Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt - Teil 7

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 29.07.2011


Findet ihr wirklich, dass es zu viele Personen sind? :/ naja, bereitet euch in diesem Teil auf noch eine andere Perspektive vor :P LG
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„Nein, nein, nein! Fünfzehn Pennys ist mein letztes Angebot.“
„Aber Mister, dieser Mais ist mindestens dreißig Cents wert.“
„Vergessen Sie es. Ich bezahl doch nicht so viel für zweitklassigen Mais!“
Die beiden Männer, der Händler mit den abgewetzten Hosen und der wohlhabende Alte mit der edlen Kleidung, waren so in ihre Diskussion vertieft, dass sie den Jungen, der sich langsam näherte, nicht wahrnahmen. Er fiel auch nicht besonders auf. Für seine zwölf Jahre hatte er eine relativ normale Größe und ihm sprach förmlich die Gerissenheit aus den Augen. Ehe sich die beiden Männer versahen, huschte er an dem Stand vorbei und mit ihm gingen auch die drei Maiskolben. Das alles ging so schnell, dass der untersetzte Händler sich des Diebstahls erst einige Sekunden später bewusst wurde. Doch da war es natürlich zu spät. Der Junge huschte flink zwischen den Leuten hindurch und verschwand dann in einer der zahlreichen Gassen. Dort lies er sich zufrieden mit seiner Beute auf dem Boden nieder. Er hatte seit fast zwei Tagen nichts mehr gegessen. Gierig schlang er den ersten Maiskolben hinunter. Die Gasse war dreckig, aber das war er auch. Waisen gab es in dieser Stadt nicht sehr oft, deswegen erkannte man eine Waise auf den ersten Blick. Der Junge hatte nie seine Eltern gekannt, aber geschadet hatte ihm das nicht. Das Leben hatte ihn in den sechzehn Jahren, die er alt war, gezeichnet, doch trotz des Schmutzes in seinem Gesicht und der abgenutzten Kleidung war er dennoch nicht hässlich.
Gerade wollte er sich über den zweiten Maiskolben hermachen- sie schmeckten fantastisch!- da hörte er eine Stimme. Leise und etwas ängstlich, doch trotzdem hörbar.
„Hallo? Wer bist du?“
Der Junge schaute auf. Im Halbdunkel der Gasse trat aus dem Schatten ein Mensch hervor. Es war ein Junge, relativ klein, und seine Kleidung sah nicht so dreckig aus wie seine eigene. Verwundert starrte er den Kleinen an. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, dass der andere offensichtlich nicht arm war, und sich dennoch in dieser schäbigen Gasse aufhielt. Schließlich fand er seine Stimme wieder.
„Die Frage ist doch wohl eher: Wer bist du, der mich beim essen stört.“
Der Junge lies sich nicht sonderlich davon einschüchtern. Er antwortete geradeheraus: „Ich bin Cillian O’Brian.“
„Du hast einen Nachnamen?“, fragte der andere erstaunt.
„Ja sicher. Du nicht?“
„Ich hab keinen Nachnamen. Hätten die vom Waisenhaus mich nicht Archie genannt, hätte ich jetzt noch nicht mal einen Vornamen.“ Er lachte kurz und trocken. Cillian schaute ihn einigermaßen verwundert an.
„Wie alt bist du?“, fragte Archie.
„Zwölf.“
„Hast du Hunger?“
Eigentlich war diese Frage überflüssig, denn Archie hatte bereits bemerkt, dass der Kleine die ganze Zeit die Maiskolben anstarrte.
„Setzt dich hin“, sagte er und Cillian gehorchte. Archie reichte ihm einen Maiskolben und sah ihm beim essen zu.
Schließlich fragte er: „Woher kommst du?“
Man sah Cillian an, dass ihm die Frage unangenehm war.
„Ich komme von oben…von Weeping Willow Creek.“
Archie runzelte die Stirn. „Das ist ne weite Strecke, Kleiner. Dir ist klar, dass du hier in Poteau bist?“
„Ich weiß nicht wo ich bin.“ Jetzt traten Tränen in Cillians Augen. „Man hat unsere Farm abgebrannt und meine Eltern sind tot und ich weiß nicht, wo meine Geschwister sind. Ich bin einfach nur gerannt, bis ich nicht mehr konnte.“ Er brach in Tränen aus.
Archie tat der Kleine leid. Dafür, dass er erst zwölf war, hatte er bereits zu viel Schlechtes erlebt. Doch er nahm ihn nicht in den Arm und er versuchte auch nicht, ihn zu trösten. Archie hatte dasselbe Schicksal ereilt, nur dass er aus dem Waisenhaus ausgerissen war. Doch er musste sich auch durchs Leben schlagen, jeden Tag im Ungewissen verbringen, ob er heute verhungern würde oder ob ihm heute hinter einer düsteren Ecke ein Schutzmann auflauerte. Ja, er hatte nie ein einfaches Leben gehabt.
„Hör auf zu flennen!“, sagte er gröber, als er es beabsichtigt hatte.
Cillian hörte auf und sah ihn überrascht an.
„Ich werd dir schon zeigen, wie du hier überlebst. Ich bin Meister darin.“ Er knuffte den Kleinen in die Seite und grinste. „Du brauchst keine Eltern, um zurecht zu kommen. Die hatte ich ja auch nie.“
„Aber ich bin ganz allein…“, sagte Cillian immer noch weinerlich.
Archie seufzte, dann reichte er ihm den letzten Maiskolben. Eigentlich war das sein Mittagessen gewesen.
„Du bist nicht allein, solange ich bei dir bin, Kleiner“, sagte er aufmunternd. „Komm, jetzt zeige ich dir, wie man die reichen Fettsäcke hier um einige Kostbarkeiten erleichtert!“

Tadgh stellte die Tasse Tee auf den Tisch. Nachdem Mary ihm bereits zum dritten Male das Verband um seinen schmerzenden Kopf erneuert hatte, fühlte er sich nun etwas besser.
„Und wohnst du ganz allein hier?“, fragte er.
Sie setzte sich auf die Bettkante. „Ja, ich bin Lehrerin hier in der Nähe.“
Tadgh runzelte die Stirn. „Lehrerin? Wie alt bist du denn?“
Normalerweise wurde man erst mit zwanzig zugelassen, doch Mary sah jünger aus.
„Ich bin achtzehn.“ Sie lächelte leicht. Obwohl sie ihn kaum kannte, fand sie ihn irgendwie…süß. Insgeheim wünschte sie sich, dass er noch sehr lange Kopfschmerzen haben würde. Für ein Mädchen ihres Alters schickten sich solche Gedanken nicht, doch Mary konnte sie einfach nicht beiseite schieben. Sie hatte so lange nichts mehr mit Männern zu tun gehabt, dass sie fast vergessen hatte, wie man mit einem umging.
Sie legte die Hand auf seine Stirn. Sie fühlte sich kühl an, doch Mary zog sie schnell zurück.
„Du hast Fieber“, log sie. „Hohes Fieber, wenn ich mich auf mein ärztliches Wissen verlassen kann.“
„Wirklich?“, fragte Tadgh stirnrunzelnd. „Eigentlich fühle ich mich ziemlich ausgekühlt.“
„Ähm…ja das ist die Reaktion des Körpers auf die Kälte draußen.“ Mary lächelte. Aufs Lügen hatte sie sich schon immer verstanden.
„Du musst unbedingt noch im Bett bleiben“, wies sie ihn an.
Tadgh grinste. „Nun, wenn Frau Lehrerin das sagt.“ Seine Augen blitzten belustigt und für einen Moment verlor sich Mary darin. Das war ihr noch nie passiert und so merkte sie gar nicht, wie sie ihn anstarrte, ohne etwas zu sagen.
„Alles in Ordnung?“, hörte sie seine Stimme von irgendwo weit her und dann, einige Sekunden später: „Mary? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Das war es, was sie in die Realität zurück holte.
„Äh…was? Ja natürlich“, versicherte sie ihm. Doch es war nicht alles in Ordnung, das wusste sie. Ein so fremdes Gefühl, wenn sie jemandem in die Augenschaute, hatte sie noch nie erlebt. Wieder einmal leicht verwirrt stand sie mit den Worten „Schlaf jetzt“ auf und ging hinaus.
Tadgh fragte sich, ob er sie verärgert hatte. Doch sein Kopf schmerzte zu sehr, als das er darüber nachdenken konnte. Bevor er einschlief dachte er noch einmal an dieses wunderbare Gefühl, wenn sie ihn berührte.





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