Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt - Teil 24

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 31.10.2011


Hier ein längerer Teil, nachdem ich euch so lange hab waten lassen :) sorry für das etwas knappe ende. LG :)
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Konnte es sein? Konnte das Glück Cillian endlich wiedergefunden haben? Oder war der große Mann vor ihm nur ein Trugbild seiner Fantasie?
„Tadgh?“ Seine Stimme war brüchig und Tränen verschleierten ihm den Blick. Aber es war sein Bruder, der ihn auch zu erkennen schien. Das war doch der kleine blonde Junge aus seiner Erinnerung… Cillian! Sein Bruder! Sein kleiner zwölfjähriger Bruder, mit dem er immer, ihn auf dem Rücken tragend, über den Hof gerannt war und seine beiden Schwestern zu Weißglut getrieben hatte.
„Cillian!“
Mit einem Schritt war er bei dem kleinen Jungen und schloss ihn in die Arme. Dieser schluchzte vor Freude laut auf. Dass er so plötzlich auf seinen Bruder stieß, den er am wenigsten erwartet hatte, erfüllte ihn mit Glück.
Winston und Archie sahen sich vielsagend an. Auf dem Gesicht des alten Mannes breitete sich ein faltiges Lächeln aus und Archie erwiderte es. Die beiden hatten zwar genauso wenig Cillians Bruder erwartet wie er selbst, aber die Freude über das Wiedersehen der Geschwister überwog die Überraschung.
Schließlich war Archie der Ansicht, dass die beiden Brüder genug Tränen ausgetauscht hatten.
„Auseinander, ihr zwei“, sagte er grinsend. „Das ist ja fast peinlich, wie ihr hier auf der Straße wie Schlosshunde heult. Lasst uns etwas essen gehen.“
Cillian musste lachen. Dass sein Freund wieder an Essen dachte, sah ihm ähnlich. Aber das sollte ihm recht sein. Seit er auf der Suche nach seinen Geschwistern war, hatte er nie wirklich etwas genießen können. Immerzu plagten ihn unbegründete Schuldgefühle und die Sorge hatte ihn fast verrückt gemacht. Jetzt war alles vorbei, denn jetzt hatte er seinen Bruder gefunden.
„Du musst mir alles erzählen“, sagte er, immer noch Tränen in den Augen. Tadgh nickte. „Du mir auch, kleiner Bruder.“ Er trug dieses Widersehen mit etwas mehr Fassung. Er hatte ja schon einmal seine Schwester gefunden und dann nur wieder aus den Augen verloren. Wie Cillian wohl auf die Nachricht über Maggie reagieren würde?

Die Hochzeit von Moses und Sunta war recht unspektakulär. Sie fand in der Scheune statt und die einzigen Anwesenden waren die Sklaven und Abigail. Mrs. Mackenzie war in die Stadt gefahren, so konnte sich das Mädchen während der Trauung in die Scheune schleichen. Sie bezweifelte, dass Andrew seiner Mutter etwas verraten würde. ´Dazu mag er mich viel zu sehr´, dachte Abigail selbstgefällig, als sie in einer Ecke des Stalls die Eheschließung der beiden beobachtete. Sunta war eine junge Frau mit einem hübschen Gesicht, großen braunen Augen und einem guten Herzen. Es hätte Moses also nicht besser treffen können. Man sah ihm seine Freude natürlich an seinem Grinsen an, und Abigail konnte sich ihr Lächeln die ganze Zeit über nicht verkneifen. Doch an Moses Lachen hatte sich etwas verändert, etwas, was Abigail nicht unterordnen konnte. Sie würde noch herausfinden, dass reine, unverfälschte Liebe sein Lächeln verändert hatte.
Die beiden wurden von dem Pfarrer getraut, der für die Gegend zuständig war. Als er die Worte „Ich erkläre euch nun zu Mann und Frau“ aussprach, wurde Abigail ganz warm ums Herz. Moses konnte sein Glück kaum fassen. Dass er nun verheiratet war, erfüllte ihn mit einem Stolz, den man ihm deutlich ansah.
Gerade, als der Pfarrer angefangen hatte, öffnete sich neben Abigail die Scheunentür und Andrew trat ein.
Ein Raunen ging durch die versammelten Neger. Manche nickten ihrem netten jungen Master freundlich zu, andere rückten angstvoll zusammen, obwohl es offensichtlich war, dass er nur zum Zuschauen gekommen war.
Doch Abigail war gar nicht begeistert ihn zu sehen. Schuld daran war nicht etwa ihre Angst, bei Mrs. Mackenzie verraten zu werden, sondern dieses zunehmende, ätzende Sympathiegefühl, was sie für ihn empfand. Obwohl sie sich dagegen sträubte.
Andrew sah sie in der Ecke stehen und gesellte sich grinsend zu ihr. Er wusste, dass sie eigentlich bei der Arbeit sein müsste, doch das störte ihn nicht weiter. Die ehrenwerte Mrs. Abigail O’Brian hatte sich ja noch nie an Höflichkeitsformen oder gar Vorschriften gehalten.
Das Augenrollen, mit dem Abigail ihn missgünstig bedachte, ignorierte er. Er wusste, dass sie ihn mochte. Das konnte sie nicht verbergen, egal wie oft sie ihn mit Blicken zu töten versuchte.
Als die Hochzeit beendet war, Moses mit hochroten Ohren seine Frau hinausbegleitete und alle anderen ihnen folgten, blieben als Einzige noch Andrew und Abigail zurück. Sie wollte ihm nicht die Genugtuung lassen, nach ihr die Scheune zu verlassen und er wollte möglichst lange in ihrer Nähe bleiben, wo seine Laune immer um ein Vielfaches gehoben wurde.
„Was starren Sie mich denn so an, Mrs. O’Brian?“, fragte er grinsend. Abigail hatte es gar nicht bemerkt, doch jetzt wandte sie sich hochrot ab.
„Ich- ich starre niemanden an“, sagte sie und ihre Augen funkelten ihn böse an. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein?
Aber auf einmal wich die ganze Arroganz aus seinem Gesicht. Plötzlich sah er Abigail so an, wie Moses Sunta angeschaut hatte. Dieser weiche Blick passte so gar nicht zu ihm. Das Mädchen wusste nicht so recht damit umzugehen, denn sonst hatte Andrew einen Ausdruck der Überlegenheit und Überheblichkeit im Gesicht. Doch jetzt... jetzt sah er sie so seltsam an, dass ihr ganz heiß wurde. Auf einmal vergaß sie ihren Vorsatz, erst nach ihm die Scheune zu verlassen. Sie wollte einfach nur raus, weg aus seinem Blickfeld. Ein wenig überstürzt riss sie mit den Worten „Ich muss jetzt arbeiten“ die Tür auf- beinahe aus den Angeln- und lies ihn ein wenig verwirrt stehen.

Als auch der letzte Bissen verschlungen war- denn anders konnte man die Esskultur der vier nicht bezeichnen- seufzten Archie und Winston zufrieden und lehnten sich in ihre Stühle zurück. Cillian und Tadgh hingegen waren viel zu aufgeregt, um an eine Pause zu denken.
Der kleine Junge erzählte seinem Bruder in einem Redeschwall alles, was er bisher erlebt hatte. Wie er Archie kennengelernt hatte und von Winston und seiner Frau, die ihnen geholfen hatten. Auch die traurigen Sachen ließ er nicht aus. Immer noch nagte der Verlust Aneesas an ihm. Doch Cillians Euphorie kehrte zurück als er seinem großen Bruder von seinen Plänen, nach Texas zu gehen, erzählte.
„Du kommst doch mit, oder?“, fragte er und sah ihn erwartungsvoll an.
Tadgh schaute in das kleine hoffnungsvolle Gesicht und fast brach es ihm das Herz, die schmerzvolle, aber richtige Antwort zu geben.
„Nein, kleiner Mann, ich kann nicht.“
„Wie du kannst nicht? Warum nicht?“ Man sah Cillians Unverständnis. Er hatte erwartet, dass sein Bruder von der Idee mindestens genauso begeistert sein würde wie er.
„Ich… ich bin verlobt, Cillian. Ich werde bald heiraten.“
Die Worte kamen Tadgh nur schwer über die Lippen. Es war wie ein Déjà-vu für ihn, denn Mary hatte damals im Haus genau dasselbe zu Maggie gesagt und sie damit dazu gebracht, ihn zu verlassen. Aber er wollte um keinen Preis seinen kleinen Bruder verlieren. Dieser, nun endgültig aus allen Wolken geholt, sah ihn völlig verwirrt an. In ihm kämpften die Freude und das Entsetzen darüber, dass sein Bruder heiraten würde. Schließlich siegte die Betroffenheit.
„Aber- aber sie kann doch mitkommen!“, rief er aufgeregt.
Tadgh schüttelte nur den Kopf. „Ich würde gerne, kleiner Mann, glaub mir das. Aber-“
´Aber Mary würde nicht hier wegwollen´, dachte er. ´Sie hat hier ihr Zuhause am See, und das würde sie nicht aufgeben, nur um dann mittellos nach Texas zu gehen. Selbst für mich nicht.´
Cillian verstand seine Worte und er verstand auch den Grund, weshalb Tadgh nicht mitkommen konnte. Aber einsehen wollte er das noch lange nicht.
„Wir können deine Verlobte doch fragen!“, rief er verzweifelt.
„Cillian, sie hat hier einen Beruf, sie ist Lehrerin. Meinst du-“
„Aber in Texas soll es viel besser bezahlte Stellen geben!“, unterbrach ihn sein Bruder mit neu aufkeimender Hoffnung. „Dort ist alles besser, glaub mir! Da gibt es Pferde und Plantagen die du hier nie finden würdest und die Häuser sollen viel schöner sein! Bitte Tadgh, bitte, lass uns deine Verlobte wenigstens fragen. Bitte!“
Der kleine Junge sah ihn so eindringlich an, dass Tadgh den Kopf senken musste. Er schien wirklich von dieser Idee begeistert zu sein und Tadgh musste zugeben, dass sie verlockend klang. Er hatte schon öfter von Texas gehört, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber ob Mary sich darauf einlassen würde? ´Versuchen kann man es ja immer´, ging es ihm durch den Kopf. ´Es kann ja nicht schaden, sie zu fragen.´
„Na gut, kleiner Mann“, sagte er endlich und fuhr Cillian, der nun wieder strahlte, durch die blonden Haare. „Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Ich weiß wirklich nicht, wie sie darauf reagieren wird.“

Nun waren schon drei Tage seit dem Überfall vergangen und Maggie hatte nicht die geringste Spur oder einen Hinweis auf ihre Geschwister gefunden.
„Das führt doch zu nichts“, brummte sie, als sie das Schild SIE VERLASSEN NUN POTEAU passierte. Es sollte ihr recht sein. Hier fand sie sowieso keinen Anhaltspunkt. Vielleicht hatte sie in Poteaus Nachbarstadt Cameron mehr Glück. Diese lag direkt neben Poteau, also war es durchaus wahrscheinlich, dass Tadgh, Abigail oder Cillian sich dort aufhielten.
Sie seufzte. „Wie lange muss ich denn noch herumlaufen“, murmelte sie schlecht gelaunt. Sie musste einsehen, dass sie es langsam leid war, ständig nach ihren Geschwistern zu suchen. Dass Tadgh in Sicherheit war, wusste sie und was die anderen beiden betraf, war sie zuversichtlich.






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