Take me anywhere - Teil 2

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 08.11.2010


Ich zog den Schlüssel aus meiner Hosentasche und betrachtete nochmals das große Altbauhaus, in dessen oberste Etage die große WG war.
Den Schlüssel hatte ich schon bekommen, als all meine Möbel vor zwei Tagen hierher geschafft wurden. Das war vielleicht ein Aufwand.
Und ich hatte auch Angst, dass ich den Leuten, die schon in der WG wohnten auf die Nerven gehen würde. Doch da Semesterferien waren, waren vier von den Fünfen nicht da.
Ich habe nur Max kennen gelernt.
Einen zwanghaft ordentlichen Rechtwissenschaftenstudenten im vierten Semester. Als ich mich vorgestellt hatte trug er ein Hemd mit sauberer Bügelfalte und Jeans, die auch so aussahen, als wären sie gebügelt worden. Ich hoffe nur, dass er nichts gegen ein bisschen Chaos hatte, dass ich automatisch mit in die Wohnung bringen würde.
Ich war nicht dreckig oder so. Ich saugte jeden Tag mein Zimmer, aber mit der Ordnung hatte ich es nicht so. Hier und da lag eben mal Zeug rum. Auch, wenn alles noch in Maßen war. Einen richtigen Saustall hatte ich nie.
Dennoch hoffte ich, dass ich in diesem Thema mit Max nicht anecken würde. Sonst wirkte er ganz sympathisch. Ein wenig reserviert, vielleicht auch ein bisschen schnöselhaft. Aber höflich und freundlich.
Er hatte mir erzählt, dass die anderen Mitbewohner entweder bei ihren Eltern, im Urlaub oder über’s Wochenende feiern waren.
Das störte mich nicht. So konnten ich, meine Familie und meine Möbel ihnen wenigstens nicht im Weg herumstehen.
Die Wohnung hatte ich nur über eine Kontaktanzeige bekommen. Das Mädchen der WG, Helena, schrieb Mails mit mir, während ich noch in Amerika war, aber schon die Zusage der Uni Hamburg bekommen hatte und mich somit auf Zimmersuche machte.
Helena und ich hatten geschrieben, alles Finanzielle und Organisatorische über Telefon ausgemacht und schon war alles geklärt. Dass das so einfach geht hätte ich nicht gedacht.
Aber so kam es, dass ich Helena nur durch’s Telefon, Max persönlich und die anderen noch gar nicht kannte. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, aber angenehm.
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss der Haustür und sah schon vor mir die vielen Stufen. Bis ganz nach oben. Aber das war nun mal der Preis der schönen Aussicht.
Ich hievte meinen Koffer Stufe für Stufe hoch, und merkte wie mir noch wärmer wurde. Schließlich stellte ich das Monstrum von Gepäck mit einem Knall auf den Fliesenboden ab und betrachtete die weiße Flügeltür, in der in jeder Seite eine Milchglasscheibe eingebracht war. Dahinter konnte man leicht Bewegungen wahrnehmen.
Ich atmete nochmals tief durch, fuhr mir mit dem Handrücken über Stirn und Wange und steckte den Schlüssel erneut ins Schloss, den Koffer schon wieder in der Hand, als die Tür von innen aufgerissen wurde.
Ein blondes Mädchen, mit aalglatten Haaren, wie ich sie niemals haben werde und braunen Rehaugen stand vor mir. Sie war in etwa so groß wie ich. Vielleicht ein paar Millimeter kleiner und sie schaute mich überrascht an: „Kann ich dir hel…“ Dann brach sie hab. „Ah, du bist bestimmt Milana“
Ich nickte: „Ja, meine Möbel sind schon hier, und… dürfte ich vielleicht erstmal rein kommen?“
„Oh, ja. Klar“ Sie trat beiseite und ich nahm meinen Koffer wieder hoch und zerrte ihn hinter mir her.
Die Wohnung hatte sich kein bisschen verändert. Warum denn auch? Doch erst jetzt hatte sie den Nerv dazu sich umzuschauen. Der Flur war lang und schmal, ohne eine Biegung. Davon gingen acht Türen ab. Drei von jeder Längsseite und an der Stirnseite jeweils zwei.
Sie hatte das Zimmer genau gegenüber der Badtür bekommen. Wem die zwei anliegenden Zimmer gehörten wusste sie nicht.
„Das mit den Möbeln hatte mir Max schon erzählt“ erklärte Helena und lächelte breit. „Ich bin übrigens Helena“
„Ja, das dachte ich mir schon“
„Die anderen sind in der Küche. Also, das heißt alle bis auf Mo. Der ist noch unterwegs“ plapperte sie weiter und ich nickte wieder nur.
„Wenn du willst kannst du dich zu uns setzen“
„Ich möchte erstmal gerne die restlichen Sachen auspacken“
„Ja, klar“ nickte Helena hastig. „Dann: Herzlich Willkommen“
„Danke“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und ich hörte auch wie Helena sich umdrehte und mit tippelnden Schritten in die Küche ging.
Mein Zimmer sah fast haargenau aus, wie das, das ich in Mannheim hatte. Eine großer robuster Schrank, eine kleine Kommode, ein weitere Schrank für meine Klamotten, und ein Board für meine Bücher.
Nur mein Schreibtisch war ein anderer. Und auch mein Bett hatte sich geändert. Doch die weiße Tagesdecke mit den hellblauen Kissen zierte es immer noch.
Sogar meine drei Zimmerpflanzen, denen ich aktive Sterbehilfe leistete waren mit nach Hamburg gekommen. Und auch die weißen, mit blauen, kleinen Blumen verzierten Gardinen aus IKEA waren mitgezogen.
Ich seufzte und ließ mich auf den blauen Schreibtischstuhl sinken und schaute mich um. Der Spiegel an der Wand reflektierte das letzte Sonnenlicht des Tages und warf einen goldenen Schimmer auf das Bett.
Mit einen Seufzen erhob ich mich und räumte die letzten Sachen aus meinem Koffer in die passenden Schränke. Den Laptop stellte ich auf meinen Schreibtisch, ebenso wie meine Handtasche.
Den Koffer verstaute ich mit etwas Kraftaufwand und viel Strecken des Körpers auf dem großen Schrank in dem alle meine Jacken und Blusen hingen.
Jetzt war alles ordentlich, alles was ich besitze war in diesem Zimmer, in dieser Wohnung, in dieser Stadt.
Ich war also wirklich angekommen.

Nachdem ich lange geduscht hatte, meine nassen Locken taten was sie wollte und ich schnell in schwarze Shorts und ein rotes T-Shirt geschlüpft war, klopfte ich leise an die angelehnte Küchentür und trat dann ein. Dennoch blieb ich auf der Schwelle stehen.
Um den runden Küchentisch herum saßen Helena und zwei andere Jungs. Max stand an der Spüle und drehte sich um.
Dann herrschte eine Weile langes Schweigen, bis ich mir einen Ruck gab und es brach: „Ich bin Mila. Ich wohne jetzt auch hier“
„Ah, cool“ nickte der mit den blonden, kurzen Haaren und stand als Erster auf um mir die Hand zu geben: „Ich bin Fabi…“ Dann drehte er sich zu Helena um: „Hattest du nicht etwas von einer Milana geredet?“
„Ich mag den Namen nicht. Mila ist mein Spitzname“ beantwortete ich die Frage für Helena und Fabi nickte wissend.
„Hätte man sich auch denken können“ spottete der mit den braunen Locken, welche in etwa aussahen wie meine, nur dass seine dunkler waren. Er zog eine Grimasse in Richtung des Blonden und drehte sich erst dann zu mir: „Ich bin Leon“
„Leo“ verbesserte Fabi ihn.
„Leon“
„Für mich wirst du immer der große Leo bleiben“ zog nun der eine den anderen auf, woraufhin Leon nur die Augen verrollte.
„Wir kennen uns schon“ Die tiefe und markante Stimme von Max würde man überall wieder erkennen.
„Ja“ nickte ich.
„Bist du gut angekommen?“
„Könnte man so sagen“
„Setz dich doch“ schaltete sich jetzt auch Helena mit ein und zog den Stuhl, der neben ihren stand zurück.
„Oh, danke“ Lächelnd setzte ich mich und schaute durch die Runde. Sie wirkten alle recht freundlich und umgänglich. Mal abwarten, bis ich ihre Macken kennen lernen würde.
„Willst du was essen?“ fragte Max und trocknete sich die nassen Hände an einem kleinen Handtuch ab.
„Nein, danke. Ich habe bei dieser Hitze keinen Hunger“
„Geht mir auch immer so“ stimmte Helena zu.
Dann schwiegen wir eine Weile, bis Fabi die Stille durchbrach: „Ich muss schon sagen, ich habe mich ziemlich erschreckt, als plötzlich Möbel im ehemaligen Zimmer von Jürgen standen. Mir hat mal wieder keiner was gesagt“
Sofort hob Helena die Hand und verpasste Fabi einen Klaps auf den Hinterkopf: „Ich hab’s dir bestimmt tausendmal erzählt. Du hast nur wieder nicht zugehört. Die anderen wussten es ja auch“
Fabi verzog das Gesicht und rieb sich den Hinterkopf: „Das kann auch sein“
Ich konnte nicht umhin und musste schmunzeln. Doch ich sah aus dem Augenwinkel, wie Max wieder die Augen verdrehte.
„Warum wohnt… dieser Jürgen nicht mehr hier?“ fragte ich schließlich, um ein bisschen Interesse von meiner Seite zu zeigen.
„Er ist vor ein paar Wochen mit seinem Medizinstudium fertig geworden und macht sein praktisches Jahr in Kiel“ erklärte Leon.
„Ist ja lustig. Ich studiere auch Medizin“ grinste ich und zuckte mit den Schultern.
„Ich hoffe du wäschst ab und zu auch mal ab. Und machst auch mal sauber“ mischte sich jetzt auch Max mit ein. „Hat Jürgen nämlich nie gemacht“
„Ja. Klar, bring ich mich hier mit ein. Ich vergesse nur hier und da gerne mal mein Zeug“ meinte ich und schaute unsicher zu Max, welcher sich mit der Hand durch die blonden, raspelkurzen Haare fuhr.
„Das wird schon alles klappen“ meinte Helena zuversichtlich.
„Ja, ja. Du scheinst ja ganz umgänglich zu sein“ lachte Fabi und zeigte mit der Hand auf mich. Und schon spürte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Doch schnell versuchte ich mich wieder zu fangen: „Mal sehen, was ich von dir sagen kann“ zwinkerte ich, dann warf ich einen Blick auf die Uhr und ignorierte Fabis Reaktion. Es interessierte mich auch nicht wirklich.
Die runde, rote Küchenuhr die an der Wand hing zeigte 20.45 Uhr. Dafür, dass ich mich hundeelend und todmüde fühlte war es erstaunlich früh.
Trotzdem erhob ich mich: „Nehmt mir’s nicht übel, aber ich bin total müde. Wir sehen uns morgen“
„Ja, das kann ich verstehen. Wenn ich eine Zugfahrt hinter mir habe bin ich auch immer total fertig“ stimmte mir Helena zu und lächelte freundlich. Ich musste sie unbedingt noch fragen, was sie studierte. Sie wäre eine super Lehrerin.
„Bis morgen“ murmelte Leon, Max nickte nur und Fabi winkte wie ein kleines Kind. Nun gut, einen Idioten gab es wohl in jeder WG.




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