Take me anywhere - Teil 16

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 28.10.2011


Ich mochte Krankenhäuser schon immer. Schon als kleines Kind hielt ich mich dort gerne auf. Das Leben und der Tod, welche dort so eng miteinander verbunden sind, wie nirgends sonst. Während auf der einen Station ein Baby geboren wird, kämpft ein Anderer irgendwo anders um sein Leben – und all dass spielt sich in ein und demselben Gebäude ab. Schon damals fand ich das faszinierend. Ebenso der Geruch, das Treiben, teilweise das Chaos, das in Krankenhäusern herrschte. Ja, sogar die Cafeteria zog mich magisch an.
Und schon mit sechs Jahren, wurde mir klar, dass ich einmal in einem solchen Krankenhaus arbeiten würde. Das war der Punkt in meinem Leben, wo ich mich von dem Traum Prinzessin zu werden, verabschiedete. Dieser Traum machte für den, einmal Ärztin zu sein, Platz.
Auch jetzt empfand ich nicht anders. Ich atmete tief durch und wartete neben Moritz auf der Station für Onkologie auf eine Schwester, welche uns weiterhelfen konnte.
„Ich hasse Krankenhäuser“ knurrte Moritz neben mir und stützte die Unterarme auf den Empfangstresen.
„Ich… ich finde Krankenhäuser faszinierend“
„Von einer Medizinstudentin habe ich nichts anderes erwartet“ Er schaute mich nicht an, während er mit mir redete und besonders jetzt wurde deutlich, wie sehr er unter der Krankheit seines Vaters litt. Wie sehr in das alles mitnahm, vor allem jetzt, da er direkt damit konfrontiert wurde. Im Auto konnte ich ihn noch leicht ablenken, im Haus seiner Eltern fiel es mir schon deutlich schwerer, und hier – im Krankenhaus probierte ich erst gar nicht, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
„Arbeitet hier denn keiner?!“ fauchte er wieder und ballte die Hand zur Faust.
„Ich weiß es nicht. Es wird schon einer kommen“ versuchte ich ihn zu beruhigen, doch es klappte nicht. Ungeduldig schaute er auf seine Handyuhr. Es war viertel vor acht. Eigentlich war die Besuchszeit längst vorbei, doch wir standen kurz vor Rügen noch im Stau, sodass wir gar nicht hätten früher ankommen können. Draußen war es schon dunkel, wie es für Ende November üblich war.
„Die haben sicherlich viel zu tun hier“ redete ich schließlich weiter.
Als Antwort bekam ich nur ein undeutliches Brummen. Anscheinend wollte er nicht reden. Also ließ ich ihn in Ruhe und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tresen herum, als endlich eine Frau mittleren Alters in Schwesterntracht aus einem Zimmer kam. Sie hatte die Figur einer Bohnenstange und das Gesicht einer Hexe. Ihr rotes Haar war streng zurückgebunden und mit viel zu viel Haarspray fixiert. Ihr Namensschild saß tadellos an seinem Platz: Regine Treu. Manchmal passt der Name zum Menschen!
Als sie uns sah wurde ihre strenge Miene etwas freundlicher. Und auch, wenn es für ihre Verhältnisse vielleicht höflich war, so empfand ich ihre Frage immer noch als ziemlich schroff: „Ah, Sie müssen Herr Freisleben sein“ Sie reichte Moritz förmlich die Hand und stellte sich unnötigerweise vor: „Regine Treu. Ich bin die Schwester ihres Vaters. Wenn sie irgendwelche Fragen haben…“ Moritz unterbrach sie unhöflich: „Ich will mit seinem Arzt sprechen“
„Oh, der hat leider schon Feierabend gemacht“
Ich hörte an der Art, wie Moritz scharf die Luft zwischen die Zähne zog, wie sehr ihm diese ganze Sache missfiel. „Dann will ich morgen mit ihm sprechen!“
„Das können Sie gerne machen“ Frau Treu holte Luft, um erneut etwas sagen zu können, doch Moritz kam ihr zuvor: „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne zu meinem Vater“
„Aber sicher. Seien sie leise, vielleicht schläft er schon. Er liegt in Zimmer 403I“
„Danke“ murmelte er noch, dann drehte er sich zu mir um: „Willst du…“ setzte er an, doch ich schüttelte schnell mit dem Kopf: „Nein, lass’ nur. Du hast sicher viel zu bereden mit deinem Vater. Ich will nicht stören“
Er zögerte eine Weile, dann nickte er: „Vielleicht hast du Recht. Aber… na ja, morgen. Ich finde, er sollte dich kennen lernen“
In meinen Kopf stellte sich gleich die Frage: Warum?, doch ich sprach sie nicht aus, sondern nickte nur und schaute Moritz solange hinterher, bis er in einem Zimmer verschwand – Zimmer 403I.
Ich seufzte leise und setzte mich auf die Wartestühle gegenüber dem Empfangstresen und spürte, dass mich die rothaarige Schwester beobachtete. Mit fragender Miene schaute ich auf und wartete ab.
„Ihr Freund?“ fragte sie knapp.
Ich schüttelte mit dem Kopf: „Nein“
„Armer Junge – schlimme Sache mit seinem Vater“
„Ja“
„Kommen Sie von hier?“
Innerlich stöhnte ich genervt auf und verdrehte die Augen, doch äußerlich ließ ich mir nichts anmerken. „Nein, wir kommen aus Hamburg“ Ich zerrte mein Buch für Bio-Technologie aus meiner Handtasche und schlug es dort auf, wo ich den Post-it in neonpink hingeklebt hatte. Frau Treu blieb der Wink mit dem Zaunpfahl nicht unbemerkt und nickte mir nur noch kurz zu, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmete.
Ich schlug die Augen auf, als mich jemand sanft an der Schulter rüttelte. Das Buch, das ich gelesen hatte lag aufgeschlagen aus dem Boden, mein Kopf war auf meiner Tasche gebettet und meine Füße lagen auf dem Stuhl neben mir.
Noch etwas verwirrt und benommen schaute ich mich um und blickte schließlich in Moritz’ Gesicht. Er hockte vor mir, seine Hand noch auf meiner Schulter: „Du bist eingeschlafen“ erklärte er und richtete sich wieder auf. Mit beiden Händen fuhr er sich übers Gesicht und gähnte. Er sah müde aus.
„Wie spät ist es?“ fragte ich.
„Keine Ahnung. Vielleicht elf, oder auch schon halb zwölf“ Er zuckte abwesend mit den Schultern.
Ich nickte nur, nahm die Beine vom Stuhl und packte mein Buch wieder in meine Tasche. „Ein langes Gespräch mit deinem Vater“ mutmaßte ich, doch er erwiderte einfach nur trocken: „Er hat die meiste Zeit geschlafen“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte und sagte nichts. Stattdessen legte ich meine Arme um seinen Nacken und zog ihn stillschweigend wieder zu mir herunter und nahm ihn einfach nur in den Arm. Ich spürte seinen Atem auf meiner Schulter, meinen Nacken, was mir sofort eine Gänsehaut über den Rücken jagte. „Es wird schon alles wieder gut“ sagte ich leise.
„Du weißt, ich halte nichts von Floskeln“ erwiderte er und schob mich leicht von sich. „Danke, dass du hier bist“
„Gerne“ Ich streckte ihm die Hand entgegen und er zog mich hoch. Ich gähnte und streckte mich kurz und jammerte: „Ich bin total fertig!“
„Frag mich mal“
„Wer fährt?“
„Ich“ Die Antwort kam viel zu schnell und als ich empört zu ihm hoch schaute, schaffte ich es noch einmal ihm zum lachen zu bringen.






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