Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 10.07.2009




Der Korkeichenwald lag stumm und unbeweglich im Dunkeln. Schützend breiteten die Bäume ihre krummen Äste über der kleinen Gruppe aus. Ein Mann, das Gesicht zerschrammt und mit kohleschwarzen Augen. Eine Frau, sonnenverbrannt und mit taumelndem Gang. Ein Pferd, das die Menschen um einiges überragte, muskelbepackt und mit hoch aufgerichtetem Kopf. Während Luìs und ich uns nur mühsam einen Weg durch den Wald bahnten, setzte Salvador federnd einen wohlgeformten Huf vor den anderen und musterte die Umgebung mit wachem Blick. Hin und wieder schnaubte er kräftig und schüttelte den Hals. Er war immer noch voller Energie, auch nach dem langen Lauf mit gleich zwei Reitern auf seinem Rücken. Zwar atmete er heftig und schwitze stark, aber er war lange nicht so erschöpft wie wir beide. Endlich erreichten wir eine Stelle, an der die Bäume besonders nah beieinander standen und ihre dicken Äste ineinander verschränkten, so dass wir auch von oben nicht gesehen werden konnten. Es bedurfte nur eines müden Blickwechselszwischen Luìs und mir, um uns auf den Rastplatz zu einigen. Ich warf die Packtasche an den Fuß eines Baumes und ließ mich seufzend daneben nieder. Luìs ließ sich mir gegenüber ins kurze, trockene Gras fallen. Salvador war ebenfalls stehen geblieben und senkte nun den Kopf zum Grasen. 'Wir müssen irgendwo Wasser herkriegen' hörte ich mich selbst mit krächzender Stimme sagen. Luìs nickte und stützte den Kopf in die Hände. Die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen sprach mehr als es Worte hätten sagen können. Ich teilte seine Sorge. Es war Ende September, die Erde in Portugal war staubtrocken und das Gras verbrannt. Der Korkeichenwald, in dem wir uns befanden, bot zwar Schutz vor der Polizei, aber mit Sicherheit kein Wasser. Es würde noch Wochen dauern, bis ein Regenschauer nieder ging. Kurz gesagt: wir befanden uns in einer aussichtslosen Lage. Hatten wir nach unserem Aufbruch in Spanien nur vor den Häschern des Gestüts fliehen müssen, hatten wir nun auch noch die portugiesische Polizei auf dem Hals,die unglücklicherweise über Hubschrauber verfügte. Es war viel zu riskant den Schutz des Wäldchens zu verlassen, um uns auf die Suche nach Wasser oder einem Dorf zu machen, zumal ich zu allem Überfluss bei dem wilden Ritt komplett die Orientierung verloren hatte. Mit den beiden Feldflaschen konnten Luìs und ich lediglich ein paar Tage durchhalten, sofern wir nur ein paar Schlucke am Tag nahmen. Aber für Salvador wäre das viel zu wenig. Ich war ratlos und schalt mich, wider jede Vernunft auf meinen Bruder gehört und dieses Pferd gestohlen zu haben. Das hatte ich nun von diesem Abenteuer. Ich saß in einem von unendlich vielen Korkeichenwäldern Portugals fest, mit einem geheimnisvollen Pferd und einem unverschämt hübschen spanischen Hufschmied an meiner Seite. Letzterer kramte gerade in der Packtasche herum und beförderte drei Äpfel hervor. Unverwandt starrte ich auf seine gebräunten Hände, denen man die harte Arbeit ansah und die gerade deshalb einen gewissen Reiz ausstrahlten. 'Geben wir die Salvador, daist wenigstens ein Bisschen Flüssigkeit drin' schlug er vor. Ich riss mich vom Anblick seiner Hände los und sah zu dem großen Wallach hinüber der sich grasend zwischen den Bäumen bewegte. Ich schürzte die Lippen und schnalzte. Das Pferd hob den Kopf und blickte mit gespitzten Ohren zu uns hinüber. 'Salvador' rief ich leise. 'Komm her.' Langsam trottete er zu uns her. Luìs bot ihm einen der Äpfel auf der offenen Handfläche an. Misstrauisch schnupperte der Braune an seinen Fingerspitzen und schnaubte, dann nahm er den Apfel mit den Lippen und zerbiss ihn genüsslich. Nach dem dritten Apfel ließ er sich sogar von Luìs die Stirn kraulen. Ich spürte wieder einen Stich in Herznähe, gab mir aber alle Mühe den bittren Geschmack der Eifersucht herunter zu schlucken. Ich atmete tief ein und stieß die Luft langsam wieder aus, schloss die Augen und lehnte mich an den Stamm der Korkeiche. Mit geschlossenen Augen lauschte ich auf die Geräusche der Nacht. Geraschel im Geäst, lauer Lufthauch, Salvadors gedämpfter Hufschlag,wenn er sich beim Grasen fortbewegte, mein eigener Atem, das Gebrumm eines Helikopters in der Ferne, trippelnde Füßchen im trockenen Gras, leises Schwirren der Insekten… Helikopter?! Fast hätte ich aufgeschrieen, konnte mich aber gerade noch zurückhalten. Voller Schreck suchte ich Luìs Blick. Das Flackern in seinen Augen verriet mir, dass auch er es gehört hatte. 'Salvador!' rief ich leise. Luìs stand auf und legte den Finger auf die Lippen. Gemeinsam lauschten wir in die Dunkelheit. Das Gebrumm kam näher. Rasch war Luìs bei Salvador und versuchte ihn zu mir zu dirigieren. Unwillig schnaubte der Braune und schlug gezielt in Luìs Richtung, der gerade noch zur Seite springen konnte. 'Verdammt!' fluchte Luìs und seine Augen verdunkelten sich gefährlich. Wieder näherte er sich dem Wallach, der bereits drohend die Ohren angelegt hatte, das Geräusch der Motoren kam stetig näher und dann sah ich auch Scheinwerferlicht. Während ich noch überlegte was zu tun sei, hatte Luìs dem großen Pferd einen Hieb versetzt.Nicht fest, aber so, dass es jedes Pferd zum loslaufen bewegt hätte. Empört wieherte Salvador auf, aber anstatt in meine Richtung zu flüchten, wirbelte er zu Luìs herum und bäumte sich auf. Beinahe hätte er Luìs am Kopf erwischt, der abermals rechtzeitig zurückweichen konnte. Diesmal jedoch stolperte er und fiel. Gerade noch bevor Salvador, ihn beim herunter kommen mit seinen Hufen zerschmettern konnte, hatte Luìs es geschafft sich außer Reichweite und hinter einem Baum in Sicherheit zu bringen. Nachdem er seinen vermeintlichen Peiniger nicht mehr sah, beruhigte sich Salvador etwas, ließ sich aber nicht überzeugen mit mir zu kommen. Der Suchscheinwerfer des Helikopters fräste den Wald ab und hatte uns fast erreicht. Das Blätterdach hier war lange nicht so dicht, wie an der gewählten Lagerstelle, man würde uns entdecken! Plötzlich packte mich ein Arm von hinten und zog mich grob hinter den dicken Baumstamm. Panisch schrie ich auf und im gleichen Moment röhrten die Motoren über uns auf, erreichte derLichtkegel den Punkt an dem ich gerade noch gestanden hatte. Der Helikopter war jetzt genau über uns. Salvador stand auf der anderen Seite, das Licht hatte ihn noch nicht erreicht. Doch seine empfindlichen Ohren zuckten, er stampfte und schlug heftig mit dem Schweif und ich wusste, dass es nur noch eine Frage von Sekunden war, bis er losrasen würde. Still betete ich, dass er nur noch einen Moment warten würde, doch schon preschte er in vollem Galopp los, der Scheinwerfer erfasste ihn und folgte ihm in rasanter Geschwindigkeit durch den Wald. Bald schon war er zwischen den Stämmen der alten Korkeichen verschwunden und auch das Geräusch des Helikopters verstummte nach und nach. Es dauerte eine kleine Ewigkeit bis ich begriff, dass ich nichts mehr hörte, außer den üblichen Geräuschen der Nacht. Jetzt erst bemerkte ich, dass wir immer noch regungslos fest an den Stamm gepresst da standen. 'Du kannst jetzt wieder atmen' hörte ich seine leise Stimme dicht an meinem Ohr. Ich konnte sein schelmisches Grinsengeradezu körperlich spüren. Ich unterdrückte einen bissige Antwort und säuselte genauso leise: 'Und du kannst mich jetzt wieder loslassen!' Langsam löste er seinen Griff um meinen Oberkörper und lachte leise. Seufzend drehte ich mich zu ihm um und rutschte langsam am Stamm hinab, bis ich auf dem Boden ankam. Ich war kaum fähig die Augen offen zu halten, zu sehr litt mein Körper unter den Strapazen der letzten Wochen und Tage - nicht zuletzt an den Folgen des Sonnenstiches, der wohl immer noch nicht ganz ausgestanden war, denn in meinem Kopf drehte sich mal wieder alles. 'Geht es dir gut?' hörte ich Luìs Stimme wie aus weiter Ferne und hatte das Gefühl in einem dichten Wattebausch zu sitzen. Ich schaffte es den Kopf zu schütteln. Zum Schwindel kam nun auch noch Übelkeit und ehe ich den Gedanken realisiert hatte, zog sich mein Magen mit einem Ruck zusammen und entleerte sich seines eh schon geringen Inhalts. Selten hatte ich mich so erbärmlich gefühlt. Schweiß stand mir auf der Stirn, ich zitterte am ganzenLeib. Besorgt hatte sich Luìs neben mir auf den Boden gekniet und mir führsorglich die Haare aus dem Gesicht gestrichen. 'Besser?' fragte er nun, da sich mein Magen weitgehend beruhigt hatte. 'Ich bin so müde…' schaffte ich zu antworten, während mit beinahe die Augen zu fielen. 'So unendlich müde…' Wieder tauchte ich in den Wattebausch ein, was mir diesmal nur Recht war. Ich wollte nur noch schlafen. Vage hörte ich Luìs Stimme, doch erschloss sich mir die Bedeutung seiner Worte nicht mehr.







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32 Teil 33 Teil 34 Teil 35 Teil 36 Teil 37 Teil 38 Teil 39


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz