Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 39

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 06.10.2011


Liebe Leser, wieder habt ihr endlos lange auf die Fortsetzung warten müssen und ich kann nur immer wieder sagen, dass es mir leid tut. Die Geschichte neigt sich langsam dem Ende zu. Ich hoffe, dass ihr dennoch weiter lest und euch an diesem Teil erfreut.



...Wenig später saßen wir auf meiner Terrasse und tranken gekühlten Milchkaffee. Wir schwiegen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, hin und wieder kreuzten sich unsere Blicke.
Irgendwie war das Schweigen eine Art Waffenstillstand. Kein „weißt du noch“, kein „erinnerst du dich“ kam über unsere Lippen. Reden hatten wir gewollt… Schweigen war zwischen uns und dieses Schweigen war so tief, die Illusion des Friedens so wohltuend, dass es keiner von uns wagte, die Stille zu durchbrechen.
Irgendwann schreckte uns das unangenehme Geräusch meines Telefons auf. Wie zwei gehetzte Tiere starrten wir uns an, für den Bruchteil der Sekunde fühlte ich mich ihm nah. Das Telefon läutete weiter. „E-entschuldige“ stotterte ich und rannte in den Flur, wo das dämliche Gerät auf einem Tischchen lag. „Ja?“ rief ich und lauschte dann der aufgeregten Stimme meines Chefbereiters. Natürlich! Mittlerweile waren unsere Gäste ja alle wach, vom Frühstück gesättigt und warteten auf die morgendlichen Reitstunden oder Ausritte. Wie lange hatten wir wohl da draußen gesessen? Und uns angeschwiegen? Warum nur konnten wir es nicht einfach tun? Miteinander reden? Das konnte ja wohl nicht so schwer sein… ich verlor mich in wirren Gedankengängen und schaffte es kaum Roberto zuzuhören. „Was? Ja, entschuldige – es… ähm… es geht mir nicht so gut… kannst du, also könntest du nicht… - danke dir, wir reden später darüber. Danke!“
Erleichtert legte ich auf und warf das Telefon dann achtlos auf einen Stuhl. Gut, dass ich ein Team hatte auf das ich mich verlassen konnte, auch wenn ich mal nicht da… ehm nicht zurechnungsfähig sein sollte. Ich lachte, lachte über mich selber und konnte nicht mehr aufhören.
Irgendwann stand Luìs in der Tür, sah mich einen Moment irritiert an. Für einen Moment hörte ich auf zu lachen und erwiderte den Blick. Dann brach das Lachen erneut aus mir heraus und er lachte einfach mit. Ehe ich mir noch darüber klar werden konnte, was wir hier eigentlich taten – nämlich lachen wie zwei Verrückte – hatte er mich von hinten in die Arme geschlossen. „Weißt du“ flüsterte er heiser und ich hörte sofort mit dem Lachen auf. „Dass ich dich noch nie so habe lachen sehen?“ Ich schwieg und versuchte verzweifelt mein Herz daran zu hindern, die Stricke zu zerreißen, die ich ihm angelegt hatte. „Vielleicht habe ich dich überhaupt noch nie lachen sehen…“ Seine raue Stimme schmeichelte meinen Ohren und sein Atem hinterließ eine Gänsehaut. Ich kämpfte immer noch mit meinem Herz und schließlich gewann ich die Überhand, zwang es in die Knie und riss mich von ihm los.
Heftiger als beabsichtigt stieß ich ihn von mir. „Ich glaube kaum, dass du darüber reden wolltest!“ Täuschte ich mich oder wurde er etwas blass um die Nase? War da nicht ein Schatten über seine Augen gehuscht? Atmete er nicht schneller als sonst? Aber so schnell der Ausdruck auf sein Gesicht getreten war, so schnell war er wohl auch wieder verschwunden, denn nachdem ich einmal geblinzelt hatte, war sein Gesicht ausdruckslos wie immer. Er seufzte und ging wieder auf die Terrasse, ich folgte ihm langsam und ließ mich fast schüchtern auf den Stuhl ihm gegenüber fallen.
Er sah mich an, ruhig und ohne den sonst so arroganten Zug um den Mund. Ich sah zurück, hielt ihm stand und suchte nach Worten, mit denen ich ein Gespräch hätte anfangen könne. Ob es ihm wohl ähnlich ging? Er lächelte ganz leicht, wie zur Bestätigung, und unwillkürlich lächelte ich zurück. Eine ganze Weile lang schafften wir es uns gegenseitig anzusehen ohne dabei einen Kampf auszutragen. Leider aber auch ohne dass wir im Blick des anderen lesen konnten. Unwillkürlich dachte ich an Diego. Ein Blick, eine Geste von mir und er hatte sofort gewusst was in mir vorging. Ich seufzte und schlug die Augen nieder.
Luìs stand auf und trat an das Geländer der Terrasse. Ich unterdrückte das Bedürfnis aufzustehen und verfolgte ihn lediglich mit meinem Blick. Ohne sich nach mir umzusehen sagte er: „Komm!“ Da war es wieder! Da war seine befehlsgewohnte Stimme, seine Forderung! Ich starrte ihn an und blieb reglos sitzen. Ich würde niemals seinem Befehl nachkommen. „Was ist?“ fragte er spöttisch. „Hast du Angst vor meiner Nähe?“ Ich schnaubte missbilligend und hatte schon eine spitze Antwort auf der Zunge. „Beherrsch dich Juliana!“ zischte meine innere Stimme und ich schaffte es die bösen Worte herunterzuschlucken. Sie schmeckten bitter. Er drehte sich zu mir um, langsam und berechnend; wohl wissend, dass er die Sonne im Rücken hatte und dadurch noch umwerfender aussah als sonst. Einen Moment ließ ich seinen Anblick auf mich wirken. Die Realität vermischte sich mit der Erinnerung. Ich sah ihn, wie er gerade aus dem Meer kam. Die Sonne im Rücken, so wie jetzt. Sah, wie er das Wasser aus seinen Haaren schüttelte und wie die Tropfen über seine Brust hinab über seinen Körper rollten, seine Haut streichelten. Sah mich selbst wie ich ihn verzückt anstarrte und mich nicht von der Stelle rühren konnte. Erschlagen von seinem Schönheit.
Rasch schüttelte ich die Illusion ab und suchte traurig seinen Blick. „Dein Selbstbewusstsein ist unerschütterlich oder?“ Er lachte, aber es war kein echtes Lachen. Er kam wieder zurück an den Tisch, zog den Stuhl jedoch näher zu mir heran und saß nun direkt vor mir. „Juliana“ sagte er leise und nahm meine Hand, die ich nicht schnell genug hatte wegziehen können. Ich verschluckte mich fast an meinem Speichel bei seiner Berührung. Alles in mir brannte lichterloh und konnte den Blick nicht von seinen Augen wenden.
Dieses Mal verlor ich den Kampf gegen mein Herz. Mit einem einzigen Ruck hatte es die Fesseln zerrissen und jagte nun in gestrecktem Galopp davon. Und mit jedem Sprung brachte es mich näher zu Luìs, der ganz ruhig darauf wartete, dass es bei ihm ankam. Ich konnte nichts weiter tun als zu versuchen nicht herunter zu fallen, musste hilflos zusehen wie er mich an sich heran zog und als sich unsere Körper berührten war es als explodiere ein Universum in mir.
Fest presste er mich an sich, stand auf, zog mich mit sich hoch, näher in seine Arme. Als er seine Hand um mein Kinn legte wehrte ich mich noch halbherzig, aber Luìs lachte nur darüber. Und dann küsste er mich wild und ohne Rücksicht auf mich zunehmen.
„Wehr dich!“ schrie es in mir. „Was soll das werden?! Er kann doch nicht einfach über deinen Körper bestimmen!“ Und wie er das konnte! Alles verschwamm vor meinen Augen und ich war nur noch Körper, war nur noch Gefühl und als ich seine warme raue Hand über die zarte Haut meiner Brust streichen fühlte, verstummte sogar die ätzende Stimme in meinem Kopf. Seine Hände waren auf einmal überall, sein Mund war überall, er war überall. Es geschah genau das, was ich immer zu verhindern versucht hatte. Ich verlor vollkommen die Kontrolle.

Es dauerte eine ganze Weile bis ich wieder zu mir kam.
Sterne tanzten vor meinen Augen, der Himmel über mir drehte sich, schwer wog Luìs Arm. Mein Kopf lag in seiner Armbeuge und ich schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sein Brustkorb hob und senkte sich in kurzen Abständen. „Na wenigstens etwas“ dachte ich bitter. Etwas, das beweist, dass auch er sich gerade eben völlig verausgabt hatte. Meine Haare klebten an meinem Rücken, meine Lippen brannten wie Feuer und mein Atem raste. Luìs hingegen sah aus wie immer, eine zum Leben erwachte Statue von Leonardo da Vinci. Sein Gesicht, fein aus Marmor gemeißelt, war ebenmäßig und entspannt, seine Lippen schimmerten rot und weich, der perfekte Schwung seiner Augenbrauen ließ mich erneut schwindeln. Ich schloss verwirrt die Augen.
„Jemand zu Hause?“ flüsterte er in mein Ohr und bereitete mir eine Gänsehaut. Ich presste die Lippen auf einander und schüttelte den Kopf. Er lachte leise. Lachte dieses grausame Lachen. Das Lachen, dass mich immer schon bis ins Mark getroffen hatte. Sein Lachen.
„Sieh mich an!“ Dunkel und rau war seine Stimme, selbstsicher wie ich es gewohnt war. In mir rumorte es. Ich konnte seine ewigen Befehle nicht ausstehen. Dennoch war ich noch viel zu benommen, um gegen ihn ankämpfen zu können. Ich schlug also die Augen wieder auf. Die Mittagssonne blendete mich, aber gleich darauf legte sich ein wohltuender Schatten über mein Gesicht. Sein Schatten.
Er grinste unverschämt. „Auf diesen Moment habe ich so lange gewartet“ sprach er seinen Gedanken aus. Meinte er das ernst? „Quatsch!“ blaffte meine innere Stimme mich an. Ich lachte trocken und versuchte in von mir zu schieben. Ohne Erfolg. Er grinste nur weiterhin. „Jetzt hör schon auf dich zu wehren. Du hast doch genauso lange darauf gewartet wie ich!“ Pah! Wie konnte er sich da nur so sicher sein?! „Ach ja?“ fragte ich und meine Stimme war angesichts der Ereignisse seltsam kühl. Sein Lächeln erstarb und ich dachte schon einen Sieg errungen zu haben. Aber anstatt sich zurück zu ziehen und mich endlich frei zu geben, beugte er sich zu mir herunter und küsste mich. Ich hatte es nicht kommen sehen und als seine Zunge forsch einlass in meinen Mund forderte hatten meine Lippen sich schon geöffnet, bevor ich mir überhaupt darüber klar wurde, was gerade geschah. Anstatt ihn wegzustoßen, wie ich es eigentlich wollte, bog sich mein Körper ihm willig entgegen. Schließlich ließ er von mir ab und grinste wieder einmal unverschämt. „Ich weiß es, du weißt es, vermutlich weiß es sogar Diego…“ „Lass Diego aus dem Spiel!“ zischte ich wütend. Es gefiel mir nicht, wenn er seinen Namen aussprach und insgeheim fragte ich mich, wann er wohl wieder kam. Luìs lachte. „Du hast ihn doch zum Mitspielen eingeladen!“ Er hatte Recht und fast hätte ich gelacht, konnte es mir gerade noch verkneifen. „Ich hab keine Chance oder?“ fragte ich schließlich und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Nein, hast du nicht“ lachte er und küsste mich erneut. Ein Bisschen weniger stürmisch als vorhin. Seine Hände waren diesmal sanft, seine Küsse zärtlich.
Wir küssten uns noch eine Weile und irgendwann fiel die Anspannung ab. Nicht nur von mir, auch von ihm. Ich merkte das an seinem Blick, der weicher wurde und an seinen Gesichtszügen. Nichts war zu sehen von der steilen Falte auf seiner Stirn, die mir auf unserer Flucht so vertraut geworden war. Ich schob ihn von mir und diesmal ließ er mich gewähren. Er stützte sich auf den Ellbogen und ich richtete mich auf. Mir war als würde ich jeden einzelnen Muskel spüren.
Die Sonne brannte heiß auf uns nieder, kein Lüftchen regte sich. Ich seufzte und blickte zu Luìs hinab. Da lag er, ruhig und sich seiner selbst voll bewusst. Nackt und schön. Abrupt wand ich mich ab und ohne mich nach ihm umzudrehen verließ ich die Terrasse. Keine zwei Sekunden brauchte ich zu warten, um seine Präsenz in meinem Rücken zu spüren.
„Worüber wolltest du eigentlich mit mir reden?“ fragte ich. Er umarmte mich von hinten und immer noch war seine Berührung mehr fremd als vertraut. Feine Gänsehaut breitete sich auf meinen Körper aus. „Keine Ahnung“ sagte er und knabberte an meinem Ohrläppchen. Ich verdrehte genervt die Augen. „Darf ich dich daran erinnern, dass DU reden wolltest?“ Meine Stimme war gereizt, er knurrte leise. „Geh mir nicht auf die Nerven Juliana…“ Wütend fuhr ich zu ihm herum. „Wenn ich dir jetzt schon auf die Nerven gehe, dann ist all das hier ja eh überflüssig!“ rief ich und riss mich aus seinen Armen. Er lachte. Abscheulich wie nur er lachen konnte! Abscheulich schön! „Das hörte sich vorhin aber noch ganz anders an. Wie kann etwas, was so viel Spaß macht überflüssig sein?“ Ich seufzte und sah zu Boden. Ich schämte mich weil ich nachgegeben hatte. Schämte mich, weil ich meine Lust nicht hatte kontrollieren können. Im Gegenteil ich hatte mich ihm hingegeben. Einfach so. „Verschwinde“ zischte ich und ich meinte für einen Moment Überraschung in seinem Blick aufflackern zu sehen. Oder Enttäuschung? Aber es war zu schnell vorbei, um es genau zu benennen.
„Bist du dir sicher?“ fragte er. Er war ganz ruhig. „Nein“ sagte ich stimmlos, meine Augen füllten sich mit Tränen. Noch konnte ich sie zurückhalten. Er kam einen Schritt auf mich zu, blieb kurz vor mir stehen. Vorsichtig streichelte er meine Wange, verkrampft ließ ich es zu. Ich spürte wie er mit seinem Blick über meinen Körper wanderte, unauffällig musterte ich den seinen. Immer noch wurde ich von seiner Schönheit beinahe erschlagen. Wie konnte ein Mann nur so perfekt aussehen?!
Vorsichtig sah ich zu ihm auf. Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Von seinen Mundwinkeln aus stieg es auf, wie die Sonne frühmorgens gemächlich über den Horizont steigt, und kletterte über seine Wangen, nur um dann in seine Augen zu tauchen und sie von innen heraus Feuer fangen zu lassen…
„Atmen…“ hörte ich seine Stimme wie von weit her. Schnell schnappte ich nach Luft, ohne den Blick abzuwenden von seinen brennenden Augen. Ich spürte wie das verstaubte Eis in der hintersten Ecke meines Herzens langsam zu schmelzen begann. Eine Träne tropfte über meine Wange hinab auf die Terracotta Fließen. Beide verfolgten wir ihren scheinbar unendlichen Weg bis zur Erde. Sie fiel und fiel und schimmerte in allen Farben des Regenbogens, als sie vom Sonnenlicht seiner Augen getroffen wurde. Und als sie auf dem Boden aufschlug zersprang sie in abertausende, winzige, schillernde Tröpfchen. Gleichzeitig sahen wir wieder auf, unsere Blicke trafen sich und verfingen sich ineinander.
„Wieso ist es nur so kompliziert?“ flüsterte ich und sein Lächeln erstarb. Nicht aber das Feuer in seinen Augen. Er zog mich nah zu sich und küsste mich auf die Stirn. „Ich weiß es nicht… ich weiß es wirklich nicht. Eigentlich weiß ich noch nicht einmal warum ich überhaupt hier bin…“ Seine Stimme wurde zum Schluss hin immer leiser und verstummte schließlich ganz.







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