Stiefbrüder küsst man nicht - Teil 14

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 07.07.2012


Nach zwei ereignislosen Tagen, an denen Jennifer Josh so gut wie es nur möglich war aus dem Weg ging, war es Samstag.
Nachdem Jennifer sich geduscht hatte, stellte sie sich vor den beschlagenen Spiegel und wusch diesen frei. Zwei glanzlose Augen mit deutlich zu erkennenden Augenringen sahen ihr entgegen. Ihre Wangen waren eingefallen und sie fand, dass sie sehr blass aussah. War ja auch kein Wunder, den in diesen zwei Tagen hatte sie kaum geschlagen und gegessen. Sie war nur ein Schatten ihrer Selbst, sie sprach kaum mit jemandem und verließ so gut wie nie ihr Zimmer. Sie lag einfach so auf reglos stundenlang auf ihrem Bett und starrte in die Decke. Sie hätte am liebsten auch heute das Essen auslassen, aber langsam machte sie Elinore sorgen, denn schon mehrmals in diesen Tagen kam sie in Jennifers Zimmer und fragte sie, ob ihr was fehlte oder ob sie essen möchte. Jennifer hatte ihre Fragen aber bereits satt und beschloss heute zum Frühstück zu gehen, um weitere Ausfragungen zu vermeiden.
Sie zog eine bequeme Shorts und ein lässiges T-Shirt und lief sie runter in die Küche zum Frühstück. Ihr Vater, Elinore und auch Josh saßen bereits am Tisch und aßen.
“Guten Morgen.” - begrüßte Jennifer sie, ohne Josh jedoch eines Blicken zu würden. Sie nahm ihren Platz ein und nahm sich das letzte Körnerbrötchen aus dem Brotkorb. Als sie das Brötchen auf ihrem Teller liegen sah, dachte sie daran, wie noch vor wenigen Tagen sie sich mit Josh um genauso ein Brötchen gezofft hatte. Es war noch bevor Josh sie geküsst und sie dann so enttäuscht hatte. Bei diesem Gedanke zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen und ihr verging auch der Appetit. “Bekomme ich etwas Saft?” - bat sie Elinore, obwohl die Packung mit dem Saft näher an Josh stand.
“Aber klar.” - meinte Elinore und schenkte ihr ein Glas ein. “Und was hast du heute vor?” - fragte Jennifers Stiefmutter freundlich. Unentschlossen zuckte Jennifer nur mit den Schultern. “Letztes Wochenende vor dem Schulbeginn.” - fügte Elinore dazu, um Jennifer zum Sprechen zu animieren.
“Vielleicht mit Freunden treffen.” - tat Jennifer ihrer Stiefmutter den Gefallen. Sie nippte an ihrem Glas. Auf einen Smalltalk hatte sie gar keine Lust. Joshs Gegenwart war ihr unangenehm und sie musste sich zusammenreißen, um nicht die Flucht in ihr Zimmer zu ergreifen. Das Gespräch stockte und keiner hatte was zu sagen, um ein ungezwungenes Gespräch am Frühstückstisch fortzuführen.
“Hast du meinen Anzug schon aus der Reinigung geholt?” - Jennifers Vater meldete sich hinter seiner Zeitung zu Wort.
“Ich fahre heute ja sowieso in die Stadt und hole ihn dann ab.” - antwortete Elinore.
“Deinen Anzug?” - fragte Jennifer, einfach um das unangenehmes Schweigen am Tisch zu vermeiden.
“Ja.” - Jennifers Vater legte die Zeitung bei Seite. “Heute ist doch die Preisverleihung.” - meinte er dann und lächelte stolz.
“Ja.” - meinte Elinore etwas bitter dazu. “Hätten wir das gewusst, hätten wir unsere Flitterwochen nicht sofort unterbrochen.” - fuhr sie fort und sah Jennifers Vater vorwurfsvoll an.
“Es tut mir leid.” - entschuldigte er sich mit einem schuldbewussten Lächeln und legte seine Hand über die von Elinore. “Wir holen das nach.” - versprach er ihr und küsste ihre Hand.
Blöde Preisverleihung, dachte Jennifer verärgert. Wäre diese nicht gewesen, wären Elinore und Jennifers Vater nicht so früh wieder zurückgekehrt, sie hätte Josh nicht geküsst und wäre jetzt nicht todunglücklich.
“Wann müsste ihr denn los?” - fragte Jennifer um das Gespräch im Gang zu halten.
“So gegen 18:00 Uhr.” - sagte Elinore nur dazu und biss in ihr mit Nutella bestrichenes Brötchen. “Wir übernachten dann auch auswärts, wahrscheinlich in der Stadtwohnung, weil die Verleihung spät in die Nacht geht.” - informierte Elinore.
`Na toll.` - dachte Jennifer verärgert und warf Josh einen verstohlenen Blick zu. Er sah stur auf seinen Teller und kaute leise vor sich hin.
Sie war gar nicht davon begeistert, heute mit Josh die ganze Nacht alleine zu sein. Ihr Herz pochte wie wild und ihr Hände wurden nass.
“Josh.” - wandte sich Elinore an ihn mit einem strengen Blick. “Keine Partys.” - warnte sie ihn. Er reagierte nicht. “Josh, hast du mich gehört.” - fragte sie.
“Ich habe dich schon gehört.” - meinte er genervt.
“Ich wollte nur sichergehen, dass es bei dir angekommen ist.” - fügte sie hinzu. “Und wage es bloß nicht außer Haus zu gehen, hörst du.” - meinte sie noch und sah ihn eindringlich an.
“Ich sitze am selben Tisch wie du, also höre ich dich bestens.” - sagte Josh mit zusammengebissenen Zähnen. “Du muss mich nicht wie einen Sträfling behandeln.” - fuhr er seine Mutter an. Diese starrte ihn nur entsetzt an und ihr Mund ging auf, ohne dass sie jedoch etwas sagte. “Kaufe mir doch einen Bewegungsmelder oder am besten kettest du mich an mein Bett.” - flippte Josh aus und sprang auf. Er warf sein zur Hälfe aufgegessenes Brötchen auf den Teller und verließ fluchtartig die Küche.
Jennifers Augen weiteten sich auf. So kannte sie ihren Stiefbruder gar nicht, eigentlich war er stets ausgeglichen und so auszurasten, besonders seiner Mutter gegenüber sah ihm ja gar nicht ähnlich. Nahm ihn ihre Auseinandersetzung doch mehr mit, als Jennifer es angenommen hatte?
`Gut so.` - dachte sie nur gehässig. Soll er doch auch leiden?
Erneut breitete sich ein unangenehmes Schweigen am Tisch aus, dieser wurde durch das Klopfen an der Scheibe der Tür in den Garten unterbrochen. Jennifer drehte ihren Kopf in dieselbe Richtung und sah Gabe mit einem riesigen Strauß Blumen hinter der Tür stehen. Als er sie gesehen hatte, lächelte er ihr zu und winkte. Nur mit Mühe unterdrückte Jennifer ein Augenrollen und stand auf, um ihm die Tür zu öffnen.
“Guten Morgen.” - begrüßte er die Anwesenden lächelnd. “Guten Appetit.” - wünschte er und sah Jennifer an. “Kann ich mit dir sprechen?” - bat er sie und nickte in Richtung Garten.
“Ja.” - konnte Jennifer nur aus sich herauspressen und sie gingen zusammen in den Garten raus. Sie gingen ein Stück zum Pool. Jennifer blieb abrupt stehen und drehte sich zu Gabe um. “Du hast 3 Minuten, also rede.” - forderte sie ihn auf.
“Also.” - fing er an und sah etwas bedrückt zum Boden. “Die sind für dich.” - meinte er und überreichte ihr den Strauß aus weißen Rosen und Lilien. Ihre Lieblingsblumen, stellte Jennifer doch überrascht fest. Also hörte Gabe ihr auch manchmal zu. “Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.” - meinte er dann und sah sie flehend an. “Ich war doch so ein Idiot.” - schimpfte er über sich selbst.
“Ja, das warst du.” - pflichtete sie ihm bei.
“Es tut mir wirklich leid, was am Montag vorgefallen ist.” - entschuldigte er sich und nahm ihre Hand. “Verzeih mir bitte.” - bat er sie. Jennifer sah ihn an und dann an ihm vorbei zum Fenster zu Joshs Zimmer. Er stand am Fester und sah zu ihr und Gabe runter. Ohne lange über ihr Verhalten nachzudenken, legte Jennifer ihre freie Hand an Gabes Nacken, zog ihn zu sich runter und küsste ihn auf den Mund. Mit Genugtuung sah sie zu, wie Josh die Gardine zuzog.
“Wow.” - meinte Gabe, als sie wieder von ihm abließ. Er legte seine Arme um sie und küsste sie wieder. Jennifer schloss ihre Augen und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die in ihrer Kehle brannten und sie zu ersticken drohten. “Wir wollten uns heute alle bei `Angelo` treffen.” - meinte Gabe, als sie am Pool saßen und mit den Beinen in dem warmen Wasser planschten. “Hättest du Lust?” - wollte er wissen.
“Ja, sicher.” - meinte Jennifer nur dazu und sah, wie die Wellen an den Beckenrand prallten und sich im Nichts verloren. “Treffen wir uns einfach gegen 18:00 Uhr dort.” - schlug sie vor.
“Okay, aber jetzt muss ich los.” - sagte er und stand auf, zog seine Socken an und schlüpfte in seine Sneakers. “Bis dann.” - verabschiedete er sich, beugte sich zu ihr runter und küsste sie. “Ich liebe dich.” - meinte er und verschwand.
Einige Momente blieb Jennifer noch am Pool sitzen und sah sich die Wellen an. Sie wusste nicht, was sie fühlen sollte. Eigentlich hatte sie auf Gabe gar keine Lust gehabt und hätte ihm wahrscheinlich gar nicht verziehen, wenn Josh nicht am Fenster gestanden hätte. Sie legte ihre Hände über ihr Gesicht und biss die Zähne zusammen. Tränen rannten über ihre Hände und tropften in ihren Schoss.
“Jennifer.” - hörte sie im Rücken Joshs Stimme und wusch sich schnell die Tränen weg.
“Was willst du?” - fragte sie ohne sich umzudrehen.
“Ich möchte mit dir reden.” - sagte er. Jennifer stand auf, nahm den Blumenstrauß in eine Hand und ihre Schuhe in die andere.
“Ich aber nicht mit dir.” - entgegnete sie und lief an ihm vorbei. Als sie auf seiner Höhe war, packte er sie am Oberarm.
“Jennifer, ich weiß nicht, was los ist, aber ich sehe, dass es dir nicht gut geht.” - meinte er und sah sie durchbohrend an.
“Mir geht es blendend.” - log sie und schüttelte seine Hand ab.
“Warum weinst du dann fast jede Minute?” - fragte er sie und ihr Herz blieb stehen. Er hat es also mitbekommen, dachte sie verärgert. “Unsere Eltern kannst du täuschen aber mich nicht.” - meinte er dann.
“Ich hatte nur einen Streit mit Gabe.” - erklärte sie. “Es hat rein gar nichts mit DIR zutun.” - stellte sie klar und ließ ihn einfach stehen.
“Jennifer.” - rief er noch hinterher, als sie durch die Haustür ging und hoch in ihr Zimmer lief.
Sie lehnte sich an die geschlossene Tür und warf den Blumenstrauß einfach wütend auf den Boden.
“Lasst mich doch alle in Ruhe.” - flehte sie leise und ließ sich auf den Boden sinken. “Lasst mich.” - bat sie und weinte.
Es war 17:00 h als Jennifer sich fertigmachte. Sie verabschiedete sich noch von Elinore und ihrem Vater, setzte sich in ihren Wagen und fuhr zu `Angelo`. Als sie ihren Wagen in dem Parkhaus abgestellte hatte, ging sie die Rolltreppen hoch und sah sofort ihre Clique dort an einem Tisch sitzen.
“Hi Schatz.” - begrüßte Gabe sie mit einem Lächeln und schob für sie den freien Tisch neben sich zurück.
“Hallo.” - grüßte Jennifer in die Runde und nahm neben Gabe Platz und ließ sich von ihm einen Kuss auf die Lippen drücken.
“Also wie schon erwähnt.” - fuhrt Ralph fort, der durch Jennifers Kommen unterbrochen wurde. “Das Auto war im Arsch und mein Vater stinksauer.” - endete er und die Meute um Jennifer herum lachte, nur sie konnte sich nur ein Lächeln abgewinnen.
Auch im Verlauf des Abends sprach sie nicht viel und beteiligte sich nur gezwungen an dem Tischgespräch. Vor allem, weil ihr die Gespräche stumpfsinnig vorkamen. Früher wäre sie sicherlich der Mittelpunkt, was Tratsch und Klatsch auf ihrer Schule anging, gewesen, aber jetzt war sie nur froh, wenn sie nichts sagen musste.
“Ich mache mich mal frisch.” - flüsterte sie Gabe ins Ohr und stand auf. Sie nahm ihre Tasche und ging in Richtung der Toiletten. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und sie atmete tief durch. Was waren das für Trottel, dachte sie über ihre ehemals beste Freunde. Am liebsten würde sie jetzt nach Hause gehen und sich ins Bett legen. Sich vor der ganzen Welt verstecken und vor ihren Problemen und von den Gefühlen.
Von dem Gefühl, die unangenehm ihr Gabes Küsse und Berührungen waren.
Von dem Gefühl, die dumm und arrogant ihre Freunde waren.
Von dem Gefühl, von Josh verraten zu werden.
Von dem Gefühl, Josh zu lieben.
Bei dem Gedanke kamen wieder die verräterischen Tränen, die seit einigen Tagen zu ihren ständigen Begleitern wurden. Mit Schreck sah sie in den Spiegel und stellte fest, dass ihre Wimperntusche verlaufen war und schwarze Linien über ihre Wangen zogen. Sie zog aus ihrer Tasche ein Taschentuch und tupfte sich vorsichtig das Gesicht ab. Sie schnäuzte sich und trug etwas Make-Up und Wimperntusch auf. Nach einem weiteren Blick in den Spiegel warf sie die Schminkutensilien wieder zurück in ihre Tasche.
Bevor sie die Klinke auch nur runterdrücken konnte, sprang die Tür auf und Josh schob sie zurück in den Toilettenraum. Er schloss hinter sich die Tür ab.
“Jetzt reden wir.” - sagte er dann. Jennifers Herz rutschte ihr in die Hose.

Fortsetzung folgt ...





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