Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt - Teil 15

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 23.09.2011


Maggie blinzelte, sah den jungen Mann vor sich an und blinzelte wieder. Aber es bestand kein Zweifel, dessen war sie sich sicher. Es war…
„Tadgh?“ Ihre Stimme war brüchig.
„Ja?“, entgegnete ihr Bruder. Er schien sie nicht zu erkennen. Maggie hatte erwartet, dass er in Freudentränen ausbrechen und ihr um den Hals fallen würde. Aber er tat… nichts!
„Tadgh, ich bin…“
„Sie ist angeblich deine Schwester Maggie“, vollendete Mary den Satz. Ihre Stimme klang merkwürdig kalt. Den verzweifelten Blick Maggies schien sie nicht zu bemerken. „Meine… Schwester?“, fragte Tadgh unsicher. „Ich… ich kann mich nicht erinnern.“
Maggie wich zurück. Was sagte Tadgh da?
Ihr eigener Bruder hatte sie vergessen?
„Aber…“, hauchte sie. „Aber ich bin doch deine Schwester. Maggie!“
Sie berührte ihn am Arm, aber er sah sie immer noch befremdet an.
Mary schaute zwischen den beiden hin und her. Irgendwie war es ihr nur Recht, dass er sie nicht erkannte. Es war seltsam, sie wollte ihn nicht verlieren. Wollte nicht, dass er sie wegen jemand anderem verließ.
„Maggie“, murmelte Tadgh. Er sah sie an. „Wenn du meine Schwester bist, erzähl mir, was passiert ist! Was ist mit unseren Eltern, wo wohnen wir, habe ich noch andere Geschwister…“
Mary sah wieder zu ihm, dann zu ihr, aber irgendetwas war jetzt anders. Tadgh hatte Fragen, und Fragen würden beantwortet werden, und er würde den Antworten glauben, und wenn er ihnen Glauben schenkte… sie stoppte den Gedankenfluss, denn Maggie hatte begonnen zu erzählen. Mary musste zugeben, es war eine sehr rührende Geschichte. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr baldiger Ehemann etwas Derartiges durchgemacht hatte. Aber das änderte nichts, sie wollte Maggie nicht im Haus haben. Er würde mit ihr gehen, wenn er ihren Worten glaubte und dann wäre Mary wieder allein…
„Unsere Eltern…tot?“, fragte er Maggie erschüttert, als sie zu der schrecklichen Stelle ihrer Zerstreuung kam. Seine Schwester nickte traurig. „Und wo Abigail, Cillian und Moses sind, weiß ich nicht! Es ist grauenvoll, Tadgh. Es war so… schrecklich! So brutal, als ob wir gar keine…keine Menschen wären-“ Die Trauer überwältigte sie und sie sank in die Arme ihres Bruders. Der tröstete sie, aber die Erinnerung wollte immer noch nicht kommen. Er sah zu Mary, die eindringlich den Kopf schüttelte. Ihr Blick schien auszusagen ´ schau sie dir doch an! So eine Landstreicherin kann doch nicht deine Schwester sein. Sie ist eine Irre! ´
„Das ist wirklich sehr traurig, Miss“, sagte er und hielt Maggie auf Armlänge von sich. „Aber ich kann mich wirklich nicht erinnern-“
Maggie sprang auf. „Hör auf, mich ´Miss´ zu nennen!“, rief sie wutentbrannt. „Ich bin deine Schwester, hörst du nicht?!“
Sie fasste sich an den Kopf und sank zurück auf ihren Stuhl. Das war ein Ausbruch, der nicht hätte sein dürfen.
Tadgh sah Mary an und sie glaubte in seinem Blick zu lesen, dass er wirklich an eine Irre dachte.
Sie legte eine Hand auf Maggies Rücken. „Tadgh und ich werden bald heiraten“, sagte sie. Es klang wie ´stell dich uns bloß nicht in den Weg! ´
Maggie sah die junge Frau an, die doch noch so viel Leben und Glück zu erwarten hatte. Plötzlich sah sie das Ganze von einer anderen Seite. Ein einziger Blick in Marys grüne Augen genügte, und Maggie war sich sicher, dass Tadgh sein Glück gefunden hatte. Vielleicht war es besser, ihn in Ruhe zu lassen, zu gehen.
Sie stand auf, ihr Bruder sah die Tränen in ihren Augen. Maggie umarmte ihn kurz und ging zum Eingang. Es war, als ob ein stummes Gespräch zwischen ihr und Mary stattgefunden hatte.
„Ich gehe“, sagte sie leise und öffnete die Tür. „Viel Glück.“

Archie und Cillian hatten nach einigen Meilen keine Lust mehr zu gehen und beschlossen, den Flussweg zu nehmen. Der Little River führte direkt nach Idabel und laufen musste man dabei auch nicht. Das kleine Boot mit dem noch kleineren Segel hatten sie billig erstanden. Es schaukelte wie eine Nussschale auf den Wellen, aber es war stabil.
„Ich fühle mich wie Tom Sawyer“, grinste Cillian auf dem Bootsrand sitzend. Er hatte einen Weizenhalm im Mundwinkel hängen, lies die Beine ins Wasser baumeln und mit dem Schlapphut aus Poteau sah er tatsächlich wie ein kleiner Abenteurer aus.
„Dann bin ich wohl Huckleberry Finn, was?“, lachte Archie, der für das Steuer und Segel zuständig war. Aber im Moment hatten die beiden nichts zu tun, als sich treiben zu lasen und gelegentlich das Steuer einzusetzen, damit sie nicht ans Ufer trieben.
„Texas rückt näher, Kleiner“, murmelte Archie, als sich der Tag bereits zum Ende neigte. „Bald sind wir frei!“

„Was ist denn mit deinen Zähnen passiert?“, brummte Garvey und begutachtete den ausgeschlagenen Zahn seines Mitaufsehers.
„Bin gestolpert und gefallen“, entgegnete O’Donnel schlecht gelaunt, denn sein gesamtes Gebiss schmerzte immer noch, obwohl seit dem Vorfall mit dem Neger schon ein Tag vergangen war.
Garvey lachte laut und tief. „So etwas kann auch nur dir passieren!“ Er hielt sich die mächtige Brust.
„Halts Maul, Garvey“, murrte O’Donnel und sah zur Tür, die sich gerade öffnete. Das Hausmädchen, diese Abigail, trat mit der nassen Wäsche hinaus und hängte sie auf. O’Donnel fletschte die Zähne wie ein Hund und sah zu dem Neger auf dem Feld, der aber ziemlich weit weg arbeitete. Dass er mal Angst vor einem Sklaven haben würde, hätte er nicht gedacht. Aber verdammt noch mal, dieser Nigger war stark!
Er beobachtete Abigail. Anschauen war erlaubt, dachte er und grinste, nur anfassen nicht. Er fand sie trotz des schmutzigen Kleides und des Kopftuches unheimlich anziehend. So ein junges Ding hatten sie hier noch nie… immer nur alte dicke Frauen, die schon Kindeskinder hätten haben können. Er würde schon einen Weg finden, den Neger dafür zu bestrafen, was er ihm angetan hatte. Vielleicht würde sich ein gestohlenes Brot in seinem Lager ganz gut tun. Oder Mrs. Mackenzie könnte ihn erwischen, wie der Nigger ihn verprügelte.
Abigail schien seine Blicke zu spüren, denn als sie das letzte Teil aufgehängt hatte, sah sie zu ihm hinüber. Sie bemerkte, dass er sie ebenfalls anstarrte. Schnell wandte sie sich ab und ging hastig zurück ins Haus.
........

Freue mich immer über kritik





Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz