Stiefbrüder küsst man nicht - Teil 4

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 11.06.2012


Einige Augenblicke herrschte am Tisch unangenehmes Schweigen und die Spannung konnte man kaum ertragen. Unsicher wandte Jennifer ihren Blick ihrem Vater zu. Er sah sie fragend an und seine Augenbrauen fuhren hoch, was Jennifer zu einer raschen Antwort drang. Sie schluckte schwer und ihr Herz rutschte ihr in die Hose.
Jetzt war es soweit. Lügen oder doch die Wahrheit sagen? Sie konnte sich einfach nicht entscheiden. Wenn sie mit der Wahrheit rausrücken würde, würde sie bestraft werden. Aber wenn sie lügen würde und Josh sie dann verriet, würde es für sie nicht viel besser laufen. Vielleicht würde sie dann doppelt bestraft werden, einmal für die Tat an sich und dann noch für ihre Lüge.
Also entschied sie sich für das kleinere Übel, doch eher sie zu diesem ansetzte:
“Na ja.” - sagte Josh und spießte eine Brechbohne auf einen der Zacken an seiner Gabel.
Die nächsten Sekunden kamen Jennifer wie Stunden vor. Tausende von Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Ihr Herz schlug ihr in den Ohren und vor lauter Aufregung bekam sie schwitzige Hände.
Das war`s, dachte sie bestürzt. Mit dem nächsten Satz aus Joshs Mund wird sie soviel Ärger bekommen, wie noch nie in ihrem Leben.
`Bye A8` - verabschiedete sie sich schon mal von ihrem heißgeliebten Auto. Über die Strafzettel hatte ihr Vater gnädig hinweggesehen. Aber es war eine Sache wegen Falschparkens bestraft zu werden und einen Menschen -fast- über den Haufen zu fahren, ein ganz andere. Vor allem, wenn diese Person bald zur Familien gehören wird.
`Bye Taschengeld` - dachte sie weiter. Nach so einem Vergehen müsste sie wahrscheinlich Jahre warten, bis sie wieder nur einen Cent von ihrem Vater zu sehen bekäme. Mit dem Taschengeld gingen auch die schönen Kleider und die Kino- sowie die Konzertbesuche.
`Bye Freiheit` - Hausarrest würde sie auch bestimmt bekommen. Wahrscheinlich würde sie für die nächsten hundert Jahre ihr Zimmer nicht mehr verlassen dürfen. Etwas positives konnte Jennifer ihrem letzten Gedanke doch abgewinnen, wenn sie Hausarrest hätte, bräuchte sie auch kein Geld und kein Auto mehr.
Ihr Leben war vorbei. Josh hätte sie genauso gut umbringen können.
Nervös pullte sie mit der Gabel in ihrem Kartoffelpüree und wartete.
“Wer so beschießen Auto fährt, braucht sich über wütende Verkehrsteilnehmer nicht zu wundern.” - sprach Josh weiter und vor lauter Verwunderung kippte Jennifers Kinnlade nach unten.
War das gerade nur ein Wunschgedanke von ihr oder hatte Josh es tatsächlich gesagt? - das wusste Jennifer nicht genau. Sie warf Josh einen fragenden Blick und er lächelte sie nur verschwörerisch an und wand sich wieder seinem Teller zu.
“Jennifer?” - ließ ihr Vater nicht nach und beachtete Joshs Aussage gar nicht, weil sie für ihr nur ein Stich in Jennifers war. Für Jennifer allerdings war diese Aussage eine Entscheidungshilfe. Schnell fing sie sich wieder und sah ihren Vater an.
“Ich weiß auch nicht, was passiert ist.” - log sie. “Ich war im Einkaufszentrum mit meinen Freundinnen und als ich wieder zum Auto kam, war die Beule auch schon da.” - fuhr sie fort. Elinore schien entsetzt.
“Da müssen wir doch die Polizei informieren und eine Anzeige erstatten.” - schlug sie vor, doch Jennifers Vater tat ihren Vorschlag mit einer wegwerfenden Bewegung ab.
“Das nützt doch nichts.” - sagte er bloß dazu. “Solche Anzeigen werden doch nur immer ergebnislos zur Akte gelegt.” - sagte er weiter und schob sich ein großzügiges Stück Steak in den Mund. “Wir lassen das nächste Woche wieder in Ordnung bringen.” - informierte er Jennifer und schloss dieses Thema damit ab. “Wie war denn dein Tag gewesen?” - fragte Jennifers Vater ihre zukünftige Frau.
“Ach ja.” - war das Einzige, was Jennifer noch mitbekam, bevor sie sich wieder ihren Gedanken zuwandte.
Verstohlen sah sie zu Josh rüber, doch er schenkte ihr keine Aufmerksamkeit und beteiligte sich an dem belangslosen Tischgespräch.
Warum hat er für sie gelogen? - fragte Jennifer sich immer wieder. War er tatsächlich netter, als sie immer angenommen hatte oder hatte er vor sie zu erpressen. Könnte beides sein, gestand sie sich selbst.
“Ich gehe dann noch ein paar Körbe werden.” - sagte Josh und es war das nächste was Jennifer mitbekam. Sie sah zu, wie er sich vom Tisch erhob und im Garten verschwand. Jennifer ergriff diese Gelegenheit.
“Ich gehe dann schlafen.” - meinte sie und erhob sich ebenfalls. “Muss ja für Morgen schön aussehen.” - fuhr sie fort und lächelte ihren Vater an.
“Ist gut. Gute Nacht.” - wünschte er ihr.
“Gute Nacht.” - echote Elinore.
Doch Jennifer hatte nicht vor auf ihrem Zimmer zu verschwinden. Sie lief durch die Einganghalle in die Bibliothek, den dort befand sich auch eine Tür, durch die man in den Garten, der sich um das gesamte Haus ausstreckte gelangen konnte.
Als sie in den Garten trat, sah sie auch schon Josh. Geschickt dribbelte er den Ball vor sich hin und versenkte ihn dann erfolgreich im Korb. Da sich der Basketballkorb auf der gegenüberliegenden Seite der Küche befand, musste Jennifer auch keine Angst haben von ihren Eltern gehört oder gesehen zu werden.
“Hey.” - meinte sie etwas verkrampft.
“Hi.” - entgegnete Josh und dribbelte einfach weiter.
“Kann ich mit dir sprechen?” - fragte sie. Ein Unwohlsein ließ ihren Körper erstarren und sie bekam, wie immer wenn sie nervös war, ganz nasse Hände.
“Und was deiner Meinung nach machen wir jetzt?” - wollte Josh wissen, sprang hoch und wieder landete der Ball im Korb.
“Ja.” - stotterte Jennifer nur und schluckte. “Es ist nur so.” - fing sie an, doch das Aufschlagen des Balls auf dem Boden hinderte sie in ihrem Gedanke. “Nun, ich wollte …” - setzte sie wieder an, doch erneut riss ihr Gedanken. “Würdest du bitte damit aufhören?” - fuhr sie Josh genervt an. Er fing den Ball auf und sah sie fragend an. “Danke.” - meinte Jennifer dazu und sammelte ihre Gedanken wieder. “Ich wollte mich nur bedanken.” - sagte sie und sah auf den Boden. Leicht fiel ihr das nicht. Noch nie musste sie sich für etwas -nicht materielles- bedanken.
“Ist gut.” - meinte Josh nur dazu. “Ich habe es nicht wegen dir gemacht.” - fuhr er fort und warf den Ball in die Luft, um ihn dann wieder aufzufangen. “Meine Mutter ist wegen der Hochzeit schon wahnsinnig außer sich. Ich wollte nicht, dass sie sich noch mehr aufregt.” - fügte er hinzu und wand sich immer dem Spiel zu.
“Okay.” - meinte Jennifer nur irritiert. “Also das ist alles.” - sagte sie und kam sich etwas blöd vor.
“Gute Nacht.” - wünschte Josh ihr.
“Gute Nacht.” - sagte sie ebenfalls und ging wieder ins Haus. Wie in Trance lief sie hoch in ihr Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ließ sich auf das Bett fallen. Joshs Verhalten irritierte sie jetzt noch mehr. Zuerst war er so eklig zu ihr, dann doch nett und jetzt schien sie ihm gleichgültig zu sein. Jennifer wusste jedoch nicht, ob diese Wendung ihr gefiel. Hass konnte sie ertragen und auch die Zuwendung, die Josh ihr schenkte, als sie ihn beinahe überfahren hatte, doch ob sie mit seiner Gleichgültigkeit zurrecht kam, konnte sie noch nicht sagen.
“Ach, was interessiert mich Josh.” - sagte sie nur verärgert. “Er war blöd, ist blöd und wird es immer bleiben.” - schlussfolgerte sie weiter. Nicht gerade erwachsen, doch sie gab sich mit dieser Theorie zufrieden.
Es war erst kurz nach halb acht, doch Jennifer beschloss schlafen zu gehen. Bei der ganzen Aufregung heute, vergaß sie schon die Hochzeit. Sie erwartete eigentlich, dass sie doch etwas aufgeregt sein würde, doch Fehlanzeige.
Doch bevor sie sich bettfertig machen konnte, klingelte ihr Handy in dem Nachttisch. Sie riss die Schublade auf und holte das Ding raus. Es war Gabe. Genervt verdrehte sie die Augen. Eigentlich hatte sie jetzt gar keine Lust mit ihm zu sprechen, aber sie hatte sich schon zwei Tage nicht mehr bei ihm gemeldet. Und wenn sie verhatte, ihn auch weiterhin ihren Freund zu nennen, müsste sie auch mal mit ihm sprechen. Dabei waren ihre Gespräche von keine Tiefgründigkeit gekürt.
“Hi Babe.” - begrüßte sie ihn gespielt fröhlich und versuchte einen genervten Seufzer zu unterdrücken.
“Hi Schatz.” - begrüßte er sie. “Ich habe dich auf deinem Ersthandy angerufen, aber da geht nur die Mailbox.” - ließ er sie wissen.
“Oh.” - sagte sie nur dazu. “Ich habe es im Auto vergessen.” - erklärte sie.
“Du hast dich schon lange nicht mehr bei mir gemeldet.” - bemerkte er mit einer weinerlichen Stimme. “Ich vermisse dich.” - fügte er hinzu.
“Ich dich doch auch.” - log sie. “Aber wegen der Hochzeit morgen habe ich so wenig Zeit.” - flunkerte sie ihn an.
“Oh ja.” - bemerkte er. “Wann soll ich morgen da sein?” - fragte er dann.
`Am besten gar nicht.` - dachte sie nur. “So gegen 12:30 Uhr.” - sagte sie aber. “Um 13:00 Uhr ist die Trauung und dann gegen 14:00 Uhr fängt die Party an.” - informierte sie ihn.
“Soll ich vielleicht früher da sein, damit wir noch Zeit für uns haben?” - wollte er dann vielsagend wissen.
`Bloß nicht.` - dachte sie genervt. “Nein, ich werde so im Stress sein und ich gar keine freie Minute haben werde.” - log sie wieder. Eigentlich war für die Hochzeit schon alles vorbereiten und sie musste morgen nur um 13:00 Uhr an dem Altar stehen und den Brautstrauß halten.
“Na gut.” - sagte er etwas beleidigt dazu. “Hast du Lust auf Skipe?” - fragte er dann und erneut drehten sich Jennifers Augen in ihren Höhlen. Kann er sie für heute nicht in Ruhe lassen?
“Nein.” - lehnte sie ab und versuchte zu verbergen, wie gereizt sie von diesem Gespräch war. “Ich gehe jetzt schlafen.” - versuchte sie so das Gespräch zu beenden.
“Es ist aber noch sehr früh.” - verstand Gabe ihre Andeutung nicht.
“Ich weiß, aber ich muss morgen früh raus.” - fügte sie mit zusammengebissenen Zähnen zu.
“Ich würde dich aber so gerne sehen.” - bettelte er, was Jennifers Kopf vor Wut rot werden ließ. “Nur 2 Minuten Skipe?” - bat er weiterhin.
“Ich möchte nicht.” - bellte sie ihn an und bereute es im nächsten Augenblick. Sie durfte ihn einfach nicht so mies behandeln, denn andere Mädchen in der Schule schmachteten Gabe auch an. Wenn er jetzt Schluss mit Jennifer machen würde, würde Cortney sich als erste an ihn ranmachen. “Ich bin einfach zu müde heute.” - sagte sie jetzt schon sanfter.
“Na gut.” - gab Gabe es endlich auf und Jennifer vermerkte eine gekränkte Note in seiner Stimme. “Dann sehen wird uns morgen. Ich liebe dich.” - verabschiedete sich Gabe.
“Ich dich auch.” - warum fiel es ihr heute so schwer, es ihm zu sagen. Sie legte auf und legte sich eine Hand über die Augen.
Ihre Liebe zu Gabe war nicht wirklich. Er war nur ein Mittel zum Zweck, um Cortney eins auszuwischen.
Damals hatten sie beide gewettet, wer als erste mit Gabe ausgehen wird und Jennifer hatte gewonnen und weil er jetzt auch ihr Freund war, war sie Cortney um eine Länge voraus.
Seit drei Monaten quälte sie sich schon durch diese Beziehung. Schon mehrmals nahm sie sich vor diese zu beenden, doch zu viel Angst hatte sie in der Schule nicht mehr angesagt zu sein. Wenigstens dort wollte sie ihre Anerkennung beibehalten, wenn sie von ihrem Vater schon keine bekam.
Jennifer kamen die Tränen. Wie kalt ihr Vater heute geblieben war, als er sie auf die Beule auf ihrer Motorhaube ansprach. Zwar klang er etwas besorgt, doch seine Sorge galt bestimmt nur dem Auto oder der Autohausrechnung, dachte Jennifer verärgert.
Ein anderer Vater - ein richtiger- wäre bestimmt vor Sorge krank und hätte sie zu der Beule auf der Motorhaube ausgequetscht. Doch ihr Vater blieb ganz cool und die Beule konnte man doch wieder reparieren.
“Mist.” - brüllte Jennifer verärgert und warf ihr Handy an die Decke. Es machte einen kurzen “Dong” und fiel wieder neben ihr auf das Bett.
Jennifer hatte alles, was man mit Geld kaufen konnte, doch das wichtigste, wie die Anerkennung und die Aufmerksamkeit ihres Vaters hatte sie nicht. Eigentlich müsste es ihr egal sein, denn ihr Vater war schon immer so, aber sie war jedes Mal aufs Neue enttäuscht.
Ohne sich auszuziehen kletterte sie unter ihre Decke, zog diese bis zum Kinn und weinte sich in den Schlaf.

Fortsetzung folgt ...





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