Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt - Teil 18

Autor: Anna :)
veröffentlicht am: 04.10.2011


Maggie lies die Schultern hängen als sie dem wunderschönen Sonnenuntergang entgegenging.
„Gerade einen Bruder gefunden und wieder verloren“, murmelte sie und lies sich auf einen Stein neben dem Flussufer nieder. Sie war innerlich so zerrissen, so unschlüssig. Es war, als ob sich zwei Seiten in ihr stritten. Die eine drängte sie und wollte unbedingt zurück zu Tadgh. Ständig rumorte es in ihr, als ob diese Seite sagen wollte ´ du bist seine Schwester, daran muss er sich nur noch erinnern! ´
Doch leider gewann die gegnerische Seite immer mehr die Überhand. Es hat keinen Sinn zurückzugehen. Es hat keinen Sinn, Tadgh immer wieder davon überzeugen zu wollen, dass sie seine Schwester war. Es hatte keinen Sinn, weil sie damit das Glück zweier Menschen zerstören würde. Zweier Menschen, die sich liebten. So etwas konnte Maggie nicht tun.
Sie war so verzweifelt und mutlos, konnte nicht weitergehen. Sie dachte, wenn sie nur noch einen Schritt weiter von ihm weggehe, würde sie diese Zwiespältigkeit zerreißen. Gerade, als sie tatsächlich wieder zurücklaufen wollte, sah sie wieder das Gesicht Marys vor sich. „Das kannst du nicht tun Maggie“, sagte sie zu sich selbst. Mary hatte so glücklich ausgesehen. Sie wollte ihr das nicht wegnehmen. Und wenn Tadgh sie sowieso nicht erkannte, war es das Beste, wenn sie die beiden einfach in Ruhe lies.
Maggie raffte sich mühevoll auf. Es war Zeit, sich eine Unterkunft zu suchen. Zu ihrem Glück stieß sie schnell auf eines der kleinen Wandererhäuschen. Es stand leer. Die junge Frau lobte im Stillen den Erbauer dieser wunderbaren Behausungen, die für einsame Landstreicher manchmal die letzte Hoffnung waren.
Sie lies sich müde auf das, zugegeben etwas schmutzige Bett nieder, und schlief sofort ein.

Der Tag neigte sich dem Ende zu und der Einspänner fuhr die lange Landstraße entlang. Der alte Winston saß mit Archie vorne auf dem Kutschbock, Cillian hatte es sich hinten auf der Ladefläche einigermaßen gemütlich gemacht. „Seid ihr euch sicher, dass wir sie finden?“, murmelte er niedergeschlagen. Irgendwie sank seine Hoffnung immer mehr, je näher sie der Stadt kamen. Archie drehte sich zu ihm um. Armer Kleiner, dachte er mitfühlend. Die Chancen stehen wirklich nicht besonders hoch.
„Aber sicher finden wir sie“, antwortete Winston munter. „Die kleine Maggie ist bestimmt schlau genug, sich nicht ganz in irgendeinem Gasthof oder Saloon zu verkriechen.“
„Denken Sie, dass wir heute noch ankommen?“, fragte Archie. Winstons runzliges Gesicht wandte sich ihm zu. „Da bin ich mir sogar sicher!“, sagte er beschwingt.

Als Abigail mal wieder mit schmutziger Wäsche aus dem Haus trat- wie oft wechselten die Leute hier eigentlich ihre Sachen?- kam ein völlig aufgekratzter Moses auf sie zugeeilt.
„Miss Abigail!“, rief er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.
„O’Donnel ist entlassen!“
Abigail traute ihren Ohren nicht. Sie hatte längst vergessen, dass es auch Glück auf der Welt gab. Bevor sie antworten konnte redete Moses weiter. „Er und Garvey haben sich gerade unterhalten und da habe ich mitbekommen, dass Mister Andrew seine Mutter gebeten hat, ihn zu entlassen. Und was meinen Sie, hat Mrs. Mackenzie getan?“
Das Mädchen wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da brach ein Freudenschrei aus Moses heraus. „Sie hat ihn entlassen! Der junge Herr hat einfach gesagt, O’Donnel würde nicht gut arbeiten und ständig herumfluchen, und was denken Sie, Miss Abigail, hat sie dann gesagt? Ganz genau! Sie meinte ’unzuverlässige Arbeiter kann ich hier nicht gebrauchen’!“
Er griff nach Abigail, die mittlerweile auch breit grinste, und vollführte einen Freudentanz. „Das ist ganz wunderbar, Moses“, lachte sie. „Aber wenn man dich hier bei mir erwischt, dann kannst du auch deine Sachen packen!“
Moses ließ ein kehliges Lachen hören und lief zurück zum Feld. Wie Abigail bald feststellte, fackelte Mrs. Mackenzie nicht lange. O’Donnel hatte sofort zu gehen, egal wie oft er mit aufgesetzter Miene beteuerte, er hätte nichts getan.
„Das ist es ja gerade! Nichtstun wird hier bestraft!“
Bevor O’Donnel ging, warf er Abigail noch einen abfälligen Blick zu. Aber wenigstens hatte das Mädchen jetzt Ruhe vor ihm.
Sie sah Andrew an, der über den Platz zum Haus ging. ’Er hat es also getan’, dachte sie. Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Mund. ’Will sich also bei dem Hausmädchen beliebt machen’. Sie schüttelte eine nasse Hose aus und hängte sie auf die Leine. Unbewusst reckte sie die Nase dabei etwas in die Höhe. „Ich mag ihn bestimmt nicht mehr, nur weil er mir O’Donnel vom Hals geschafft hat“, murmelte sie wie ein kleines Kind, nahm den Wäschekorb und ging ins Haus.

Die Erinnerung kam für Tadgh zwei Tage, nachdem Maggie sie verlassen hatte. Das, was Mary so befürchtet hatte, traf am frühen Vormittag ein. Plötzlich und ganz unvorbereitet während des Holzhackens kam die Erkenntnis wie ein harter Schlag in den Magen. Er sah das brennende Haus, die Flinte in seiner Hand. Er rannte über den Platz. Die Luft hing voller Ruß und Rauch. Er sollte das Schrotgewehr benutzen, aber irgendeiner der Männer überrumpelte ihn und warf ihn in den Fluss. Tadgh spürte die Hitze so real, als stünde er mitten in dem Feuerherd. Diese gesamte Erinnerung dauerte weniger als zwei Sekunden und war wortwörtlich überwältigend. Sie warf ihn rücklings ins Gras und lies ihn nach Luft ringend dort liegen. Maggie! Er wusste, wer sie war und er wusste auch wie seine beiden jüngeren Geschwister hießen. Abigail und Cillian! Und die Sklaven Moses, Samuel und Aneesa! An all die Namen konnte er sich erinnern. Aus der Erschütterung wurde ein Glücksgefühl. Voller Euphorie sprang er auf und rannte zum Haus. Maggie, seine Schwester! Seine liebe, geliebte Schwester!
„Mary!“, schrie er, auf dem Gesicht ein Ausdruck der Freude.
„Mary, wo bist du?“
Die junge Frau kam aus dem Haus geeilt, ein Tuch in der Hand.
„Was ist passiert?“, fragte sie aufgeschreckt. Tadgh drückte ihr einen langen Kuss auf den Mund.
„Womit habe ich das verdient?“, fragte sie lächelnd.
„Du wirst es nicht glauben, aber ich kann mich erinnern!“, rief Tadgh. „Ich weiß wer Maggie ist und wer meine Eltern waren. Mary, ich weiß alles!“
Atemlos wartete er auf ihre Reaktion. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht und wich einem Ausdruck des Schreckens.






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