Take me anywhere - Teil 9

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 10.08.2011


„Wo sind denn nur meine Schuhe?!“ Helena suchte hektisch im Schuhregal herum, dass Leon vor ein paar Wochen provisorisch zusammengebaut hatte.
„Hier liegen sie doch rum!“ Eher weniger sanft kickte Fabi ihr die Schuhe zu.
„Die waren teuer, Fabian Zeller!“ schimpfte Helena streng, worauf Fabi nur mit den Augen rollte und sich seine Jacke anzog. „Wenn Moritz nicht bald auftaucht kommen wir alle zu spät!“
„Als ob dich das stören würden“ zischte Leon und hämmerte ein weiteres Mal gegen die Badtür. Das Bad wurde seit einer guten halben Stunde von Max belegt.
„Du brauchst so lange im Bad wie ein Mädchen!“ rief Leon. „Hoffentlich ist dann auch das Ergebnis dementsprechend!“
„Halt die Klappe!“ ertönte Max’ Stimme von drinnen und ich musste schmunzeln, während ich mir meine Ballerinas anzog.
Laut den Erzählungen von Helena war der erste Tag des neues Semesters immer so; alle hatten es eilig; keiner wollte zu spät kommen; und jeder hatte ungefähr zur selben Zeit die erste Vorlesung.
In meinem Magen tanzten wild Schmetterlinge und ich hatte das Gefühl mich jederzeit übergeben zu müssen, so aufgeregt war ich. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinen ersten Studientag niemals überleben würde.
Und der Morgen in der WG machte es nicht besser. Moritz war nicht da – keine Ahnung, wo der sich rum trieb und eigentlich war es mir egal, zumindest redete ich mir das ein – Max blockierte das Bad und Leon zankte nur rum. Gerade Leon, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint.
Helena zog sich ihre Jacke an und schlüpfte in ihre Chucks, dann sagte sie: „Ich bin fertig. Ich nehm’ die U-Bahn und wünsche euch viel Glück“ Sie beugte sich schnell zu mir vor und gab mir einen Kuss auf die Wange: „Dir wünsche ich am meisten Glück und Spaß. Du schaffst das!“ Dann verließ sie die Wohnung und Max kam endlich aus dem Bad. „Ich verschwinde dann auch. Viel Glück, Mila“ Und dann tat er etwas, womit ich bei Max niemals gerechnet hätte: Er wuschelte mir brüderlich, ja beinahe freundschaftlich durch die Haare. Dann schloss auch er die Türe hinter sich.
„Ich nehme bald mein eigenes Auto“ knurrte ich und ließ mich an der Wand entlang zu Boden gleiten.
„Du weißt, du darfst damit nicht mehr fahren“ mahnte mich Fabi, zu dem diese Vernunft gar nicht passen wollte.
Vor einer Woche war ich mit meinem Schrottwagen bei der Reparatur gewesen und hatte erfahren, dass mein Auto wahrscheinlich sowieso kein TÜV mehr bekommt und eine Reparatur von dem her unnötig gewesen wäre.
Ich stöhne genervt auf und schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Ich verzog das Gesicht vor Schmerz.
Leon kam wieder aus dem Bad: „Das tat weh, Mila… Ist Moritz da?“
In diesem Moment kam Besagter völlig gelassen durch die Wohnungstür: „Ich bin spät, ich weiß. Hat alles etwas länger gedauert. Bin aber gleich fertig“ Er wollte gerade in sein Zimmer, als er noch mal stehen blieb und mich prüfend musterte: „Alles klar bei dir?“
Ich winkte seinen Kommentar genervt hab und knurrte nur: „Mach’, dass du fertig wirst“

„Wo zum Teufel warst du?“ fragte Fabi, als er sich neben Leon auf die Rücksitzbank von Moritz’ alten, schwarzen VW Golf quetschte.
Moritz zögerte eine Weile, dann antworte er: „Bei Katharina“
Und ohne, dass ich es wollte, spürte ich einen Stich in meiner Brust und dann rutschte mir die Frage einfach so heraus: „Ist sie deine Freundin?“
Überrascht sah er mich von der Seite an. „Nein. Wie kommst du darauf?“
Ich zuckte einfach nur mit den Schulter und mahnte ihn, als er immer noch mich anschaute. „Schau’, wo du hinfährst“
„Er schläft nur mit ihr“ kam es von Leon mit einem schiefen Grinsen auf dem Gesicht.
„Leon!“ Moritz warf ihm einen wütend funkelnden Blick durch den Rückspiegel zu, während er eine rote Ampel überfuhr.
„Da war rot“ sagte ich kühl und versuchte mir meine Umgebung einzuprägen, damit ich die nächsten Tage allein zur Uni finden könnte. Meine Hände auf meinen Oberschenkeln waren zu Fäusten geballt, meine Lippen fest aufeinander gepresst. Ich weiß noch nicht einmal, warum ich so angespannt war. Wegen des Studiums? Oder wegen Moritz?
Fabis Hände, welche sich von hinten auf meine Schultern legten, ließen mich aus meinen Gedanken aufschrecken. „Entspann’ dich mal, Mila. Es ist nur dein erster Studientag“
„Studieren macht Spaß“ mischte sich jetzt auch Leon ein. „Also, mir zumindest. In den Vorlesungen kannst du schlafen und abends kannst du feiern“
„Wie hast du nur dein Examen geschafft?“ fragte Moritz fassungslos und auch irgendwie spöttisch und schaute Leon wieder durch den Rückspiegel an.
„Das frag’ ich mich bei Fabi mehr, als bei mir!“ gab dieser zurück und kassierte dafür einen Seitenhieb von Fabi.
Mein Magen begann wieder zu rebellieren, als der Campus in Sicht kam und Moritz den Wagen zum Stehen brachte. Fabi war der Erste der ausstieg und Leon folgte ihm.
Meine Hand lang schon am Türgriff, als sich Moritz’ Hand um meinen Oberarm schloss: „Warte mal… Alles klar bei dir?“
Ich drehte mich zu ihm um und nickte schnell. „Ja, alles bestens. Ich bin nur ein bisschen nervös“
Eine Weile sah er mich noch eindringlich aus seinen bernsteinfarbenen Augen an, dann nickte er und ließ mich los. „Treffen wir uns um halb eins in der Mensa?“
„Ich mag das Kantinenessen nicht“ Mit diesen Worten stieg ich aus.
Die Sache mit Moritz war nicht einfach. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich kam mit meinen Gefühlen gut klar. Und manchmal drohte alles über mir zusammenzubrechen. Vor allem, wenn er von Katharina oder weiß was ich wem erzählte.
Und manchmal ging mir sogar sein überhebliches Grinsen auf die Nerven – das Grinsen, das ihn auch so wahnsinnig attraktiv machte.
„Bis heute Abend, Jungs“ rief ich noch Fabi und Leon im Vorbeigehen zu, dann begab ich mich auf die Suche nach dem richtigen Hörsaal.

Völlig erschöpft und erschlagen von all den neuen Eindrücken sank ich schließlich knapp vor Mitternacht ins Bett.
Mein erster Studientag war etwas völlig Neues gewesen. Zwar wusste ich schon, welche Fächer mich erwarteten und wann ich welche Vorlesung hatte, doch alle die neuen Menschen und all die neuen Professoren hatten mich förmlich erschlagen.
Dann noch das knappe Gespräch mit meinen Eltern am Nachmittag. Ich erzählte ihnen nur das Nötigste und Wichtigste. Mehr schien die beiden auch nicht zu interessieren. Und wieder einmal musste ich an Dorotheas Worte von vor ein paar Jahren denken: „Deine Eltern interessieren sich einfach nicht für dich. Und dir scheint das völlig egal zu sein“
Doch Dorothea hatte sich getäuscht. Es war mir nicht egal – ganz im Gegenteil, es verletzte mich immer wieder, aber ich war es nicht anders gewöhnt, also kümmerte ich mich nicht weiter darum; mir und meinen Nerven zuliebe.
Auch, dass ich Lukas auf dem Campus auf dem Weg zu Fakultät für Bio-Chemie wieder sehen musste, machte meinen Tag nicht stressfreier.
Geschickt verwickelte er mich in ein Gespräch, das zwangsläufig darauf hinaus lief, dass ich ihm meine Handynummer geben musste. Ich konnte nur hoffen, dass er mich nicht anrufen würde.
Und kaum hatte ich meine letzte Vorlesung hinter mich gebracht – Mathematik Grundkenntnisse – musste ich zum Bürgeramt um meine Lohnsteuerkarte abzuholen. Die dicke Frau wollte sie ja am Mittwoch haben.
Seufzend stand ich schließlich auf, sammelte meine Sachen zusammen und beschloss noch duschen zu gehen. Leise schlich ich aus meinen Zimmer, um die anderen in der WG nicht zu wecken, als mir das Licht in der Küche auffiel.
Im Türrahmen blieb ich stehen und traf auf eine mir fremde junge Frau, welche am Küchentisch saß und eine Tasse Tee vor sich stehen hatte. Sie trug ein Hemd, das sicher nicht ihr gehörte. Und sie stöberte in einem Buch, das zweifellos Moritz gehörte. Vor ihr eine meiner Tafeln Schokolade. Und weil ich müde war und auch gereizt, sprach ich genau das aus, was ich auch dachte: „Ach, komm schon! Ich muss schon Fabi mit durchfüttern“
Die Frau schreckte zusammen und warf einen Blick über die Schulter, sodass ihre schwarzen, glänzenden Haare nach hinten flogen. Klare, blaue Augen blickten mich an. Ihr sanftes, gebräuntes Gesicht sah erschrocken aus. „Ist das deine Schokolade?“ fragte sie mit sichtlich schlechten Gewissen.
„Ja, aber vergiss’ es“ Ich ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche Wasser heraus.
„Ich frage mich, was er an diesen Dingern findet!“ rief die Frau auf einmal aus und schob Oscar Wildes Dorian Gray von sich.
„Wer? Moritz?“
Die Frau, von der ich langsam glaubte, dass sie Katharina sein musste, nickte. „Er liest die ganze Zeit irgendwelche Bücher von längst verstorbenen Leuten, deren Werke als Klassiker gelten“
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen den Küchenschrank und biss mir auf die Lippen. „Weißt du, Dorian Gray zum Beispiel ist wahnsinnig fesselnd geschrieben. Und diese Sache mit dem Bild und der Seele – das ist schier genial. Vor allem, weil…“ An der Art wie Katharina mich ansah, wusste ich, dass sie das Buch nie gelesen hatte und dass sie daher keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. Schnell wechselte ich das Thema: „Ich bin übrigens Mila“
Katharina riss die großen, blauen Augen noch ein Stück weiter auf. „Mila… Moritz erzählt viel von dir“
Ich zuckte zusammen und hoffte, dass sie es nicht bemerkt hatte. Schnell versuchte ich mich wieder zu fangen und spielte ihren Kommentar betont runter. Wer weiß, was er über mich erzählt.
„Ja, wir wohnen zusammen… Wir gehen uns oft auf die Nerven. Und du bist?“
„Katharina“ antwortete sie höflich, dann wurde ihr Blick unsicher: „Erzählt er denn auch manchmal von mir?“
Ich zögerte kurz, dann nickte ich: „Gelegentlich. Natürlich nur Gutes“ Ich zwinkerte ihr zu und hasste mich eigentlich dafür, dass ich sie belog. „Ich geh’ dann mal duschen… Gute Nacht“ Ich lächelte ein letztes Mal, dann verschwand ich ins Bad.
Am liebsten hätte ich Katharina gehasst, doch das war unmöglich. Denn sie war eine nette junge Frau, die dazu noch wunderschön war und die sich zweifelsohne in Moritz verliebt hatte. Er war der Idiot, der nie etwas ernst nahm! Ich müsste ihn hassen wollen, nicht Katharina.






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz