Auf der anderen Seite der Nacht - Teil 30

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 26.01.2011


Mit laut klopfendem Herzen erwachte ich, ließ die Augen geschlossen und dachte über den Traum nach. Oder über das was tatsächlich geschehen war. Ich runzelte die Stirn, als ich feststellen musste, dass ich tatsächlich nicht wusste, ob es wirklich passiert war. Hatte mich Luìs tatsächlich mitten in der Nacht in den Stall gerufen? Hatte er mich dort an die Stalltür gepresst, festgehalten und mir gesagt, dass er mit mir allein sein wollte? Und was war dann passiert? Ich hatte die Kontrolle über mein Herz verloren, es war davon galoppiert und ich hatte mich festgeklammert um nicht unterwegs abgeworfen zu werden, und dann?
Verwirrt öffnete ich die Augen. Ich lag in meinem Bett, Sonnenstrahlen erhellten einen schmalen Streifen im Zimmer, dort wo die Vorhänge einen Spalt offen standen. Langsam setzte ich mich auf und stellte fest, dass ich den Morgenmantel trug. Hatte ich ihn gestern nicht ausgezogen oder war es ein Indiz dafür, dass der Traum gar kein Traum gewesen war?
Als ich die Beine aus dem Bett schwang und aufstehen wollte, musste ich erstmal gegen den Schwindel ankämpfen. Er wich nur langsam einem dumpfen Kopfschmerz. Ich schlurfte zum Fenster und riss die Vorhänge auseinander. Das Sonnenlicht flutete herein und umhüllte meinen schmerzenden Körper wohltuend. Einen Moment genoss ich die Wärme, dann ging ich ins Bad. Beim Blick in den Spiegel, starrte mich ein so bleiches Gesicht an, dass ich erschrocken den Blick abwandte. Schnell ließ ich Wasser in die Wanne und schlüpfte anschließend hinein. Das warme Wasser tat mir gut, ich entspannte mich und schaffte es sogar nicht über die vergangene Nacht nachzudenken. Als ich danach noch einen Blick in den Spiegel warf, war das Bild, welches sich mir zeigte schon versöhnlicher. Durch das warme Wasser, war ein wenig Farbe in meine Wangen zurückgekehrt. Seufzend warf ich einen Blick auf die Uhr an der Wand und stellte fest, dass ich noch ungefähr eine Stunde Zeit hatte, bis Raul eintreffen würde. Ich beeilte mich also die Augenringe zu überschminken und mich anzuziehen. Freundlicherweise hatte Rosa mir ein paar Kleider ihrer Tochter gegeben, die ich behalten konnte. Ich würde sie dennoch nach Ankunft zu Hause per Post zurück schicken. Wer weiß, was die Tochter von der Großzügigkeit ihrer Mutter hielt. Bei dem Gedanken schmunzelte ich und bedauerte ein Bisschen, dass ich nie eine richtige Mutter gehabt hatte. Fertig angezogen und ein Bisschen besser gelaunt machte ich mich auf den Weg nach unten, um schnell zu frühstücken und dann zu Salvador zu gehen.

Das Haus war wie ausgestorben. Kein Wunder, die Leute hier hatten schließlich zu arbeiten und konnten sich den Luxus so lange zu schlafen wie ich es heute getan hatte. Ohne jemandem zu begegnen überquerte ich den Hof, vermied es das Stallgebäude auch nur eines Blickes zu würdigen und schlug dann den schmalen Weg neben den Rindercorrals ein, welcher zu dem für Salvador abgezäunten Wiesenstück führte.
Die Sonne stand schon hoch, kein Lüftchen regte sich und schon bald stand mir der Schweiß auf der Stirn. Warum ich mich wohl so elend fühlte? Als ich mich dem Zaun näherte, schob ich den unbequemen Gedanken bei Seite. Salvador war nicht zu sehen. „Salvador!“ rief ich und erhielt prompt sein Antwortwiehern vom anderen Ende der Wiese. „Uff!“ machte ich, schlüpfte unter dem Zaun durch, um zu ihm hinüber zu gehen. Ich konnte ihn nicht sehen, da ich erst einen sanften Hügel hinauf steigen musste. Vermutlich stand er bei dem alten Olivenbaum am Fuße eben dieses Hügels, wo er ein wenig Schatten hatte. Und genauso war es. Als ich auf der Anhöhe ankam, sah er mir schon von unten entgegen, die Ohren gespitzt und den Kopf hoch erhoben. Und dann sah ich die Bewegung. Ich kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Aus dem Schatten des Baumes, trat ein Mann hervor und es war genau der, der mein ungehorsames Herz immer wieder von neuem anstachelte sich gegen mich aufzulehnen. Seufzend überwand ich die letzten Meter, die mich von den beiden trennten. Zwar hatte ich gehofft, ihm vor meiner Abreise nicht mehr zu begegnen, aber jetzt wegzulaufen hatte keinen Sinn. Und außerdem wollte ich zu Salvador, von dessen Kraft ich zu profitieren hoffte.
„Guten Morgen“ sagte ich und ging gleich auf den braunen Wallach zu, der leise schnaubte. „Mein Schöner!“ flüsterte ich und vergrub meine Hände in seiner Mähne, legte meine Wange an seinen weichen Hals. Sanft stupste er mich mit den Nüstern an und knabberte an meinem T-Shirt. „Hey!“ empörte ich mich lachend. „Du hast mir auch gefehlt, aber du musst mich ja nicht gleich auffressen!“ „Du kannst es ihm nicht übel nehmen, so gut wie du riechst“ sagte eine dunkle Stimme in meinem Rücken, ich hätte sie aus tausend anderen erkannt. „Wie meinst du das?“ fragte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. Ich war noch nicht bereit ihm in die Augen zu blicken.
Es raschelte im Gras und Salvadors Muskeln spannten sich an. Ich wusste, dass Luìs nun genau hinter mir stand. „So wie ich es gesagt habe“ beantwortete er meine dumme Frage. Seine Stimme war selbstbewusst wie immer, so frei von Unsicherheit oder gar Scham. War dem Kerl denn nichts peinlich? Ich an seiner Stelle hätte mich in Grund und Boden geschämt. Falsch, sagte meine innere Stimme. Du würdest nicht, sondern du tust es schon! Zerknirscht musste ich mir eingestehen, dass sie Recht hatte. Die ganze Situation war mir so unendlich peinlich. Denn irgendwie war ich mir plötzlich sicher, dass ich nicht geträumt hatte, sondern alles tatsächlich passiert war. Und leider wusste ich nicht, wie ich vom Stall in mein Bett gelangt war. Uff! So ein Mist! Als ob es nicht eh schon kompliziert genug wäre in einen spanischen Hufschmied verliebt zu sein…
„Juliana!“ Seine Stimme ließ meine Gedanken augenblicklich stillstehen. „Du kannst dich nicht für immer in der Mähne verstecken!“ Er klang belustigt. „Ach, kann ich nicht?“ fragte ich spitz und spuckte gleich darauf ein paar Haare aus, die ungewollt den Weg in meinen Mund gefunden hatten. Er schwieg einen Moment und ich konnte mir sein spöttisches Grinsen bildlich vorstellen. „Nein, kannst du nicht“ sagte er bestimmt und eh ich es mir versah machte er einen schnellen Schritt, ich stolperte und fand mich im trockenen Gras wieder.
Sein schallendes Lachen bestätigte es mir: er hatte Salvador einen Klaps auf die Kruppe gegeben. Der nervöse Braune war daraufhin natürlich davon gestürmt, ich hatte meine Stützte verloren und war ins Gras gefallen. Böse starrte ich ihn an. Weiß blitzten seine Zähne im Sonnenlicht und der Schalk sprang im geradezu aus den dunklen Augen. „Du hättest dich sehen sollen“ prustete er und reichte mir die Hand. Ich zögerte einen Moment, ergriff sie dann aber doch und ließ mich auf die Füße ziehen. Er lachte immer noch. „Könntest du bitte aufhören zu lachen?!“ sagte ich und entzog ihm meine Hand schnell wieder. „Entschuldige, aber…“ Er wurde erneut von einem Lachanfall geschüttelt. So außer sich kannte ich ihn gar nicht. Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und stapfte in Richtung Zaun davon, wo Salvador begonnen hatte sich über das spröde Gras herzumachen. „So ein Idiot“ schimpfte ich. „Was ist?“ rief er und brauchte nur ein paar Schritte um mich einzuholen. „Redest du etwa wieder mit deiner imaginären Freundin? Ich dachte, du hättest ihr gesagte, dass…“ Er brach ab und packte meine Hand. „Jetzt warte doch, es war ja nicht so gemeint.“ Ich hielt an und sah zu ihm auf. Er lachte nicht mehr, auch wenn seine Mundwinkel noch gefährlich zuckten. Ich seufzte und gab mich geschlagen. „Also?“ fragte ich, woraufhin er mich Stirn runzelnd anblickte. „Also was?“ Ich verdrehte die Augen. „Sag schon, was gestern passiert ist. Ich erinnere mich nicht.“
Seine Stirn glättete sich und ein leichtes Lächeln breitete sich aus auf seinem Gesicht. Staunend beobachtete ich die Verwandlung. So ein Lächeln hatte ich noch nie gesehen. Es war wunderschön und strahlte aus seinen Augen, ließ ihn irgendwie gar nicht mehr überheblich wirken. „Nun“ fing er an und seine Stimme war leise und weicher als sonst, hatte aber nicht an Sicherheit eingebüßt. „Wir waren im Stall, du wolltest abhauen, ich habe dich festgehalten, du hast mit deiner Freundin diskutiert…“ Er genoss es sichtlich, mich auf die Folter zu spannen. „Das weiß ich, aber was ist dann passiert?“ schnitt ich ihm das Wort ab. Er lächelte wieder. „Nichts.“ „Wie nichts?“ fragte ich und vermutlich glotzte ich ihn an, wie der Stier vorm Berg. Er zuckte die Achseln. „Nichts, du bist ohnmächtig geworden. Dann hab ich dich in dein Zimmer gebracht.“ Stille.
In meinem Kopf arbeitete es auf Hochtouren. „Und sonst nichts?“ fragte ich schließlich unsicher. „Für wen hältst du mich?!“ stellte er eine Gegenfrage. „Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?“ Ich seufzte und senkte den Blick. „Nichts“ murmelte ich und er nickte zufrieden. „Eben.“ Eine Weile standen wir uns stumm gegenüber, ich musterte konzentriert das Gras unter unseren Füßen, während sein Blick nach wie vor auf mir ruhte. Es war als würde er mich berühren, so intensiv nahm ich seinen Blick wahr. Ohne aufzusehen, spürte ich wie er seinen Blick langsam über meinen Körper wandern ließ und überall auf der Haut ein prickelndes Gefühl hinterließ. Ärgerlich schnaubte ich aus, als ich bemerkte, dass mein Herzschlag mal wieder durchging und ich nichts dagegen tun konnte. „Juliana“ brach er die Stille und legte mir einen Finger unters Kinn. Die Berührung kam so unerwartet, dass ich für einen Moment zu atmen vergaß. „Sieh mich an“ sagte er bestimmt in diesem herrischen Ton, der mich in einer hundertstel Sekunde auf 180 bringen konnte. Leider war ich unfähig meine Wut zu beherrschen, sonst hätte ich sehr wohl bemerkt, dass er durch diesen Ton erreichte was er wollte. Ich hob den Blick und sah ihn herausfordernd an. Er lächelte spöttisch. „Du checkst es echt nicht, oder?“ „Was?“ fauchte ich. Er lachte und sah dabei wieder so unverschämt gut aus, dass ich ihm am Liebsten das Gesicht zerkratzt hätte. Aber ehe ich etwas in dieser Art unternehmen konnte, hatte er einen schnellen Schritt auf mich zu gemacht und nahm mein Gesicht in beide Hände. Sein Gesicht war plötzlich so nah an meinem, dass mir wieder einmal der Atem stockte. In seinen Augen funkelte es und es war als wolle er mich hypnotisieren, was ihm auch einen ganzen Moment lang gelang. Der Ausdruck seiner Augen war so anders. Es war weder der überheblich kühle, den ich kannte, noch der weiche, strahlende, den ich kurz zuvor das erste Mal gesehen hatte. Nein, es lag etwas gefährliches, aber sehr anziehendes in diesem Blick und der Griff um mein Gesicht war so fest und unangenehm, dass ich den Mund öffnete, um ihm zu sagen, dass er mich endlich loslassen sollte. Áber er war schneller und presste plötzlich seine Lippen auf die meinen. Ich stand da wie versteinert, nahm wahr wie der schraubstockartige Griff um meine Kiefer sich löste und wie er stattdessen eine Hand in mein Haar wühlte und mich mit der anderen fest an sich heranzog. Ich spürte wie sich alles in mir aufbäumte und überschlug, aber gleich darauf wieder beruhigte. Selbst mein störrischer Herzschlag hatte seinen Takt wieder gefunden und galoppierte nun ruhig und kraftvoll und ich ließ mich gelassen von ihm tragen. Wie von selbst hatten sich meine Arme um Luìs Hals gelegt und mein Körper sich an seinen geschmiegt, ohne dass er es mit seiner physischen Kraft erzwang...






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32 Teil 33 Teil 34 Teil 35 Teil 36 Teil 37 Teil 38 Teil 39


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz