nicht und ich fragte eher halbherzig: „Wie meinst du das?“ Jetzt lächelte er doch wieder. „Naja, dein Handy brauchte ich dir nicht zu stibitzen, wie du es so schön sagst. Weißt du noch, als du mir die Bilder deiner Katzen zeigtest?“ Ich zuckte peinlich berührt zusammen und blickte betreten auf meinen Kaffee. Ja, das machte ich häufig, besonders wenn mein Alkoholpegel mir vorgaukelte, es könnte irgendwen auch nur ansatzweise faszinieren, wie Diego und Pablo genervt in die Kamera schauten. Manchmal war ich wie eine verrückte alte Lady, die nichts weiter in ihrem Leben vorzuweisen hatte. Jesse redete weiter, ohne die Schamröte in meinem Gesicht zu bemerken. „Es war ein leichtes, sich das Handy zu nehmen und so zu tun, als würden mich die Bilder interessieren.“ Arschloch, dachte ich. Oberarschloch! Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Während ich noch über eine bissige Antwort sann, fuhr er schon fort. „In diesem Moment hatte ich ganz schnell die Antwort verschickt und den Ausgang deines Postfaches gelöscht.“ Ich presste verärgert die Lippen aufeinander. Eigentlich wollte ich mir das Folgende ja verkneifen, aber ich war sauer und ungehalten. „Schön. Das hast du ja toll gemacht.“, ich deutete ein Klatschen an und giftete weiter in seine Richtung, „Langsam finde ich es verdammt schade, dass ich dir nicht direkt auf die Schuhe gekotzt habe.“ Auf diese, für mein Empfinden ziemlich passende Bemerkung ging er jedoch garnicht erst ein, dafür verzog er seine verführerischen Lippen auf ein fast dramatische Weise und konterte: „Eins musst du mir glauben Maya. Ich habe das wirklich nicht gern getan und hatte danach ein ganz schön schlechtes Gewissen.“ Ich traute meinen Ohren kaum. Und das sollte jetzt als Entschuldigung genügen? Ein schlechtes Gewissen im Gegenzug für Demütigung, Entführung, Freiheitsberaubung…die Liste hätte ich ewig fortsetzen können. Er hatte den verfluchten Grundstein für mein persönliches Desaster gelegt.
„Das war sicher sehr schlimm für dich und dein sonst so reines Gewissen.“ Meine Worte trieften vor Ironie und auch Jesse entging dies nicht. Er blickte mich sogar etwas verletzt an, doch das interessierte mich kein Stück. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und sah mir danach sehr tief und sehr intensiv in die Augen. „Es tut mir noch immer aufrichtig leid und nur mal so am Rande: Die SMS habe ich ungefähr zwei Stunden vor unserem Kuss verschickt. Ich hatte meine Aufgabe quasi erledigt und hätte schon längst wieder über alle Berge sein können.“ Ich sah ihn prüfend an. „Und warum bist du geblieben? Tat ich dir so sehr leid, dass du mich noch unbedingt küssen musstest? Der Kuss war jetzt nicht so die Wucht in Tüten, falls du dich erinnerst...“ Jetzt flackerte ein unbeschreiblicher Ausdruck in seinen Augen auf und dies erfüllte mich mit Genugtuung. Er hatte es nicht anders verdient. Seine Antwort allerdings verblüffte mich. „Nein, das war kein Mitleidskuss. Ich fand dich einfach nur unwahrscheinlich niedlich.“
Ein unangenehmes Schweigen lag zwischen uns und wir schlürften abwechselnd verlegen an unseren Kaffeebechern. Ich traute mir nicht, ihn anzusehen, sein Geständnis war irgendwie merkwürdig gewesen und ich fühlte mich nun noch unwohler in meiner Haut. Eigentlich wollte ich nur hier weg, raus aus diesem Café, weg von diesem furchtbaren Mann mir gegenüber, der ein eiskalter und berechnender Mistkerl war. Niedlich hatte er gesagt! Das ich nicht lache! Ich schnaubte abfällig und schüttelte in Gedanken meinen Kopf. In diesem Moment schrillte eine mir gut vertraute Melodie aus meiner Handtasche heraus. Ich griff erleichtert über die Ablenkung nach meinem Handy und sah Erik, der mir wie immer süß entgegenlächelte. Sofort ging ich ran und nutzte die Gelegenheit, gleich für klare Verhältnisse zu sorgen. „Hey Schatz!“ Ich erlaubte mir einen kurzen Blick zu Jesse, welcher desinteressiert vor sich hin starrte. „Maya, wo bleibst du denn? Du wolltest doch schon längst zu Hause sein.“ Er klang eher besorgt als vorwurfsvoll und augenblicklich tat es mir leid, dass ich ihm nicht bescheid gesagt hatte. Dann überlegte ich, wie ich ihm schnell und möglichst einleuchtend erklären konnte, in welcher Situation ich mich befand. Ich senkte die Stimme. „Ich habe Toms ehemaligen Mitbewohner getroffen, wir reden gerade...“, ich hoffte, er hörte mir an, dass ich mir seine Unterstützung wünschte. Er zog zischend die Luft ein. „Wo seid ihr?“ Ich sah mich unauffällig um. „In einem Café, Schildergasse, gegenüber von dem H&M, wo wir letzte Woche waren und -“ Er ließ mich den Satz nicht zu Ende sprechen. „Bin in fünf Minuten bei dir!“ Die Worte wurde von dem darauf folgenden Tut unterstrichen und irgendwie fühlte ich mich mit einem Mal besser. Mit Erik an meiner Seite würde ich mich hier nicht mehr so verloren vorkommen. Außerdem würde er wahrscheinlich verstehen, was für ein Virus da auf meinem Handy aktiviert worden war und er würde es mir danach sicher auch nochmal in der Dummie-Variante erläutern.
„Dein Freund?“ Jesses Augen durchbohrten mich und dabei lächelte er geheimnisvoll. Ich antwortete so abfällig und verächtlich wie möglich. „Ja. Er wird jeden Augenblick hier sein. Dann kannst du ihm ja nochmal genau erklären, wie grandios du dazu beigetragen hast, dass Tom Tag und Nacht wissen konnte, wo ich mich aufhielt und dass er mich so letztendlich dann auch entführen und fast umbringen konnte.“ Zuckersüß war mein Lächeln. Er zuckte zu meinem Erstaunen nur mit den Schultern. „Ich habe bereits etliche Male mit den Bullen und der Staatsanwaltschaft gesprochen, da macht mir dein Macker keine Angst.“ Er hatte mich durchschaut und das verursachte einen beißenden Zorn in mir. Was für ein arroganter Vollidiot. Ich schluckte alle fiesen Bemerkungen, die mir auf der Zunge lagen, hinunter und strafte ihn mit Ignoranz, während ich innerlich glühte. Er ergriff nochmal das Wort, diesmal nicht mehr ganz so cool. „Wie gesagt, ich konnte ja nicht mal ansatzweise ahnen, was Tom vorhatte und ich hätte auch niemals mit diesem Ausgang gerechnet. Das hätte ich ihm nie und nimmer zugetraut, ich ging davon aus, dass das alles eine harmlose Angelegenheit sei.“ Ich funkelte ihn sofort an. „Oh, es war verdammt harmlos eine Überdosis eines tödlichen Drogencocktails verpasst zu kriegen. Fast schon romantisch!“ Er verzog angegriffen seinen Mund und sah mich in einer Mischung aus aufgebracht und vorwurfsvoll an. „Woher sollte ich denn wissen, dass so etwas sein Ziel war? Ich kannte Tom nicht aggressiv, ich hätte die Hand dafür ins Feuer legen können, dass er keiner Fliege das Haar krümmen kann!“
Irgendetwas passte mir an seiner Verteidigung nicht. Normalerweise hätte ich dieses Gefühl ignoriert, doch ich hatte gelernt, besser auf meine Intuition zu hören. In diesem Moment betrat ein hochgewachsener junger Mann das Café und ich stellte erfreut fest, dass dieser gutaussehende Blickfang mein Freund war. Erik wirkte weder gehetzt noch aufgelöst. Er kam schnurstracks auf uns zu, verpasste mir einen schallenden Kuss, der mich erzittern ließ und setzte sich elegant auf einen Stuhl neben mir. Dann wandte er sich Jesse zu und reichte ihm seine Hand. „Hallo, ich bin Erik.“ Förmlich, höflich, distanziert – einfach mein Erik. Jesse hatte die aufgepumpten Oberarme vor sich auf dem Tisch verschränkt und blickte lässig zu meinem Freund. Zu meiner Verblüffung lag in seinem Blick etwas respektvolles. „Hey. Jesse.“ War seine schlichte, jedoch nicht abwertende Antwort und er streckte Erik ebenfalls seine Hand entgegen. Um ehrlich zu sein, hatte ich erwartet, dass dieser Obermacho meinen Nerdfreund wie ein lästiges Ungeziefer behandeln würde, so von oben herab und völlig wertend. Nicht das ich Erik so sah, er war der Traum meiner schlaflosen Nächte und ich fand ihn tausendmal anziehender als diesen zugehackten Loverboy. Allerdings war es offensichtlich, dass Jesse der knallharte Fitness- und Tattoostudio-Typ war, während Erik in seinem Hemd, der Brille und den ungetsylten Haaren eher wie ein oberschlauer Bänker daher kam. Ich besann mich wieder auf das Wesentliche und beschloss direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. „Hast du schon mal etwas von einem GPS-Tracker gehört?“ Meine Frage galt Erik. Er runzelte sofort die Stirn. „Meinst du etwa diesen Quatsch in den Jamba-Werbungen? Das funktioniert nicht, das ist doch alles nur Dummfang.“ Erwartungsvoll blickte ich zu Jesse, bei diesem war wieder die Begeisterung ausgebrochen. Er sah so aus, wie ich, wenn ich von meinen Katern sprach, mitleiderregend irgendwie. „Genau! Stell dir diesen Jamba-Mist vor und dazu eine bahnbrechende Software, die diesen Tracker perfektioniert!“ Ich drehte den Kopf wieder zu Erik, dieser schob skeptisch sein Brille zurecht. Scharfsinnig, wie er nun einmal war, erfasste er sofort den Zusammenhang. „Und damit war Maya zu jeder Zeit ortbar, klingt logisch, nur verstehe ich nicht, wie dieser Tracker aktiviert wurde, geschweige denn,wie er überhaupt auf ihr Handy kam!“ Bevor Jesse diese Frage beantworten konnte, platzte ich mit der unangenehmen Geschichte heraus.
„Eine SMS, auf meinem Handy.“ sagte ich knapp. „Jesse hat diese SMS beantwortet und damit diesen komischen Virus aktiviert.“ Erik schüttelte nachdenklich den Kopf, verschränkte dann die Arme vor seinem Körper und kombinierte die Fakten, indem er mit sich selbst sprach. „Also hat Tom dir -“ dabei deutete er in meine Richtung. „-eine Textnachricht geschickt. Eine Spam-Datei, die durch eine Antwort-SMS aktiviert wurde und damit der Person am anderen Ende, sprich Tom, den Zutritt zu deinem Smartphone erlaubte!“ Er pfiff anerkennend. „Verdammt einfallsreich der Bengel.“ Ich war von Eriks Auffassungsgabe beeindruckt, er hatte sofort verstanden, was ich nur halbwegs kapiert hatte. Mir war das alles zu hoch. Ich konnte mir unter dieser Technik rein garnichts vorstellen. Erik unterbrach mein trübsinniges Selbstmitleid. „Und wie hat es Jesse geschafft, dir dein Handy zu entwenden?“ Peinlich berührt fasste ich mir ins Haar und dachte kurz darüber nach, wie ich es ihm erklären könnte, da sprang der Übeltäter für mich in die Bresche. „Das war an dem Abend, als wir uns das erste Mal in dieser Bar begegnet sind. Sie war auf Toilette, da habe ich in ihre Handtasche gegriffen.“ Dabei zuckte er leicht schuldbewusst mit den Schultern. Ich hätte ihm einen warnenden Blick bei der Lüge zuwerfen sollen, denn was er da so ritterlich sagte, war zwar nett gegenüber mir, allerdings absolut sinnlos, in Anbetracht der Tatsache, dass man Erik nicht mit einer billigen Notlüge abspeisen konnte. Dieser hatte eine Art Spürnase für leicht dahergesagte und unüberlegte Schwindeleien. Und natürlich spürte er auch, dass ich bei dieser Täuschung eine Rolle spielte. Also sah er ausgerechnet mich scharf an, seine Bernsteinaugen strahlten und ich zuckte unwillkürlich zusammen. „Da muss Jesse ja ein wahres Genie sein -“ er lächelte überlegen. „-wenn er innerhalb von wenigen Minuten deinen Sicherheitscode knacken kann, der nebenbei bemerkt einer der modernsten Art ist, sein Handy vor fremden Händen zu sperren und es über eine Millionen Möglichkeiten der Kombinationsvarianten gibt.“ Der Mistkerl blickte wissend zwischen uns hin und her, gerade wollte ich ihm die Wahrheit beichten, da fuhr er fort. „Wie auch immer. Jetzt ist wenigstens raus, wie Tom wissen konnte, wo du warst. Wie er dich verfolgen konnte, woher er wusste, wann du auf Arbeit bist oder nicht und wann er in deine Wohnung einbrechen konnte.“ Nun sah er mich wieder liebevoll an, nahm meine Hand und drückte sie zärtlich. Ich würde ihm später erklären, wie Jesse wirklich an mein Handy gekommen war, es schien ihm im Moment egal zu sein. Er wandte sein Gesicht wieder Jesse zu und es nahm eine richtig ernsten Ausdruck an. „Warum um alles in der Welt, hast du das getan?“
Es klang aufrichtig und fassungslos. Jesse hob abwehrend die Hände und miemte den Coolen. „Ich hab deiner Perle schon gesagt, dass ich nicht ahnen konnte, worauf das alles hinauslaufen würde. Hätte ich das gewusst, hätte ich Tom niemals den Gefallen getan.“ Wieder fand ich seine Antwort ein kleines bisschen zu abwehrend, gleichzeitig jedoch, hörte sich der Satz eingeübt an. Ich bekam wieder diese komische Gefühl, als ob noch mehr hinter seinem Handeln steckte. Erik ließ ebenfalls nicht locker. „Es war für dich ein Gefallen? Ein Gefallen ist für mich, einen Freund irgendwohin zu fahren, ihm zehn Euro zu leihen oder auf seinen Hund aufzupassen.“ Seine Worte waren mit Bedacht gewählt, er ließ Jesse nicht aus den Augen und ich dachte, mein Freund würde einen erstklassigen Anwalt abgeben, während er weitersprach. „Du dagegen, hast eine Straftat begangen. Und das war dir bewusst.“ er zeigte mit dem Finger kurz auf ihn. „Du weißt, wie dieses Virenprogramm funktioniert. Und du weißt auch, wie illegal so etwas ist. Das brauchst du nicht abzustreiten!“ Jesse schwieg, er starrte Erik an und die dunklen Augen funkelten wie Diamanten. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich, wobei ich fand, dass er noch gefährlicher aussah. Vor Spannung kniff ich mir in den Oberschenkel und sah sofort wieder zu Erik, der messerscharf sein gegenüber fixierte und sich kein bisschen von dessen Unantastbarkeit aus der Ruhe bringen ließ. „Dir war klar, dass Tom mit diesem Virus die volle Kontrolle über Maya bekommen würde und du kannst mir nicht weiß machen, dass dir das egal war oder du das Ausmaß dessen, was du da tatest, nicht überblicken konntest. Es gab einen Grund, warum du Tom geholfen hast, nicht wahr?“ Mir klopfte das Herz bis zum Hals, ich kam mir vor, wie in einem Krimi. Erik war der ausgekochte Bulle, Jesse der obercoole Verbrecher – nur hatte ich keinen blassen Schimmer, worauf Erik hinaus wollte. Wusste er mehr als ich? Jesse hielt seinem Blick nicht mehr stand, seine Augen suchten die meinen, ich sah betreten weg. „Was warst du Tom schuldig, dass du dich sogar für ihn strafbar gemacht hast?“ Bei dieser Frage aus Eriks Mund machte es bei mir Klick. Schuld! Jesse hatte ganz zu Anfang gesagt er stünde bei Tom der Schuld. Wie zur Bestätigung, schlug Jesse seine Hände über den Kopf und raufte sich die Haare, dann sah er mich an. „Was ist dein Freund? Polizist? Anwalt? Der ist ja schlimmer als die Typen, die mich stundenlang verhört haben!“ Stolz erfüllte meine Brust. Erik war wirklich der Hammer. Ich tastete wieder nach seiner Hand und die weichen warmen Finger umschlossen sicher die Meinen. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen. „Was hast du getan Jesse?“ Er schüttete verzweifelt den Kopf, dann blickte er uns genervt an.
„Lena!“ war seine schlichte Antwort. Ich verstand kein Wort, spürte aber ein unbehagliches Gefühl in meiner Bauchgegend. Wieso nannte er den Namen von Toms Verlobten? Eine finstere Vorahnung machte sich in mir breit. Erik nickte wissend und blickte dabei kalt zu Jesse. Warum wusste er schon wieder mehr als ich?
„Was ist mit Lena?“, fragte ich fordernd. Erik seufzte. „Kannst du dir das nicht denken Schatz?“
Ein Schauder überfiel mich, während ich mir ausmalte, worauf er hinaus wollte. Ich senkte meine Stimme und zischte über den Tisch hinweg. „Du hattest etwas mit ihr?“ Ich war fassungslos, er nickte deprimiert. Ich wusste, dass es vielleicht taktlos war, aber ich wollte sämtliche schmutzige Details erfahren. „Wann, warum und wie?“, waren meine Fragen, die wie Peitschenhiebe auf den Missetäter herabsausten. Er blickte stirnrunzelnd zu mir hinauf. „Muss das sein?“ Ein gequälter Ausdruck lag in seinem Gesicht. Ich kannte kein Erbarmen und sagte selbstgefällig. „Meinst du nicht, dass du mir das schuldig bist?“
Erik schwieg die ganze Zeit. Irgendwie ahnte ich, dass ihn die Nachricht nicht so sehr schockte, wie mich. Darauf würde ich später noch zu sprechen kommen, vorerst konzentrierte ich mich auf Jesse. Ich fand ihn nur noch verachtenswert und machte mit meiner abwertenden Miene keinen Hehl daraus. Dieser holte tief Luft, verschränkte wieder die Arme vor sich auf dem Tisch und erzählte dann so knapp wie möglich:
„Es war ein Ausrutscher. Tom war fast jeden Tag bis spät in der Nacht im Büro, Lena wohnte so gut wie bei uns. Wir haben zusammen gekocht, Wein getrunken – eins kam zum anderen, wie das nun mal so ist.“ Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Wie das nun mal so ist? Wollte er mich verarschen? Mein Herz klopfte wild, ich war kurz davor über den Tisch zu springen und ihm an die Kehle zu gehen. Stattdessen verhielt ich mich unglaublich erwachsen und tat das einzig richtige: Ich stand auf, schnappte meine Handtasche, blickte vielsagend zu Erik, welcher sich auch sofort erhob, und verließ ohne ein Wort das Café.

„Die beiden sind einfach nur das Letzte!“ Seid geschlagenen fünf Minuten schimpfte ich über Lena und Jesse, Erik lief schweigend neben mir her. „Sie haben Tom das Herz gebrochen. Wer weiß, vielleicht war dieses Ereignis ausschlaggebend für seine Krankheit.“, ich holte kurz Luft, „Sowas verkraftet man nicht einfach. Ich fass es einfach nicht!“ Verärgert kickte ich einen leeren Pappbecher vor mir weg, ehe ich mich besann, ihn aufhob und zum nächsten Mülleimer brachte. Wutschnaubend knallte ich ihn in die Tonne. „Warum können die Menschen nicht mal ihren Müll ordentlich entsorgen?“ Erbost blickte ich zu Erik, er sah mich amüsiert an. „Was gibt es da zu lachen?“, giftete ich in seine Richtung. Er streckte den Arm nach mir aus. „Komm her Süße.“ Egal wie wütend ich war, seiner Einladung konnte ich nicht widerstehen. Ich ließ mich von ihm umarmen, sein Geruch beruhigte mich. Er war warm und streichelte mir den Rücken. Mir fiel ein, dass er mir noch eine Erklärung schuldig war. Seine besonnene Reaktion auf das Fremdgehgeständnis kam sicher nicht von seinem ruhigen Gemüt, er war ja nicht mal geschockt gewesen, während ich aus allen Wolken gefallen war. Ich nuschelte in seine Schulter. „Du wusstest es, oder?“ Ich spürte sein Nicken, während er sprach. „Ich habe es zumindest geahnt. Lena hat Letztens sehr merkwürdig auf seinen Namen reagiert, daraufhin habe ich mich über ihn schlau gemacht.“ Ich verdrehte die Augen, das war so typisch. „Du hast dich aber nicht irgendwo eingehackt, um etwas über ihn zu erfahren, oder?“, fragte ich skeptisch. Er zuckte mit den Schultern und klang leicht belustigt. „Nicht direkt.“ Ich schlug ihm leicht vor die Brust. „Das sollst du doch nicht mehr machen!“ Es war kein ernst gemeinter Vorwurf. Erik nahm mich lachend fester in die Arme, gab mir einen kurzen Kuss auf den Scheitel und sagte dann: „Lass uns endlich nach Hause gehen, es ist verdammt kalt. Ich erzähl dir auf dem Weg, was ich rausgefunden habe.“
Arm in Arm gingen wir weiter, es dämmerte langsam. Die Autos fuhren mit angeschalteten Lichtern an uns vorbei und ich freute mich auf meine warme Wohnung, während mir der beißende Wind die Haare um die Ohren fegte. Erik berichtete im Märchenerzählerton: „Jesse Jäger ist sein vollständiger Name.“ Ich grunzte abfällig und dachte, dass alliterative Namen voll dämlich waren. „Er ist vor zwei Jahren Hals über Kopf von Kassel nach Köln gezogen, ohne ersichtlichen Grund muss ich betonen, denn er war in seinem vorletzten Semester und es war ziemlich unlogisch, das Studium an einer neuen Uni zu beenden.“ Mir wurde ganz anders bei diesen detaillierten Informationen, ich wollte garnicht erst wissen, wie er sich die beschafft hatte. „Was hat er denn studiert?“, fragte ich beiläufig. „Rate mal!“ Erik grinste und ich verdrehte die Augen. „Sag jetzt nicht Informatik!“ Er lachte. „Nein, ausnahmsweise mal nicht. Es ist Jura. Das nenne ich mal Ironie des Schicksals, ich bin gespannt, ob er sich selbst verteidigen wird.“ Er feixte schadenfroh und ich stimmte mit ein. Schlagartig wurde ich jedoch wieder ernst bei dem Gedanken an die mir bevorstehende Gerichtsverhandlung, es war wie ein dunkles Damoklesschwert, welches über meinem Paradies schwebte. Erik spürte meinen Stimmungswechsel und lenkte mich ziemlich geschickt ab. „Jedenfalls kam mir das ziemlich spanisch vor und irgendwie habe ich geahnt, dass da was zwischen den beiden lief.“ Diese Vermutung schien mir ein bisschen übertrieben. „Da wäre ich nie drauf gekommen, du solltest Detektiv werden.“, scherzte ich. Columbo in spe zuckte nur mit den Schultern. „Da war noch etwas.“ Ich sah ihn misstrauisch an. „Was denn?“ Er blickte mitleidig zu mir. „Die Welt ist unfair Mäuschen, verdammt unfair. Aber Gottes Mühlen mahlen wohl langsam, jedoch gerecht.“ Ich knuffte ihn in die Seite. „Spar dir deine Lebensweisheiten und sag, was du noch herausgefunden hast!“ Gespielt verletzt hielt er sich eine Rippe. „Ich denke, die zwei sind nicht nur einmal zusammen im Bett gelandet. Bestimmt hatten sie eine Affäre, jedenfalls so lange, bis Tom sie erwischt hat.“ Ich riss die Augen auf. „Wie zur Hölle kommst du darauf?“ Jetzt sah er mich wieder bedauernd an. „Beide hatten einen Nebenjob in einer Kasseler Modellagentur. Und wie es der Zufall so will, waren die zwei in ein und derselben Agentur unter Vertrag.“
Mal von der Tatsache abgesehen, dass die Welt wirklich unfair war und ich es eine bodenlose Frechheit fand, dass diese zwei übernatürlich gutaussehenden Menschen neben dem Studium auch MODELTEN, war ich der Meinung, das Erik recht hatte: Jedem so, wie er es verdient! Mir drängten sich Bilder von Lena und Jesse auf, gemeinsame Auftritte, Shootings und danach die legendären After-Show-Parties – natürlich hatten sie öfter was miteinander gehabt. Und das, während der ahnungslose Tom in seinem Büro ackerte, um seine Schwester trauerte und der Meinung war, dass seine Verlobte und sein Mitbewohner die einzigen in seinem Leben waren, die ihm geblieben waren.
Unglaubliches Mitleid und heftiger Zorn kämpften in meinem Inneren um die Oberhand. Ich wollte mich diesen Gefühlen nicht hingeben, immerhin war eine lange Zeit vergangen und es ging mich absolut nichts mehr an. Wenn ich eins gelernt hatte, dann war es die Erkenntnis, dass es sich nicht lohnte, in der Vergangenheit zu leben. Der Blick sollte sich nach vorne richten und nicht nach hinten. Ich konzentrierte mich verbissen auf die erfreulichen Geschehnisse dieses Tages. Endlich hatten wir herausgefunden, wie diese ganzen anonymen Angriffe, Verfolgungen und der Einbruch möglich gewesen war. Die Puzzleteile waren zu einem Bild verschmolzen und wenn ich tief in mich hinein horchte, dann verspürte ich langsam so etwas, wie einen inneren Frieden. Doch bevor ich mich einzig auf dieses Gefühl versteifen konnte, brannte mir noch eine Frage auf den Lippen.
„Woher zum Teufel weißt du das alles?“ Ein geheimnisvolles Lächeln ging von Erik aus. Ich stellte kurz fest, dass sein Lachen noch immer ein Kribbeln in meinem Bauch verursachte. Ein weiteres Gefühl, auf welches ich mich verstärkt fokussieren würde, immer fein die schönen Dinge im Leben genießen. Ich sah erwartungsvoll zu meinem Traummann hinauf, während er unschuldig sagte: „Das meiste stand eigentlich bei Facebook.“

Zwei Tage später saßen wir gemeinsam im Copacabana an unseren Stammtisch.
Jesses Geständnis hatte mich weder runter gerissen, noch sonderlich lange beschäftigt. Ich war einfach nur froh, endlich die ganze Wahrheit zu kennen und ich spürte, dass mich das Thema nur noch oberflächlich tangierte. Meine Vergangenheit gehörte zu mir. Sei es nun die Jahre der Drogenabhängigkeit, Lexies Tod oder Toms missglücktes Attentat auf mein Leben – alles gehörte nun zu mir, es machte mich aus, doch ich würde mich nicht mehr davon in meinem Alltag bestimmen lassen. Wer und was mich beeinflussen würde, bestimmte ich von nun an selbst und ich war mir ziemlich sicher, dass Erik dabei immer eine Rolle spielen würde. Ich war so glücklich mit ihm. Jeden Tag überraschte er mich aufs Neue, immer wieder entdeckte ich Seiten an ihm, die mich faszinierten und ich bewunderte ihn über alle Maßen. Was ich für ihn fühlte, war unbeschreiblich.
Jede Minute, die ich mit ihm verbrachte, war für mich unbezahlbar.
In diesem Moment sah ich kurz zu ihm, während ich an meiner Weinschorle nippte und Kim und Malte mir gegenüber sich einen langen feuchten Kuss gaben. Er trug mein Lieblingshemd, das dunkelblaue mit den braunen Knöpfen. Zwischenzeitlich war er beim Friseur gewesen und die Haare lagen ungewohnt ordentlich, was ich allerdings genauso sexy fand, denn so sah er irgendwie erwachsener aus. Sein ganze Erscheinung war einfach nur anziehend. Die Lässigkeit gepaart mit den schicken Klamotten, der Brille und der Stupsnase.
Ich lächelte in mich hinein. Langsam war ich schon etwas angeheitert. Wir saßen seit einer ganzen Weile in der Bar. Heute war Live-Musik-Abend und eine mir unbekannte Band coverte schon stundenlang alte Hits. Der Frontsänger hatte eine zarte Stimme und mir gefiel das, was ich da hörte.
Endlich war mal alles perfekt, dachte ich zufrieden. Doch meistens dann, wenn es einem zu gut geht, stellt der Körper automatisch eine Art Umkehrfunktion ein, als würde er es einem nicht gönnen, dass man auch mal nichts an seinem Leben auszusetzen hat. Und so schoss mir automatisch Lexie in den Kopf. Doch ich fühlte mich nicht mehr schlecht und schuldig, so wie sonst. Ich vermisste sie einfach nur und bedauerte den Umstand, dass sie nicht hier war. Dass ich ihr nie Erik würde vorstellen können – das war wirklich verdammt schade.
In diesem Augenblick kündigte der Sänger am Mikrofon an, dass gleich ein Song von der Band Alphaville gespielt werden würde und er forderte alle verliebten Pärchen vor die Bühne kommen. In mir kribbelte es vor Aufregung. Ich tanzte nur selten und ich hatte keine Ahnung ob Erik es konnte, trotzdem stand ich todesmutig auf und verkündete meinem blass wirkenden Freund, dass ich sofort tanzen wollte. Dieser sah mich mehr als verdutzt an. „Bist du betrunken?“ Kopfschüttelnd schnappte ich seine Hand, er ließ sich ohne Widerstand mit mir mitziehen. Als wir die kleine Tanzfläche betraten, waren noch drei weitere Paare dort, die sich schon eng umschlungen zu den ersten Takten bewegten. Ich drehte mich zu meinem potenziellen Tanzpartner um und zögerte. Wie war das gleich noch? Linke Hand auf rechte Schulter, oder andersherum? Während ich noch krampfhaft überlegte und mich für diesen bescheuerten Einfall lobte, schnappte mich Erik einfach, presste mich an sich und begann sich mit mir im Takt der Melodie zu bewegen. Augenblicklich wurde ich locker, genoss die intensive Umarmung und kostete den Moment aus. Ich schlang meine Arme um ihn, rückte noch näher an ihn heran und spürte seinen Herzschlag an meiner Brust. Im Hintergrund trällerte der Sänger mit einer unglaublich lieblichen Stimme:
„Let's dance in style, lets dance for a while
Heaven can wait we're only watching the skies
Hoping for the best but expecting the worst
Are you going to drop the bomb or not?
Let us die young or let us live forever...“

ENDE






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