Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 20.04.2009




Wir ritten bis spät in die Nacht. Ich wagte nicht den Vorschlag zu machen anzuhalten, auch wenn ich höllische Kopfschmerzen hatte und meine Kehle vor Durst brannte. Meine Feldflasche war schon seit einer guten Stunde leer.
Luìs ritt mit versteinertem Gesicht voran. Seine Lippen hatte er zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er schien mir eine dieser bronzenen Reiterstatuen, so unbeweglich und gerade saß er im Sattel und das seit Stunden. Lotus ging wie immer in entspannter Halshaltung und locker pendelndem Schweif, dabei zügig mit gespitzten Ohren. Salvador hingegen hatte wie immer alle Muskeln gespannt und trug den Kopf hoch erhoben. Ich ignorierte seine gelegentlichen Hüpfer und Seitensprünge, nahm nur hin und wieder die Zügel etwas an, um ihm zu zeigen, dass ich noch da war. Er quittierte dies mit einem Schnauben, nahm kurzzeitig den Kopf hinab, nur um ihn wenig später wieder aufgeregt in die Höhe zu recken. Dieses Pferd schien einfach nicht müde werden zu wollen. Ganz im Gegensatz zu mir.

Endlich drehte sich Luìs im Sattel zu mir um. 'Wir werden dort drüben im Olivenhain übernachten.' Er deutet ins Dunkel vor uns. Erleichtert seufzte ich und ließ Salvador zu Lotus aufschließen. Die Schimmelstute brummelte dem Wallach freundlich zu, der Wallach zwickte ihr in den Hals. Ich war zu müde, um mich darüber zu amüsieren.
Luìs lenkte seine Stute vom Weg ab und zwischen die knorrigen Olivenbäume. Wir ritten einen Hügel hinauf und dort zwischen den alten Bäumen hielt Luìs endlich an und schwang sich elastisch aus dem Sattel. Mühsam tat ich es ihm nach.
Meine Beine gaben beim Kontakt mit der Erde nach und weigerten sich mich zu tragen. Erschrocken klammerte ich mich an Salvadors Vordergeschirr fest und atmete tief ein. Ich wartete bis ich sicher stand, dann machte ich mich ans Absatteln. Doch als ich den Sattel vom Rücken des großen Wallachs hob, gaben meine Beine erneut nach und unter dem Gewicht des schweren iberischen Sattels brach ich zusammen. Fluchend rappelte ich mich auf. Doch ehe ich es schaffte den Sattel vom Boden aufzuheben, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Sanft schob Luìs mich zur Seite, nahm den Sattel hoch und legte ihn unter einen der Bäume, wo schon der seiner Stute lag. Ich war zu erschöpft, um mich darüber aufzuregen und wendete mich Salvador zu, der begonnen hatte das trockene Gras auszurupfen. Nachlässig streifte ich ihm den Zaum ab, legte ihm das weiche Knotenhalfter an und band ihn neben Lotus lang an. Mühsam bürstete ich die beiden Pferde, die sichtlich erleichtert waren, die Last der Sättel los zu sein.
Wir waren fast 10 Stunden ununterbrochen geritten. Luìs kam mit einem Eimer voll Wasser und hängte den Pferden die Futtersäcke um. Erschöpft ließ ich mich neben meinem Sattel auf die Erde fallen und schloss die Augen. In meinem Kopf drehte sich alles, ich kämpfte nicht dagegen an. Gerade wollte ich in den Schlaf gleiten, als mich Luìs Stimme wie aus weiter Ferne erreichte. 'Was?' Mühsam schlug ich die Augen wieder auf. Er hielt mir die volle Feldflasche hin. 'Du solltest etwas trinken. Und gegessen haben wir heute auch noch nicht…' Ich stöhnte auf, wusste aber, dass er Recht hatte und dass meine Schwäche genau darauf zurück zu führen war.
Schweigend bereiteten wir also unser Nachtmahl zu, das um einiges üppiger ausfiel als die letzten Wochen, da wir ja bei der alten Frau unsere Vorräte aufgestockt hatten. Frisches duftendes Brot, Schafskäse, Pfirsiche, Äpfel, sogar zwei Fleischbällchen hatte Luìs gekauft. Meine Lebensgeister kehrten langsam zurück.
Als wir aufgegessen hatten lehnte ich mich zufrieden zurück, ich hatte gar nicht bemerkt wie hungrig ich gewesen war. Ich sah zu den Pferden hinüber, die ebenfalls aufgefressen hatten. Ich nahm einen Apfel, ging zu ihnen hinüber und nahm ihnen die Futtersäcke ab. Salvador schnoberte mir den Rücken entlang. Sein heißer Atem kitzelte im Nacken. 'Lass das' wehrte ich mich lachend und reichte ihm den Apfel. Gierig biss er hinein. Die andere Hälfte gab ich Lotus, die ihn um einiges manierlicher aus meiner Hand fraß, mich dann anschnaubte und mit Apfelschaum bespritze. 'Na toll' sagte ich und kraulte der hübschen Stute die Stirn.
Hinter mir raschelte es im hohen Gras. 'Magst du?' fragte seine Stimme, die mittlerweile wieder ihren vertrauten Klang angenommen hatte. Ich drehte mich um. Luìs stand etwa einen halben Meter entfernt und hatte eine Flasche Wein in der Hand. Er grinste schief. 'Zur Versöhnung?' Auch wenn ich ihm sein Verhalten eigentlich nicht so schnell hatte verzeihen wollen, konnte ich mich seinem Lächeln nicht entziehen. 'Wo hast du den denn her?' fragte ich. Er zuckte die Schultern. 'Hab ihn bei der Alten mitgehen lassen.' Ich lachte.Wir machten es uns bei unseren Sätteln bequem und genossen den Wein aus der Flasche, Gläser hatten wir ja keine. 'Warum hast du eigentlich dieses Pferd geklaut?' fragte er ohne mich anzusehen. Empört boxte ich ihn in die Seite. 'Ich hab ihn nicht geklaut! Ist schließlich keine Flasche Wein.' Er lachte leise, ich blickte nachdenklich zu Salvador hinüber, der friedlich graste.
Dann erzählte ich Luìs von dem Telefonat mit meinem Bruder Raul. Als ich von dem wundervollen, aber schwierigen Pferd erzählte, in das ich mich verguckt hatte, war er wie elektrisiert gewesen, hatte Einzelheiten wissen wollen. Ich erinnerte mich genau an seine Worte. 'Nimm dieses Pferd und bring es Heim!' Ich hatte meinen Ohren nicht trauen wollen. 'Du willst, dass ich ein Pferd stehle?' Doch Raul war nicht zu beirren gewesen und hatte mir am Ende das Versprechen abgerungen, den schönen Braunen zu entführen. Einzelheiten über das Warum hatte ich nicht, aber ich vertraute meinem Bruder und etwas in seiner Stimme hatte mir gesagt, dass es mit diesem Pferd etwas ganz Besonderes auf sich hatte. 'Den Rest kennst du ja' sagte ich am Ende. 'Ich habe den Hufschmied bestochen, damit er mich bis zur Grenze bringt.' Er lächelte, was ich in der Dunkelheit lediglich erahnen konnte. 'Gut, dass ich mich nicht alleine aufgemacht habe' fügte ich leise hinzu. Er atmete geräuschvoll aus und reichte mir die, mittlerweile fast geleerte, Weinflasche. Ich nahm einen Schluck und gab sie ihm zurück. Wir schwiegen und lauschten auf die Geräusche der Nacht. Grillen zirpten, es raschelte in den Blättern der Olivenbäume. Hin und wieder schrie ein Nachtvogel, eins der Pferde stampfte mit dem Huf auf. Ein kühler Wind bewegte die Luft, streichelte und kühlte meine heißen Wangen, ich spürte wie der Wein mir zu Kopf stieg. Der Wind frischte auf und zauberte mir eine Gänsehaut auf die nackten Arme. Mit halbgeschlossenen Augen sah ich zu Luìs hinüber, der zum Himmel auf blickte. Die Pferde schnaubten im Schlaf. Gerade trat der Mond hinter den Wolken hervor und tauchte den Olivenhain in sein silbriges Licht. Scharf zeichnete sich Luìs Profil gegen den Himmel ab. 'Sieh!' meinte er plötzlich und deutete zum Horizont. 'Eine Sternschnuppe!' Ich folgte seinem ausgestreckten Arm und konnte den Stern gerade noch verglühen sehen. 'Wünsch dir was' sagte ich mit einem Lächeln in der Stimme. 'Schon geschehen' antwortete er leise. Ich zog die Decke ein Bisschen höher und schaute wieder zum Himmel. Eine ganze Weile saßen wir schweigend da, die Flasche wechselte hin und wieder den Besitzer. 'Luìs?' fragte ich schließlich und stütze mich auf den Ellebogen. 'Hm' machte er. 'Was meinst du, was da wohl ist, auf der anderen Seite der Nacht?' Er drehte den Kopf und sah mich lächelnd an. 'Für mich?' Ich nickte. Ohne zu zögern antwortete er: 'Du.' Ich runzelte die Stirn. 'Das ist dein Ernst?' fragte ich und verfolgte mit großen Augen die Bewegung, mit der er die kurze Distanz zwischen uns überbrückte und seine Hand an meine Wange legte. Sie war trocken und warm, rau doch nicht unangenehm. Es lag wohl am Wein, dass ich nicht klar im Kopf war und diese Geste zuließ. Müde legte ich meinen Kopf an seine Schulter. 'Wir haben zu viel getrunken.' sagte ich leise lachend. Er lachte auch. 'Du hast Recht.' Prustend rutschte ich in eine bequemere Lage und zog die Decke hoch bis zum Kinn. 'Schläfst du?' fragte er heißer. 'Ja' sagte ich und wieder brachen wir in kindisches Gekicher aus.
Als wir uns wieder beruhigt hatten, lagen wir eine Weile schweigend da. Der Mond war wieder hinter den Wolken verschwunden und die Dunkelheit hüllte uns in ihr blauschwarzes Tuch aus Samt. Ich seufzte und schloss die Augen. 'Es könnte so eine schöne Nacht sein' meinte ich. Er streichelte mir über den Rücken. 'Ist sie doch.' Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme und nahm gerade noch wahr wie er mir einen Kuss aufs Haar drückte. Den Kopf auf seiner Brust, war ich über das Geräusch seines ruhigen Herzschlages bald eingeschlafen.Er weckte mich beim ersten Morgengrauen. Verwirrt öffnete ich die Augen und brauchte einen Moment um zu realisieren, dass ich die ganze Nach mit dem Kopf an seiner Brust geschlafen hatte. Wie peinlich! Ihn schien das nicht weiter zu stören, er lächelte. 'Entschuldige, aber wir müssen weiter. Ich habe diesem Kerl eine Nacht abgerungen. Sie werden schon auf dem Weg sein, um dich einzufangen und ich habe keine große Lust ihnen zu begegnen.' Zu viel Information am frühen Morgen, dachte ich und setzte mich auf, strich mir das Haar aus dem Gesicht. Luìs war schon dabei die Pferde überzuputzen. Seufzend rappelte ich mich auf, jeder einzelne Muskel am Körper schmerzte und ich musste beim Laufen unheimlich komisch aussehen. Ich nahm unsere Feldflaschen und stapfte langsam zum Bach hinüber. Das Wasser war kühl und ich nutzte die Gelegenheit um mich notdürftig zu waschen. Mit nassen Haaren kehrte ich zu Luìs zurück, der Lotus bereits aufgesattelt und unsere Habseligkeiten in den Satteltaschen verstaut hatte. Etwas unsicher hob er Salvadors Sattel auf und sah zu mir hinüber. Unwillkürlich musste ich lachen. 'Mach nur, ich bin zu müde, um mich aufzuregen.' Er grinste und wuchtete den Sattel auf den Pferderücken. Salvador machte unwillig ein paar Schritte seitwärts und schlug mit dem Schweif. Ich trat zu ihm und streichelte seine Nüstern. Er beruhigte sich sofort und als Luìs den Sattelgurt festzog legte er nur kurz die Ohren an. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als wir den Olivenhain verließen.







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