Willkommen in meinem Leben - Teil 3

Autor: Lydia
veröffentlicht am: 14.12.2010


Hier Teil 3. Ich hoffe es gefällt euch ebenso wie die letzten beiden Teile.

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Bevor ich die Tür zur Wohnung aufgeschlossen habe, öffnet meine Mutter sie.
„Hallo, mein Schatz“
Ohne sie zu begrüßen, frage ich: „Warum bist du zu Hause?“
„Ich habe mir zwei Wochen Urlaub genommen“ antwortet sie und nimmt mir meine Schultasche ab. „Und für gewöhnlich, sagt man erst mal „Hallo“.“
„Hallo“ murmele ich und ziehe mir meine Schuhe aus.
„Willst du dir nicht mal neue Schuhe kaufen?“ fragt meine Mutter skeptisch und schaut auf meine abgetragenen Chucks.
„Wieso?“
„Weil diese hier total auseinander fallen“
„Das meine ich nicht. Ich meine, warum hast du dir zwei Wochen Urlaub genommen?“
Sie zögert eine Weile und eigentlich weiß ich die Antwort.
„Du wurdest gerade erst aus den Klinik entlassen, du gehst schon gleich wieder zur Schule und musst immer noch zweimal im Monat zum Psychologen. Ich will einfach für dich da sein“ erklärt sie und geht in die Küche. Ich folge ihr.
„Das musst du nicht. Ich komme allein klar“
„Nein, Lydia!“ Es ist das erste Mal seit Langem, dass meine Mutter die Stimme hebt. Sie dreht sich mit entschlossener Miene zu mir um: „Du kommst eben nicht allein klar“ Sie stellt meine Schultasche auf die Arbeitsplatte ab und holt meine Brotbüchse hervor. Ich habe kein einziges gegessen.
„Was ist das?“ fragte sie streng.
Ich zucke nur mit den Schultern: „Brot, würde ich sagen“
„Was soll das, Lydia?! Warum hast du sie nicht gegessen?“
„Ich hatte keine Hunger!“ erwidere ich.
Meine Mutter schüttelt verzweifelt mit dem Kopf: „Du musst essen, Lydia. Ich dachte in der Klinik hätten sie dir geholfen“
Ich zucke zusammen. „Es tut mir Leid. Es ist nicht alles so leicht“ Ich nehme die Brote an mich. „Ich esse sie jetzt“ Ich will damit in mein Zimmer gehen, doch meine Mutter hält mich fest.
„Du isst sie hier!“
Sie denkt bestimmt an die vielen Mahlzeiten, die ich in meinem Zimmer habe vergammeln lassen, nur damit jeder denkt, ich würde etwas essen.
„Okay“ murmele ich und setzte mich an den Küchentresen. Angewidert starre ich auf die Brote mit der dicken Schicht Butter. Es war alles nicht ganz leicht, und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich noch zwei weitere Monate in der Klinik geblieben wäre, doch das wollte ich nicht.
Ich beiße einen kleinen Bissen, als mich meine Mutter fragt: „Wie war dein Schultag?“
Ich zögere mit meiner Antwort, schlucke das Brot herunter und sage das, was ich wirklich will: „Ich will die Schule wechseln!“

„Wieso willst du die Schule wechseln?“ Mein Vater und Alina schauen beiden genauso überrascht und verwirrt, wie es meine Mutter getan hat, als ich ihr erzählt habe, dass ich die Schule wechseln will.
„Ich halt die Blicke nicht aus“ gebe ich ehrlich zu.
„Welche Blicke?“ fragt mein Vater nach und ich schaue ihn wütend an, denn eigentlich könnte er sich ja denken, welche Blicke ich zu spüren bekomme.
„Diese Mitleidsblicke. Den Spott in den Augen – einfach alles. Ich halt das nicht aus“ erwidere ich, lauter als beabsichtig und drücke das Kissen, das immer auf unserem Sofa liegt, enger an mich.
„Das legt sich bestimmt wieder“ versucht Alina mich aufzuheitern, doch ich schüttele nur mit dem Kopf: „Ich kenne meine Klasse. Das wird nicht aufhören. Ich werde immer das Mädchen bleiben, das magersüchtig war… oder ist. Außerdem sind Kommentare unertragbar“
„Vielleicht sollten wir einmal mit deinen Lehrern sprechen“ schlägt meine Mutter vor und sofort springe ich auf: „Nein! Tut das nicht. Bitte!“ Ich schaue flehend von meinem Vater zu meiner Mutter. „Lasst mich einfach die Schule wechseln. Lasst mich einfach neu anfangen; in einer Schule, wo mich keiner kennt. Wo ich einfach nur Lydia Weller bin!“ Ich lasse mich wieder auf’s Sofa sinken.
Meine Eltern tauschen einen ratlosen Blick und Alina zuckt nur mit den Schultern, bevor sie sich auf meine Seite stellt: „Ich sehe nicht, wo da das Problem liegt, oder Papa?“ Alina setzt sich neben mich und legt mir einen Arm um die Schulter.
„Was ist mit Hanna? Willst du nicht mit Hanna in einer Klasse bleiben?“ fragt meine Mutter.
„Nein“ antworte ich knapp.
„Oh“ Ist die Reaktion meiner Mutter und von Alina bekomme ich einen fragenden Blick, dennoch hakt sie nicht nach.
Eine Weile schweigen wir alle und ich schaue fragend von einem zum anderen, bis mein Vater sich schließlich räuspert und die Stille durchbricht: „Nun gut, es ist zwar alles etwas kurzfristig, aber ich denke nicht, dass ein Schulwechsel irgendwelche Probleme bereiten sollte“
Ich beginne zu lächeln und sage leise: „Danke“
„Jetzt ist nur noch die Frage, welche Schule“ erwähnt meine Mutter und Alina steht sofort auf und zieht mich am Handgelenk hoch: „Lydi und ich schauen im Internet nach“ Mit diesen Worten zieht sie mich aus dem Raum.
„Was ist mit Hanna passiert?“ fragt sie mich, noch bevor wir in ihrem Zimmer sitzen und sie ihren Laptop startet.
„Nichts. Wir sind nur einfach keine Freundinnen mehr“ antworte ich.
„Und dein plötzlicher Schulwechsel…“ Sie formuliert es wie eine Frage, lässt den Satz aber offen im Raum hängen.
„Alina, verstehst du denn nicht?!“ rufe ich verständnislos aus. „Ich möchte einfach wieder in eine Klasse gehen, in der nicht jeder weiß, dass ich die letzten zwei Monate in einer Klinik verbracht habe!“
„Doch, das verstehe ich“ Sie nickt und tippt in Google „Gymnasien in Heidelberg“ ein.
Nur eine halbe Stunde später ist meine Wahl getroffen: St. Raphael Gymnasium, eine christliche Privatschule.
„Du weißt schon, dass Mama und Papa dann 150€ im Monat zahlen müssen“ bemerkt Alina trocken.
„Die Klinik hat sie mehr gekostet“ erwidere ich nur und drucke die Seiten zur Schule aus.
„Außerdem ist es ziemlich weit von zu Hause weg“ wirft Alina erneut ein. Und langsam bekomme ich das Gefühl, dass mich davon abhalten will auf’s St. Raphael zu gehen.
„Dann fahre ich eben mit der Bahn, oder mit dem Bus“
„Bis nach Neuenheim?“ Sie zieht fragend die Brauen in die Höhe.
„Ich sehe da kein Problem“ Ich zucke mit den Schultern und ziehe die Blätter aus dem Drucker.
Alina erwidert daraufhin nichts und ich weiß, dass auch sie dabei eigentlich kein Problem sieht.
Ich drehe mich zu ihr um: „Bei dieser Schule habe ich eben ein gutes Gefühl“
„Bei einer christlichen Privatschule?“ fragt sie, während sie zu der Tüte mit Gummibärchen greift, die auf ihrem Couchtisch liegen. „Du bist noch nicht einmal konfirmiert“
„Zeiten ändern sich“ Ich zucke mit den Schultern.
„Wenn du meinst“ Sie reicht mir die Tüte mit den Haribo. „Hier, iss’!“
Angewidert verziehe ich das Gesicht; ich mochte Haribo noch nie besonders, mal davon abgesehen, dass ich sofort wieder die Kalorienanzahl vor meinem inneren Auge sah. „Bitte nicht, Alina!“
„Wenigstens zwei oder drei“
Ich seufze und gebe nach und stecke die drei gelben Gummimännchen auf einmal in den Mund: „Zufrieden?“ frage ich sie trotzig mit vollem Mund.
„Ja, voll und ganz“ Alina grinst breit und knufft mir liebevoll in den Bauch.
„Und? Seit ihr weiter gekommen?“ reißt uns die Stimme unseres Vaters aus unserem Gespräch.
Ich schaue auf und nicke: „Ich habe mich entschieden“ Ich gehe zu ihm und reiche ihm die Blätter, die ich ausgedruckt habe.
„Das St. Raphael-Gymnasium?“ Sein Blick erinnert mich an den von Alina, doch ich lasse mich davon nicht beirren, sondern nicke nur: „Sobald wie möglich will ich auf diese Schule gehen!“




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