Auf der anderen Seite der Nacht

Autor: Nacomi
veröffentlicht am: 01.05.2009




In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Luìs hingegen schlief wie ein Stein. Er war wohl zu müde, um zu grübeln. Ich hingegen war ausgeruht, zu ausgeruht.
Einerseits war ich froh, dass der Schuss ihn nicht getroffen hatte, andererseits drängte sich immer der schön geschnittene Kopf der Schimmelstute in die Gedanken. Ihre treuen, dunklen Augen, die aus dem schneeweißen Fell heraus stachen, ihr immer freundliches und williges Gemüt, ihre wunderbar entspannte Haltung unter dem Sattel. Ihre abgöttische Liebe für ihren jungen Herrn. Jeden Morgen hatte ich die tiefe Zuneigung zwischen Mensch und Pferd beobachten können. Jeden Morgen führte Luìs erster Weg zu seiner Stute, die ihm den Kopf auf die Schulter legte. Immer hatten sie einen Moment so verharrt, ein Moment der Stille, der Zärtlichkeit. Und jetzt war diese Seele von einem Pferd einfach nicht mehr da. Und Luìs hatte ihren schönen leblosen Körper in der Schlucht zurücklassen müssen.
Ich war froh, als ich endlich den ersten Silberstreif am Horizont erkennen konnte, der den neuen Morgen ankündigte. Ich nahm mein Handtuch vom Felsen und ging zum Wasser, um noch vor Sonnenaufgang zu baden. Salvador war nirgends zu sehen, aber ich machte mir keine Sorgen. In den letzten Tagen, war das Band zwischen uns fester geworden. Ja, ich hatte das Gefühl, dass der schöne Wallach mich lieb gewonnen hatte.
Die Wellen an diesem Morgen waren ungewohnt sanft, sie warfen keine Schaumkronen wie sonst. Es würde wohl ein sehr heißer, windstiller Tag werden. Ein Schwarm winzig kleiner Fische schwamm an mir vorbei. Die aufgehende Sonne schickte ihre ersten Strahlen übers Meer, ich tauchte noch einmal tief und schwamm dann eilig zurück zum Strand. Ich wollte nicht wieder riskieren Luìs nackt vor die Augen zu treten. Ich wickelte mich in mein Handtuch und kehrte zum Lagerplatz zurück.
Luìs hatte die Augen geschlossen, aber ich sah an seiner Atmung, dass er nicht mehr schlief. Seine Augenlider zuckten leicht, als er meine Schritte im Sand hörte. Ich hockte mich auf die andere Seite der Feuerstelle und blies in die noch glimmende Glut. Tagelang hatte ich auf den Morgenkaffee verzichten müssen, weil er sich in Luìs Satteltaschen befand. Ich warf ein paar trockene Zweige auf das aufflackernde Feuer. Luìs seufzte und öffnete die Augen. Sein Blick wanderte nicht herum, sondern blieb gleich an mir haften. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken und stocherte in den Flammen herum. Er setzte sich auf und strich sich das strubbelige Haar aus der Stirn. 'Guten Morgen' sagte ich schließlich und sah kurz auf. Er lächelte. 'Morgen.'
Ein Wiehern zerriss die Stille. Salvador trabte munter den Strand hinunter. Ein paar Zweige hatten sich in seinem langen schwarzen Schweif verhakt. Ein paar Meter von uns entfernt blieb er stehen und spielte aufmerksam mit den Ohren. Er war erhitzt und atmete schnell, sicher hatte er einen langen Galopp hinter sich. Die Adern am Hals traten pulsierend hervor, seine geweiteten Nüstern schimmerten rosa im Licht der aufgehenden Sonne. Er war von solch einer bezaubernden Schönheit, dass es mir immer wieder die Sprache verschlug und die Welt um mich herum zu versinken schien. Er schüttelte den edlen Kopf und machte ein paar Schritte in unsere Richtung, wand sich dann ab und ging zu dem flachen Stein, auf dem ich ihm die letzten Tage über das Futter gereicht hatte. Lächelnd griff ich hinter mich und zog die Satteltaschen zu mir heran. Wie jeden Morgen schüttete ich dem Wallach zwei Handvoll Kraftfutter auf den Stein und gab noch einen Apfel dazu. Zufrieden schnaubte der Braune und ehe er sich auf das Futter stürzte stieß er mich sanft mit dem Maul in die Seite, wie es seine Art war. Immer noch spürte ich in der linken Rippengegend einen stumpfen Schmerz, aber er nahm mit jedem Tag ein Bisschen ab. Als Salvador zufrieden an seinem Futter kaute, konnte ich mich schließlich von seinem Anblick losreißen und kehrte zur Feuerstelle zurück.Luìs hatte unterdessen das zusammengeschrumpfte Kaffeepäckchen aus seinem Gepäck gekramt. Mit gesenktem Blick nahm ich es ihm aus den Händen und füllte die Espressokanne. Als der Kaffee dann endlich über dem Feuer stand, wagte ich es aufzublicken. Luìs sah mich immer noch aus klaren dunklen Augen an. Diesmal hielt ich stand, saugte mich förmlich fest an seinem Blick, wollte dieses Duell nicht schon wieder verlieren. Salvador schnaubte hinter uns, doch diesmal beachtete ich ihn nicht. Ich war wie gefesselt, hatte nie den Mut gehabt Luìs so lange in die Augen zu schauen. Sein Blick war weitgehend ausdruckslos, was ihm aber nichts an Intensität raubte. Äußerlich saß ich da wie versteinert, die Hitze der Flammen ließ mir den Schweiß von der Stirn tropfen, ich achtete nicht darauf. Viel zu konzentriert war ich nur nicht den Blick zu senken, nur nicht die Kontrolle zu verlieren. Denn innerlich tobte in mir ein Sturm von kaum gekannter Heftigkeit. Fieberhaft rasten meine Gedanken im Kreis, suchten zu ergründen was ich für diesen Mann empfand, der mir hier am Strand so lässig gegenüber saß.
- Schon am ersten Tag unseres Rittes hatte er es geschafft mich aus der Reserve zu locken, er machte mich rasend. Dann hatte ich mich weitgehend beherrscht und in den letzten Tagen ohne ihn hatte ich gemerkt, wie sehr sein Fehlen schmerzte. Doch seit er wieder da war, spürte ich auch wieder diese innere Abwehr gegen ihn, gegen sein hochmütiges Lächeln, seine unverbesserliche Arroganz. Er schaffte es in einer Sekunde mich in den Wahnsinn zu treiben. -
Und als hätte er meine Gedanken erraten spielte nun ein Lächeln um seine Lippen, ein schelmisches Blitzen trat in seinen Blick. 'Bevor du mir eine scheuerst, könntest bitte erstmal den Kaffee vom Feuer nehmen?' brach er das Schweigen. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. 'Wie kommst du darauf, dass ich…?' Sein Grinsen wurde breiter und er deutete auf die Espressokanne, aus der es heftig blubberte. Hektisch nahm ich sie vom Feuer, wobei ich mir prompt die Finger verbrannte. Luìs konnte sich nur mühsam ein Lachen verkneifen, ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Für einen Moment zog ich in Betracht ihm tatsächlich eine zu scheuern, verwarf den Gedanken, aber schnell wieder. Ich wollte schließlich seine Erwartungen nicht unbedingt erfüllen. Während ich an meinen verbrannten Fingern herumlutschte, erbarmte er sich, goss den Kaffee in unsere verbeulten Blechbecher und schob mir einen herüber.
Tief atmete ich den herben Geruch ein, der mich sogleich etwas beruhigte. Ich riskierte einen Blick über den Becherrand. Luìs sah mich immer noch lächelnd an. Schon wollte ich mich verärgert wieder in den Schutz des Kaffeedunstes zurückziehen, doch dann nahm ich aus dem Augenwinkel die Veränderung wahr. Das schelmische Blitzen in seinem Blick war einem anderen, einem ernsten, doch sanften Ausdruck gewichen und sein Lächeln war weder ironisch noch spöttisch. Irritiert wand ich den Blick ab, fieberhaft nach etwas suchend, wo ich interessiert hinschauen konnte. Doch da war nichts. Das Meer war glatt und der Himmel stahlblau, alles war ruhig, nichts rührte sich. Nicht einmal Salvador tat mir den Gefallen. Er stand so still wie selten, die Augen halb geschlossen und döste.
'Juliana…' Beim Klang von Luìs Stimme rann mir trotz der Hitze, die das Feuer verströmte, ein kalter Schauer über den Rücken hinab. 'Mmh...' erwiderte ich unbestimmt, umschlang fröstelnd meinen Körper mit beiden Armen und zog die Knie an. Ich sah nicht auf, als er sich erhob und um das Feuer herum zu mir kam. Noch vor seiner Berührung zuckte ich zusammen, plötzlich schien sich alles um mich herum zu drehen. Bunte Farben wirbelten vor meinen Augen umher, bis sie sich schließlich in wohltuendes Schwarz auflösten. Ich hielt sie geschlossen. Ich hörte wie Salvador mit den Hufen aufstampfte und kräftig schnaubte. Ich hörte das Knacken im Feuer, hörte das unaufdringliche Rauschen des Meeres, den heiseren Schrei einer Möwe. Ich atmete den Geruch von brennendem Holz, roch die salzige Luft, spürte den Sand unter mir, das Handtuch, das ich fest um mich gewickelt hatte. Das Gefühl von seinen rissigen Händen auf meinen nackten Schultern, schlich sich erst langsam in mein Bewusstsein ein. 'Juliana…' sagte er abermals, sich offensichtlich irgendeine Reaktion erwartend. Ich tat ihm den Gefallen nicht, blieb starr sitzen, die Arme um mich geschlungen, den Kopf auf den Knien. Eine seiner Hände löste sich von meiner Schulter, um mein noch feuchtes Haar zurückzustreichen. Wie zufällig streifte ein Finger dabei meine Wange. Mein Herz schlug so heftig, dass ich meinte es müsse sich bald überschlagen... -
Plötzlich verschwand das Gewicht auf meinen Schultern. Schnell schlug ich die Augen auf. Luìs kramte in den Satteltaschen herum, fand einen Apfel und biss hinein. 'Möchtest du auch etwas essen?' fragte er, als könne ihn kein Wässerchen trüben. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Er war so ohne Scheu, wie eh und je. Auch wenn ich ihn besser hätte kennen müssen, ich hatte erwartet, dass er alles tun würde, um eine Reaktion aus mir hervor zu kitzeln. Stattdessen hatte er mich einfach so sitzen gelassen. Das musste ich erst Mal verdauen. Also stand ich auf, nahm meine Kleider und verschwand hinter den Felsen, um mich umzuziehen. Salvador folgte mir neugierig. Sanft rieb ich ihm die Stirn mit dem weißen Stern. Der große Braune stand ganz still, senkte den Kopf und schien die Berührung wahrlich zu genießen. Ein Glücksgefühl durchströmte mich, ich kannte den Wallach inzwischen gut genug, um zu wissen wie besonders diese Geste war. Schließlich schüttelte er den Kopf, schnaubte und entfernte sich mit federnden Tritten. Nachdenklich sah ich ihm nach.







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