Willkommen in meinem Leben - Teil 24

Autor: Lydia
veröffentlicht am: 06.08.2011


„Du gehst auf den Abiball als Gast, während ich kellnern darf?!“ Sophia schaut mich völlig empört an, während ich nur einen weiteren Schluck von meinem Eiskaffee von Starbucks nehme.
Es ist der erste warme Tag im Sommer; geschätzte 25°C, und wir sitzen in unserer Freistunde am Neckar. Auch, wenn ich weiß, dass ich so gut wie kaum braun werde, sondern eher Sonnenbrand bekomme, liege ich in der Sonne und lasse mir meine dünnen Storchenbeine durch die Sonne wärmen.
Maleen liegt auf einem Handtuch neben mir und schiebt ihre Sonnenbrille auf den Kopf. „Ah, dann seid ihr also wieder zusammen?“
Ich drehe den Kopf und schaue sie. In ihrer Frage schwingt ein komischer Unterton mit, den ich nicht ganz deuten kann und wieder einmal wird mir schmerzlich bewusst, dass Maleen nicht zu den Menschen gehört, den man blind vertrauen kann.
„Ja, diesmal fest und relativ offiziell“ Ich lächele unsicher und bin froh, dass man durch meine Sonnenbrille nicht sehen kann, dass meine Augen nicht lachen.
„Anna hat mir das mit dem Abiball erzählt und mit eurer kurzen Trennung“ Bei dem Wort Trennung macht Maleen eine Geste, die wohl für Anführungsstriche stehen soll.
Ich nicke nur und blicke hinunter zum Fluss, wo Anna und John stehen und sich küssen. Nach dem Abi hatte er eine Woche schulfrei, doch jetzt muss er noch drei Wochen in die Schule gehen und lernen, bis zum mündlichen Abi – genau wie Luca.
„Ja, da hat Anna nicht gelogen“ Wieder lächele ich unehrlich und lege mich rücklings neben Sophia auf die große Decke in Gras, die sie mitgebracht hat. Ich schaue sie an und frage: „Und du musst wirklich kellnern?“
„Ja… aber so schlimm wird’s schon nicht werden. Ich darf immerhin das Trinkgeld behalten“
„Von mir bekommst du das meiste“ erwidere ich und zwinkere ihr zu, obwohl sie meine Geste ja gar nicht sehen kann.
„Ich wollte auch erst kellnern, aber dann hat mich David gefragt, ob ich mit ihm hin will…“ mischt sich Maleen wieder mit ins Gespräch ein.
„David?“ Sophia zieht fragend die Brauen nach oben.
Maleen nicht: „Mhm… wir waren zusammen im Ritzz, in Mannheim. Und danach sind wir noch zu ihm“ Sie schenkt uns beiden ein vielsagendes Lächeln. Sie redet nicht weiter, doch den Rest kann ich mir denken.
Sophia kichert und stupst Maleen spielerisch an: „Was du immer machst! Pass’ auf, dass du nicht den Ruf als Schlampe bekommst“
Ich verstehe Sophias Kommentar nicht. Soweit ich weiß, hat sie diesen Ruf doch schon längst. Zumindest wenn man den Geschichten von Tobias und Florian Glauben schenken darf.
Ich will gerade die Augen schließen und noch ein wenig die Sonne genießen, doch Maleens Stimme hält mich davon ab: „Haben Luca und du eigentlich schon…“ Sie vollendet ihren Satz nicht und dennoch weiß ich, was sie fragen will.
Ich nehme die Sonnenbrille von der Nase und schaue prüfend zwischen ihr und Sophia hin und her.
Ich zögere eine Weile und selbst wenn ich vorgehabt hätte, diese Frage unbeantwortet zu lassen, so hätte ich mich durch dieses Zögern verraten. Also antworte ich wahrheitsgemäß: „Nein“
Maleen reißt überrascht die Augen auf Sophia tätschelt mir freundschaftlich den Rücken: „Lass dich nicht drängen“
Unwirsch schüttele ich ihre Hand ab und schaue Maleen wartend an. Ich weiß, dass sie dazu noch etwas sagen will. Etwas, das zu Maleen passt. Etwas Zickiges. Etwas Biestiges. Und ich sollte Recht behalten.
„Das wundert mich. Weil weißt du, ich kenne Luca schon ziemlich lange und auch ziemlich gut, will ich mal behaupten. Und Luca ist keiner, der sich mit so was Zeit lässt“
Ich weiß nicht ganz, ob sie mit „so was“ mich oder den Sex meint. Ich hoffe, sie meint Letzteres.
Ich schlucke kurz und überlege, ob ich etwas Gemeines erwidern soll. Doch ich entscheide mich dagegen; weil ich nicht weiß, was ich antworten könnte und weil Maleen es mir nicht wert ist. Sie ist keine Freundin, sondern einfach nur eine flüchtige Bekannte, die mal was mit meinem Freund hatte und jetzt leichte Stiche der Eifersucht verspürt. Zumindest versuche ich mir das einzureden.
Ohne weiter auf ihren Kommentar einzugehen, versuche ich das Thema zu wechseln: „Wollten nicht noch Tobias und Florian kommen?“
Maleen grinst triumphierend und legte sich wieder ins Gras. Auf meine Frage antwortet sie nicht.
„Ja, aber erst später“ antwortet mir Sophia und reicht mir den Beutel mit Gummibärchen, den sie aus ihrer Tasche herausgekramt hat. „Willst du?“
Mir wird schon schlecht, wenn ich mir die Dinger nur anschaue und schüttele mit dem Kopf. „Nee, ich krieg’ im Moment nichts runter. Trotzdem danke“
Und dann stellt mir Maleen völlig indiskret eine Frage, mit der ich nie gerechnet habe: „Sag mal, Lydia, hattest du mal eine Essstörung?“
Ich zucke merklich zusammen und höre Sophia neben mir streng rufen: „Maleen!“
Doch sie schüttelt nur mit dem Kopf: „Ach, komm schon, Sophia! Als ob das so ein Geheimnis wäre. Jeder auf der Schule denkt das!“
„Maleen! Es ist gut jetzt!“
Ich lege Sophia beschwichtigend meine Hand auf ihren Arm und sage: „Nein, schon gut. Wenn Maleen es unbedingt von mir hören will“ Ich drehe mich zu Maleen um und nicke: „Ja, ich war magersüchtig. Bis vor ein paar Monaten war ich noch in einer Klinik. Reicht dir das an Information, oder willst du jedes einzelne, niederschmetternde und erbärmliche Detail hören?“ Meine Stimme hat an Schärfe angenommen, die ich von mir nicht gewohnt bin und gleichzeitig spüre ich, wie sich meine Augen mit Tränen füllen.
Kurz ist Maleen sprachlos und fast bilde ich mir ein, dass sie sichtlich geschockt, aber auch gerührt ist. „Ich hatte ja keine Ahnung“
„Und genau das ist dein Problem! Du hast von nichts eine Ahnung!“ sage ich heftiger als beabsichtigt, packe meine Sachen zusammen, und stehe auf. „Wir sehen uns morgen“ meine ich leise und gehe ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren.

„Nein, Lydi“ Alina schüttelt mit dem Kopf. „In dem Kleid gehst du unter. Es ist…“ Sie zögert, dann sagt sie aufrichtig: „…zu groß“
„Das ist Größe S!“ rufe ich aus.
„Dann fällt es eben groß aus!“
Ich nicke nur und drehe mich noch mal im Kreis. Das eisblaue Kleid hat Alina für mich ausgesucht und sieht wirklich gut aus. Doch ich bin zu klein und für dünn für dieses Kleid. Der Saum schleift auf dem Boden und mein Busen sieht aus wie der einer achtjährigen – was so viel heißt wie, er ist nicht vorhanden.
„Was ist mit dem?“ Alina hält ein mintgrünes Cocktailkleid mit einer weißen Schleife um die Taille in die Höhe und ich ziehe eine Grimasse.
„Gut, dann sind wir uns einig“ Alina lacht herzhaft. „Zieh die anderen an!“
Die Anderen sind bestimmt gut zehn Kleider die entweder in meiner Umkleidekabine oder über Alinas Unterarm hängen. Auch, wenn ich bis jetzt erst zwei Kleider anprobiert hatte, so habe ich jetzt schon keine Lust mehr. „Oh, Alina. Ich will gehen! Ich glaube, ich sag’ einfach ich bin krank!“
Alina macht ein gespielt empörtes Gesicht und schüttelt mit dem Kopf: „Das kommt gar nicht in Frage! Du gehst da schön hin und wirst bezaubernd aussehen – außerdem willst du mit Luca doch hin, wenn ehrlich zu dir selbst bist“
Ich weiß, dass sie Recht hatte und nicke deshalb nur, ohne das Thema weiter zu vertiefen und nehme ihr ein weiteres Kleid ab; Farbe Silber. Und ich weiß jetzt schon, dass diese Farbe an mir grässlich aussehen wird.
Etliche Kleider später, ziehe ich endlich das letzte Kleid an; Größe XS.
Lustlos ziehe ich es an und verheddere mich mit dem Unterrock aus Baumwolle und dem Überrock aus Spitze, welche bei meinem Glück bestimmt reißt, bevor ich das Kleid anhabe.
Das Kleid reicht mir bis knapp über den Knien und hat eine Farbe, die weder als dunkelblau, noch als grau gelten kann. Irgendwie ist es ein rauchiges Blau, und es erinnert mich an die Farbe des Atlantiks bei Sturm. Ich krieche in die mörderisch hohen High-Heels, die mir Alina provisorisch geliehen hat, während sie jetzt meine roten Keds trägt. Gott sei Dank haben wir beide Schuhgröße 38!
„Ich weiß nicht so recht, Alina“ meine ich unsicher.
Sie lächelt mich breit an und schweigt eine ganze Weile, bis ich noch unsicherer werde. „Ich kann mir vorstellen, dass ich doof aussehe. Du brauchst nicht noch so zu grinsen“
„Du Dummchen! Du siehst toll aus! Das ist dein Kleid!“
Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse und drehe mich erst dann zum Spiegel um. Ich bin nicht halb so begeistert wie Alina, aber ich muss zugeben, dass mein Anblick mir in diesem Moment ganz gut gefällt. Das Kleid lässt mich nicht halb so dünn erscheinen, wie ich es eigentlich bin und lässt sogar meine Blässe relativ gut aussehen.
„Wusstest du, dass deine Augen dieselbe Farbe wie das Kleid haben?“ fragt mich Alina schließlich und stellt sich neben mich.
Ich zucke nur mit den Schultern und widerspreche ihr dann: „Meine Augen sehen grünlicher aus“
„Du hast aber auch an allem etwas zu meckern!“ Leicht stößt sie mir ihren Ellenbogen in die Seite. „Anstatt, dass du sagst: Danke Alina, dass du dieses wundervolle Kleid für mich gefunden hast, musste du wieder den Griesgram raushängen lassen“
„Tu’ ich doch gar nicht!“ erwidere ich empört und streiche kurz über den Stoff des Kleides. „Meinst du ich soll es nehmen?“
„Wenn nicht, dann kauf’ ich es mir, das verspreche ich dir!“ Sie zwinkert mir zu und ich weiß, dass sie ernst meint, was sie gesagt hat.
„Ach ja…“ wechselt sie plötzlich das Thema. „Ich habe letztens Simon getroffen“
Sofort werde ich hellhörig und werfe ihr einen neugierigen Blick zu: „Und?“
„Und… er ist dreimal durch die Bio-Chemie Grundkurs Prüfung gefallen. Er ist durchgefallen“
Auch, wenn es fies ist und traurig für Simon, so kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Jeder bekommt das, was er verdient“ meint Alina und zuckt mit den Schultern, während sie die unzähligen Kleider weghängt.
„Hoffentlich“ murmele ich und denke dabei automatisch an Maleen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, es Alina zu erzählen, doch ich entscheide mich dagegen. Ich muss langsam lernen wieder allein klar zu kommen. Alleine mit meinen Problemen. Alleine mit meinen Sorgen. Alleine mit meinem Leben.
Die Zeit, in der mich in andere Arme geflüchtet habe, muss nun endlich vorbei sein!







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