Take me anywhere - Teil 15

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 25.10.2011


„Aber du hast doch Vorlesung!“ Wie kleine Hunde rannten Fabian und Helena mir hinterher, während ich durch die Wohnung flitzte und alles Mögliche in meine Reisetasche packte.
„Ich weiß“ Ich drehte mich über die Schulter zu den beiden um und lächelte. „Ich habe mit Moritz ausgemacht, dass ich mir noch neunzig Minuten Medizintechnik gebe und er mich dann abholt – Wo ist er überhaupt?“
„Moritz?“ hakte Fabi und Helena antwortete: „Er ist joggen. Kopf frei kriegen und so“
„Der Arme… Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn mein Vater Krebs hätte“ meinte Fabi und ließ sich mit einem leisen Seufzen auf meinem Bett nieder. „Es ist lieb von dir, dass du mitgehst“
„Tja, so bin ich halt“ Ich zwinkerte ihm zu, doch dann wurde ich wieder ernst: „Nein, ohne Spaß. Wir sind befreundet – Moritz und ich. Ich muss das für ihn tun. Ich kann gar nicht anders“ Ich stopfte das letzte Teil in die letzte Lücke meiner Reisetasche und zog dann den Reißverschluss mit einem kräftigen Ruck zu.
„Ich denke, du machst einen Fehler“ bemerkte Helena trocken.
Ich zog die Brauen kritisch zusammen und schaute auf: „Wie meinst du das?“
„Ich meine, dass du wahnsinnig viele, wichtige Vorlesungen verpasst. Ich weiß ja nicht wie dein Plan aussieht, aber Donnerstag und Freitag einfach ausfallen zu lassen ist besonders im ersten Semester nicht clever“
„Oh, Helena! Komm’ mal runter. Du klingst wie Max“ Fabi sagte dies ohne nachzudenken, doch ich wusste, dass das bei Helena falsch ankam.
„Sag’ mir nicht, dass ich runter kommen soll!“ fauchte sie und schaute dann wieder zu mir: „Ich meine nur, dass du dir das vielleicht noch mal überlegen sollst“ Sie schaute mich mit einem bedeutungsvollen Blick an und ich wusste, dass sie nun auch auf meine Gefühle für Moritz anspielte.
„Ich weiß, was ich tue“
„Weißt du nicht, Mila“ lachte Fabi und stand auf und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. „Du bist eine, die nie wirklich weiß, was sie tut“ Mit diesen Worten verschwand er aus meinem Zimmer, natürlich ohne die Tür hinter sich zu schließen.
Ich drehte mich zu Helena um, welche mich immer noch prüfend musterte. „Ehrlich, Helena. Ich weiß, was ich tue“ Ich hievte meine Tasche auf mein Bett und fügte dann hinzu: „Sag Moritz, er soll meine Tasche nicht vergessen“
„Ich werd’s ihm ausrichten“ antwortete Helena.
Ich nickte, schulterte meine Handtasche, welche soviel wiegte, als hätte ich Backsteine eingepackt, anstatt ein paar Schreibsachen. „Ich verschwinde dann. Wir sehen uns Sonntag“ Ich drückte Helena kurz an mich, küsste sie flüchtig auf die Wange, was sie mit einem Kichern kommentierte.
Ich war froh, Helena als Freundin gewonnen zu haben.

Bepackt mit meiner Tasche stand ich knapp drei Stunden später an der Straße gegenüber vom Technikhörsaal und wartete auf Moritz, welcher sich wie immer maßlos verspätete. Ich hielt mein Handy schon in der Hand – drauf und dran ihn anzurufen. Doch ich entschied mich dafür, ihm noch fünf Minuten Zeit zu geben, dann würde ich ihn anrufen. Unruhig schaute ich immer wieder auf mein Handy, als ich schließlich zum Hörsaal hinüberschaute und sah, wie Lukas das Gebäude mit ein paar seiner Kommilitonen verließ.
„Oh Gott, bitte seh‘ mich nicht. Bitte seh‘ mich nicht“ flüsterte ich leise mir selber zu. Doch mein Stoßgebet wurde nicht erhört. Er blickte auf, sah mich, lächelte und überquerte die Straße. „Auf wen wartest du denn?“
„Auf Moritz“ war meine knappe Antwort.
„Wollt ihr wieder squashen gehen?“
„Nein, wir fahren… wir fahren übers Wochenende zu seinem Vater“
Und plötzlich legt sich ein Schatten über seine Gesichtszüge und er nicht resigniert: „Ah, verstehe. Deswegen also auch die Absage für meinen Geburtstag“
„Du verstehst gar nichts, Lukas“ sagte ich schroffer als beabsichtigt. „Verdammt, mach’s mir doch nicht so schwer. Nehm‘ das nicht persönlich, doch Moritz braucht mich im Moment mehr als du. Es tut mir Leid“
Er zögerte eine Weile, dann nickte er: „Du hast Recht. Ich hab‘ falsch reagiert. Vergiss es einfach“
„Werde ich. Schwamm drüber. Weil weißt du, Moritz‘ Vater geht es nicht gut. Er liegt im Krankenhaus. Und ich will Moritz das nicht allein durchstehen lassen müssen“
„Es ist lieb von dir, dass du für ihn da bist“
Ich lächelte und drückte kurz Lukas‘ Hand: „Danke“ Dann warf ich einen kurzen Blick auf meine Handyuhr und ließ seine Hand wieder los: „Du solltest zu deiner nächsten Vorlesung gehen, wenn du nicht zu spät kommen willst“
„So wie du immer?“ feixte er noch, während er schon losging und ich drehte mich über die Schulter zu ihm um und schüttelte lachend den Kopf: „Ich war bis jetzt nur einmal zu spät!“ Ich wandte mich wieder von ihm ab und atmete erleichtert aus, als Moritz endlich am Straßenrand hielt. 20 Minuten zu spät. „Im Gegensatz zu dir“ knurrte ich und stieg zu ihm ins Auto. „Du bist spät. Hast du an meine Tasche gedacht?“
Er antwortete erst gar nicht auf meine Frage, sondern beugte sich zu mir vor, küsste mich flüchtig auf die Wange und deutete dann mit dem Daumen Richtung Kofferraum: „Ich hab‘ an alles gedacht“ Er beschleunigte den Wagen schnell und schaltete hoch, ohne dass das Auto ruckelte, wie bei mir.
„Machen wir Fahrerwechsel?“ fragte ich neugierig.
„Du spinnst wohl!“ Er warf mir einen kurzen Blick zu und begann zu lachen. „Du fährst furchtbar. Viel zu schnell und schalten kannst du auch nicht“
„Ich fahre gar nicht zu schnell“
„Doch, 30km/h im Durchschnitt drüber“ Er zwinkerte mir zu, bevor er wieder komplett ernst wurde. Plötzlich schien er mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Und eine ganze Weile schwiegen wir, bis mir die Stille plötzlich zu viel wurde und ich das Radio andrehte. Super Bass von Nicki Minaj. Ich drehte die Musik etwas leiser.
„Lass uns ein Spiel spielen“ schlug ich enthusiastisch vor, als wir auf die Autobahn fuhren.
„Mila, ehrlich, mir ist gar nicht nach spielen“
„Doch! Ich will dich auf andere Gedanken bringen, verstanden? Und du spielst mit mir dieses Spiel – mir ist sonst nämlich langweilig“
„Wie alt bist du?“
Ich reckte im trotzig das Kinn entgegen: „Fünf“ Dann streckte ich ihm die Zunge raus und er warf mir nur einen kurzen Blick zu, als er schon zu lachen begann. „Du bist unglaublich“
„Ich weiß“ Ich lehnte mich in meinem Sitz wieder zurück und begann zu fragen: „Hast du Geschwister?“
„Was? Das ist dein Spiel?“
„Ja, ein ganz simples Frage-Antwort-Spiel. Das bringt mich immer auf andere Gedanken“
Er zögerte eine Weile, dann nickte er schließlich: „Ich habe noch eine kleine Schwester. Sie wird nächsten Monat 21“
„Ich hab auch…“ setzte ich an, doch Moritz unterbrach mich: „Ich weiß. Du hast auch nächsten Monat Geburtstag – am 06. Dezember“ Er lächelte mich an und ich merkte, wie mir eine leichte Röte ins Gesicht schoss. Eine Weile schauten wir uns nur so an, bis schließlich Moritz den Kopf abwandte und fragte: „Wer ist Jake?“
Ich schaute ihn überrascht an: „Woher weißt du von Jake?!“
„Ich bin meistens dabei, wenn du mit deinen Freundinnen telefonierst – schon vergessen?“
Ich begann zu lachen und schüttelte mit dem Kopf. Dann wischte ich mir die Tränen aus den Augen und antwortete: „Jake ist meine Dogge. Er lebt bei meinen Eltern“
„Eine Dogge?“
„Ja, eine ganz große, sabbernde, hässliche Dogge“
„Die will ich kennen lernen!“
„Das kann ich mir vorstellen“ Ich wühlte in meiner Tasche nach meiner Wasserflasche und trank einen Schluck, bevor ich sie wieder wegpackte und mein Handy herausholte. „Warum fällt es dir so schwer, eine Beziehung zu führen?“ fragte ich schließlich.
Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu, dann zuckte er mit den Schultern. „Keine Ahnung“
„Diese Antwort zählt nicht“
Er zögerte eine Weile und seufzte: „Ich bin… ich bin ein Einzelgänger. Ich brauche niemanden, um mich besser zu fühlen. Ich brauche niemanden, der mir mein Ego bestätigt. Und schon gar nicht brauche ich irgendein Mädchen, das mir meinen Freiraum nimmt; das mich einengt“
„Was ist mit Liebe?“
Wieder zögerte er, bevor er mich angrinste und frech sagte: „Du hattest deine Frage plus Antwort. Jetzt bin ich dran“
„Na dann lass mal hören“ Ich blickte zu ihm rüber und für eine Weile trafen sich unsere Blicke. Er zog nachdenklich die Brauen zusammen, während er mir in die Augen schaute. Dann wandte er sich wieder von mir ab. „Welche Farbe haben eigentlich deine Augen?“
Kurz stutzte ich. Ungläubig schaute ich ihn an und hakte nach: „Ist das deine Frage?“
„Ja, das interessiert mich“
Ich atmete hörbar aus, klappte die Sonnenblende vom Beifahrerplatz herunter und schaute in den dort angebrachten Spiegel: „Keine Ahnung, ich würde sagen, eine Mischung aus Blau und Grau, vielleicht auch ein wenig Grün“ Ich klappte den Spiegel wieder zu und schaute zu Moritz: „Oder?“
„Ich kann’s dir nicht sagen. Ich mag deine Augen trotzdem“
Ich lachte: „Oh, schön zu wissen“

Nachdem ich lange genug gedrängelt hatte, willigte Moritz endlich ein, dass ich auch mal fahren durfte. Voller Vorfreude, weil ich seit mein eigenes Auto keinen TÜV mehr bekommen hatte, nicht mehr gefahren bin, ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen und stellte den Sitz ein.
„Benzinkosten teilen wir natürlich“ warf ich schließlich ein, als Moritz wieder ins Auto stieg, nachdem er vollgetankt hatte.
„Lass uns das dann klären, wenn wir wieder in Hamburg sind“ Er lächelte mich freundschaftlich an und fügte dann zynisch hinzu: „Wenn wir überhaupt jemals zurückkommen. Ich bezweifle schon, dass wir ankommen, wenn du fährst“
Empört schaute ich ihn an, während ich den Motor startete: „Ich bin eine gute Fahrerin“
„Lügnerin. Du fährst miserabel!“
Ich schnaubte verächtlich aus und trat das Gaspedal voll durch, als wir auf den Beschleunigungsstreifen kamen. Ich vergaß den Schulterblick und lenkte einfach ein.
„Wie hast du deinen Führerschein nur bestanden?“
„Ist das deine nächste Frage?“
Er zuckte mit den Schultern: „Wenn wir das Spiel noch spielen“
„Aber sicher“ Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und dachte wieder für mich, wie gut er doch aussah. Eigentlich beinahe ein bisschen unschuldig – wie man sich durch Äußerlichkeiten täuschen lassen konnte. „Da Spiel ist erst vorbei, wenn wir in Neukirchen sind!“
„Ja, dann ist das meine Frage“
„Ich bin dreimal durchgefallen“ gab ich leise zu ohne vorher gezögert zu haben. Eigentlich war mir diese Tatsache immer peinlich, aber gegenüber Moritz störte es mich überhaupt nicht.
„Bist du mir böse, wenn ich dir sage, dass mich das nicht wundert?“
Ich lachte und schüttelte mit dem Kopf: „Nein, ich weiß, dass ich irgendwie… verrückt fahre“
„Und wieder zu schnell. Hier darfst du nur hundert fahren“
„Was fahr ich denn?“
Er beugte sich zu mir herüber, sodass sein Atem kurz meine Wange streifte. Er schaute auf das Tacho des Autos und sagte dann nüchtern: „140“
„Oh“ Ich nahm den Druck vom Gaspedal und begann darüber nachzudenken, was ich Moritz als nächstes fragen könnte. Und ohne, dass ich mich selber hätte aufhalten könne, hörte ich mich plötzlich fragen: „Wie ist es gut auszusehen?“
„Wie bitte?“ Überrascht schaute er mich an und zog skeptisch die Brauen zusammen.
„Ich bitte dich. Der lockere, undurchschaubare Blonde mit Augen, die die Farbe von Honig haben. Tu’ nicht so, als würdest du die Blicke, die sie dir zuwerfen nicht merken“ Ich drehte den Kopf, sodass wir uns gegenseitig anschauten. Und kurz zögerte er. Ich hatte es also wirklich geschafft ihn aus der Fassung zu bringen. Das erste Mal!
„Ich gebe die Frage zurück“
„Was?“
„Du hast mich schon verstanden“ Er begann zu grinsen und redete weiter: „Die Verrückte, Geheimnisvolle, deren Augen in einer vollkommen undefinierbaren Farbe leuchten, wenn sie lacht“
Ich spürte, wie ich knallrot wurde und schaute wieder stur auf die Straße. Normalerweise verschwand ich immer, wenn eine Situation unangenehm wurde, doch hier – im Auto – konnte ich ja schlecht einfach abhauen.
Also antwortete ich: „Ich kann das nicht beurteilen“
Er wollte gerade etwas erwidern und an seinen Blick sah ich schon, dass es reiner Spott sein würde, doch im selben Moment klingelte mein Handy. Ich zuckte zusammen und zeigte auf meine Tasche: „Wühl’ einfach drin rum. Du kannst auch ran gehen. Sind sowieso nur Lukas oder Helena“
Moritz nickte, griff nach meiner Tasche und angelte das Handy heraus und schaute auf den Display, bevor er ihn zu mir herumdrehte: „Es sind deine Eltern“
Ich stutzte und spielte kurz mit dem Gedanken, selber ranzugehen, aber dann würde ich zu hundert Prozent einen Unfall bauen. Ich würde mich nicht auf das Gezeter meiner Mutter UND auf die Straße konzentrieren können.
„Geh trotzdem ran!“
Ungläubig zieht Moritz die Brauen zusammen, dann seufzt er und nimmt ab: „Milas Handy, hallo?“ Er hätte nicht gelangweilter klingen können.
„Ja… Moritz – ein Freund Ihrer Tochter…. Hm… die sitzt neben mir, kann im Moment aber nicht mit Ihnen telefonieren… weil sie gerade Auto fährt… Rufen Sie später einfach noch mal an… okay, ich werd’s ihr ausrichten. Tschüss“ Er verdrehte die Augen und legte auf: „Ist deine Mutter immer so hektisch“
„Oh Gott, ja!“ Ich lachte kurz auf, dann fragte ich: „Was sollst du mir ausrichten?“
„Jake wurde geimpft. Du sollst die Tierarztkosten übernehmen“
Ich schluckte und nickte und versuchte verzweifelt mit meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Lange genug hatte ich auf ein nettes Wort meiner Mutter gehofft, doch ich wurde immer wieder enttäuscht. „Wie viel?“
„Das hat sie mir nicht gesagt – ich nehme an, ich werde die Benzinkosten allein übernehmen?“ Aufmunternd stupste er mich an und grinste dabei wieder typisch spöttisch.
Schnell schüttelte ich mit dem Kopf: „Nein, das pack’ ich schon noch. Vielleicht arbeite ich einfach einen Tag extra in der Frittenbude… Samstag oder so“
„Du bist doch verrückt. Wie kannst du da immer noch arbeiten?!“
„Ich brauche das Geld“
Daraufhin schwieg Moritz und auch ich wusste nicht, was es zu diesem Thema noch zu sagen gab. Ich räusperte mich und hakte nach: „Hat… hat meine Mutter noch irgendetwas anderes gesagt“
„Nein, nur das mit deinem Hund. Sonst nichts“
„Hm“ Ich nickte und beschleunigte den Wagen auf 160 km/h. „Hätte mich auch gewundert“
„Deine Familienverhältnisse sind auch nicht die besten“
Ich nickte erneut, fügte aber hastig hinzu: „Wenn deine Situation dagegen so betrachte, komme ich mir allerdings mit meinen Problemen so lächerlich vor“
Kurz lachte er bitter auf, dann wurde er wieder ernst und meinte leise: „Fahr nicht schon wieder so schnell“ Und während er das sagte, legte er seine Hand auf mein Knie, drückte es kurz und ließ wieder los. Es war eine Berührung die keine drei Sekunden dauerte, doch das Kribbeln, das sie hinterließ, hielt noch Minuten an.






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