Arm - Teil 3

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 13.07.2011


Als kleine Voranmerkung: Das mit der Liebe kommt noch, also nicht zu enttäuscht sein ;)
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„Nein!“, flüsterte er, und schaute in das schreckensstarre Gesicht Cathal O’Brians.
„Nein, nicht der Master.“ Ein Schluchzen entfloh seiner Kehle. Es ging in Weinen über. Für diesen Augenblick vergaß er sein Versprechen. Der Master war immer so gut zu ihm gewesen. Moses war zwar ein Sklave, doch ausgepeitscht oder geschlagen wurde er nie. Weder vom Master, noch von seinen weißen Dienern.
Er legte seinen Herrn wieder auf den Boden und schloss ihm sanft die Augen. Dabei sprach er ein kurzes Gebet. Später, wenn diese Männer wieder weg waren, würde er ihn begraben. Moses wischte sich die Tränen vom Gesicht. Er bekam nicht mit, wie eines der Pferde immer näher kam. Erst als jemand schrie „Was macht denn der Nigger da?“ wurde ihm bewusst, dass er entdeckt war. Doch bevor er davonlaufen konnte, bekam er einen harten Schlag auf den Hinterkopf und fiel zum zweiten Male an diesem Tag schmerzvoll auf die harte Erde. Das letzte, was er hörte, bevor er ohnmächtig wurde, war das dreckige, schadenfrohe Lachen eines Mannes.

Maggie war aufgesprungen, als ihre Mutter so plötzlich und unerwartet weggelaufen war. Entgeistert starrte sie nun der undeutlichen Silhouette Aimee O’Brians nach.
„Mutter!“, schrie sie. „Komm zurück!“ Sie wollte ihr hinterherlaufen, doch Abigail hielt sie am Arm fest.
„Nein! Sie werden dich töten!“, sagte das Mädchen eindringlich, fast flehend. „Ich brauche dich doch. Lass mich nicht allein.“
Maggie schaute ihre Schwester einen Moment lang fassungslos an. Sie war schon immer so feige gewesen, dachte sie verachtend.
„Lass mich los!“, zischte sie. „Ich muss Mutter helfen.“
„Nein bitte, denk doch an mi-“
Ein weiterer Schuss zeriss den vorherrschenden Lärm, doch niemand schrie. Die beiden Schwestern erstarrten.
„Sie haben Mutter umgebracht“, hauchte Maggie schließlich tonlos, als sie sich aus der Starre gelöst hatte. Mit einem Ruck riss sie sich aus der Umklammerung Abigails und rannte zum Haus.
„Maggie!“, schrie Abigail. „Bleib hier!“ Einen Moment dachte sie daran, ihre Schwester hinterher zu laufen, doch die Angst hielt sie zurück. Die Angst vor diesen grausamen, unmenschlichen Leuten. Abigail dachte an Mammi, wie sie ihr Kindermädchen nannte. Und an Jo, ihren Koch. Sie waren jetzt wahrscheinlich beide tot.
In den Moment, in dem sie sich wieder verstecken wollte, überschnitten sich zwei Ereignisse so schnell, dass das Mädchen nicht reagieren konnte.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Cillian aufsprang und wie ein Blitz in den Staubnebel schoss. Abigail hatte gar keine Zeit, ihm hinterher zurufen, denn in diesem Augenblick preschte ein Pferd aus dem Dunst, direkt auf sie zu. Undeutlich sah sie die Silhouette eines Mannes darauf, der eine Frau wie einen nassen Sack über den Pferdehals geworfen hatte. Erst als die Frau, die offensichtlich unfreiwillig auf dem Pferd war, zu schreien anfing, erkannte Abigail ihre Schwester und lies sich instinktiv zu Boden fallen. Sie glaubte, ein Gewehr an der Seite des Pferdekörpers gesehen zu haben. Für einen schrecklichen Moment nahm sie an, entdeckt zu sein, doch schemenhaft sah sie aus dem Augenwinkel, wie das Pferd vorüberjagte. Nach dreiminütigem stillem Daliegen traute sie sich endlich aufzustehen. Auf schwankenden Beinen stand sie da und sah keine zehn Meter weit.
„Tadgh?“, flüsterte sie. „Vater? Mutter? Cillian?“ Keine Antwort. Stattdessen hörte sie erneut ein näherkommendes Pferd. Das machten ihre Nerven nicht mit. Sie drehte sich um und rannte. Dabei erwies sich ihr langer Rock als sehr hinderlich, doch Abigail rannte weiter, weg von dem brennenden Haus, das noch heute Morgen ein schützendes Heim gewesen war. Ihr Ziel war das Weizenfeld. Die hoch wachsenden Ähren würden sie vor den Blicken dieser Reiter schützen. Früher hatte sie oft darin Verstecken gespielt, doch diese Art des Versteckspielchens war grausam.
Erst als sie tief im Inneren des Feldes war, lies sie sich erschöpft zu Boden sinken. Mit dem Ausruhen kamen auch die Tränen. Abigail war sich die letzten Minuten dessen nicht bewusst gewesen, aber nun wurde ihr klar, dass sie alles verloren hatte. Ihr Haus, alle ihre Sachen, ihr Leben war abgebrannt.
„Mutter“, wimmerte sie. „Vater, Maggie, Cillian, Tadgh…“
Sie wusste nicht genau, ob alle tot waren, doch ihr Gefühl, ihr Herz sagte ihr, dass es so war.
Sie saß dort im Ungewissen und weinte. Schließlich legte sie sich auf den harten Boden und lauschte.

Nach einer halben Stunde, als endlich die Sonne aufgegangen war, hörte sie die sich entfernenden Hufgeräusche. Mit ihnen ging auch ein Teil ihrer Angst und als sie endgültig nichts mehr hörte- eine fast unheimliche Stille- stand sie auf und ging schwankenden Schrittes durch das Feld zum Haus.
Als sie dort war erloschen sämtliche Hoffnungen, die sie auf dem Weg gehegt hatte, und nur pure Verzweiflung blieb übrig.
„Nein“, hauchte sie.
Weder vom Haus noch von den Dingen darin war noch viel übrig. Die verkohlten Wände waren alles, was noch stand. Sie ragten aus dem Boden, wie verkohlte, überdimensionale Spitzen. Das gesamte Obergeschoss war weggebrannt. Abigail ging wie in Trance durch die staubigen Überreste ihres einstigen Heims. Nichts war mehr übrig, nichts zeugte von der einstigen Schönheit Weeping Willow Creeks. Da blinkte etwas in den schwarzen Trümmern hell auf. Die Sonne spiegelte es genau in Abigails Gesicht. Sie hob das schimmernde Ding auf. Es war eine kleine Goldkette mit einem goldenen Herzen am Ende. Sie gehörte ihrer Mutter. In dem aufklappbaren Herzen war auf einer Seite ein Bild Aimee O’Brians und auf der anderen Seite eins ihres Mannes.
Abigail lies die Kette in die Tasche ihres Kleides gleiten- das einzige Kleid, was sie nun hatte- und ging durch eine verkohlte, halb zusammengebrochene Tür wieder hinaus. Es war makaber, doch die Haustür stand noch, während alles um sie herum zerstört war.
Abigail erwachte aus ihrer Trance. Die Trauer lies sie zu Boden sinken.
Der Platz vor der einstigen Veranda war von Leichen übersät. Abigail erkannte ihren Vater und ihre Mutter. Beide hatten ein sauberes Einschussloch im Kopf. Beiden waren die Augen geschlossen worden. Abigail umarmte einen nach dem anderen, während sie laut und schmerzerfüllt weinte.






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