Willkommen in meinem Leben - Teil 6

Autor: Lydia
veröffentlicht am: 27.12.2010


„Wenn du in Mathe weiterhin so schlecht bist, dann sehe ich für dich in diesem Kurs schwarz, Lydia“ sagt Herr Schmitt ehrlich, als er mir meine Mathe-Arbeit zurückgibt. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass Sophia versucht einen Blick auf meine Notenpunktzahl zu erhaschen. Doch schnell drehe ich das Blatt um; die Zahl zwei habe ich selber gesehen und das reicht mir.
„Komm doch bitte nach der Stunde noch mal zu mir“ meint Herr Schmitt und lächelt mich freundlich aber auch gleichzeitig besorgt an.
Ich nicke nur und packe die Arbeit weg.
„Was hast du?“ Der Karottenkopf, den ich eigentlich langsam beim Namen nennen sollte, dreht sich uns rum.
Ich zucke mit den Schultern: „Nichts Gutes“
Dann schaut Robin zu Sophia: „Und du?“
„Zehn Notenpunkte“ Sie lächelt stolz und ich freue mich ehrlich mit ihr. Obwohl ich auch lieber zehn Notenpunkte hätte, als zwei.

Am Ende der Stunde stehe ich am Lehrerpult, während Sophia, Anna und Maleen – die beiden Klassensprecherinnen - auf mich warten, um in der Mittagspause mit mir etwas Essen zu gehen.
Auch den Leuten an der neuen Schule ist mein Untergewicht nicht entgangen und vor allem die Leute, zu denen ich nach drei Wochen das beste Verhältnis habe, versuchen mich oft zum Essen zu bewegen. Vor allem im Sportunterricht beim Umziehen wurden Sachen gesagt wie: „Oh, Lydia. Du gehört aber auch zu den ganz Dünnen“ Das war weder böse noch irgendwie anders wertend gesagt und gemeint.
Diese Mädchen wussten nichts von den letzten paar Monaten, dennoch fiel jedem auf, dass ich ziemlich dürr war. Aber niemand kennt meine Geschichten. Und das soll auch so bleiben.
„Ich meine es ernst, Lydia“ sagt Herr Schmitt nachdrücklich. „Wenn die nächste Arbeit nicht gut wird, dann wird in deinem ersten Halbjahreszeugnis ein Unterkurs in Mathe stehen. Du kannst deswegen durchfallen“
„Ich weiß“ erwidere ich leise und schaue auf meine Schuhspitzen.
„Hast du es schon mal mit Nachhilfe versucht?“
Ich schüttele mit dem Kopf: „Bis vor ein paar Wochen ging ich sehr unregelmäßig zur Schule und an Nachhilfe war da gar nicht zu denken“
„Hör mal, Lydia!“ Herr Schmitt senkt die Stimme, sodass die drei Mädels mit Sicherheit kein Wort mehr verstehen können. „Ich weiß nicht, was du in der letzten Zeit durchmachen musstest, aber dir scheint es wieder besser zu gehen, und du gehst jetzt nun mal wieder zu Schule. Du gehst in die Oberstufe auf ein Gymnasium und du musst in Mathe unbedingt etwas tun!“
„Ich weiß, Herr Schmitt“
„Vielleicht kann ich ja jemanden aus den Klassenstufen Zwölf und Dreizehn fragen, ob jemand dir helfen kann. Ein paar Mathe-Freaks sind da schon dabei“ Er zwinkerte mir zu. „Denn, wenn ich dir etwas erkläre, verstehst du es anscheinend nicht“
„Sieht so aus, was?“ Auch ich muss lächeln.
Herr Schmitt nickt und zeigt dann auf Sophia und die anderen beiden: „Lass deine Freundinnen nicht länger warten“
Ich will gerade sagen, dass das nicht meine Freundinnen sind, schlucke diese Worte aber herunter und nicke.
Dann drehe ich mich zu den Dreien um. Sie lächelnd mich herzlich an und ich denke sofort, dass sie vielleicht doch Freundinnen von mir sein könnten.

Wir sitzen in der Kantine der Schule und ich schaue mit gelangweilter Miene auf mein Essen und wage mich nicht die fettigen Bratkartoffeln und die noch fettigere Bratwurst in meinen Mund zu stecken.
Während alle anderen schon fast fertig sind, habe ich gerade mal meinen Salat beendet und ringe mit mir um den Hauptgang.
„Iss’ doch was“ meint Sophia und zeigt mit ihrer Gabel auf meinen Teller.
„Ich brauch’ nur eine Pause“
„Von deinem Salat?“ Skeptisch zieht Anna eine Braue in die Höhe.
Unsicher antworte ich: „Ja?“
„Wie du meinst“ wirft Maleen schnell ein und wechselt dann Thema, wofür ich ihr sehr dankbar bin: „Hört mal, Nik aus der Zwölf feiert seinen Geburtstag nächste Woche. Wollt ihr vielleicht mitkommen? Ich trau’ mich nicht alleine hin“ Sie kichert nervös und ich weiß auch warum. Sie mag Nik schon seit längerem echt sehr und er sie anscheinend auch und jetzt hat er sie zu seinem achtzehnten Geburtstag eingeladen. Natürlich war sie total aus dem Häuschen und ich glaube nicht, dass es jetzt besser ist.
Erwartungsvoll schaut sie von Anna zu Sophia, dann blickt sie hastig auch zu mir: „Du kannst natürlich auch mit, wenn du willst“
„Danke. Ich schaue mal, ob ich Zeit habe“ antworte ich, obwohl ich genau weiß, dass ich Zeit habe. Seit ich komplett den Kontakt zu meinen alten Freunden abgebrochen habe, war ich abends nicht mehr weg. Und die Zeit davor sowieso nicht.
„Wir sind auf jeden Fall dabei“ meint Anna nach einer Weile und Sophia schaut fröhlich zu mir: „Ich fänd’s toll, wenn du auch mitkommen würdest“
„Wie gesagt, ich schau’ mal. Außerdem kenn’ ich den doch gar nicht“ werfe ich ein, doch Maleen winkt gleich ab: „Ach komm, das ist doch nun wirklich egal“
„Wenn du meinst. Ich sage dir morgen Bescheid“ Ich nehme mein Tablett und meine Tasche und schaue auf die Wanduhr. In einer Viertelstunde habe ich Kunst. „Ich geh’ dann mal. Ich muss noch mal Kunst wiederholen. Wir sehen uns morgen“ Sophia, Anna und auch Maleen hatten alle Musik gewählt.
„Alles klar. Schönen Tag noch“ wünscht mir Sophia.
„Sag’ mir Bescheid wegen der Party“ ruft mir Maleen noch hinterher und einige in der Kantine drehen sich zu mir und ihr um, was mir etwas peinlich ist.
Schnell gebe ich mein Tablett ab und stecke meine Hände in die Taschen meiner langen und viel zu großen, blau-weiß gestreiften Strickjacke.
Ich will die Kantine gerade verlassen, als jemand meinen Namen ruft: „Lydia“
Ich schaue verwundert und vielleicht auch wenig verständnislos auf und will stehen bleiben, doch Luca holt mich schnell ein und läuft einfach weiter, sodass auch ich weitergehen muss.
„Du heißt doch Lydia?“
„Hmhm“ nicke ich nur.
„Herr Schmitt hat mich gerade angesprochen. Er meinte, du hättest echte Probleme in Mathe“
Ich lache leise: „Das spricht sich aber schnell rum“
„Nein, nein. Er meinte nur, ob ich dir vielleicht nicht helfen könnte“ Ich spüre wie er mich schräg von der Seite anschaut.
Ich bleibe stehen und blicke überrascht in seine irgendwie neckisch aussehenden Augen. „Du?!“
Er lacht und schüttelt mit dem Kopf: „Ja. Wieso? Seh’ ich so doof aus?“
Sofort laufe ich rot an: „Nein, nein. So meinte ich das nicht. Ich meine, ich kenne dich ja gar nicht. Ich kann also nicht wissen, ob du geistig etwas beschränkt bist, aber…“ Ich halte inne. Herzlichen Glückwunsch, Lydia! Erfolgreich verzettelt. Warum passiert mir immer so was?
Er blickt mich an, als wäre ich verrückt, was ich in seinen Augen wahrscheinlich auch bin und sagt dann hastig: „Na ja, wie dem auch sei. Diese Woche ist schlecht. Lass uns was für nächste Woche ausmachen“
„Wie?“ frage ich dümmlich, da ich mit dieser Situation total überfordert bin. Ich befand mich bisher selten in einer solchen Situation, eigentlich so gut wie nie. Und wenn, dann bestimmt nur ein oder zweimal. Lächerlich, oder?
„Na ja, wegen Mathe“
„Achsooo“ sage ich gedehnt.
„Wie passt dir Dienstag?“
Ich gehe kurz gedanklich meinen Terminkalender durch, der nicht allzu vollgepackt ist und nicke schließlich: „Dienstag ist gut“
„Gut, dann Dienstag in der Mittagspause.“ Mit diesen Worten wendet er sich von mir ab und geht den Flur entlang bis zu Sporthalle, wo ich ihn aus den Augen verliere.
Was war das denn? So dämlich habe ich mich ja noch nie verhalten, ärgere ich mich die ganze Zeit über mich selber, bis ich im Kunstraum ankomme und den Theoriestoff der letzten Stunden noch mal durchgehen will. Doch in meinem Kopf ist nur sein Name und diese klaren, grünen Augen.




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