Wenn 2 Herzschläge ganz besonders klingen, dann nur, weil sie im selben Rythmus swingen :) - Teil 23

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 21.07.2012


Ich habe eine gute Nachricht: Dies ist nicht der letzte Teil!
Es war unmöglich, alles in diesen Teil zu packen, er ist so schon elendig lang :)
Also könnt ihr euch nochmal freuen.
Das Ende bereitet mir wirklich Kopfzerbrechen, aber ich gebe mir Mühe!
Ich hoffe, euch gefällt das, was ich bis jetzt geschrieben habe, ich habe lange daran gearbeitet :D
Maggie ♥






Teil 23

6 Wochen später...


Ich erwachte fröstelnd auf meinem Sofa. Kurzzeitig fragte ich mich, warum ich auf der Couch lag und nicht in meinem Bett, dann spürte ich einen warmen weichen Körper neben mir und es fiel mir wieder ein.
Erik und ich hatten ein Nachmittagsschläfchen gemacht. Ich sah mit wachsender Befürchtung zur Uhr und stellte fest, dass aus unserem ursprünglich geplantem Nickerchen ein fast vierstündiger Mittagsschlaf geworden war. Mittlerweile stand der Zeiger auf sechs Uhr.
Ich stöhnte auf, weil ich mich jetzt zum Aufstehen zwingen musste und kuschelte mich trotzdem nochmal kurz an Erik, der neben mir auch langsam munter zu werden schien. Ich drehte ihm meinen Rücken zu und er legte sofort den Arm um mich, zog mich fest an sich und begann langsam meinen Hals zu küssen. Ich schloss die Augen, genoss das süße Kitzeln seiner Lippen und wärmte mich an seinem vom Schlaf erhitzten Körper.
Regen prasselte gegen die Fensterscheibe, mein Traummann küsste mir den Nacken wund und ich hätte auf der Stelle wieder einschlafen können – auch wenn ich den Sommer liebte, so hatte ein frühherbstlicher Regentag auch seine Vorzüge.
„Willst du noch etwas schlafen mein Schatz?“ Eriks tiefe Stimme direkt an meinem Ohr verursachte mir eine dicke Gänsehaut. Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. „Nein. Ich bin jetzt munter.“ Ich drehte mich schnell um, schmiegte mich an ihn und vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Gott, wie er duftete! Ich konnte von seinem Geruch einfach nicht genug bekommen, diese Mischung aus blumigem Weichspüler und seinem Körper, der mich immer irgendwie an eine grüne Wiese im Sommer denken ließ.
„Wollen wir heute Abend noch ins Copa?“ Sein Frage klang weder hoffnungsvoll noch kritisch, er überließ mir die volle Entscheidung. Ich dachte kurz nach. Es war Samstag Abend, ich war ausgeschlafen und mir blieb noch genug Zeit mich fertig zu machen. Also nickte ich. „Klar gehen wir.“
Er gab mir einen kurzen Kuss auf den Mund, dann rappelte er sich auf und sagte:
„Dann würde ich gern noch schnell duschen gehen, wenn du nichts dagegen hast.“
Ich nickte wieder. Er sah dermaßen zum Anbeißen aus, wie er da über mir kniete, die Haare vom Schlaf wild durcheinander, die Brille verschoben und der Blick noch leicht schläfrig. Ich zog ihn instinktiv zu mir hinunter und presste meine Lippen auf seine. Einen kleinen Moment versteifte er sich, dann erwiderte er meinen Kuss, drang mit seiner Zunge in meinen Mund und mir gingen plötzlich jede Menge versaute Dinge durch den Kopf, die ich mit ihm gern unter der Dusche angestellt hätte. Er löste sich atemlos.
„Weib, du bist unersättlich!“ Ich grinste süffisant und musste ihm still zustimmen. Seit dem ich körperlich wieder fit war, WAR ich unersättlich. Trotzdem ließ ich ihn dieses Mal widerwillig los und sah ihm sehnsüchtig hinterher, während er federleicht in Richtung Badezimmer hüpfte.
Verdammt war ich verliebt! Ich schwebte auf Wolke Sieben – ekelhaft kitschig und ganz bestimmt super nervig für mein gesamtes Umfeld – und trotzdem genoss ich jede Sekunde, die ich mit ihm verbrachte.
Er war zu dem wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden und ja, ich liebte ihn. Manchmal überfiel mich bei diesem Gedanken noch ein leichtes Schütteln, die Vorstellung jemanden mit Haut und Haar bedingungslos zu lieben, war für mich immer abwegig gewesen – doch Umstände konnten sich ändern. Ich hatte mich verändert, musste mich verändern, sonst hätte ich womöglich genauso den Verstand verloren.

Ich erinnerte mich an die ersten Tage nach der Horrornacht im Krankenhaus. Ich war mehrere Male immer wieder für kurze Zeit erwacht, dann aber wieder sofort eingeschlafen. Irgendwann stand eine nett lächelnde Ärztin vor mir, in Begleitung von zwei Polizeibeamten und einem jungen Mann, der formell gekleidet war und mich ernst musterte. Die Ärztin hatte mir erklärt, dass die Uniformierten gern mit mir sprechen würden, allerdings nur unter ihrer Aufsicht, sowie den Argusaugen des anderen Mannes, den sie mir als Dr. Novak vorstellte, einen Psychologen. Den Polizisten hatte ich haargenau erzählt, was in der Nacht passiert war, mehrmals, gefühlte hundert Mal und obwohl ich selbst keine Anzeige gegen Tom erstatten wollte, so wurde trotzdem gegen ihn ein Verfahren wegen unzähliger Delikte aufgenommen, mitunter natürlich der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und Freiheitsberaubung. Mir wurde erzählt, dass er selbst mit einer Überdosis aufgefunden wurden war. Daran konnte ich mich selbstverständlich nicht mehr erinnern. Er hatte jedoch nicht so viel Glück gehabt wie ich, denn bei ihm kam zu dem fast tödlichen Drogencocktail noch eine beachtliche Menge Alkohol hinzu, die er in sich hinein geschüttet hatte und die Beamten hatten mir teilnahmslos und ein kleines bisschen zu selbstgefällig berichtet, dass er nach zwei Tagen noch immer nicht vernehmungsfähig sei. Sein gesundheitlicher Zustand war kritisch, mal ganz abgesehen von seinem geistigen. Diese ganzen Informationen hatten mich schwer mitgenommen und ich war traumatisiert.
Meine Eltern und Erik behandelten mich wie ein rohes Ei und mir war es nicht möglich gewesen, mit ihnen über das Erlebte zu sprechen. Ich hatte meinen elendigen Zustand mit Stärke und Witzen überspielt, dabei war ich am Rande der Verzweiflung gewesen.
Die ersten zwei Tage im Krankenhaus, die ich bei vollem Bewusstsein überstanden hatte, kämpfte ich mit nagenden Selbstzweifeln, Angst, Trauer, Wut und unendlichen Sorgen um den Jungen, der mich am liebsten Tod gesehen hätte.
Ich wusste nicht wie ich mit meinen Gefühlen umgehen sollte.
Erik, meine Mutter und ganz besonders mein Vater hatten von mir erwartet, dass ich Tom abgrundtief hassen sollte. Doch so war es nicht und ich konnte ihnen das nicht erklären und traute mich demzufolge erst recht nicht, mit ihnen zu sprechen. Ich fiel fast in eine Depression, da ich in einem Teufelskreis aus widersprüchlichen Gefühlen gefangen war, aus dem ich mit eigener Kraft nicht auszubrechen vermochte.
Erst der geheimnisvolle Dr. Novak half mir aus dieser kurzzeitigen emotionalen Starre.
Er war ein junger Arzt, vielleicht Anfang dreißig und als er mir einen unerwarteten Besuch abstattete, wollte er sich eigentlich nur nach meinem Befinden erkundigen, da hatte ich auch schon wie ein Wasserfall losgeplappert. Seine sanften braunen Augen und diese verständnisvolle brüderliche Art von ihm, hatten irgendetwas in mir ausgelöst – jedenfalls war er der Erste, der mich verstand und er war auch derjenige, der mir genau erklären konnte, was mit Tom geschehen war.
Die Psyche eines Menschen war wie ein vielschichtiges Mobile, hatte er mir begreiflich gemacht. Gerät es einmal aus dem Gleichgewicht, wie zum Beispiel durch ein Trauma, dass nie richtig aufgearbeitet wurde,
so war es möglich, dass die Balance nie wieder hergestellt werden könne und die Richtungen, in die es kippte, waren unvorhersehbar.
Er hatte vorsichtig gesagt, dass Tom womöglich eine schizophrene Psychose entwickelt habe, dieser Prozess sei meist schleichend und schwer erkennbar, Auslöser bei ihm waren aber definitiv bewusstseinserweiternde Drogen. Was genau in seinem labilem Verstand geschehen war, warum er welche Persönlichkeit entwickelt hatte und wieso diese ständigen Wechsel stattgefunden hatten, dass konnte er mir nicht sagen. Um das herauszufinden, dafür war ein Spezialistenteam der Kasseler UNI-Klinik verantwortlich, die sich für die nächsten Jahre um Toms Gehirn kümmern würden, während er in der psychiatrischen Abteilung erst einmal festsaß. Ich hatte mit einem Kloß in der Kehle gefragt, ob er irgendwann wieder der Alte sein würde, ein Frage die mich von innen zerfraß. Auch hier hatte sich der junge Doktor nicht auf eine Antwort festgelegt, mir jedoch gute Hoffnungen gemacht und gesagt, dass Persönlichkeitsspaltungen sehr gut mit den entsprechenden Medikamenten behandelt werden könnten, es jedoch lange Zeit in Anspruch nahm, einen Patienten auf die exakte Dosierung einzustellen.
Diese schwammige Antwort hatte mich dennoch beruhigt und mir eine Art inneren Frieden verschafft.
Eine Woche lag ich noch im Krankenhaus. In der Zeit hatte ich weitere intensive Gespräche mit dem netten Psychologen geführt und letztendlich alles doch halbwegs verarbeitet. Ich stand weiterhin mit ihm in telefonischen Kontakt, doch die Anrufe wurden immer sporadischer.
Fünf Tage nachdem ich wieder zu Hause war, kam der erlösende Anruf meiner Mutter: Tom war jetzt so weit stabil, dass man ihn mit dem konfrontieren konnte, was er getan hatte und ihn gleichzeitig in die UNI-Klinik Kassels verlegte.
Die Polizei hatte ihn verhört und wir hatten erfahren, dass er sich nicht im geringsten daran erinnern konnte, wie er meinen Laptop gehackt, mich verfolgt oder in meine Wohnung eingebrochen war, geschweige denn, wie er mich entführt, gefesselt, gefoltert und fast umgebracht hatte. Uns blieb nichts anderes übrig, als darüber zu spekulieren, obwohl ich das Rätselraten bald leid war. Mein Umfeld spürte den Verdrängungsmechanismus, den ich wie immer profimäßig beherrschte und sprach mich kaum noch auf diese Nacht an, sogar meine Mutter, die mich fast täglich anrief, schwieg bezüglich Allem, was sie von Toms Eltern erfuhr.
Nur mit Erik sprach noch oft über das Erlebte – unweigerlich musste ich das tun, wenn mich mitten in der Nacht ein Alptraum in den Grundtiefen erschütterte und ich heulend erwachte. Er war einfach immer da, schlief jede Nacht bei mir und hatte zu jeder Tag- oder Nachtzeit ein offenes Ohr, selbst für die Dinge, die ihn schmerzten, wie sämtliche schmutzigen Details meines Horrortrips oder auch den irritierenden Gefühlen, die mich beschäftigten. Er wusste mittlerweile wie ich zu Tom stand, dass ich ihn nicht hasste und mehr um ihn trauerte. Auch wenn Erik das nicht gefiel, so hatte er dennoch Verständnis – und dafür liebte ich ihn umso mehr.

Gedankenverloren lag ich noch immer auf meinem Sofa und starrte aus dem Fenster in einen wolkenverhangenen Himmel, als es plötzlich an meiner Tür klingelte. Der Kater, der es sich gerade an meiner Seite gemütlich gemacht hatte, schrak auf und sprang flüchtend in Richtung Küche.
Ich lachte kurz über seine übertriebene Reaktion, dann richtete ich mich seufzend auf, nachdem ich kurz in die Wohnung gelauscht hatte, nur um festzustellen, dass ich noch immer Wasser aus dem Bad rauschen hörte.
Ich schlenderte in der Erwartung zu Tür, das Malte dahinter stehen würde. Kurz sah ich an mir herab. Ich trug Shorts und ein altes schlabbriges T-Shirt, Malte würde mich in seiner schleimigen Art trotzdem noch atemberaubend finden. Ich gluckste amüsiert.
Malte hatte sich in meine Clique eingeschlichen. Er hatte Kim das erste Mal getroffen, als sie meine Kater versorgte und in einem Anflug von unerwartetem Verantwortungsgefühl sie vorwurfsvoll gefragt, was sie in der Wohnung seiner Nachbarin verloren hatte. Erik hatte Kim natürlich von meinem Zwischenfall mit Tom erzählt, diese war davon ausgegangen, dass Malte auch ein guter Freund von mir war und es diesem weitergetratscht. Und dieser hatte sich vor ihr aufgespielt und die Verantwortung für diese Nacht natürlich auf sich projiziert, der alte Egoist. Er hatte sich wahnsinnig schlecht gefühlt, da ER mich ja zum Bahnhof gebracht hatte. Seine merkwürdige Art war manchmal schon fast unterhaltsam.
Kim hatte sich noch volle zwei Wochen um meine Stubentiger gekümmert und Malte hatte ihr jedes mal regelrecht aufgelauert, sie fand ihn total gruselig und er hatte sich offensichtlich unsterblich in sie verliebt. So kam es, dass er immer öfter mit uns gemeinsam ins Copa gekommen war und jetzt gehörte er irgendwie dazu.
Ich ging also davon aus, dass er vor der Tür stand und mich gleich mit seinem Meister-Propper-Grinsen anstrahlen würde, umso überraschter war ich bei dem Anblick, der sich mir wirklich bot.
Vor mir stand eine große Frau, sie musste über einen Meter Achtzig sein, war gertenschlank und bemerkenswert hübsch. Rotbraune wilde Locken fielen ihr die Schultern hinab, dunkle Kulleraugen sahen mich schüchtern an und ich fragte mich ernsthaft, was dieses Topmodel von mir wollte.
„Maya?“ Sie hatte eine Zartheit in der Stimme, die mich verblüffte und ich nickte nur.
„Meine Name ist Lena Schmidt. Entschuldige, dass ich dich hier einfach so überfalle -“ Sie lächelte entschuldigend und zeigte mir eine Reihe strahlend weißer Zähne. „- aber ich würde mich wirklich sehr gern mit die unterhalten.“ Diesem Lächeln, sie musste es stundenlang vor dem Spiegel geübt haben, konnte ich nicht mal im Ansatz widerstehen, also ließ ich sie völlig geistlos und perplex in meine Wohnung.
Sie trug einen engen Rock, der kurz über ihren Knien endete und bis zu ihrer schmalen Taille reichte, eine helle Seidenbluse steckte in diesem und betonte ihren schmalen Oberkörper. Ihre ganze Ausstrahlung war einfach nur anmutig und stilvoll – irgendwie ahnte ich schon, mit wem ich es hier zu tun hatte.
Ich bot ihr einen Platz auf meinem Sofa an, registrierte die leichte Unordnung, die mir so garnicht ähnlich sah, und ärgerte mich maßlos über diesen Umstand.
Sie setzte sich sanft auf die Polster und sah mich aus großen, traurigen Augen an.
„Du weißt wer ich bin?“ Sie sprach mich direkt an und zog dabei ihre geschwungenen Augenbrauen in die Höhe. Ich zuckte mit den Schultern, täuschte Unwissen vor, obwohl mich meine dunkle Vorahnung immer mehr überzeugte, diese Frau konnte nur -
„Ich bin die Verlobte von Tom.“ - Ja, natürlich! Ich schluckte schwer, mein Herzschlag beschleunigte sich sofort und meine Kehle trocknete aus. Ich nickte nur.
Zu mehr war ich nicht fähig, da mich tausend Gedanken überfielen, mich förmlich umhauten – ich wusste nicht, was ich von ihrem plötzlichen Auftauchen halten sollte. Obwohl ich ganz tief im Inneren irgendwie damit gerechnet hatte, so wollte ich diese hinreißende Person trotzdem nicht auf die Nase gebunden haben.
Ich beneidete und hasste sie, dabei kannte ich sie nicht einmal und wollte im Prinzip nur ihre Existenz verleugnen – sie würde mich gleich dazu bringen, mich wieder mit Tom auseinanderzusetzen und das war genau das, was ich in den letzten Wochen tunlichst vermieden hatte.
Ich setzte meine alte Maske auf und konterte mit Unfreundlichkeit, anders würde ich diese Unterhaltung nicht überstehen, ohne dabei mein Gesicht zu verlieren.
„Wie kann ich dir helfen?“ Es klang geschäftig und unpersönlich, damit war ich zufrieden.
Sie sah mich noch immer mit diesen riesen Augen an, ein Bambi-Blick – mit diesem hatte sie sicher Tom ganz schnell um den Finger gewickelt.
„Ich möchte mich bei dir entschuldigen.“ Sie sagte diese Worte voller Schmerz in ihrer zarten Stimme und ich horchte auf. Wofür sollte sie sich bitte entschuldigen? Im Namen vom Tom? Das war mehr als lächerlich. Ich schnaubte abfällig. „Du hast mir nichts getan.“ Sie sah mich sofort scharf an, etwas ungläubig über meinen anteilnahmslosen Ton, dann konterte sie:
„Vielleicht nicht direkt -“ dabei richtete sie kurz ihren Blick auf meine Handgelenke, die von verblassenden Narben umrandet waren, ich strich wie automatisch über die verheilten Schnitte, dann fuhr sie fort „-aber ich fühle mich trotzdem dafür verantwortlich.“
Ich schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Wenn jemand nicht das Geringste mit dem Horrorwochenende in meiner Heimat zu tun hatte, dann diese Frau, die so hinreißend und unschuldig vor mir saß und mich fast in den Wahnsinn trieb. Sie war so hübsch, so perfekt und genau das, was ich von Toms Verlobten erwartet hatte – kein Mädchen von nebenan, nein, eine junge Frau, die mit ihrer Schönheit und Ausstrahlung nicht in Toms Schatten stand.
Ich ärgerte mich über meine neidvollen Gedanken, sie waren sinnlos.
Ich war in einer glücklichen Beziehung, hatte mir den tollsten Mann geangelt und war wahrhaftig und bedingungslos verliebt. Für Tom empfand ich nur noch eine Mischung aus Ablehnung, Angst und Mitleid. Wobei das Mitleid überwiegte. Trotzdem wusste ich im Hinterkopf, dass es davor eine Welt gegeben hatte, in der Tom und sie mal glücklich gewesen waren, eine Welt, in der die zwei wohl das perfekte Paar gebildet hatten und es wurmte mich trotzdem, dass ausgerechnet sie es geschafft hatte, das zu bekommen, was ich immer gewollte hatte. Dumme Gedanken, albern und blöd, aber trotzdem präsent. Wahrscheinlich fand ich es einfach nur unfair, die ganze Welt, einfach alles. Ich hatte den Großteil meines Lebens damit verbracht, unsterblich in Tom Henning verliebt zu sein, hatte ihn besser gekannt als jeder andere und mit ihm so viel erlebt. Trotzdem hatte ich es nicht geschafft, dass er sich in mich verliebte, im Gegenteil – letztendlich wollte er mich sogar umbringen, so viel dazu! Und diese Schnippse hier brauchte nur mit ihrem zierlichen Hinterteil zu wackeln und war sofort mit diesem Mann verlobt. Ich fand sie hatte einfach kein Recht darauf. Sie kannte ihn nicht so wie ich, hatte nicht mal im Ansatz so viel Zeit wie ich mit ihm verbracht und überhaupt – wer war sie eigentlich, dass sie hier her kam, so tat, als wäre sie für irgendetwas verantwortlich, obwohl sie wahrscheinlich nicht mal kapierte, was da wirklich in Toms Zimmer gelaufen war. Und was bildete sie sich ein hier aufzutauchen und meine sorgsam gepflegte Seifenblase zum platzen zu bringen? Machte es so viel Spaß in den Wunden fremder Menschen zu wühlen?
Ich blitzte sie an. „Ich wüsste nicht, was du mit der Nacht bei den Hennings zu tun haben sollst. Du warst nicht dabei. Tom hat deinen Namen nicht mal erwähnt...“ Ein Schuss unter die Gürtellinie, das war mir klar. Sie kniff sofort die Augen zusammen.
„Ich weiß, was du denkst. Du denkst, was mischt sich diese Frau, eine Fremde, in die Dinge ein, die zwischen dir und Tom waren. Ich verstehe das, ich möchte mich auch nicht zwischen euch drängen, euch verbindet viel mehr, eine Vergangenheit und seine Schwester, doch trotzdem muss ich mit dir reden. Denn ich hätte das alles verhindern können, wenn ich...wenn ich nicht...-“ Sie rang eindeutig um Worte und ich war erstmal baff, da sie meine Gedanken zu lesen schien. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, herzzerreißend, sie sah aus wie ein ausgesetzter Welpe an einer Autobahn, mir zuckte es sogar in den Fingern, am liebsten hätte ich sie getröstet, doch ich besann mich wieder, während sie die folgenden Worte zwischen ihren kirschroten Lippen hervorpresste: „-...wenn ich nicht so verdammt eifersüchtig auf dich gewesen wäre!“

Mir verschlug es buchstäblich die Sprache. Fast hätte ich laut losgeprustet, was sie da sagte war lächerlich.
Nur wegen ihrer todernsten Miene verkniff ich mir ein abfälliges Lachen und sah sie einfach nur stillschweigend und erwartungsvoll an, das sollte sie mir erklären.
Sie schluckte bedeutungsvoll. Gerade leckte sie sich die Lippen und ich stellte mich auf eine amüsante Geschichte ein, da betrat Erik die Kulisse dieses merkwürdigen Schauspiels, nur mit einem Handtuch bedeckt, das er sich locker um die Hüften gebunden hatte, mit noch feuchtem Haar und einen frischen Geruch, der sofort das kleine Zimmer durchflutete. Er sah verdammt sexy aus und ich konnte kaum meinen Blick von ihm lösen, offenbar ging es meiner unerwarteten Besucherin ähnlich, denn sie starrte Erik unverhohlen und verblüfft an. Diesem wiederum war die Situation ziemlich peinlich, er griff sofort zu dem Handtuch, als hätte er Angst, es könnte jeden Moment abstürzen, dann lief er rot an und sah hilfesuchend zu mir.
Ich stand auf, ging zu ihm und legte besitzergreifend meinen Arm um seinen verführerischen Körper. Er hatte eines meiner zahlreichen Duschbäder benutzt und roch nach Limette, ich hätte ihn auffressen können.
„Erik, darf ich dir Toms Verlobte vorstellen. Lena, das ist mein Freund, Erik.“ Ich sagte es anteilnahmslos, sah zwischen den beiden hin und her, registrierte Eriks Augen, die vor Verwunderung ganz groß wurden und ihren Blick, in dem es verdächtig funkelte. Sie stand dann auch sofort auf, gab ihm umständlich die Hand, während er schüchtern ihrem Blick auswich und sich sichtlich unwohl fühlte.
„Du bist Erik? Wow! Du bist der Junge, der Mayas Leben gerettet hat?“ Ihre zarte Stimme war voller Bewunderung und ehrlicher Ehrfurcht, ich zog die Augenbrauen zusammen und beobachtete Eriks Reaktion ganz genau. Doch dieser schien von der atemberaubenden Frau vor sich wenig beeindruckt, verdutzt sah er mich an, nahm meine Hand und antwortete ihr ausweichend. „Ähm, ja...äh, so ist es.“
Sie flötete sofort zur Antwort. „Was du getan hast, war wundervoll. Du musst deine Freundin sehr lieben.“ Sie lächelte wissend von mir zum ihm und ich fand es mittlerweile nur noch dreist, wie diese Frau sich aufdrängte. Nicht genug, dass sie sich Tom gekrallt hatte, von nix ne Ahnung zu haben schien und wahrscheinlich nur auf der Welt war, um gut auszusehen, nein, sie sprach auch noch über die Liebe, die zwischen mir und Erik war, ein Thema, dass sie nicht das Geringste anging und was mir absolut heilig war.
Doch bevor ich dem Mädchen ihr ungekünsteltes Lächeln mit einem zynischen Spruch aus dem Puppengesicht zaubern konnte, kam mir Erik zuvor. „Ich denke zwar nicht, dass du das nur ansatzweise beurteilen kannst, aber: Ja, ich liebe sie über alles!“ Dabei sah er mich so süß an, dass sich mein Herz in eine weiche flüssige Masse verwandelte und heiß durch meine Blutbahn floss. Eigentlich war die Antwort ja regelrecht ekelhaft romantisch und früher hätte ich bei solchen Worten wahrscheinlich einen Würgereiz verspürt, aber es war nun mal Erik, der es gesagt hatte und aus seinem Mund klang es weder kitschig noch rührselig oder albern: Er sagte es todernst, voller Selbstverständlichkeit und es bereitete mir eine Gänsehaut nach der anderen. Ich drückte ihm zur Antwort die Hand und wir wechselten einen verschwörerischen Blick.
In Lenas Augen standen Tränen, sie wendete den Blick von uns ab und setzte sich niedergeschlagen auf mein Sofa. Auf einmal tat sie mir leid, auch wenn sich in mir alles gegen dieses Gefühl sträubte, so hatte meine Liebe zu Erik mich doch irgendwie widerlich weich werden lassen und empfänglicher für Emotionen. Ich versetzte mich wie automatisch in ihre Lage. Sie hatte ihren Verlobten verloren, er saß in der Psychiatrie und wahrscheinlich verstand sie nicht mal warum. Dann sieht sie mich und Erik, wie wir in unserer Glückseligkeit baden und ihr diese unverblühmt auf die Nase binden. Sie war allein, wir zu zweit – sie hatte niemanden der sie stütze. Ihre Welt war zusammengebrochen, genauso wie meine, doch ich hatte sie dank Erik schnell wieder aufbauen können und hatte jetzt sogar eine noch schönere als je zuvor, auch wenn ich mit ein paar Schatten leben musste. Sie dagegen stand vor einem Trümmerhaufen, den sie nicht allein bewältigen konnte.
Ich beschloss widerwillig, nicht zu hart mit ihr ins Gericht zu gehen.
Erik, der noch immer meine Hand umklammerte, warf ich einen bedeutungsvollen Blick zu. Er verstand sofort und ging aus dem Zimmer, um sich etwas überzuziehen. Ich setzte mich wieder auf den alten Platz, direkt gegenüber von ihr und räusperte mich verlegen. „Wie geht es ihm?“
Sie sah sofort auf, schluckte schwer und schüttelte dann verzweifelt mit dem Kopf. „Mal gut, mal schlecht. Er hat oft Rückfälle, doch im großen und ganzen erholt er sich, auch wenn es mühselig und hart für ihn ist.“ Sie zückte ein Taschentuch aus ihrer Designertasche und putzte sich geräuschlos die kleine Nase, dann fuhr sie fort und lächelte mich dabei entwaffnend an. „Er macht sich schreckliche Vorwürfe.“ Ich zuckte innerlich, antwortete aber lakonisch. „Er war nicht er selbst.“
Sie nickte heftig. „Nein, das war er nicht. Das war er schon die letzten Wochen nicht und es hätte mir auffallen müssen, doch ich habe es übersehen, sogar wissentlich. Oh Gott! Es tut mir so leid Maya!“
Jetzt schluchzte sie hemmungslos und mich überfiel Hilflosigkeit. Sie hatte ihr Gesicht in ihre Hände vergraben, schniefte erbärmlich und ich saß total betreten in meiner Ecke. Erik erschien in der Tür, erfasste die Situation und sah mich ebenso verwirrt an. Er war ja noch überforderter mit weiblichen Gefühlsausbrüchen. Seinen fragenden Blick beantwortete ich mit einem Schulterzucken. Dann machte er eine Geste in ihre Richtung und sagte mir mit seinem Gesichtsausdruck, dass ich doch zu ihr gehen und sie trösten solle. Ich verdrehte die Augen, raffte mich aber auf und setzte mich zu ihr, strich ihr unbeholfen über den Rücken und registrierte dabei, dass sie eines meiner Lieblingsparfüms trug und es an ihr fantastisch roch. Das machte sie mir irgendwie noch ein Stückchen sympathischer.
Auch wenn ich es hasste, so versuchte ich sie trotzdem mit nichtsaussagenden Floskeln zu beruhigen. „Dir brauch überhaupt nichts leid tun. Keiner konnte ahnen, was in Toms Kopf vorging. Mach dir bitte keine Vorwürfe!“ - und bla bla bla, fügte ich im Geiste sarkastisch hinzu. Nichts als Geschwätz, mich hätte man mit diesen leeren Worten nicht einlullen können. Erik räusperte sich hinter mir, ich sah mir verstohlen über die Schulter, er schüttelte vorwurfsvoll mit dem Kopf, ganz nach dem Was-faselst-du-da-nur?-Motto.
In dem Moment sah mich Lena an, ihre Schokoaugen voller Tränen und mit geröteter Nase, ihr Gesicht wirkte wie gemalt. Sie grinste spöttisch. „Es gibt nichts schlimmeres, als fremde Menschen mit hohler Plattheit trösten zu müssen, was?“ Sie lächelte mich freundschaftlich an und ich stutzte verwundert, lächelte aber auch zurück. Das hätte ich nicht erwartet, scheiß Vorurteile. Diese Frau war mir geistig ebenbürtig und ich beschloss, sie ab jetzt vollkommen ernst zu nehmen. „Ja, ich hasse Phrasen.“ antwortete ich schlicht.
Sie grinste kurz, dann wischte sie sich mit dem Taschentuch unter den Augen entlang, obwohl nichts von ihrer Wimperntusche verschmiert war. Sie seufzte. „Ich habe unglaubliche Lust auf eine Zigarette!“

Wir saßen auf meinem Balkon. Sie rauchte diese ultradünnen Ladyzigaretten von EVE, es sah total elegant aus und ich zog plump an meinem dicken Glimmstängel.
Erik hatte es sich ein Stück von uns entfernt gemütlich gemacht und Pablo saß schnurrend auf seinem Schoß.
Dann begann Lena zu erzählen und wir lauschten ihr gefesselt:
„Tom und ich waren wirklich glücklich, es war Liebe auf den ersten Blick und er war von Anfang an ehrlich zu mir. Er hatte mir alles erzählt, von den Drogen, von seiner Schwester, von dir -“ Sie sah mich unergründlich an, als wollte sie abschätzen, was diese Worte in mir auslösten. Meine Miene war ausdruckslos und sie fuhr unbeirrt fort. „- Er redete viel und oft von seiner Vergangenheit, erinnerte sich ständig an irgendwelche verrückten Geschichten von dir und Lexie, er schwärmte regelrecht, es kam beinah einer Vergötterung gleich.“ Ich konnte kaum glauben dass Tom so viel über uns gesprochen hatte, hielt aber meine Mund, biss mir konzentriert auf die Lippen und beobachtete sie in ihrem traurigen Monolog.“Am Anfang dachte ich noch, es wäre normal. Er hatte nie eine Therapie gemacht und ich war stolz, dass er sich mir anvertraute, schließlich war ich die Erste mit der er so offen über alles sprechen konnte. Das hatte er mir so oft versichert und es hatte mir wahnsinnig viel bedeutet.“ Sie schüttelte traurig den Kopf und ihre dunkelbraunen Locken, die einen leichten Rotstich hatten, wippten mit ihrer Bewegung. „Doch nach mehreren Monaten konnte ich es nicht mehr hören. Versteht mich nicht falsch, ich habe diesen Mann schon damals abgöttisch geliebt, liebe ihn jetzt noch tausendmal mehr...und trotzdem hasste ich sein Schwelgen in der Vergangenheit.“ Sie biss sich verbittert auf die Lippen und ich sah verständnislos von ihr zu meinem Freund. Eriks Miene drückte Mitgefühl aus, er schien begriffen zu habe, wovon sie sprach. Mich machten diese Worte wütend.
„Du bist eine Heuchlerin, Lena. Du sagst, du liebst ihn, verabscheust aber seine Vergangenheit? Tja Schätzchen, dann verachtest du an ihm genau das, was ihn ausmacht.“ Ich schleuderte ihr die Sätze bissig entgegen. Sie sah mich sofort scharf an, schien kurz zu überlegen, antwortete dann aber in einem besonnenen Ton. „Ich verabscheue nicht seine Vergangenheit. Ich habe es lediglich nicht ertragen können, wie er darüber andauernd gesprochen hat und dafür gab es einen ziemlich einleuchtenden Grund.“ Ihr Blick ging kurz zu Erik. „Und ich glaube, dein Freund versteht diesen besser.“
Er nickte wissentlich und mein Gesicht verdunkelte sich. Wollten mich die beiden hier gerade verarschen?
Ungeduldig sah ich wieder zu ihr, welche sofort weitersprach, als befürchtete sie, ich würde sie sonst jeden Moment zerfleischen. „Ich war eifersüchtig, Maya. Auf dich!“
Ach ja, das hatte sie schon einmal gesagt und auch beim zweiten Mal klang es noch immer absolut lächerlich. Hatte sich diese Frau mal im Spiegel betrachtet? Hatte sie mal diesen fetten Klunker von Verlobungsring an ihrer rechten Hand registriert? Ich konnte nicht begreifen, warum sie von Eifersucht sprach. „Das ist nicht dein ernst, oder?“ Ich sah sie verächtlich an. Ich hatte nichts übrig für hübsche Frauen, die sich dessen durchaus bewusst waren und trotzdem noch nach Komplimenten fischten. Sollte ich ihr jetzt sagen, dass sie tausendmal schöner war als ich? Pffft, so weit reichte die Sympathie noch lange nicht.
„Das ist mein voller ernst!“ Sie holte kurz tief Luft, dann sprach sie weiter. „Versteh mich bitte nicht falsch. Du bist sehr hübsch, keine Frage -“ Ich versteifte mich, worauf wollte sie denn jetzt hinaus? „- das wusste ich von vielen Bildern und auch von Toms Beschreibungen. Doch damit kam ich klar. Ich weiß, wie ich aussehe und auf andere wirke und ich konkurriere mit dir nicht um dein Aussehen.“ Eingebildete Kuh, schoss es mir durch den Kopf. Sie fuhr ahnungslos fort. „Doch was mich innerlich zermürbt hat, dass war die Tatsache, wie Tom immer und immer wieder von deinem Charakter geschwärmt hat.“ Jetzt wurde ich rot und lauschte peinlich verlegen den nachfolgenden Worten. „Ich hasste dich dafür, dass er lautstark betonte, wie witzig du bist, dass du mit ihm immer geistig auf einer Ebene warst, dass er dich geliebt und geschätzt hat und du für immer eine wertvolle Person in seinem Leben sein würdest! Ich war eifersüchtig auf jeden einzelnen Tag, den du mit ihm verbracht hast, war neidisch auf die einzigartige Freundschaft, die euch verband und ich fand es unerträglich, dass du die beste Freundin von Lexie warst, seine kleine, heiß geliebte Schwester, von der ich nie erfahren konnte, ob sie mich auch mögen würde!“ Wieder liefen ihr vereinzelte Tränen über die zarte Wange. Und ich fühlte mich schlecht. Ich zweifelte gewaltig an den Aussagen über meinen tollen Charakter, wenn ich mich an die oberflächlichen Gedanken vor ihrem Geständnis erinnerte. Mein Gott, ich hatte wirklich nur über das Aussehen nachgedacht, sehr tiefgründig und essentiell – meine Trivialität überraschte mich manchmal sogar noch selbst.
Schnell versuchte ich mein schlechtes Gewissen zu überspielen und machte einen müden Witz. „So toll bin ich garnicht, frag Erik. Ich bin ganz gewöhnlich. Kein Grund, dass du dich wegen deiner Empfindungen schlecht fühlen musst.“ Ich kicherte unbeholfen, Erik warf mir einen Blick zu, der Bände sprach. Lena schluchzte schon wieder verzweifelt und ich rang nach Worten, die endlich zu ihr durchdringen würden, die ihr sagten, dass sie kein schlechter Mensch war, nur weil sie sich absolut nachvollziehbare Emotionen eingestand. „In einer Beziehung gibt es nichts schlimmeres für den jeweiligen Partner, als mit der Vergangenheit des Geliebten zu konkurrieren. Seien es Exfreundinnen, traumatische Erlebnisse oder andere Dinge, ganz egal – Fakt ist: Es gibt immer Momente, die man nicht gemeinsam erlebt hat und das muss man erstmal akzeptieren, denn im Grunde wünscht sich doch jeder, die erste Geige für seine große Liebe zu spielen. Was man ja für gewöhnlich auch tut, doch die Gewissheit, dass es eine Zeit gab, in der es mal nicht so war, ist eine beschissene Tatsache, mit der man lernen muss, zu leben, auch wenn es schmerzt.“
Amen, ich hatte gesprochen. Erik zog anerkennend die Augenbrauen hoch und deutete ein Klatschen an, Lena sah mit tränenverschleierten Blick zu mir und lächelte. „Das hast du sehr schön gesagt. Trotzdem hilft es mir nicht weiter, denn was ich getan habe, ist trotz allem einfach nur unverzeihlich!“
Jetzt wurde ich langsam ungeduldig. Diese Frau war wohl untröstlich.
Erik nahm mir die nächsten Worte ab. „Vielleicht sagst du uns einfach, was dich so fertig macht? Wir können dir irgendwie nicht folgen.“ Präzise, treffend, genau und sachlich – so war er und manchmal beneidete ich ihn um diese Eigenschaften. Kurz verlor ich mich in seinem Äußeren. Er trug wie immer Hose und Hemd, enganliegend und figurschmeichelnd. Das dunkelblau des Hemdes stand im Kontrast zu seinen stechend gelben Augen, die kurz meinen Blick kreuzten und sofort einen sanften Ausdruck annahmen. Er lächelte mich liebevoll an und ich zuckte kurz mit den Mundwinkeln, dann widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder Lena, die mit den nächsten Sätzen auch endlich Licht in einige noch ungeklärte Dunkelheiten brachte.
„Toms Vergangenheitsschwelgen war zwar nervig für mich, doch ich hatte mich auch damit arrangiert, es meistens sogar einfach ignoriert. Doch in den letzten Wochen hatten sich seine Worte irgendwie verändert, er hatte sich verändert.“ Sie seufzte kurz, es war ein herzzerreißender Laut. „Er blieb immer länger auf Arbeit, war gestresst und oft irgendwie abwesend. Ich schob es auf seine Firma, dachte es läuft vielleicht irgendwie nicht gut, habe mir einfach viel zu wenig Gedanken gemacht und wäre nie auf die Idee gekommen, dass er zu dieser Zeit schon wieder angefangen hatte, Drogen zu konsumieren.“ Mich durchlief ein heftiger Schauder. Ich hätte Tom alles verziehen, Mord, Vergewaltigung, Menschenhandel – was auch immer. Doch dass er einfach so wieder angefangen hatte Drogen zu nehmen, dass war unverzeihlich. Es war abartig und der größte Verrat gegenüber Lexie. Sie war daran gestorben! Überhaupt daran nur zu denken, wieder munter mit dem Scheiß weiterzumachen, war pietätlos, abtrünnig, treulos, verwerflich – es gab nicht mal im Ansatz so viele negative Adjektive, wie ich gebrauchen wollte. Ich stellte die Frage, sie brannte mir bitter auf der Zunge. „Warum? Warum hat er wieder angefangen?“ Sie zuckte für meinen Geschmack etwas zu unschuldig mit den Schultern. „Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich denke, der Grundkern lag darin vergraben, dass er nie eine Therapie gemacht hat, dass er sich nie professionell hat helfen lassen und der Tod von Lexie ihn immer wieder einholte. Er brauchte etwas um mit dem Schmerz umzugehen und die Drogen hatten diesen betäubt.“
Mit dieser Erklärung war ich nicht zufrieden. Ich hatte den Schmerz immer als meine gerechte Strafe hingenommen und wäre nie auf die Idee gekommen, ihn zu verbannen. Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, über das weshalb und warum, es wühlte mich zu sehr auf. Gierig zog ich an meiner Zigarette, bevor ich sie in dem Aschenbecher ausdrückte. Dann konzentrierte ich mich wieder auf Lena, welche selber auch einen letzten Zug nahm, den feinen Rauch sanft zwischen ihren Lippen ausblies und mich dabei bewusst beobachtete.
„Also hat Tom schon vor Monaten wieder mit dem Zeug angefangen!“ stellte ich fest. Sie nickte traurig. „Ja. Und ich habe es nicht bemerkt, nicht mal vermutet -“ Ich unterbrach sie. „Das glaube ich dir nicht. Du hast gesagt, er hatte sich offensichtlich verändert. Da musst du doch so weit gedacht haben, schließlich wusstest du über seine Vergangenheit bescheid!“ Mir war klar, dass meine Worte niederschmetternd und verurteilend waren, aber mein Verständnis reichte nur bis zu einer gewissen Grenze.
Lena biss sich schuldbewusst auf die Lippen, sah mich mit ihren Kulleraugen an und seufzte dann ergebend.“Ich habe es wirklich nie direkt in Erwägung gezogen. Weißt du, ich hätte es ihm nie zugetraut, er hat sich immer so sehr selbst verurteilt, weil er das einst gemacht hat, da war für mich irgendwie selbstverständlich, dass er, besonders nach dem Tod seiner Schwester, nie wieder damit anfangen würde.“
Gut, das konnte ich verstehen. Wenn ich von mir selbst ausging, dann empfand ich genau das. Ich hatte tatsächlich nie mehr auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wieder damit anzufangen. Es hieß, einmal Junkie, immer Junkie – Leute, die dieses dämliche Sprichwort erfunden hatten, brauchten wahrscheinlich eine Rechtfertigung für ihre miese Selbstbeherrschung. Ich war jedenfalls auch davon ausgegangen, dass Tom genauso geheilt gewesen wäre wie ich. Da hatte ich mich gründlich getäuscht. Er war doch viel schwächer, das hatte ich nie erwartet.
Erik riss mich aus meinen trübsinnigen Gedanken, indem er Lena eine Frage stellte, dich auch mich schon lange beschäftigte. „Mal abgesehen von dem Drogenthema. Du musst doch aber bemerkt haben, wann die Persönlichkeitsstörung bei ihm eingesetzt hat. Dass er Maya für Lexies Tod verantwortlich gemacht hat, dass kam doch nicht über Nacht! Solche Psychosen schleichen sich ein, da muss dir doch etwas aufgefallen sein!“ Seine Katzenaugen verengten sich zu Schlitzen, ihre dagegen weiteten sich erschrocken, als hätte er direkt den Nagel auf den Kopf getroffen. Eriks Scharfsinnigkeit machte mir manchmal fast Angst.
Ihre Stimme zitterte und sie brachte die folgenden Sätze nur unter größter Mühe und sehr leise hervor. „Natürlich ist mir das aufgefallen und aus diesem Grund bin ich hier. Deshalb fühle ich mich verantwortlich. Ich hätte dir das ersparen können Maya, wenn ich gehandelt hätte. Aber, aber...mir hat es gefallen!“
Wieder liefen ihr Tränen über die Wange, ihr Gesicht war von Schuldgefühlen verzerrt und sie zitterte zwischen den zahlreichen Schluchzern. Ich fühlte mich wie betäubt, verstand nicht, wovon sie sprach. Mein Gehirn wollte die Information nicht fassen.
Ich sah zu Erik, dessen Miene immer finsterer wurde. Wenn es um mich ging, kannte er keine Gnade und selbst die steineerweichenden Töne dieses lieblichen Mädchens, konnten ihn nicht von den nächsten Worten abhalten. „Wenn du hier hergekommen bist, um dir deine Absolution abzuholen, dann bist du bei uns an der falschen Adresse. Entweder, du reißt dich jetzt zusammen und erklärst uns deine Motive, oder du kannst auf der Stelle gehen.“ Mich überlief eine Gänsehaut, seine Stimme war eiskalt und ohne einen Funken Mitgefühl. So hatte ich ihn auch noch nicht erlebt und betete inständig, dass er so nie mit mir sprechen würde. Da könnte man sich auch gleich einen Strick nehmen.
Lena schaute etwas bedröppelt zu ihm, sicher war sie es nicht gewohnt, so behandelt zu werden. Doch zu meiner Überraschung straffte sie entschlossen die Schultern, schniefte ein letztes Mal und begann dann endlich zu erklären. „Es fing alles damit an, dass sich seine Erinnerungen plötzlich in winzigen Details veränderten. Das war so glaube ich vor zwei bis drei Monaten. Geschichten, die er mir schon zum hundertsten Mal erzählte, klangen anders als sonst. Immer öfter behaftete er deinen Namen mit einem negativen Touch.“ Sie sah zu mir und ich schluckte geräuschvoll. Ich wusste genau, was er da wahrscheinlich erzählt hatte. Schließlich hatte ich mir diesen Irrsinn eine ganze Nacht lang anhören müssen. Doch die Gewissheit, dass er diesen aberwitzigen Blödsinn schon vorher für sich zusammengesponnen hatte, beleuchtete alles nochmal in einem ganz anderen Licht. Sie strich sich geistesabwesend immer wieder über die Beine und berichtete weiter. „Mich hätte es stutzig machen müssen, ich hätte seine neuen Theorien hinterfragen müssen, doch ich habe es nicht getan.“ Ihr Gesicht war voller Gram und sie sah mir direkt in die Augen. „Mir hat es gefallen, was er da sagte. Ich dachte, er würde endlich über den Tod seiner Schwester hinwegkommen und akzeptierte wie selbstverständlich, dass er sich die Wahrheit verdrehte und dich als Sündenbock nahm. Ich ging davon aus, dass es für ihn eben nur auf diese Weise möglich war, das Trauma zu verarbeiten und habe es sogar hämisch hingenommen, dass er dich dabei in den Dreck zog. Ich empfand es als befriedigend, dass du für ihn nicht mehr die übermenschliche Gottheit warst, sondern, dass er deine Fehler sah. Endlich warst du keine schattenhafte Konkurrenz mehr und das erfüllte mich mit tiefer Befriedigung.“
Ich zitterte am ganzen Körper. Knallharte Ehrlichkeit, das hatte ich nicht von diesem Püppchen erwartet.
Hin- und hergerissen, zwischen Verständnis und Wut, wusste ich absolut nicht, wie ich mit ihr umgehen sollte. Am liebsten hätte ich sie geohrfeigt. Wäre sie nicht so selbstsüchtig und ignorant gewesen, so hätte mir die zweitschlimmste Nacht meines Lebens erspart bleiben können. Doch tief im inneren konnte ich trotzdem nachvollziehen, warum sie nicht gehandelt und das Offensichtliche verdrängt hatte.
Die Liebe konnte Menschen zu grausamen Dingen zwingen. Im Grunde hatte sie sich eine kleine Scheinwelt zusammengebastelt, das kannte ich zur Genüge.
„Ist dir bewusst, dass Maya dich für unterlassene Hilfeleistung anzeigen könnte?“ Ein Peitschenhieb aus Eriks Richtung. Er schien vor Wut zu kochen. Irrationales Handeln aus Gefühlsgründen konnte er nicht nachvollziehen. Lena sank förmlich in sich zusammen, sie verlor fast die Beherrschung und antwortete untröstlich. „Ja. Natürlich ist mir das bewusst. Dass ich nichts getan habe, ist unverzeihlich!“
Ihre Stimme bebte und die dunklen Augen versanken hinter einem Tränenschleier. Der ganze Körper schüttelte sich in erbarmungslosen Zitterattacken. Sie fühlte sich wahrscheinlich mehr als elend.
Natürlich tat sie mir leid. Ich schluckte den Zorn hinunter und machte Platz für das Mitgefühl.
Was geschehen war, war nicht mehr zu ändern. Wir alle mussten damit leben und ich fand, sie war bestraft genug. „Ich finde es sehr mutig von dir, dass du dich uns hier stellst und ich schätze dich, für deine Ehrlichkeit.“ Erik sah mich kopfschüttelnd und grimmig an, ich redete unbeirrt weiter. „Ich will nichts schön reden, will dich aber auch nicht verurteilen. Ich weiß nicht, wie ich an deiner Stelle gehandelt hätte.“
Sie blickte mich mit einem kleinen Funken Hoffnung an.
Die Situation wuchs mir über den Kopf. Der Zwiespalt meiner Emotionen machte mich labil, riss alte Wunden auf und fegte wie ein Tornado durch meine Kartenhauswelt. Es war die volle Konfrontation, die mir dank ihrer Beichte entgegenschlug und dafür war ich nicht genug gewappnet gewesen.
Die Tatsache, dass Tom, der liebevolle, kluge und mir bestens vertraute Junge aus meiner Kindheit, mich für eine Nacht gehasst hatte und mich sogar umbringen wollte, das war schon schwer zu akzeptieren gewesen, was ich nur durch die Hilfe des Psychiaters einigermaßen verarbeiten konnte. Doch jetzt, hier, heute – mal nebenbei – erzählte mir dieses ahnungslose Mädchen, dass mich Tom (natürlich) auch schon vorher, während seiner neu entwickelten Psychosen, verabscheut und für alles verantwortlich gemacht hatte. Es waren viele kleine Schläge in meine Magengrube, gefolgt von einem Großen.
Mir wurde urplötzlich bewusst, dass ich an dieser Stelle abbrechen musste, zu meinem Selbstschutz. Mir musste egal sein, wie schlecht und mies sich Toms Verlobte fühlte und ich musste erst recht dagegen ankämpfen, sie von ihrer Schuld freizusprechen. Wie sagte man so schön? Das war nicht meine Baustelle.
Ich war kurz davor, sie rauszuschmeißen, bis ich mich darauf besann, dass mir noch ein paar Fragen auf der Seele brannten. Ich wusste nicht, ob sie mir diese beantworten könnte, aber versuchte trotzdem mein Glück.
Mit all meiner Selbstbeherrschung sprach ich wieder. „Tom war hier in Köln. Nachdem er meinen Laptop gehackt hatte, muss er hier gewesen sein. Jemand hat mich verfolgt und jemand ist in meine Wohnung eingebrochen. Weißt du etwas davon?“
Beide bemerkten meinen abrupten Themenwechsel und Erik bedachte mich mit einem tiefbesorgtem Blick. Wahrscheinlich erahnte er bereits meine seelische Verfassung. Der Ärmste müsste nach diesem Theater hier mal wieder als emotionale Krücke herhalten und das tat mir besonders leid, nicht nur ich litt unter diesem ganzen verfluchten Scheiß!
Lena spürte wahrscheinlich auch meine plötzliche Distanziertheit und antwortete schnell. „Darüber hat mich die Polizei auch schon befragt, ich kann euch nur dieselbe Antwort geben: Tom war viel auf Geschäftsreisen, die letzten Wochen besonders oft und lange. Mit Sicherheit war er hier in Köln. Ich erinnere mich dunkel daran, dass er seinen ehemaligen Mitbewohner besuchen wollte, aber wann das genau war, kann ich nicht mehr sagen.“
Die Antwort lenkte mich von dem tiefen Schmerz in meiner Brust ab. Tom war bei Jesse gewesen? Konnte das ein Zufall sein? Mich schüttelte es bei der Erinnerung an diese tiefen finsteren Augen, den gefährlichen Tattoos und den besitzergreifendem Kuss.
Erik hatte auch sofort den Zusammenhang erkannt. „Er war bei seinem ehemaligen Mitbewohner? Dann muss die Polizei auch ihn verhört haben, weißt du etwas davon?“
Lena schüttelte traurig mit dem Kopf. „So weit ich weiß, sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Da du ja -“ Sie deutete zu mir. „ -keine Anzeige gegen ihn erstattet hast, ermittelt die Staatsanwaltschaft in mehreren Delikten und so etwas zieht sich immer in die Länge. Ich selber wurde schon mehrfach verhört, mir wurde allerdings auch Nichts über den aktuellen Stand mitgeteilt.“
Erik ließ nicht locker. „Und du hattest in der Zwischenzeit keinen Kontakt zu Toms altem Kumpel?“ Seine Frage klang kritisch, auch Lena konnte der skeptischen Ton nicht entgehen und kniff berechnend die Augen zusammen. „Nein, ich habe kein Sterbenswörtchen mit Jesse gesprochen. Ich habe nicht mal eine Nummer von ihm, geschweige denn weiß ich, wo er genau wohnt.“

Nachdem sich Lena verabschiedet hatte und ich mit einem lauten Seufzer der Erleichterung die Tür hinter ihr ins Schloss fallen ließ, waren Erik und ich uns sofort einig gewesen, an diesem Abend die Wohnung nicht mehr zu verlassen. Stattdessen hatten wir es uns auf meinem Sofa bequem gemacht. Ich kuschelte mich fest an ihn, seine starken Arme, die mich beharrlich umschlossen, hielten die schlimmsten Erinnerungen kurzzeitig fern.
„Wie geht es dir jetzt?“ Er nuschelte die Frage in meinen Nacken und mich überlief ein wohliger Schauer.
„Solange du hier bist, gehts mir bestens.“ In Gedanken ermahnte ich mich, daran zu denken, später vorsichtig aufzustehen, die ekelhafte Schleimspur, die ich hinterließ, sammelte sich garantiert monsunmäßig vor meiner Couch. Erik gluckste. „Solche Worte passen irgendwie nicht zu dir.“ Ich stimmte in sein unterdrücktes Lachen ein und boxte dabei verärgert mit meinem Ellenbogen vor seine Rippen. Er schnappte nach Luft, biss mir dann zärtlich im Gegenzug in den Hals und in einem Unterleib entfachte sofort ein gieriges Feuer. Doch schnell wurde Erik wieder ernst und wechselte wie selbstverständlich das Thema, so dass ich mein Verlangen noch im Zaum halten musste. „Findest du nicht auch, dass es ein fragwürdiger Zufall ist, dass dieser Jesse ausgerechnet einen Tag, bevor Tom mit diesen Psychospielchen bei dir anfing, in deiner Stammbar auf der Matte stand und versuchte, dich zu verführen?“
Mir zog sich der Magen zusammen. Ja. Ich hatte gleich gedacht, dass da irgendetwas nicht stimmte und mein Gefühl sagte mir, dass dieser Zusammenhang kein gutes Zeichen war.





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