Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 32

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 09.02.2011


Ich schlang die Arme um seinen Hals und verlor mich für eine weitere kleine Ewigkeit in seinem Kuss.
Ein energisches Räuspern ließ uns hochschrecken. Im hellen Sonnenlicht vor der Stalltür stand Diego mit seinem Pferd am Zügel.
„Ach je“ flüsterte Luìs mir auf Spanisch ins Ohr. Widerwillig lösten wir uns von einander und ich spürte wie ich hochrot wurde. Die Situation war wirklich mehr als peinlich. „Ich glaube dein Bruder wollte sich das Pferd ansehen“ brachte Diego schließlich hervor. Der Arme wusste nicht wo er hin gucken sollte. Ich stammelte ein Danke und huschte so schnell wie möglich an ihm vorbei auf den Hof, Luìs mir nach.
Vor dem Haus wartete Raul schon, Rosa stand neben ihm. Rosas Blick war amüsiert, Raul bedachte Luìs mit einem kritischen Blick. Die beiden hatten uns zwar nicht gesehen, aber unsere leuchtenden Augen sprachen wohl für sich. Es entstand eine peinliche Stille.
„Komm Raul, dann zeige ich dir endlich Salvador.“ Rosa blieb zurück, während wir drei uns zu Salvadors Wiese aufmachten. Unauffällig klaubte Luìs noch einen Strohhalm aus meinem Haar und grinste dabei. Ihm schien es mal wieder nichts auszumachen. Ich blickte verschämt zu Boden.
Schweigend folgten wir dem Weg zur Wiese, der mir mittlerweile vertraut war. Raul und ich voran, Luìs folgte. Als wir am Zaun ankamen lehnte er sich an einen Pfahl, zupfte einen Grashalm aus der Erde und steckte ihn in den Mund. Ich sah es nur aus dem Augenwinkel, konnte mir aber lebhaft vorstellen, wie er ihn von einem Mundwinkel in den anderen schob, während er den süßlichen Saft heraus saugte. Ich vermied es ihm dabei zu zusehen. „Salvador!“ rief ich und versuchte nicht an den Grashalm zu denken. Raul musterte mich von der Seite. Ehe er etwas sagen konnte, deutete ich auf den heran galoppierenden Salvador. Sein Wiehern zeriss die spätsommerliche Stille und Rauls Augen wurden größer und größer. Ungefähr 10 Meter von uns entfernt blieb der Braune stehen und beäugte misstrauisch den Fremden an meiner Seite. Er schnaubte laut und schlug mit dem Schweif. „Er kennt dich nicht“ erklärte ich, aber Raul hörte mich gar nicht. Wie versteinert starrte er den Wallach an. Ich wechselte einen raschen Blick mit Luìs. Der zuckte die Achseln und so schlüpfte ich unter dem Zaun durch, um Salvador näher zu führen, damit Raul ihn besser ansehen konnte.
Der große Braune brummelte mir freundlich zu und ließ ein Ohr in meine Richtung wandern. Er entspannte sich etwas, als ich ihm beruhigend zuredete und sein glänzendes Fell streichelte. Dennoch war er auf der Hut, ein Ohr war stets in Richtung Raul gerichtet. Ich lächelte über Salvadors Misstrauen und legte ihm vorsichtig das Halfter an. Er ließ sich brav zum Zaun führen, auch wenn er sicherheitshalber die Ohren anlegte. Luìs pfiff leise durch die Zähne und Salvador beruhigte sich etwas, bei diesem vertrauten Klang.
„Also?“ fragte ich ungeduldig, weil Raul immer noch ein seiner Starre verharrte. Endlich riss er seine Augen von dem Pferd und sah mich kurz an, nur um seinen Blick sofort wieder zurück zu Salvador zu richten. „Er ist es wirklich!“ flüsterte er heiser. „Er ist es wirklich!“ Luìs runzelte die Stirn und auch ich verstand nicht, wovon er sprach. „Was meinst du?“ fragte ich. Raul seufzte schwer und wischte sich verstohlen über die Augen. „Lässt er sich von mir anfassen?“ fragte er dann, ohne auf meine Frage einzugehen. „Weiß ich nicht, aber vielleicht ist es besser wenn Luìs einen Huf hoch hält.“ Raul nickte abwesend und Luìs kam an meine Seite, streichelte Salvador liebevoll die Stirn, ehe er sich hinab beugte und einen Vorderhuf aufnahm. Etwas irritiert, aber brav stand der Braune nun auf drei Beinen. Ruhig kam Raul nun auf uns zu. Salvador schnaubte, ich redete ihm gut zu.
Während Raul mit erfahrenen Händen sanft über den Pferdekörper fuhr und sorgsam Muskeln, Sehnen und Gelenke abtastete, zitterte der schöne Wallach hin und wieder, schien aber nicht das Bedürfnis zu haben einen seiner Tobsuchtanfälle zu bekommen. Ich lächelte unwillkürlich bei dem Gedanken. Meine Hände trugen noch die Spuren von früheren Auseinandersetzungen.
Endlich hatte Raul seine Untersuchung abgeschlossen, Luís ließ den Huf fallen und der Wallach schüttelte unwillig den Kopf. Ich ließ ihn frei und wild buckelnd stob er über die Wiese davon.
Wir sahen ihm eine Weile nach, dann wand ich mich zu Raul. „Also?“ Etwas zerstreut sah er mich an. „Wie bitte?“ „Was hat es nun auf sich mit Salvador?“ Raul warf Luìs einen kritischen Blick zu. „Ich habe keine Geheimnisse vor ihm!“ sagte ich und bemerkte aus dem Augenwinkel wie Luìs spöttisch grinste. Raul seufzte. „Setzen wir uns.“ Wir setzten uns also ins Gras, während Salvador sich im lockeren Trabe wieder näherte. Rauls Augen lagen fest auf dem Bronze schimmernden Körper des Wallachs.

Und dann erzählte er die Geschichte von einer halbwilden Pferdeherde, die durchs Alentejo streifte. Das erste Fohlen welches in diesem Jahr zur Welt kam, war ein dunkelbrauner Hengst. Dieser sollte Jahre später nicht nur ein einzigartiges Stierkampfpferd sondern auch Lieblingspferd des Patrons werden. Der Zufall wollte es, dass eben dieser Patron meinVater werden sollte. Aber erstmal kam Raul zur Welt. Der kleine Raul lernte das Reiten schon bevor er ordentlich laufen konnte und bald durfte er auch den Dunkelbraunen reiten.
Der Dunkelbraune war mittlerweile schon alt, aber immer noch ein Bild von einem Pferd. Als Leithengst der Herde hatte er viele vielversprechende Fohlen gezeugt, denen er vor allem seinen einzigartigen Körperbau und seine enorme Willenskraft vererbte. Damit einher ging allerdings auch ein nicht immer ganz einfacher Charakter, denn all seine Nachkommen hatten wie er einen sehr eigenen Kopf.
Der Patron wollte seine Zucht weiter verbessern und da seine Herde vor allem aus Schimmeln und Dunkelbraunen bestand, erstand eine wunderschöne Falbstute. Aus der Falbstute und seinem Dunkelbraunen erhoffte er sich die besten Fohlen.
Der Hoffnungsträger seiner Zucht wurde in einer dunklen Neumondnacht Ende März geboren und als die Hirten das Hengstfohlen am Morgen entdeckten war die Aufregung groß. Der Patron selbst kam um es zu begutachten und er war vollauf zufrieden. Der kleine Hengst übertraf schon als Neugeborenes alle Erwartungen. Selten hatte man ein Füllen gesehen, welches so stark und wild war. Waren beide Elterntiere ohne jegliche Abzeichen, so krönte seine Stirn ein weißer Stern, der ihn nur noch schöner machte. Nun geschah es aber, dass Stute und Fohlen, zusammen mit vier weiteren Stuten, von Pferdedieben gestohlen und verkauft wurden. Der Patron hatte sie nie wieder gesehen. Er wusste jedoch, dass irgendwo jemand dieses Fohlen aufziehen würde und er und sein Sohn sprachen oft darüber es sich, sollten sie es jemals ausfindig machen, mit allen Mitteln zurück zu holen. Der Patron starb, als seine Frau hochschwanger war. Sie starb während sie ein Mädchen gabar: mich. Wenige Monate später verstarb auch der Dunkelbraune. Nur Raul und die Arbeiter, die schon länger auf dem Gut arbeiteten, wussten noch von dem Fohlen, welches mittlerweile gute sechs Jahre haben musste. Und dann hatte ich aus dem Urlaub angerufen und von dem außergewöhnlichem Pferd erzählt, die Beschreibung seines Charakters und Körperbaus hatte bei ihm eine Kurzschlussreaktion ausgelöst. Und bevor er noch etwas anderes unternehmen konnte, um das Pferd legal zurück zu holen, war ich schon zur Flucht aufgebrochen.

Wir schwiegen lange und sahen alle drei dem hochbeinigen Wallach zu, der etwa einen Steinwurf weit von uns entfernt graste.





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