Take me anywhere

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 07.11.2010


Kapitel 1

Es war einer der wärmsten Tage im September, als ich aus dem Zug stieg und mir die stickige Hamburger Luft entgegen kam. Nicht, dass die Luft in Mannheim jemals besser gewesen wäre. Nein, ich glaube sogar, dass sie noch schlechter war, als hier.
Ich atmete tief durch und warf einen Blick auf meine Handyuhr. 18.47 Uhr. Der Zug hatte also nur 20 Minuten Verspätung gehabt, und das waren 40 Minuten weniger als ich erwartet habe. Normalerweise kam man mit der deutschen Bahn nie dann an, wann man ankommen wollte. Und das schon gar nicht, wenn man vom Süden in den Norden Deutschlands wollte.
Ich fuhr mir mit der Hand über die vom Schweiß feuchte Stirn und konnte nur hoffen, dass ich mich weder verlaufen, noch mit der S-Bahn verfahren würde. Und, dass in der neuen WG die Dusche gerade frei war und ich ohne vorher groß mit den anderen fünf Bewohnern reden zu müssen duschen konnte.
Die sechs-raum Wohnung war ein Traum: Parkett, helle große Fenster und ein kleines aber sauberes Bad mit weißen Fliesen. Dadurch, dass wir mit mir zu sechst in dieser Wohnung sein würden, konnte auch der Preis sich sehen lassen. Außerdem war die Gegend nicht gerade die feinste von Hamburg. Die Sternschanze war eben so berühmt wie berüchtigt.
Doch um ganz ehrlich zu sein, war mir das egal. Ich war jung, ich war eine angehende Medizinstudentin mit 19 ½ Jahren, die am 18. Oktober 2010 mit ihrem ersten Semester beginnen würde. Mir ging es nicht darum in irgendeinem todschicken Viertel, in irgendeiner super Millionärsvilla zu sitzen und mich über meine Bücher zu beugen. Ich wollte einfach nur studieren und mein Medizinstudium so gut wie möglich durchziehen. Ich war schon immer sehr ehrgeizig gewesen, habe aber oft über’s Ziel hinausgeschossen und damit weniger geleistet, als ich wollte. Doch das war vor zwei Jahren. Mittlerweile sollte mir das nicht mehr passieren. Zumindest ist mein Englisch sehr gut. Nachdem ich ein Jahr in Amerika als Au Pair gearbeitet habe, habe ich auch diese kleinen Sprachprobleme, die ich mit der Englischen Sprache hatte aus dem Weg geräumt.
Jetzt hatte ich nur ein Ziel: Mein Studium meistern…
Mit einem seufzen zog ich meinen schweren Koffer hinter mir her. Das waren die letzten Teile, die noch in Mannheim waren. Der Rest, wie Möbel und andere, restliche Kleidungsstücke waren schon hier, in Hamburg, in der Sternschanze, in der neuen WG, genau wie mein kleiner Uraltcorsa: knallrot mit einigen Rostflecken und nur noch wenigen Monaten TÜV.
Nur noch die Klamotten in diesem Riesenkoffer und ihr Laptop in ihrer Handtasche hatte ich noch bei meinen Eltern in Mannheim gehabt. Doch nun waren auch diese in der Stadt in der ich ab heute wohnen würde. Und jetzt auf einmal war alles so endgültig.
Mit gemischten Gefühlen fuhr ich die Rolltreppe des Bahnhofes nach oben und schaute mich suchend um.
Wenn die Wegbeschreibung, die ich aus dem Internet gezogen hatte stimmte, dann musste ich jetzt den Schildern folgen, die zur S-Bahn hinunter führten und dort in die S 21 einsteigen, in Richtung Altona.
Erneut fuhr ich mir durchs Haar und nahm meine Lederjacke von den Schultern, die ich eigentlich nur trug, damit ich sie nicht im Arm tragen musste. Doch es war solch ein brechend heißer Tag, dass ich sie nun unmöglich anbehalten konnte. Und in der Bahnhofshalle stand die Luft förmlich.
Schnell warf ich mir die Jacke über den Unterarm und zog meinen Koffer weiter hinter mir. Erneut auf die Rolltreppen, diesmal allerdings wieder nach unten, wo die Luft allmählich stinkender und abgestandener, aber deutlich kühler wurde.
Die Wände der Tunnel waren grau und schmutzig. Überall klebten kleinen Sticker von längst vergangenen Partys oder von Gangs, welche damit ihr Revier markierten. Schon als junger Teenager konnte ich den Sinn dieser Aufkleber nicht verstehen.
Die Plakate die nicht in einem Schutzkasten steckten, waren bekritzelt oder ganz und gar abgerissen. Doch so sah es in jeder Stadt aus.
Stören tat es mich nicht im Geringsten. Ich mochte das Stadtfeeling. Sogar den modrigen Geruch, der in manchen kleinen Straßen und vor allem hier untern im S-Bahn Tunnel hing zog mich magisch an.
Ich bin ein ganz typisches Stadtkind. Immerhin habe ich seit meinem fünften Lebensjahr immer in Städten gewohnt: Erst in Erfurt, dann in Lörrach, schließlich in Mannheim und jetzt war ich hier: in Hamburg.
Schon mit fünfzehn war ich bereits einmal für eine Woche hier gewesen. Damals war ich mit meiner besten Freundin aus Mannheim hier. Ihre Großmutter hatte in Iserbrook ein kleines Häuschen, und für diese eine Woche in den Sommerferien durften wir bei ihr wohnen und Hamburg unsicher machen.
Meine beste Freundin war damals schon sechzehn. Und ich weiß noch, dass ich mich tierisch geärgert habe, als sie in einem Restaurant eine Weißweinschore bestellt und ich es nicht durfte. Weil ich war noch fünfzehn.
Heute sind wir bestimmt keine besten Freundinnen mehr. Doch wir haben uns nie aus den Augen verloren. Doch jetzt, wo ich in Hamburg wohnte und sie in der Schweiß auf der Universität Freiburg, der einzigen zweisprachigen Universität der ganzen Schweiz, Philosophie, Anglistik und Germanistik studierte, würden wir uns wohl nicht mehr sooft sehen.
Ich meine für uns beide hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen.
Auch meine andere ehemalige beste Freundin studierte weit weg von Hamburg. Für sie war schon seit der 10. Klasse klar, dass sie einmal in München Geschichts- und Kunstwissenschaften studieren würde.
Und die Vierte und Letzte aus unsere Mädchenclique damals studierte in Mannheim: Tiermedizin.
Alle waren also ziemlich im Süden von Deutschlang. Nur mich zog es mal wieder in den Norden. Damals hoffte ich trotzdem, dass wir in Kontakt bleiben würden.
Mit quietschenden Bremsen rollte die S 21 ein und riss mich aus meinen Gedanken. Ich nahm meine Tasche vom Boden und zog meinen Koffer erneut hinter mir her.
Wie erwartet war die S-Bahn rappelvoll. Auf einen Sitzplatz wagte ich noch nicht einmal zu hoffen. Also blieb ich noch im Türbereich stehen, stellte mir die Tasche zwischen die Beine, und hielt mich mir der einen Hand an der Haltestange fest, während die andere meinen Koffer umklammerte. Gott sei Dank musste ich bis zur Haltestelle Sternschanze nur zwei Stationen fahren. Länger hätte ich es da drinnen auch nicht ausgehalten.
Es roch nach Schweiß, schlechtem Atem und Zwiebeln. Noch dazu war die Luft durch die verschwitzen Körper unerträglich feucht.
Vielleicht fühlte sich auch nur mein Körper so an: Meine Kleidung klebte an meinem Körper und die feinen Härchen, die sich aus meinem Dutt gelöst hatten klebte feucht an meinem Nacken.
Alles klebte, alles war verschwitzt und dennoch fühlte ich mich gut. Ich freute mich endlich von zu Hause weg zu sein, ich freute auf die neuen Leute, auch wenn ich eigentlich sonst ziemlich schüchtern war, ich freute mich sogar sehr auf das Studium, auch wenn ich erst vor anderthalb Jahren gefeiert hatte, endlich nie mehr lernen zu müssen. Wir hatten es alle im Chor gebrüllt und danach sind wir ins Soho und waren feiern. Das war ein schöner Abend. Genau wie es der Abend vor meiner Abfahrt nach Amerika hätte sein sollen. Doch der so toll geplante Abend, endete mit einer 1kg Packung Schokoeis auf dem Bett der besten Freundin, die jetzt in München studierte, der anderen besten Freundin am Telefon und vielen Tränen, vielen Taschentüchern und viel Dirty Dancing.
Der Grund dafür hatte sogar einen Namen: Daniel.
Daniel und ich waren an diesem Tag, dem 30.07.2009 genau ein Jahr Jahre zusammen, als er mir erklärte, dass er es nicht aushalten würde, dass ich ein Jahr in Amerika wäre, und dass er Fernbeziehung nicht mochte. Auf mein Argument hin, dass ich doch nach einem Jahr wiederkommen würde, schüttelte er nur mit dem Kopf und ich wusste, dass es vorbei war. Nach genau einem schönen, allerdings manchmal auch sehr anstrengenden Jahren.
Seitdem gab es nicht noch mal einen Jungen in meinem Leben. Er war auch bis jetzt der Einzige gewesen.
Ich habe meinen ersten, richtigen Freund damals mit 17 ½ bekommen, und meinen ersten Zungenkuss (nein, nicht von Daniel) sogar erst mit fast 17… Das musste der Sommerurlaub vor der 11. Klasse gewesen sein. Und ich bin mir sehr darüber im Klaren, dass ich in all dieser Beziehung eine Spätsünderin war.
Doch wie eben gesagt: Ich bin eigentlich schüchtern.
Und nach Daniel gab es keinen richtigen Mann mehr in meinem Leben. Die Amerikaner waren mir zu… direkt und zu schmierig, und in Deutschland hatte ich keine Zeit für so was. Ich musste immerhin umziehen.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als die Bahn abrupt anhielt und ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und vornüber gekippt wäre. Doch im letzten Moment fing ich mich wieder und las das Schild, das an der gefliesten Tunnelwand hing und den Namen Sternschanze trug.
Schnell stieg ich aus und atmete wieder die muffige Luft ein, die sich hier unten überall zu verteilen schien. Mit einer energischen Bewegung strich ich mir das schräge Pony aus den Augen und marschierte los.
Wieder Rolltreppen nach oben, einen verzweigten Gang entlang, dann Treppen aufwärts und ich sah die weiße Tür, die den Ausgang der Haltestelle zeigte.
Ich stoppte, zog meinen Koffer aus dem Weg und schnupperte frische Luft. Nach der abgestandenen Luft im S-Bahn Schacht war sogar die stehen und schwüle Luft der Hamburger Innenstadt herrlich erfrischend.
Hastig kramte ich meinen Stadtplan aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Das Haus in dem sie ab heute wohnen würde stand in der Bartelstraße und ich befand mich zurzeit in der Schanzenstraße.
Das heißt, ich musste der Schanzenstraße weiter folgen und dann, wo rechts die Kampstraße abging nach links einbiegen.
Ich seufzte, packte den Stadtplan weg und zerrte langsam aber sich sicher genervt meine riesigen und schweren Koffer hinter mir her.

(To be continued) :D





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