Stiefbrüder küsst man nicht - Teil 13

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 05.07.2012


Als Jennifer an diesem Mittwoch die Augen öffnete, überfielen sie augenblicklich ihre Probleme. Sie seufzte genervt und zog sich die Decke über den Kopf, doch auch so konnte sie ihnen nicht entkommen. Es nützte nichts und sie musste sich der Herausforderung stellen und alles klären. Doch trotz dieses Vorsatzes, trödelte Jennifer den ganzen Tag rum. Als erstes verschanzte sie sich in ihrem Zimmer, um bloß Josh nicht über den Weg zu laufen. Sie mistete ihren Schrank aus und nachdem sie sich die aussortierten Kleidungsstücke noch mal angesehen hatte, hängte sie sie wieder in ihren Schrank. Man könnte sie doch noch anziehen.
Danach beschäftigte sie sich mit dem Sortieren ihrer Schminkutensilien auf dem Schminktisch. Mit Bedauern musste sie feststellen, dass ihr Lieblingsliedschatten den Sturz den überlebt hatte und total zerbröselt war. Sie warf ihn in den Abfalleimer und sah ihn noch einmal geknickt an.
Die Digitaluhr auf ihrem Nachttisch zeigte 15:00 Uhr und Jennifer seufzte. Na toll, jetzt hatte sie sich extra viel Zeit gelassen und es waren lediglich 4 Stunden vergangen. Vielleicht sollte sie von vorne anfangen, kam ihr der Gedanke, doch sie verwarf diesen sofort. Aufräumen war nicht so ihrs und außerdem knurrte ihr Magen. Kurz überlegte sie, ob sie tatsächlich in die Küche zum Essen gehen sollte, doch ihr schreiender Magen nahm ihr diese Entscheidung ab.
Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte raus. Sie wollte heute auf keinen Fall Josh begegnet, was eigentlich eine unlösbare Aufgabe war, da er Hausarrest hatte. Doch der Flur war zu ihrer Erleichterung leer. Sie sprintete in die Küche, auch dort war keiner zu sehen. Ihr Vater war sicherlich in der Praxis oder bereitete eine Rede für die Preisverleihung vor, Elinore war sicherlich in der Behindertenschule, wo sie ehrenamtlich Unterricht gab.
Jennifer nahm aus dem Kühlschrank die Wurstdose und Käse raus. Als sie sich zwei Toastbrot geschmiert hatte und schon in ihr Zimmer zurückflüchten wollte, kam Josh durch die Küchentür. Jennifers Herz blieb stehen.
“Hi.” - begrüßte Josh sie und ging an ihr vorbei. Jennifer beobachtete, wie er sich ein Glas mit Wasser füllte und dieses dann austrank. Sie vernahm jede seiner Bewegungen mit Vorsicht, nicht in der Lage etwas zu sagen oder sich gar zu bewegen. Josh stellte die Wasserflasche wieder in den Kühlschrank. “Bis dann.” - meinte er nur und verließ die Küche.
Jennifer blieb verwirrt zurück. Jetzt war sie total durcheinander. Gestern noch küsste er sie und machte Andeutungen, dass er sie mochte und heute vollkommene Ignoranz. Nicht mal ein ``Wie-geht-es” kam über seine Lippen.
Wie gelähmt ging Jennifer in ihr Zimmer. Sie stellte den Teller mit den belegten Broten einfach auf den Schminktisch. Der Appetit war ihr vergangen. Sie wusste zwar nicht, welche Reaktion sie von Josh nach dem Kuss erwartet hatte, aber diese sicherlich nicht. Wenigstens ein Lächeln oder eine zufällige Berührung, doch er zeigte gar keine Regung, die darauf gedeutet hätte, dass er sie gestern noch geküsst hatte.
Vielleicht hat sie dem Kuss auch zu viel Bedeutung beigemessen? Vielleicht hat sie auch Joshs Andeutungen falsch interpretiert?
Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, war der Kuss ja nichts besonderes gewesen. Einfach ein leichter Hauch eines Kusses. Eigentlich auch kein richtiger Kuss. Jennifer zweifelte langsam an ihrem Urteilsvermögen.
Vielleicht war der Kuss von Josh auch nicht ernst gemeint? Nur ein Scherz seinerseits. Wenn es so wäre, dann war das ein grausamer Scherz, dachte Jennifer und musste sich die Tränen verkneifen.
Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Sie musste hier raus und mit jemandem reden, sich einen Rat holen.
Sie rief Sarah an und verabredete sich mit ihr in ihrem Lieblingscafe. Als sie dort ankam, saß Sarah bereits an einem der Tische und nippte an einem Milchshake.
“Na wieder über den Lebenden.” - meinte sie zur Begrüßung. Jennifer lächelte nur schwach und ließ sich auf den Stuhl Sarah gegenüber fallen.
“Ja.” - antwortete sie knapp.
“Gestern warst du ja so was von breit.” - ließ Sarah sie wissen und Jennifer nickte nur. Sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte und wo überhaupt. Außerdem wusste sie jetzt nicht, ob es so eine gute Idee war, Sarah anzurufen, immerhin empfand sie was für Josh. Aber sie -Jennifer- konnte ja auch nichts dafür, dass Josh sie küssen wollte. Sarah wird es verstehen, oder doch nicht, überlegte Jennifer fieberhaft.
“Jennifer.” - hörte sie Sarahs Stimme, die sie wieder in die Gegenwart brachte.
“Häh.” - gab sie nur von sich.
“Ich sagte, dass ich heute mit Cortney gesprochen habe.” - meinte Sarah. “Sie meinte, es ging gestern zwischen Josh und ihr ziemlich heiß her.” - fügte Sarah traurig dazu. “Jetzt habe ich ja nicht die Hauch einer Chance.” - meinte sie dann.
“Was?” - meinte Jennifer verwirrt. “Heiß her?” - sie war nicht mehr im Stande vollständige Sätze zu bilden.
“Ja.” - sagte Sarah dann. “Ich habe auch gesehen, wie sie zusammen aus dem Badezimmer kamen.” - Sarah hörte sie sehr benommen an.
“Aus dem Badezimmer.” - plapperte Jennifer nur nach. Irgendetwas in ihren Inneren zerbrach und sie fühlte sich auf einmal so leer und ausgelaugt.
Er hatte sie angelogen. Josh hatte sie angelogen, als er gesagt hatte, dass es zwischen ihm und Cortney nichts lief. Sie fühlte sich verraten, hintergangen und einfach ausgenutzt. Tränen traten ihr in die Augen.
“Was ist denn los?” - fragte Sarah besorgt und Jennifer schüttelte bloß mit dem Kopf.
“Ich habe mich gestern mit Gabe gestritten.” - erklärte sie ihre Tränen und Sarah legte ihr mitfühlend die Hand auf die Schulter. Jetzt konnte Jennifer ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und sie liefen in Strömen über ihre Wangen.
“Ach Schatz.” - meinte Sarah nur und nahm sie in den Arm. Sie streichelte ihr behutsam über den Rücken. “Es wird schon. So schlimm war der Streit bestimmt nicht.” - beruhigte Sarah Jennifer.
“Oh doch.” - sagte Jennifer nur dazu.
Warum hat Josh das getan? Ihr Hoffnungen gemacht, ihr zu verstehen gegeben, dass er sie mochte. War das nur eine Wette gewesen oder wollte er ihr nur zeigen, wie naiv sie war und wie leicht zu haben. Egal welche dieser Versionen zutraf, schlimm genug waren sie beide.
“Was ist denn zwischen Gabe und dir vorgefallen?” - wollte Sarah wissen und Jennifer erzählte ihr von dem Gespräch mit Gabe und von dem Ultimatum, was er ihr gestellt hatte. “Das kann er doch nicht machen.” - sagte Sarah empört. “Er kann dir doch nicht vorschreiben, wann dein Erstes Mal sein sollte.” - fuhr sie fort. “So ein Arsch.” - schimpfte sie über Gabe. Das war er, musste Jennifer zugeben, aber Josh war viel schlimmer.
Noch eine Theorie schoss Jennifer in den Kopf. Vielleicht wollte Josh sie für sich gewinnen und sie dann abservieren, demütigen.
Eigentlich war es auch nicht so wichtig, warum Josh sie angelogen hat, die Tatsache war, dass er es getan hatte.
“Und was willst du jetzt machen?” - war das nächste, was sie von Sarah hörte.
“Ich weiß noch nicht.” - antwortete Jennifer wahrheitsgetreu und wusch sich die Tränen weg. “Vielleicht sollte ich noch mit ihm sprechen.” - meinte sie unsicher und Sarah schüttelte bloß energisch mit dem Kopf.
“Auf keinen Fall.” - widersprach sie Jennifer. “Willst du ihm etwa nachgeben? Dann wird er dir nie wieder für voll nehmen.” - gab sie ihrer Freundin zu verstehen.
“Was soll ich dann machen?” - fragte Jennifer und sah Sarah an.
“Gar nichts.” - schlug sie vor. “Warte einfach ab. Vielleicht besinnt er sich wieder und kommt angekrochen.” - fuhr Sarah fort.
“Du hast recht.” - meinte Jennifer und atmete tief durch. “Ich warte einfach ab.” - fügte sie hinzu. “Und hast du dich gestern amüsiert?” - wechselte sie das Thema und Sarah verdrehte sie Augen.

Erst gegen 19:00 Uhr kam Jennifer wieder nach Hause. Sarah und sie analysierten die ganze Party und auch von den Lästereien konnten sie nicht absehen.
Jennifer fuhr in die Einfahrt und schaltete den Motor ihres Autos aus. Einen kurzen Augenblick blieb sie im Wagen sitzen und seufzte traurig. Die schönen Gefühle, die sie noch gestern Abend nach dem Kuss empfunden hatte, waren schon fast verblasst und vergessen. Jetzt war sie nur noch enttäuscht und wütend. Immer wieder dachte sie an Joshs Worte. “Es lief nichts mit Cortney.” - hatte er gesagt oder -besser gesagt- gelogen.
“Warum?” - fragte Jennifer leise und hämmerte mit den Fäusten auf das Lenkrat ein. “Warum?”
Es war falsch von ihr wieder Hoffnung zu schöpfen, dass es eine Person gab, der sie nicht vollkommen egal war.
Es war falsch anzunehmen, dass der Kuss und die Andeutungen aufrichtig waren.
Es war genauso falsch, sein Herz zu öffnen und etwas zu empfinden.
Es schien so, als hätte Jennifer aus ihren Fehlern nicht gelernt.
Sie liebte ihre Mutter, doch sie hatte sie verlassen. Sie liebte ihren Vater, doch auch er hatte sie im Stich gelassen und jetzt war sie so kurz davor, diese Liebe Josh zu geben und noch bevor es geschah, enttäuschte er sie. Tränen des Verrats und der Wut liefen über ihre Wangen. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie holte tief Luft, wusch sich die Tränen aus dem Gesicht und stieg aus dem Auto.
Jetzt wollte sie nur eins und zwar schlafen. Sie freute sich schon auf ihr Bett, als sie durch die Eingangstür ging, doch da wartete Josh bereits auf sie. Jennifer schloss die Augen und öffnete diese wieder.
“Hey.” - begrüßte Josh sie und sprang von der Couch. Es sah so aus, als hätte er auf sie gewartet. Jennifer antwortete nichts und wartete, bis er weiter sprach. “Ich wollte mit dir noch reden.” - fuhr er fort. “Habe nur gewartet, bis unsere Eltern heute ausgehen.” - erklärte er ihr und schritt auf sie zu. Als er nur noch einen Schritt von ihr entfernt war, wich Jennifer von ihm. Immer noch sagte sie kein Wort. “Ich wollte fragen, wie es mit uns jetzt weitergeht.” - sagte er und lächelte sie an. Dieses Lächeln, was ihr gestern noch den Kopf verdrehte, widerte sie jetzt nur noch an. Er dachte wohl, er könnte sie damit um den Finger wickeln, dachte Jennifer höhnisch.
“Uns?” - meinte Jennifer gespielt überrascht. “Es gibt kein Uns und es wird auch nie eins geben.” - fuhr sie ihn an. Josh sah sie verwirrt an. “Ich bin mit Gabe zusammen, oder weißt du das nicht mehr.” - erinnerte sie ihn.
“Aber …” - fing Josh an, doch Jennifer fiel ihm ins Wort.
“Es gibt kein Aber.” - meinte sie und ging an ihn vorbei. “Ich liebe Gabe.” - log sie und versuchte ihre aufkommenden Gefühle im Schacht zu halten. Am liebsten wäre sie Josh jetzt an den Kehle gesprungen und ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. “Das gestern, hatte überhaupt keine Bedeutung. Du hast mir einen Gefallen getan und ich habe dafür gezahlt. Wir sind jetzt quitt.” - sie wunderte sich selbst, wie sicher und hart ihre Stimme klang.
“Wie du meinst.” - sagte Josh bloß. Seine Stimme war so dunkel, wie Jennifer sie noch nie zuvor gehört hatte. Jennifer überdrückte die Tränen, die ihr die Kehle zuschnürten und biss sich auf die Unterlippe. Dann hörte sie Josh eilige Schritte, die sich langsam entfernten.
“Nicht weinen.” - befahl sie sich, während sie die Treppe hochstieg. Als sie die Tür ihres Zimmers hinter sich schloss, konnte sie aber nicht anders. Sie weinte, bis keine Tränen mehr kamen, doch es blieb noch was anderes, ein Schmerz, der mit nichts zu vergleichen war.

Fortsetzung folgt ...





Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz