Willkommen in meinem Leben - Teil 10

Autor: Lydia
veröffentlicht am: 05.01.2011


Das Deep ist wie immer überfüllt und es ist stickig und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich packe mein Portemonnaie wieder zurück in meine Tasche und drehe mich zu Maleen, Anna und Sophia um. Die drei brauchen immer etwas länger. Ich würde mit den High-Heels, die sie tragen auch nur mit dem Schneckentempo vorwärts kommen.
Unauffällig ziehe ich mir meine Jeans wieder über die Hüften. Ich habe den Gürtel zu locker geschnallt und auch das einfache schwarze Top sitzt locker. Vor allem um den Busen herum spannt bei mir nichts, wie es das bei Maleen immer tut.
Während die drei ihren Ausweis vorzeigen und dann den Eintritt bezahlen ziehe ich meine Jacke aus und sehe mich um. Alina wollte auch da sein. Zumindest hat sie das gesagt. Nicht, dass ich sie unbedingt sehen will, ich sehe sie ja jeden Tag zu Hause, aber irgendwie würde mich der Gedanke stärken, zu wissen, dass sie auch hier ist. Doch ich sehe sie nicht.
Sophia hakt sich von hinten bei mir unter und zieht mich weiter: „Sachen abgeben und dann gleich tanzen“
„Oh, ich weiß nicht“ widerspreche ich, während wir uns durch die Menge kämpfen, von denen Maleen die Hälfte zu kennen scheint.
„Keine Widerrede“ Anna hakt sich jetzt auch bei mir unter. „Wir sehen es als unsere Aufgabe dich ins Leben zurückzuführen, Lydia!“
Kurz erstarre ich innerlich und fahre Anna bissiger, als beabsichtigt an: „Was?!“
Mit großen Augen starrt Anna mich an: „Versteh’ mich nicht falsch, Lydia…“
„Nein, das ist nicht möglich. Ich verstehe dich genau richtig“ Ich befreie mich aus ihrer Unterhakung und knurre leise: „Lass uns die Sachen abgeben“
Ich sehe noch, wie Sophia und Anna sich mit besorgten Mienen anschauen, während Maleen mal wieder nichts mitkriegt.
Mich verwirrt es, nicht zu wissen, ob ich Anna, Sophia und Maleen als Freundinnen sehen kann, oder ob sie mich in jede peinliche Situation rennen lassen würde, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Na, Mädels“ reißt mich die Stimme von John aus den Gedanken. Neben ihn stehen noch zwei weitere Jungs, aus seiner Stufe, die ich nicht kenne. Zumindest nicht persönlich.
John gibt Anna einen flüchtigen Kuss und ich wundere mich sehr, da ich nicht mitbekommen habe, wann die beiden zusammen gekommen sind. Aber wie gesagt: Ich habe meine eigenen Probleme.
„Hey, Jungs“ flötet Maleen und schaut dann zu mir: „Ihr kennt Lydia noch nicht, oder“
„Doch, doch. Wir kennen uns“ antwortet John.
„Mit dir habe ich nicht geredet“ faucht Maleen und nicht zum ersten Mal fällt mir auf, dass Maleen eine ziemliche Zicke ist.
„Also, Lydia. Das sind Felix…“ Sie zeigt auf den größeren von den beiden mit den blonden Haaren. „…und Paul“
Paul ist dann wohl der Kleinere, dessen Kreuz ungefähr doppelt so breit ist wie meines. Ich wette mit mir selber, dass er Leistungsschwimmer ist, und doch weiß ich, dass ich es nie herausfinden werde.
„Ah, cool“ Ich merke wie desinteressiert meine Stimme klingt. „Hi“ sage ich noch, bevor ich mich zu der Garderobendame umdrehe und ihr meine Sachen abgebe.
„Wo ist Luca?“ höre ich Sophia hinter mir fragen, und bei seinem Namen zucke ich irgendwie zusammen.
„Der ist das Auto parken“ antwortet John.
„Dann darf aber einer von euch nichts trinken“ erwidere ich und drehe mich wieder um. Sobald der Satz ausgesprochen ist, beiße ich mir auf die Lippen. Ich höre mich an, wie eine überbesorgte Mutter. Doch das letzte Jahr hat mich einfach zu sehr mitgekommen, als dass ich diese Verkrampftheit ablegen könnte.
Ich sehe wie Schwimmer-Paul die Brauen hochzieht und mich skeptisch anschaut. Schnell füge ich hinzu: „Na ja, mir kann’s ja egal sein“ Nervös spiele ich mit der Silberkette, die ich um den Hals trage.
Sophia lächelt mich aufmunternd an, nimmt meine Hand und sagt: „Lass uns tanzen gehen. Deswegen sind wir ja hier!“
In diesem Moment entdecke ich Alina, weil sie mir wie eine Verrückte zuwinkt. Neben ihr steht ein wirklich gut aussehender Typ mit braunen Haaren und ich weiß sofort, dass es Simon sein muss.
Ich schaue Sophia an und schüttele mit dem Kopf: „Geht ihr schon mal allein. Ich komme gleich nach“
Kurz sieht Sophia mich verblüfft an, doch dann nickt sie: „Ich hoffe du findest uns“
Ich nicke nur und sie lässt meine Hand los und schon ist Sophia mit den anderen in der Menge verschwunden.
Ich wende meinen Blick ab und winke Alina ebenfalls zu, als ich Luca sehe. Er sieht mich auch und kommt auf mich zu. „Und Auto geparkt?“ frage ich und klinge sogar in meinen eigenen Ohren dümmlich.
„Klar“ Er beugt sich zu mir runter und ich denke schon, dass jetzt die Küsschen-Rechts-Küsschen-Links-Scheiße kommt, die ich noch nie mochte. Umso verwunderter bin ich, als es bei Küsschen rechts und der Frage: „Wie geht es dir?“ bleibt.
Ich nicke: „Ja, es geht mir gut“ Lüge! Und das weiß er auch. Das sehe ich an seinem Blick. Doch er bohrt nicht weiter nach, sondern wechselt das Thema: „Wo sind die anderen?“
„Tanzfläche“ antworte ich knapp und zucke gleichzeitig mit den Schultern.
„Gut, dann such’ ich sie mal“ meint er und wendet sich ab, als er sich noch mal umdreht: „Kommst du nicht mit?“
„Später. Ich muss erst kurz zu meiner Schwester“ Ich deute mit dem Kinn auf Alina und Lucas Blick fliegt kurz zu ihr, dann lächelt er mich an: „Okay. Komm’ aber nach“
„Mach’ ich“ versichere ich und drehe mich um und gehe zu Alina.
Bevor sie mir Simon vorstellt oder irgendetwas anderes macht, fragt sie: „Wer war das?“
„Wer?“ hake ich nach, obwohl ich ganz genau weiß, wen sie meint.
„Na, der Typ mit dem du geredet hast“ Sie zwinkert mir zu und fügt dann noch leise hinzu: „Ich wusste, dass du mir was verheimlichst“
„Ach, quatsch!“ winke ich ab. „Das ist gar nichts. Das ist nur Luca“
Sie hört nicht auf zu grinsen, beugt sich zu mir runter, sodass ich an ihrem Atem rieche, dass sie getrunken und geraucht hat. „Er ist süß“ Erst dann wird sie sich um Simons Anwesenheit bewusst und stellt mich ihm vor: „Simon, das ist meine Schwester Lydia. Lydia, das ist Simon“ Sie betont seinen Namen irgendwie komisch, doch ihm scheint das nicht aufzufallen.
„Hi, schön dich kennen zu lernen“ sage ich höflichkeitshalber. Und auch einfach nur Alina zu Liebe. Sonst hätte ich keinen Wert auf seine Bekanntschaft gelegt. Er sieht gut aus, das steht außer Frage, aber er hat eine unsympathische Ausstrahlung.
„Hm, cool“ sagt er nur, und das erste, was ich denke ist: Was für ein komischer Affe! Doch ich sage es natürlich nicht und werfe Alina nur einen Blick zu. Doch sie bemerkt ihn nicht. Wenn sie mit Simon glücklich ist. Und sie scheint total verliebt zu sein. Sie hat einen Freund, und schwebt auf Wolke 7; in dieser Hinsicht hat sie all das, von dem ich nur träumen kann…
„Wo sind deine Freunde?“ fragt Alina nach einer Weile und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
„Ähm…“ Kurz schaue ich mich suchend um, dann zucke ich mit den Schultern. „Keine Ahnung“ Und erst jetzt bemerke ich Alinas Wink mit dem Zaunpfahl. „Aber ich sollte sie unbedingt suchen!“ Mit diesen Worten winke ich leicht und drehe mich um und wäre beinahe ein paar Stufen hinunter gestolpert und das sogar ohne High-Heels!
Doch ich fange mich wieder, laufe rot an und kämpfe mich durch die Masse bis hin zur Tanzfläche, welche natürlich maßlos überfüllt ist. Manche Sachen sind auch ein Jahr später genau gleich. Es sieht genauso aus wie früher, es ist genauso voll wie früher – nur die Musik ist eine andere. Immer an die Charts angepasst. Doch auch hier scheinen einige Lieder so eine Art Dauerbrenner zu sein.
Ich stelle mich an die Bar und blicke suchend über die tanzende Menge. Es riecht nach abgestandener Luft und Schweiß. Ich rümpfe unwillkürlich die Nasse und sehe weiter auf die Tanzfläche. Jungs die Mädchen antanzen oder anbaggern, Mädchen, die die Haare von der einen Seite zur anderen werfen.
Ich gehörte nie zu den Mädchen, die so tanzten oder sich so in einem Club verhielten. Ich war schon immer – und bin es wahrscheinlich auch jetzt noch – zurückhaltend. Deswegen gehöre ich auch nicht zu den Mädchen, die reihenweise von Jungs angetanzt werden.
Hanna sagte damals einmal: „Lydia, du musst unbedingt etwas gegen deine abweisende Ausstrahlung tun, sonst kriegst du nie einen Typen ab!“
Und was, wenn ich gar keinen Typen „abkriegen“ wollte?! Ich will nicht nur eine Nummer von vielen sein. Ich glaube an Liebe, an Geborgenheit und an Treue in einer Beziehung. Vielleicht ist Hanna gerne ein Betthäschen – ich bin es nicht!
Ich weiß, dass meine Ausstrahlung abweisend sein muss. Ich stehe ja nur hier rum mit meiner zu locker sitzenden Jeans, irgendeinem Top, dass ich auch schon seit einigen Jahren zu besitzen scheine, und Ballerinas, die so langweilig aussehen, wie ein 08/15-Passfoto. Verschränkte Arme, mürrischer Blick, ungemachte Haare – aber wartend auf die große Liebe.
Irgendwie muss ich selber darüber lachen grinse leicht vor mich hin.
„Lydia!“ reißt mich Maleens schrille Stimme aus meinen Gedanken. „Da bist du ja!“ Ohne Vorwarnung packt sie meine Hand und zieht mich mitten in die Masse, die ich mit Abscheu beobachtet habe. Doch jetzt befinde ich mich mittendrin. Schwitzende Körper an meinem und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch zu einem dieser schwitzenden Körper werde.
Während ich lustlos neben Sophia und Maleen tanze, welche wie wild gewordene Cheerleader umherhüpfen, denke ich darüber nach, was ich am Tag schon alles getrunken und gegessen habe. Ich komme zu dem Ergebnis, dass es nicht viel gewesen sein kann.
Ich beuge mich zu Sophia und frage sie nach Anna.
Sophia grinst schief: „Wo wohl?!“
Ich zucke nur mit den Schultern und gebe keine Antwort. Auch Sophia sagt nichts mehr. Das ist auch nicht nötig; ich denke, wir wissen beide, dass sie mit John tanzt.
Maleen tanzt mit irgendeinem Typen, dessen Namen sie sicherlich noch nicht einmal kennt, Sophia scheint auch ihren Spaß zu haben und ich? Ich stehe in der Mitte, habe keine Lust zum Tanzen, merke, wie ich immer schneller atme, weil die mir die Luft nicht ausreicht. Mir wird schlecht.
Ich habe zu wenig getrunken, die Luft ist zu stickig und mir ist zu warm. Ich berühre Sophia leicht am Arm: „Ich muss raus“ Ich wende mich schon von ihr ab, als sie mich am Handgelenk festhält: „Soll ich mitkommen?“ fragt sie. Doch ich schüttele mit dem Kopf: „Nein, bleib du hier. Ich komm’ klar“ Ich mache mich von ihr los, dränge mich durch die Menschenmasse und schnappe wie ein Fisch, der nicht mehr im Wasser ist, nach Luft.
Ohne meine Sachen aus der Garderobe zu holen, stolpere ich die Treppen nach oben zum Ausgang, als mir schwindlig wird. Ich merke nur noch wie ich zusammenklappe, dann wird mir schwarz vor Augen. Wie damals, als ich am nächsten Morgen im Krankenhaus aufgewacht bin; Unterernährung, Flüssigkeitsmangel. Und ich kann nur noch denken: Ich will nicht wieder in die Klinik!




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