Take me anywhere - Teil 30

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 12.12.2012


Ich brachte den Polo von Fabi in der Einfahrt zum Stehen und schaltete den Motor ab. Ohne noch einmal mein Make-up oder meine Frisur zu überprüfen, stieg ich aus und ging mit unsicheren Schritten zur Tür.
Ich klingelte.
Im Inneren des Hauses tat sich nichts. Ich warf einen gehetzten Blick auf meine Handyuhr. 6:02 Uhr. Er musste noch da sein. Welche Beerdigung fand bitteschön um sechs Uhr morgens statt? Bestimmt keine, die von Moritz organisiert wurde.
Ich klingelte ein zweites Mal und hörte Kara im Inneren des Hauses bellen. Sie jaulte und ich hörte, wie sie mit der Pfote an der Tür schabte. Automatisch musste ich schmunzeln. Dieser verrückte Hund hatte mir gefehlt.
„Ist ja gut, du Köter“ vernahm ich eine Stimme von drinnen, die viel zu weiblich für Moritz klang. Selbst, wenn er nicht so eine tiefe Stimme hätte, würde er nicht ansatzweise so hoch quietschen. Täuschte ich mich, oder hatte Moritz etwa…
Die Tür ging auf, bevor ich mich umdrehen und weglaufen konnte.
Vor mir stand eine junge, hübsche Frau mit blonden Wellen, die an die 68er erinnerten. Sie trug eine kurze Hose und ein einfaches Top und sah definitiv so aus, als sei sie gerade aufgestanden. Und sofort dachte ich daran, was Fabi gesagt hatte: Mo bleibt nun mal Mo. Der ändert sich so schnell nicht. Wie Recht er doch gehabt hatte.
Ich ignorierte Kara, welche mir freudig bellend um die Beine hüpfte und mir entwich ein: „Na, das ist ja klasse!“
„Ich weiß leider nicht, wovon Sie sprechen“ Die Frau mir gegenüber zog skeptisch die Brauen zusammen und ich konnte ihr ansehen, dass sie darüber nachdachte, mir gleich die Tür vor der Nase zuzuschlagen. „Also, falls Sie von den Zeugen Jehovas sind, dann können Sie gleich wieder gehen. Ich will mit Ihrer Sekte nichts am Hut haben“
Innerlich lachte ich laut auf, doch äußerlich blieb ich ernst. „Ich bin von keiner Sekte. Ich bin eine Freundin von Moritz aus Hamburg“
Ihre Miene verliert ein wenig an Misstrauen, doch sie bleibt skeptisch. „Dann wollen Sie also zu Moritz? Um diese Uhrzeit?“
Langsam fing ich an mich zu fragen, was diese Tusse sich eigentlich einbildete, wer sie ist. Sie wird allenfalls Moritz Betthäschen werden, so wie schon Katharina. Doch sie besaß wohl kaum das Recht, mich auszufragen.
„Ja, es ist etwas kompliziert. Ist er nun da oder nicht?“
Sie trat einen Schritt beiseite, scheuchte Kara wieder ins Haus und meinte: „Mein Bruder ist in der Küche. Die Schuhe können Sie…“
Ich schnappte nach Luft. „Moment mal… Er ist Ihr…“ begann ich zu stammeln, doch dann fand ich meine Sprache wieder: „Sie müssen Ramona sein“
Wieder zog sie skeptisch die Brauen zusammen und um nicht unhöflich zu sein, stellte auch ich mich vor: „Ich bin Mila. Eine Freundin aus…“
„…Hamburg. Das sagten Sie bereits. Dennoch habe ich nie von Ihnen gehört“
„Das wundert mich nicht“ murmelte ich leise und folgte Ramona in die Küche, obwohl ich mich natürlich selbst noch bestens auskannte.
„Moritz, da will jemand zu dir. Ein Mädchen aus Hamburg“ sagte sie zu ihm und ich sah, wie er desinteressiert den Kopf hob und nickte. Sein Blick änderte sich, als ich eintrat.
„Was… Was machst du denn hier?“
Ich zuckte mit den Schultern und meinte dann leise: „Ich habe dir gesagt, dass ich dich auf die Beerdigung deines Vaters begleite. Ich hab’s dir versprochen. Und Versprechen bricht man nicht“
„Ich werde ins Bad gehen, mich fertig machen“ flötete Ramona dazwischen und schloss die Küchentür nicht gerade leise. Ich schaute ihr eine Weile verwundert hinterher, drehte mich wieder zu Moritz um und sagte: „Sie ist reizend“
„Du kannst nicht lügen“ bemerkte er trocken, während er Kara von sich schob, welche immer noch aufgebracht durch die Küche sprang.
„Ich weiß“ Ich setzte mich ihm gegenüber an den Küchentisch und knetete unter dem Tisch unruhig meine Hände. Ich war so überstürzt losgefahren, dass ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht habe, was ich denn nun zu Moritz sagen könnte, sobald ich ihn sehe.
„Schön, dass du da bist“ sagte er schließlich und ich wusste im ersten Moment nicht, ob er es ernst meinte oder ob er es nur auf Höflichkeit sagte, um mich nicht vor den Kopf zu stoßen. Fragend betrachtete ich ihn. Er sah müde aus, hatte sich wahrscheinlich drei Tage nicht mehr rasiert und ebenso lange auch nicht mehr richtig geschlafen. Das weiße T-Shirt, das er trug hatte das Logo irgendeiner Band, die vielleicht in den 90ern mal cool gewesen sein musste. Ich jedenfalls kannte die Band nicht.
„Ich hoffe, du willst nicht so auf die Beerdigung gehen“ Ich deutete auf ihn und zwinkerte ihm zu.
Moritz lachte leise und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich werde mich schon noch umziehen. Nur bis Ramona im Bad fertig ist, könnte es noch eine Weile dauern“
Wieder schwiegen wir uns nur an und außer dem Ticken der Küchenuhr und dem Hecheln von Kara war nichts zu hören.
„Ich habe Lucas gesagt, dass ich nichts für ihn empfinde!“ platzte es mir plötzlich heraus und ich hätte mich dafür ohrfeigen können. Ich wollte mit Moritz über uns beide reden und nicht über Lucas und mich. „Tut mir Leid, ich…“ versuchte ich meinen kleinen Ausbruch zu entschuldigen, doch Moritz schüttelte nur mit dem Kopf: „Das brauch dir nicht Leid zu tun. Für mich ist das schön zu wissen“ Er machte eine kurze Pause. „Wirklich schön“

Die Kirche war so kalt, dass man den eigenen Atem sehen konnte. Trotz meines schwarzen Mantels, den Handschuhen und meiner Mütze fror ich.
Unauffällig sah ich mich um. Die Bänke blieben weitestgehend leer – anscheinend hatte Moritz’ Vater nicht viele Freunde im Dorf gehabt und so wie ich ihn kennen gelernt hatte, wunderte mich das auch nicht weiter.
Die Predigt des Pfarrers war eine gewöhnliche Rede, wie sie sicherlich für jeden Dritten abgehalten wurde und ich fand, dass sie Konrad nicht gerecht wurde. Kein bisschen. Ein so griesgrämiger, vom Leben gezeichneter und doch liebenswerter alter Mann verdiente mehr, als eine Standardtrauerfeier. Und doch konnte ich verstehen, weshalb Moritz nicht für mehr Extravaganz gesorgt hatte. Extravaganz hätte seinem Vater auch nicht ähnlich gesehen.
Ich sah mir die Gesichter in der Kirche genau an und musste über ein paar Omis schmunzeln, welche mit Eifer schnieften, obwohl sie den Toten bestimmt noch nicht einmal kannten.
Mein Blick flog zu Ramona, welche auf der anderen Seite des Kirchganges saß und ich fand, dass sie eher gelangweilt als trauernd aussah. Sie war die klassische blonde, kühle Schönheit und beinahe wirkte sie durch diesen Stereotyp ein wenig unauthentisch.
Und zum ersten Mal konnte ich verstehen, weshalb Moritz den Kontakt zu ihr mied. Auch, wenn sie sich in vielerlei Hinsicht vielleicht sogar ähnlich sein konnten, so war der Unterschied zwischen den beiden zu groß – zwischen ihnen lagen Welten.
Schließlich schaute ich zu Moritz, welcher zu meiner Rechten saß. Und plötzlich nahm ich die Worte des Pfarrers und das Schniefen der Omis gar nicht mehr wahr.
Ich wusste, wie traurig Moritz wegen seinem Vater war und doch behielt er komplett die Fassung. Ich konnte in seinem Gesicht keine Gefühlsregung erkennen und wenn ich ihn nicht so gut kennen würde, dann hätte er auf mich ebenso teilnahmslos wie Ramona gewirkt.
Als würde er meinen Blick spüren, drehte er den Kopf und sah mich an. Seine bernsteinfarbenen Augen zeigten keine Gefühlsregung, bis er mich traurig anlächelte und ohne nachzudenken, nahm ich seine Hand in meine und erwiderte sein Lächeln.
Nach einer weiteren, beinahe qualvollen Stunde wurde der Gottesdienst beendet und die alten Damen schlurften und humpelten als Erstes aus der Kirche. Als die Tür geöffnet wurde, zog ein eisiger Windhauch durch das Kirchenschiff und ließ mich noch mehr zittern.
Der Pfarrer sprach Ramona und Moritz sein Beileid aus und damit drückte er Moritz die Urne mit der Asche seines Vaters in die Hand und die Sache war erledigt. Beinahe wirkte es lieblos für einen Pfarrer, welcher immer von Nächstenliebe predigte.
„Wann ist die Beisetzung?“ fragte Ramona und tippte irgendetwas in ihrem iPhone ein, während sie mit Moritz redete.
„Es wird keine Beisetzung geben“ war seine schlichte Antwort und in diesem Moment schaute ich mindestens genauso überrascht, wie Ramona selbst.
„Was soll das heißen, es wird keine Beisetzung geben?“ hakte sie nach und ihr Ton wurde bissiger und ich dachte nicht zum ersten Mal, dass ich keinen Streit mit Ramona haben wollte.
„Er hätte das nicht gewollt“
„Meinst du nicht, dass er bei Mutter…“ Ramona brach ab. „Ich glaube sehr wohl, dass er das gewollt hätte!“
„Verdammt, was weißt du schon, was er gewollt hätte, oder nicht?!“ rief er plötzlich aus, dass auch ich zusammenzuckte. Ich war froh, dass Moritz immerhin nicht in der Kirche fluchte. „Du bist doch nie da!“ Er gestikulierte mit den Händen, sodass ich ihm vorsichtshalber die Urne aus der Hand nahm.
„Weil ich mir ein Leben in Amerika aufgebaut habe. Wie kannst du mir das nur dauernd zum Vorwurf machen?“ Das iPhone fiel Ramona aus der Hand und es knallte mit einem dumpfen Laut auf den Kiesboden auf. Das Display war zersplittert.
Moritz reagierte gar nicht auf ihre Frage, sondern stellte nur seine Gegenfrage, während sie ihr Telefon aufhob. „Wann geht dein Flieger?“
„Gleich morgen“
„Dann wärst du bei einer möglichen Beisetzung gar nicht dabei gewesen“
„Ich habe Verpflichtungen in Amerika!“
„Man muss Prioritäten setzen im Leben“ bemerkte Moritz trocken, doch sein Ton verriet nicht seinen Standpunkt über die Prioritäten, die Ramona gewählt hatte. Ich denke, sie wusste auch so, was er davon hielt.
„Es tut mir Leid. Wollen wir noch irgendwo etwas…“
Er ließ sie nicht ausreden: „Ich habe noch etwas zu erledigen“ Mit diesen paar Worten schien zwischen den beiden alles geklärt zu sein. Beide wussten, dass sie ein Verhältnis hatten, das nicht mehr zur retten war. Schon allein auf Grund der geographischen Distanz.
„Nun…“ Unruhig tappte Ramona von einem Fuß auf den anderen, bevor sie wieder ihre gelangweilte Miene aufsetzte: „Dann sehen wir uns heute Abend“ Mit diesen Worten ging sie auf ihren High-Heels den Kiesweg entlang und eigentlich wartete ich nur darauf, dass sie umknickte, doch sie beherrschte den Gang auf diesen Schuhen perfekt.
„Wo willst du hin?“ fragte ich schließlich wieder an Moritz gewandt.
„Ich will meinen Vater dahin bringen, wo er am liebsten war“
Auch ohne, dass er es sagte, wusste ich, welchen Ort er meinte: Das Meer!






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