Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 01.11.2009




Verschlafen blinzelte ich ins helle Sonnenlicht. Salvador stand mit hängendem Kopf, aber gespitzten Ohren neben uns, das lahme Bein hielt er angewinkelt, um es nicht zu belasten. Contador schlug mit dem Schweif und wir standen mitten in der Rinderherde. Diego löste sich aus dem Griff meiner Hände und bedeutete mir, dass ich absteigen sollte. Widerwillig und noch etwas verschlafen glitt ich zur Erde hinab, diesmal ohne zu stolpern. Diego löste das Seil vom Sattelhorn und reichte es mir. Dann stieg auch er ab.
Nebeneinander führten wir die Pferde zum Lager. Paolo und der Bärtige saßen mittlerweile auf ihren Pferden, der Schimmelreiter lag neben dem fast erloschenen Feuer und schlief, sein Pferd graste nicht weit entfernt. Luìs stand neben ihm und sah uns entgegen. Sein starrer Blick versetzte mir einen Stich, aber ich achtete nicht darauf.
Sorgsam band ich Salvador an, während Diego seinen Rappen versorgte. Salvador war sichtbar nervös, der unbekannten Menschen und Pferde wegen, aber er war wohl zu erschöpft um sich ernsthaft aufzuregen. Liebevoll kraulte ich ihm die Stirn.
Endlich kam Luìs zu uns herüber. 'Du hast ihn gefunden' sagte er und lächelte schief. 'Sieht so aus' antwortete ich bissig, was mir einen überaus überraschten Blick Seiten Diegos und ein trockenes Auflachen von Luìs einbrachte. Seltsam wortlos untersuchte Luìs das geschwollene Bein und hob auch alle anderen auf, um die Hufe zu kontrollieren. 'Bänderdehnung'
diagnostizierte er, nachdem er mich Salvador hatte vortraben lassen. 'Nichts Schlimmes, aber er wird sich ein paar Tage ausruhen müssen.' 'Ein paar Tage?' hakte ich nach. 'Wir müssen mit einer Woche rechnen, bevor er wieder fit ist.'
Luìs Hände wanderten geübt über den mächtigen Pferdekörper, ihn sorgsam auf weitere Verletzungen untersuchend. Ich folgte seinen Fingern, die über das weiche Fell glitten, sanft über kleine Unebenheiten fühlten, an verklebten Härchen zupften. An der Außenkante seiner linken Hand bemerkte ich einen großen Kratzer, Zeugnis davon, dass er bei seiner Arbeit an den Hufen der Hirten mit der Feile wohl etwas über das Ziel hinaus geschossen war.
Salvador hatte sich unter den kundigen Händen überraschend schnell entspannt und schien die Behandlung zu genießen. Unwillkürlich erinnerte ich mich, wie sich diese Hände anfühlten. Warm und trocken, durch die Arbeit aufgeraut, sie hinterließen ein leises Kribbeln auf der Haut, ein Bisschen wie Schmirgelpapier.
Plötzlich riss mich eine Berührung an der Schulter aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich wand meinen Blick zu der Hand. Es war eine große, kräftige, aber samtweiche Hand, die nicht schwer wog. Es war nicht Luìs Hand. Sie gehörte Diego. Langsam ließ ich meinen Blick von der Hand über den Arm nach oben schweifen, bis ich endlich bei seinen Augen angelangt war. Er ruckte leicht mit dem Kinn und ging dann in Richtung der Herde davon. Ich warf noch einen letzten Blick auf Luis, der mittlerweile Salvadors Untersuchung abgeschlossen und begonnen hatte das geschwollene Bein zu kühlen, und ging ihm dann nach.
Mit Luìs war jetzt eh nichts anzufangen. Er war voll und ganz auf Salvador konzentriert. Es ärgerte mich irgendwie. Zwar war ich froh, dass er sich als Hufschmied auskannte und sich um ihn kümmerte. Aber ich fragte mich warum Salvador ihn plötzlich so akzeptierte. War ich es nicht, die zu dem eigenwilligen Wallach eine besondere Verbindung hatte? War ich nicht diejenige, der er mittlerweile vertraute.
Unwillig runzelte ich die Stirn und wäre - was für eine Überraschung - fast wieder einmal mit Diego zusammen gestoßen. Gerade noch rechtzeitig hielt ich an und verdrängte die Gedanken an Luìs und Salvador.
'Und? Glücklich?' fragte mich Diegos leise Stimme. Ich legte den Kopf in den Nacken, um ihm ins Gesicht zu sehen. 'Und wie! Danke für deine Hilfe!' Er lächelte. 'Gern geschehen' sagte er nur. Aus seinen Rabenaugen sah er mich unverwandt an. Sein Blick jagte mir einen kühlen Schauer über den Rücken und ich schlug die Augen nieder. 'Was denn?' fragte er irritiert. Ich schüttelte den Kopf und rieb mir den Nacken. 'Nichts' wich ich aus. 'Mir tut nur der Nacken weh, weil ich die ganze Zeit nach oben gucken muss.' Einen Moment schien er zu zweifeln, aber dann lachte er. Erleichtert lachte ich mit. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich seine Augen unheimlich fand. Diese schwarzen Augen, bei denen man die Pupille fast nicht sehen konnte und die den Anschein erweckten bis auf den Grund meiner Seele zu blicken. Schon beim Gedanken daran schauderte ich erneut.
Während ich noch so meinen Gedanken nachhing, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie er sich ins Gras setzte. Er saß mit dem Rücken zu mir und ohne sich umzudrehen sagte er: 'Setzt dich zu mir.' Seine Worte enthielten eine Aufforderung, der ich gerne nachkam. Mir fiel nicht auf, dass ich bei diesen Worten, wären sie von Luìs gekommen, regelrecht ausgeflippt wäre, weil ich sie als Befehl interpretiert hätte. Aber es handelte sich nicht um Luìs und ich verschwendete nicht einen Gedanken daran, gegen die Aufforderung zu rebellieren.
Langsam ließ ich mich neben Diego im Gras nieder. Lächelnd sah er mich kurz an, wandte dann aber den Blick gleich wieder zu den friedlich grasenden Rindern. Ich tat es ihm gleich. Es war ein angenehmes Schweigen zwischen uns. Wir saßen am Hang eines Hügels, im Rücken die spärlichen Bäume, in deren Mitte der Lagerplatz lag, und zur anderen Seite die offene Weite des Graslandes. Die dunklen massigen Leiber der Rinder schimmerten matt im Mondlicht, während sie sich langsam grasend vorwärts schoben.
'Sind sie nicht wunderschön?' brach er plötzlich die Stille. 'Mmh…' meinte ich zustimmend und streifte ihn mit einem Seitenblick. Er war vollkommen entspannt, ein Lächeln umspielte seine Lippen. Als er sich zu mir drehte, wäre mir vor Schreck fast der Mund offen stehen geblieben. Das Mondlicht ließ seine Augen noch unheimlicher wirken. Wie schwarze Edelsteine blitzten sie mich an, glatt und glänzend, aber kalt. Dennoch konnte ich mich einer gewissen Faszination nicht entziehen. Es ging etwas Geheimnisvolles von ihnen, von ihm aus. Wieder musterte er mich mit diesem intensiven Blick, der mir das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Er lächelte nicht mehr, was seinen aristokratischen Zügen noch mehr Strenge verlieh. Ich konnte mein Herz laut gegen meinen Brustkorb schlagen hören. Unglaublich was diese Augen für eine Wirkung auf mich hatten.
Reglos saßen wir neben einander und starrten uns an. Es trennten uns nur wenige Zentimeter, aber die Distanz schien mir grenzenlos. Wehmütig dachte ich an den Ritt, daran wie sorglos und entspannt ich mich gefühlt hatte, als ich an seinem Rücken lehnte, er meine Hand gehalten hatte. Wieso sehnte ich mir nur so nach seiner Berührung? Nach seinem Atem im Nacken? Nach seiner Wärme? Es war wirklich zum aus der Haut fahren! Ich kannte ihn doch gerade mal seit einem Tag. Wie konnte ich mich dermaßen zu ihm hingezogen fühlen?Seine Augen wanderten rastlos über mein Gesicht, beobachteten jede Regung, jedes Zucken. Sie wanderten über meine Stirn, meine Wange, am Kinn entlang, folgten dem Schwung meiner Augenbrauen und tippten neckisch auf meine Nasenspitze, zeichneten die Kontur meiner Lippen nach, eilten am Hals hinab bis zum Schlüsselbein, nur um gleich wieder nach oben zu springen und von vorne zu beginnen.
Wie machte er das? Wie schaffte er es, dass sich seine Blicke für mich wie Finger anfühlten? Mich erschaudern, erzittern ließen?
Die Spannung zwischen uns bauschte sich immer weiter auf, hing drohend zwischen uns wie schwarze Gewitterwolken und es schien als warte alles nur darauf, dass sie sich endlich entluden. Ich schaffte es schließlich nicht mehr seinen Blicken standzuhalten und schloss die Augen. Innerlich zählte ich bis zehn und kontrollierte meine Atmung. Es half niemandem, wenn ich gleich einen Herzinfarkt bekäme.
Als ich es geschafft hatte, mein davon galoppierendes Herz wieder einzufangen und seinen Rhythmus zu beruhigen, schlug ich die Augen wieder auf. Fast hätte ich aufgeschrieen, als ich wieder direkt in Diegos Augen blickte, die nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt waren. Ehe ich nach Luft schnappen konnte, berührten sich unsere Lippen und ich vergaß beinahe überhaupt zu atmen. Mein mühsam eingefangener Herzschlag bäumte sich wild auf, riss sich los und galoppierte erneut, wie ein junges Fohlen wild ausschlagend, davon. Wie weich seine Lippen waren, wie gut er sich anfühlte… Moment mal - ja, er fühlte sich gut an. Aber ich fühlte mich gar nicht gut. Schlagartig öffnete ich die Augen und musterte sein Gesicht. Er wirkte entspannt, aber plötzlich war ich es nicht mehr. 'Ganz falsch, Juliana. Irgendwas ist ganz falsch' dachte ich und rannte davon.







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