Stiefbrüder küsst man nicht

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 04.06.2012


Ein Sonnenstahl band sich seinen Weg durch die geschlossenen Gardinen und fiel Jennifer auf die Augen. Sie kniff diese zusammen und rümpfte die Nase. Dann drehte sie dem Sonnenstahl den Rücken zu und versuchte den langsam entgleitenden Traum einzufangen, doch es war zu spät. Sie drehte sich auf den Rücken und streckte sich genüsslich und ausgiebig. Jennifer warf die Decke bei Seite und ließ ihre Füße einen Moment lang vom Bettrand baumeln, während sie noch gähnte und die letzten Spuren den Schlafes sich aus den Augen rieb.
Lächelnd über den sonnigen Tag ging sie zum Fenster und schob die Gardinen bei Seite. Genüsslich streckte sie ihr Gesicht der Sonne entgegen und ließ sich von dieser streicheln. Sie öffnete die Augen und ließ diese langsam nach unten in den Garten sinken. Doch die gute Laune verflog genauso wie sie gekommen war.
Unten im Garten erblickte sie Josh. Er stand mitten auf der grünen Wiese und sah den Leuten bei dem Schleppen zu.
Der Garten wurde bereits für die morgige Hochzeit zurechtgemacht. Die weißen Sitzgruppen wurden bereits im Garten verteilt und die weißen Schleier überall aufgehängt.
Josh hatte seine Arme auf der Brust zusammengefaltet, wie er es öfters tat und schon diese Geste brachte Jennifer zur Weißglut und als ob dies nicht genug wäre, drehte er sich in ihre Richtung. Als er sie im Fenster erblickte lächelte er spitzbubig und winkte ihr zu. Jennifer zog die Augenbrauen zusammen und die Gardinen wieder zu.
Der Tag konnte schlimmer nicht anfangen, dachte sie und stampfte genervt in Richtung Badezimmer. Als sie an ihrer Anlage vorbeikam, schaltete sie diese ein und drehte die Lautstärke voll auf. Sofort dröhnte die Stimme von Anthony Kiedis aus den Lautsprechern. An sich mochte Jennifer die Gruppe Red Hot Chili Pepper gar nicht, aber die anderen Bewohner dieses Hauses mochte diese noch weniger. Sollten sie doch wissen, dass sie schlecht drauf ist, dachte Jennifer gehässig.
Noch immer wütend stellte sie sich unter die Dusche. Erneut musste Jennifer an das Hochzeitsgewusel unten im Garten denken.
Sie hatte ja nichts dagegen, dass ihr Vater wieder heiratete. Ihre Mutter war jetzt schon über 10 Jahre tot, aber musste es ausgerechnet diese Frau sein. Ihre ehemalige Mathematiklehrerin und was noch 10fach schlimmer war, Joshs Mutter.
Josh und Jennifer kannten sich bereits mehrere Jahren und genauso lange mochte sie ihn nicht. Schon als Kind war er immer gemein zu ihr gewesen. Da kam schon die erste unangenehme Erinnerung.
Sie waren damals sieben oder acht Jahre alt und Josh fand es sehr witzig ihr auf dem Schulhof in der Mittagspause den Rock hochzuziehen, sodass alle ihr Unterhöschen mit Blümchen sehen konnten. Nach diesem Vorfall traute sich Jennifer eine Woche lang nicht in die Schule. Aber Dank dem guten Zureden ihres Vaters hat sie die Schule dann doch nicht in so einem jungen Alter an den Nagel gehängt.
Der nächste Streich war dann etwa ein Jahr später. Da hat er sie zu Halloween so erschrocken, dass sie sich naß gemacht hatte und trotz der Abmachung und der 10 Dollar, die sie ihm zugesteckt hatte, wusste es am nächsten Tag die ganze Schule.
Und es war viel mehr, an das Jennifer sich nicht mehr erinnern wollte. Ihre Laune war bereits im Keller.
Sie musste jedoch gestehen, dass in den letzten zwei Jahren keine Streiche mehr kamen, aber sie konnte das vorherige nicht vergessen. Solche Ereignisse prägen eben eine Beziehung.
Jetzt waren beide bereits 17 Jahre alt, jedoch fand Jennifer, dass Josh sich überhaupt nicht geändert hatte. Er war immer noch der selbe arrogante, gemeine Möchtegern-Macho mit dem spitzbubigem Lächeln.
Es gab in ihrer Stadt so viele Singlefrauen, die einen erfolgreichen Arzt, wie es Jennifers Vater war, mit einer Kusshand zum Mann nehmen würden, aber er musste sich ausgerechnet in ihre Mathematiklehrerin verlieben.
Jennifer musste zugeben, dass sie gegen Elinore nichts hatte. Sie war eine sehr attraktive Frau mit einer sportlichen Figur und schönen blauen Augen. Ihr einziges Manko war, dass sie Josh zum Sohn hatte.
Mit diesem Gedanken stieg sie aus der Dusche und rieb sich trocken. Etwas zu fest, denn danach war ihr Körper an manchen Stellen leuchtend rot. Sie cremte sich noch ein und zog ihren Bademantel über. Ihr Haar band sie zu einem unordentlichen Knoten auf dem Hinterkopf zusammen und lief runter zum Frühstück.
Ihr Vater saß am Tisch, wie auch jeden Morgen, egal ob am Wochenende oder mitten in der Woche, hinter eine Zeitung vergraben und Josh saß zu seiner Linken.
"Guten Morgen Jennifer."- begrüßte sie ihr Vater und legte die Zeitung bei Seite.
Der ganze Hochzeitstreß hatte ihm nicht zugesetzt, sondern verjüngt. Seine braunen Augen leuchteten aufgeregt und die Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen war noch kaum zu erkennen. Anstatt dieser hatte er jetzt Lachfalten um die Augen, die ihn aber glücklich aussehen ließen. Jennifer lächelte ihm zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange zur Begrüßung.
"Guten Morgen Dad." - sie setzte sich zu seiner Rechten, wie auch jeden Morgen. Erst jetzt sah sie Josh wieder ihr gegenüber sitzen mit seinem blonden Haar, was ihm über die Stirn fiel, den blauen Augen, dem kantigen Gesicht und diesem Lächeln.
"Guten Morgen Jen." - begrüßte er sie lächelnd.
"Ich heiße Jennifer." - sagte sie nur zur Begrüßung und wieder zog sie die Augenbraun zusammen. Er nannte sie ständig Jen, obwohl er wusste, dass sie diesen Kosenamen nicht aussehen konnte.
Josh sagte nichts dazu und nahm, unter Jennifers hasserfülltem Blick, das letzte Körnerbrötchen aus dem Brotkorb. Er wusste ganz genau, dass sie morgens immer ein isst.
"Ist das das letzte?" - fragte sie und sah ihn so an, als ob sie ihn hypnotisieren wollte, ihr das Brötchen zu geben.
"Ja." - sagte Josh dazu und hielt es immer noch in der Hand.
"Wärst du so nett, es mir zu überlassen." - fragte sie höfflich, doch ihre Blicke trafen ihn tödlich.
"Hmm." - machte Josh. "Nein." - antwortete es nach einigen Sekunden. Jennifer konnte in seinen Augen sehen, dass er es mit Absicht machte, nur um sie zu ärgern.
"Es ist aber mein Brötchen." - Jennifer versuchte sich zu beherrschen. Ihr Vater hat sie darum von einigen Tagen gebeten, weil Elinore wegen der Hochzeit so gestresst war, wollte er keine streitenden Teenagers in ihrer Nähe haben.
"Ich sehe aber nirgends deinen Namen stehen." - provozierte Josh weiterhin, nachdem er sich das Brötchen von allen Seiten angeschaut hatte.
"Dad." - wand sich Jennifer hilfesuchend zu ihrem Vater, doch diese war bereits wieder in seine Zeitung vertieft, sodass er ihre Kabbelei wahrscheinlich gar nicht mitbekommen hatte.
"Gib mir jetzt das Brötchen." - verlangte Jennifer und griff über den Tisch. Noch bevor sie das Brötchen ergreifen konnte, führte Josh es zu seinem Mund und leckte es ab. Angewidert setzte sich Jennifer wieder auf ihren Stuhl. Josh lächelte wieder herausfordernd und streckte ihr die Hand mit dem Brötchen entgegen.
"Willst du es immer noch?" - fragte er mit einem breiten Grinsen eines Gewinners.
"Erstick dran." - wünschte Jennifer ihm und nahm sich ein Croissant.
"Guten Morgen allesamt." - begrüßte Elinore die am Tisch sitzenden Familienmitglieder. Sie hatte zwar ein Lächeln auf den Lippen, doch Jennifer fand, dass sie sehr gestresst aussah. Wo ihrem Vater jetzt die Sorgenfalter fehlte, hatte Elinore eine. Auch etwas abgemagert und zittrig sah sie aus. Noch bevor die anderen antworten konnten, rannte sie an ihren vorbei in den Garten.
"Haben Sie mich nicht verstanden oder wollen Sie mich umbringen?!"- hörten die anderen sie im Garten einen Helfer anfahren.
"Ich schaue lieber nach, bevor es Tote gibt." - meinte Jennifers Vater und ließ die Zeitung auf dem Tisch liegen.
Jetzt saß sie mit Josh alleine am Tisch und versuchte ihn nicht anzusehen. Doch sie konnte es einfach nicht, weil seine übertriebenen Gesten nicht zu übersehen waren. Er schnitte das Brötchen auf und schmierte eine dicke Schicht Marmelade drauf.
"Hhhmmmm." - machte er genüsslich, nachdem er in das Brötchen gebissen hatte. Übertrieben kauend verdrehte er die Augen. Vernichtend schaute Jennifer ihn an, während sie in den Croissant biss. Das Körnerbrötchen schmeckte bestimmt besser, dachte sie beim Kauen. "Und bringst du denn Schwachkopf von Freund zu der Hochzeit?" - fragte Josh.
"Ja." - meinte sie beleidigt. "Er ist kein Schwachkopf." - verteidigte sie ihren Freund Gabe. Sie wusste zwar selbst, dass Gabe nicht die hellste Birne im Kronleuchter war, aber vor Josh würde sie es nicht zugeben. "Er hat eben andere Talente." - sagte sie dann noch.
"Das hoffe ich doch, sonst wüsste ich nicht, warum du mit ihm zusammen bist." - sagte Josh mit vollem Mund. "Ich denke nicht, dass ihr weltbewegende Gespräche führt." - meinte er und lächelte vielsagend. "Redet ihr überhaupt?" - fragte er dann und sah sie interessiert an.
"Was …" - doch bevor Jennifer die Frage zu Ende aussprechen konnte, machte es bei ihr Klick und sie lief rot an. "Das geht dich doch gar nichts an." - blaffte sie Josh an und wand sich wieder ihrem Croissant zu. Sie ärgerte sich über sich selbst. Warum konnte ihr keine einfallsreiche Antwort einfallen, mit der sie Josh sein großes Mundwerk stopfen konnte.
"Blödmann." - sagte sie nur beleidigt. Noch bevor Josh sie weiter auf die Palme bringen konnte, kamen Elinore und Jennifers Vater wieder rein.
"Beruhige dich, Schatz." - Jennifers Vater hatte Arme um die Schulter seiner zukünftigen Frau gelegt, während ihre Augen wie irre in ihren Augenhöhlen hin und her huschten. "Trink einen Tee." - schlug er ihr vor und setzte sie ans Kopfende des Tisches.
"Rote Rosen." - stammelte sie immer wieder. "Ich habe rote Rosen bestellt." - sagte sie einem Zusammenbruch sehr nah. Josh und Jennifer sahen sie ängstlich an, sich nicht trauend irgendwas zu sagen.
"Es ist alles okay." - sagte Jennifers Vater und drückte ihr eine Tasse mit dampfender Flüssigkeit in die Hände. "Trink das." - meinte er zu ihr und sie tat wie geheißen. "Morgen früh, vor der Trauung, werden die roten Rosen geliefert." - versprach er ihr und sah Josh und Jennifer warnend nach einander an. Jennifer wusste ganz genau, was er mit diesem Blick ausdrücken wollte. Hinter seiner Zeitung bekam ihr Vater mehr mit, als er zugab.
"Ich komme übrigens ohne Begleitung." - meinte Josh nur um Konversation zu führen.
"Wer will mit dir schon irgendwohin gehen?" - konnte sich Jennifer nicht zurückhalten und erntete einen warnenden Blick ihres Vaters. Sie ließ die Augen ganz schnell auf ihren Teller nieder und kaute leise vor sich hin.
Jennifers letzte Aussage entsprach nicht ganz der Wahrheit. Es gab in der Schule genug Mädchen, die mit Josh ausgehen würden, so schlecht sah er ja nicht aus, musste Jennifer sich eingestehen.
Hübsche Schale, fauler Kern, dachte sie und sah zu Josh rüber. Er grinste wieder und bekam von ihr einen vernichtenden Blick zugeworfen. Er legte sich beide Hände an der Hals und machte leise Würgegeräusche. Nach der Vorstellung lachte er sie wieder an. Am liebsten würde Jennifer jetzt etwas nach ihm werfen, doch ihre Eltern waren ja im Raum. Elinore würde wahrscheinlich nicht verkraften können, wenn auf einmal eine Gabel oder ein Messer im Kopf ihres Sohnes stecken würde. Die Arme war ja jetzt schon kurz vor der Nervenklinik. Aber die Vorstellung munterte Jennifer etwas auf. Und jetzt schmeckte das Croissant gar nicht mal so schlecht.
"Ich muss zum Training." - sagte Josh und erhob sich. "Übrigens, coole Musik. Leihst du mir mal die CD?" - meinte er noch zu Jennifer und vor sich her pfeifend verließ er die Küche.
``Aber sicher leihe ich dir die CD,`` -dachte Jennifer wütend. ``Ich steck sie dir dorthin, wo die Sonne nicht hin scheint. Schmeckt ja wie Schuhsohle.`` - dachte sie jetzt angewidert und legte das Croissant auf ihren Teller.

Fortsetzung folgt ...





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