Willkommen in meinem Leben - Teil 9

Autor: Lydia
veröffentlicht am: 04.01.2011


„Wie bist du nach Hause gekommen?“ fragt Sophia gleich, als sie den Aufenthaltsraum der Oberstufe betritt und mich entdeckt.
Ich schaue von meinem Buch auf und sehe in ihre freundlichen Augen. Ich nicke nur und antworte: „Gut“
„Dann bin ich aber beruhigt. Ich meine, ich hatte dann schon ein schlechtes Gewissen“ redet sie weiter und ich schüttele mit dem Kopf: „Musst du nicht. Ist ja nichts passiert“
„Hast du jetzt Freistunde?“
„Ja, ich hab’ ja kein Bio“
„Ach so, willst du mit mir was essen gehen?“
Mein Blick fällt auf die Tüte mit dem Brötchen drin, das meine Mutter mir heute Morgen extra gemacht hat. Ich schüttele mit dem Kopf und lehne ab: „Nein, danke. Ich habe noch Essen von zu Hause“
Kurz zieht Sophia skeptisch die Brauen zusammen, dann zuckt sie mit den Schultern.
„Sophia, wo bleibst du denn?“ höre ich Maleens Stimme über den Flur und nur wenige Sekunden später steht sie in der Tür neben Sophia. „Da bist du also!“
Ihr Blick fällt auf mich: „Hallo, Lydia… Ich soll dich von Anna grüßen, und du sollst ihr die Daumen drücken für die Bio-Arbeit“
„Ich bin in Gedanken bei ihr“ antworte ich und schaue wieder in mein Buch.
„Willst du was mitessen?“ fragt Maleen mich, nachdem ich nichts mehr sage, sie aber anscheinend noch irgendeine Reaktion meinerseits erwartet hat.
„Nein, will sie nicht“ sagt Sophia, und ich komme nicht drum herum, den Unterton, mit dem sie den Satz sagt, komisch zu finden. „Sie hat noch Essen von zu Hause“
Maleen betrachtet mich eine Weile und nickt dann: „Aaaaah, ja“
Am liebsten würde ich die Augen verdrehen, doch das würde mich verraten. Also lächele ich nur entschuldigend und zucke mit den Schultern: „Morgen wieder“ sage ich versöhnend, und die beiden nicken nur. Sie wenden sich zum Gehen und ich schaue wieder in mein Mathebuch.
„Im Deep bist du aber dabei“ höre ich Maleen noch sagen und ich lache leise und schaue doch mal auf. Doch die beiden sind schon gegangen. Und ich bin allein im Aufenthaltsraum.

Alina sitzt mit geröteten Wangen in meinem Zimmer, während ich mir geduldig anhöre, wie es mit Simon läuft. Klar, jetzt ist noch alles toll. Jetzt schwärmt sie noch, doch auch das wird sich ändern. So wie es sich immer geändert hat. So, wie ich mich geändert habe; so wie mich die Leute in der neuen Schule gerade ändern.
„Und er ist soooo süß“ Sie seufzt übertrieben und strahlt bis über beide Ohren. Doch dann wird sie ernst: „Wann bekomm’ ich eigentlich meine Lederjacke wieder?“
Ich zucke zusammen und schaue sie entschuldigend an: „Tut mir Leid. Ich habe sie aus Versehen in meinen Schrank gehangen“
„Macht nichts“ Alina winkt es mit der Hand ab. Sie ist immer gütiger, wenn sie verliebt ist. „Aber hat sie dir denn überhaupt gepasst?“
Wieder zucke ich zusammen und senke den Blick.
„Oh“ entweicht es Alina. „Lydi, tut mir Leid. So war das nicht gemeint. Dumm von mir. Vergiss es einfach, ja?“
Ich schaue wieder auf und zucke mit den Schultern: „Es muss dir nicht Leid tun, Alina. Ist schon okay“
„Nein, ist es nicht. Das war taktlos“
Wir schweigen eine Weile, bis Alina verzweifelt das Thema wechselt: „Wie war die Party?!“
„Hab’ ich dir doch schon gesagt: Langweilig für mich. Ich habe mich unwohl gefühlt“
„Ja, ja. Den uninteressanten Teil hast du mir schon erzählt!“ sagt Alina ungeduldig. „Was ist mit den spannenden Geschichten“
„Gibt’s nicht!“ erwidere ich schroff. Ich will ihr nichts erzählen. Dann würde sie wieder anfangen zu schwärmen, und ich würde mit schwärmen und ehe ich mich versehe, mache ich mir wegen irgendetwas Hoffnungen. Und das will ich vermeiden!
„Wenn du meinst“ Sie zuckt mit den Schultern. „Irgendwann wirst du es mir erzählen“
„Was werde ich dir erzählen?“
„Alles, was du mir zur Zeit verheimlichst“
„Das glaubst aber auch nur du“ Ich bewerfe sie mit meinem Stoffhasen und sie grinst: „Du weißt, dass ich Recht habe! Ich habe immer Recht“ Sie zwinkert mir zu und zum ersten Mal seit ich auch der Klinik entlassen wurde, fällt mir auf, wie sehr ich meine Schwester liebe und dass ich ohne sie verloren wäre.

„Was liest du?!“ Ohne Vorwarnung lässt sich Luca neben mich auf dem Sofa im Aufenthaltsraum fallen und nimmt mir das Buch aus der Hand. Ich spüre die komischen Blicke von Maleen und Anna auf mir ruhen. Doch ich schaue die beiden nicht an.
„Jane Austen?!“ Luca zieht die Brauen in die Höhe.
Ich nehme ihm das Buch betont langsam wieder aus der Hand: „Du musst es ja nicht lesen“
„Du solltest lieber Mathe lernen“ Er stößt mich spielerisch in die Seite und ich zucke zusammen. „Lass das“ fauche ich.
Doch er lacht nur und schaut dann zu Anna und Sophia: „Kommt ihr am Freitag mit ins Deep?“
Anna nickt: „Ja, na klar“
„Wieso frage ich dich überhaupt“ erwidert Luca, und ich kann nicht einordnen, ob es unfreundlich oder eher ohne Wertung klingt. „John geht ja auch, dann musst du dabei sein“ Er zwinkert ihr zu und Anna verzieht ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse und streckt ihm danach die Zunge raus.
„Und du?“ höre ich ihn fragen, bemerke aber erst gar nicht, dass er mit mir redet. Unbeirrt lese ich weiter in meinem Buch und versuche das Stimmengewirr um mich herum auszuschalten.
„Na klar, kommt sie mit. Maleen hat das schon auf Johns Party festgelegt, als sie so früh nach Hause ist“ erklärt Sophia und erst jetzt dämmert es mir, dass man von mir redet.
Etwas verwirrt schaue ich auf: „Was? – Ähm, ja klar. Ich komme mit“
„Aber nicht, dass ich dich wieder nach Hause fahren muss“ Wieder werde ich in die Seite gestupst, dann steht er auf. „Ich muss dann auch los. SMV Besprechung“ Er verdreht die Augen, zwinkert mir noch kurz zu und verlässt dann den Raum.
Eine Weile schweigen wir drei, doch dann fragen Anna und Sophia gleichzeitig: „Er hat dich nach Hause gefahren?!“, und das so laut, dass es auch der Hausmeister im Keller gehört haben muss. Ich verziehe das Gesicht und zucke mit den Schultern: „Na ja, irgendwie musste ich doch nach Hause kommen“
Sophia und Anna tauschen einen Blick, den ich überhaupt nicht deuten kann, dann grinsen sie mich verschwörerisch an: „Ach so, wenn das so ist“ sagt Anna und ist versucht ihre Stimme geheimnisvoll klingen zu lassen.
Mir ist das Ganze etwas zu dumm – ich füge ihm nicht so viel Bedeutung zu; ich habe andere Sorgen, als mir über so was Gedanken zu machen.
Seufzend klappe ich mein Buch zu und stehe schließlich auf. „Ich gehe schon mal hoch. Bis gleich“ Mit diesen Worte gehe ich aus dem Aufenthaltsraum und schmeiße im Vorbeigehen mein Schulessen weg.




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