Stiefbrüder küsst man nicht - Teil 6

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 17.06.2012


Als die Gäste zu dem Brautpaar eilten, um ihre Glückwünsche aufzudrücken, stand Jennifer neben Elinore und nahm die zahlreichen Blumensträuße entgegen. Josh erhielt die ganzen Briefumschläge. Als auch der letzte Gast, ein älterer Herr, den Jennifer nicht zuordnen konnte, ihrem Vater die Hand schüttelte und Elinore mit einem Kuss auf die Wange beglückwünschte, wurden die alle zum Buffet gerufen, was in der Nähe des Pool aufgebaut wurde. Die Sitzgruppen aus weißen Stühlen mit einer rosafarbenden Schleife und den Tischen mit passenden Decken standen um den Pool herum. Jennifer fand, dass es alles atemberaubend aussah, besonders die Schwimmkerzen, die auf dem Wasser schwammen und bei Einbruch der Dunkelheit angezündet werden sollten. Jeder Baum und jeder Strauch im Garten war mit weißen Girlanden behangen.
Da sie heute noch gar nicht gefrühstückt hatte, stellte sich Jennifer ebenfalls am Buffet an.
Im Hintergrund spielte die Band ein ruhiges Lied, während die Leute die Tische mit ihren Namensschildern besetzten und da und hier ein Gespräch oder ein Lachen zu hören war. Die Kellner in weißen Hemden und Schürzen liefen zwischen den Tischen und schenkten Getränke ein.
Als Jennifer sich einige Sushiröllchen und etwas vom Hähnchensalat auf den Teller lud, ging sie zu dem Tisch mit ihrem Namensschild, es war der Brautpaartisch. Josh saß bereits dort und schlang eine Hähnchenkeule runter.
“Ich habe heute noch nichts gegessen.” - verteidigte er sich mit vollem Mund als Jennifer ihn vorwurfsvoll ansah. Ohne etwas dazu zu sagen, setzte sich Jennifer neben ihn und fing mit dem Essen auf.
Nach etwa einer halben Stunde kündigte das Brautpaar ihren ersten Tanz an. Die Stühle unter dem Pavillon wurden weggeräumt und dort entstand eine großzügige Tanzfläche.
Die Band setzte zu einem langsamen Walzer an und Jennifers Vater führte seine Frau auf die Tanzfläche. Er legte eine Hand auf ihre Taille und mit der anderen umfasste er ihre Hand. Elinores freie Hand ruhte auf seiner Schulter. Verliebt lächelte sie einander an, während sie leichfüßig zu dem Takt der Musik ihre Runden auf der Tanzfläche drehte.
Langsam wurde Jennifer nervös, denn in der Mitte des Liedes sollten sie und Josh einsteigen. Elinore bat sie beide darum und wollte ihnen ein Zeichen geben. Jennifer rieb ihre Hände aneinander, sie waren total verschwitzt. Josh neben ihr schien es gar nicht zu jucken, er aß weiter.
“Wir müssen jetzt.” - meinte er auf einmal und Jennifer wurde ganz kalt und heiß zugleich.
“Ja.” - japse sie nur und ließ sich von Josh auf die Tanzfläche führen.
Sie zitterte am ganzen Körper. Den Tanz beherrschte sie, weil sie bereits seit mehreren Wochen mit Elinore zusammen geübt hatten. Aber beim Üben war kein Publikum dabei.
“Alles okay?” - wollte Josh wissen und sah ihr ins Gesicht.
“Ja, ja.” - antwortete sie rasch um ihre Aufregung zu überspielen. Sogar ein Lächeln konnte sie sich auf die Lippen zwingen.
“Na dann.” - sagte Josh nur dazu und führte sie zur Musik.
Seine Hand auf ihrer Hüfte fühlte sich ganz heiß an. Trotz des Kleides brannte sie auf Jennifers Haut. Die andere Hand hielt Josh in seiner Hand und Jennifer hoffte nur, dass sie nicht allzu sehr schwitzte. Erneut spürte sie diese Geborgenheit und Sicherheit, wie am Tag zuvor, als sie Josh in der Einfahrt beinahe überfahren hätte.
Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie dieses Gefühl schon früher mit ihm hatte. Immerhin hatten sie bereits zu dieser Musik unzählige Male tanzen müssten. Doch da war nichts. Es war eher distanziert und sie hatte ja überhaupt keine Lust darauf gehabt, aber ihrem Vater und Elinore zuliebe tat sie es.
Jetzt fühlte sie sich jedoch sehr wohl in Joshs Armen und war etwas enttäuscht, als die Band ein neues, etwas schnelleres Lied anfing.
Josh löste sich von ihr, behielt ihre Hand jedoch in seiner, als er sie zurück zum Tisch führte. Doch einen Tisch vor ihrem, wurden sie von der älteren Dame, die während der Trauung neben Elinores Vater saß aufgehalten.
“Joshua.” - sagte sie mit einer gebrechlichen Stimme und hielt Josh am Oberarm fest. “Willst du mir deine Freundin nicht vorstellen?” - wollte sie wissen und schenkte Jennifer ein freundliches Lächeln. Jennifers Wangen glühten auf.
“Sie ist doch nicht meine Freundin.” - sagte Josh und ließ augenblicklich Jennifers Hand los. Jennifer musste feststellen, dass sie darüber etwas enttäuscht war. “Es ist Jennifer, meine Stiefschwester.” - stellte er Jennifer vor.
“Oh.” - sagte Josh Großmutter.
“Jennifer, das ist meine Oma Julia.” - stellte er sie vor. Julia schüttelte Jennifer die Hand.
“So eine hübsche Enkeltochter bekomme ich.” - sagte sie und lächelte wieder. Jennifer lächelte ebenfalls etwas verlegen.
“Danke.” - konnte sie nur herauspressen. Sie kannte Julia jetzt gerade seit einige Sekunden und schon war sie ihr sympathischer, als ihre eigenen Großeltern.
“Sie ist nur deine Stiefenkeltochter.” - meinte Josh. “Also denk nicht mal dran, ihr was von meinem Geburtstagsgeld abzugeben.” - scherzte er und gab seiner Oma einen Kuss auf die Wange.
“Also Joshua.” - sagte Julia nur ermahnend. “Wann hast du denn Geburtstag?” - wollte sie dann von Jennifer wissen.
“Oma.” - ermahnte Josh sie scherzhaft und rügte sie mit dem Zeigefinger. Julia lachte nur auf und Jennifer musste auch lachen.
“Also .. “ - Julia wandte sich wieder Jennifer zu.
“Am 14.08.” - beantwortet Jennifer ihre Frage. “Aber Sie brauchen mir wirklich nicht zu schenken.” - fügte sie hinzu.
“Aber, aber.” - meinte Julia bloß. “Du gehörst jetzt zur Familie und außerdem bin ich jetzt deine Oma und hör` bitte mit “Sie” auf. Ich muss mich nicht älter fühlen, als ich es schon bin.” - fügte sie hinzu und tätschelte liebevoll Jennifers Arm.
“Okay.” - sagte Jennifer dazu. Ihr war das Gespräch etwas unangenehm, weil sie das von ihren Großeltern nicht gewohnt war. Sie musste Jennifer immer mit “Sie” ansprechen und sogar ihr Vater siezte seine Eltern, was der Beziehung einer gewisse Distanz verlieh.
“Wir setzen uns dann wieder.” - meinte Josh und beendete damit das Gespräch.
“Aber du tanzt heute noch mit mir.” - erinnerte Julia Josh.
“Aber sicher tanze ich heute mit meiner Lieblingsoma.” - gab er zurück.
“Du frecher Bengel.” - lachte Julia bloß. “Ich bin auch deine einzige Oma.” - stellte sie klar.
Jennifer und Josh kamen wieder zu ihrem Tisch, der jetzt leer stand, weil das frisch verheiratete Paar die Tanzfläche mit ihrem Tanzstill aus den 80-gern unsicher machte.
“Deine Oma ist sehr nett.” - bemerkte Jennifer, als sie wieder Platz auf ihrem Stuhl nahm.
“Ja, sie ist die beste.” - meinte er und lächelte. “Hat doch gut geklappt, das Tanzen.” - sagte er dann und Jennifer nickte nur, während sie aus ihrem Glas nippte und daran dachte, dass es jetzt die perfekte Gelegenheit war, um Josh auf die Party anzusprechen.
“Josh.” - fing sie an. “Kann ich dich um einen Gefallen bitten?” - sagte sie dann. Mit einem Lächeln in seinen blauen Augen sah er sie an.
“Na, das war doch klar.” - meinte er dann und Jennifers Herz pochte nervös gegen ihre Rippen. “Kaum sind wir Bruder und Schwester, muss ich schon meinen Geschwisterverpflichtungen nachgehen.” - meinte er.
Was hatte sie sich auch gedacht? - dachte Jennifer wütend und beleidigt. Sie warf Josh einen vernichtenden Blick zu.
“Dann halt nicht.” - giftete sie zurück und drehte sich demonstrativ der Tanzfläche und Josh den Rücken zu.
“Es war ja nur ein Scherz.” - sagte Josh dann versöhnlich. “Was soll ich dir denn für einen Gefallen tun?” - wollte er wissen.
“Vergiss es.” - meinte Jennifer beleidigt.
“Komm schon Jennifer.” - sagte er dann und etwas verwirrt drehte sich Jennifer wieder zu ihm. Seit wann nannte er sie Jennifer. Fragend sah er sie an.
“Morgen Abend möchte ich eine Party geben.” - fing sie an und Joshs Augenbrauen fuhren hoch. “Mein Vater und deine Mutter sollen jedoch nichts mitbekommen.” - sagte sie dann.
“Aha.” - meinte er nur dazu. “Und was soll ich dann machen?” - wollte er wissen.
“Du sollst nichts machen.” - meinte Jennifer schon etwas genervt. “Du sollte mich bloß nicht verraten.” - sagte sie dann. Einen Augenblick sah er sie an. Jennifer konnte seinen Blick nicht deuten.
“Okay.” - sagte er dann nur und Jennifer sah ihn fragend an, doch von ihm kam nichts mehr. “Ich hol` mir jetzt noch was zu essen. Möchtest du auch was?” - fragte er sie wissen. Mit offenem Mund starrte Jennifer ihn an. “Okay” war alles war er dazu sagte? Sie verstand die Welt nicht mehr. Er wollte nichts von ihr haben, stellte auch keine weiteren Bedingungen. Nur ein Okay.
“Wie okay?” - fragte sie perplex.
“Okay okay.” - erklärte Josh ihr und stand auf. “Willst du jetzt was vom Buffet oder nicht?” - wollte er noch mal wissen. Jennifer war nicht in der Lage etwas zu sagen, denn sie war zu überrascht von Joshs, beinahe lässigen Reaktion. “Wie du willst.” - meinte er nur und machte sich auf dem Weg zum Buffet. Jennifer schüttelte ihren Kopf um ihre Gedanken zu sortieren und erhob sich ebenfalls, um Joshs zu folgen. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass es so einfach sein sollte, Josh zum Schweigen zu bringen.
“Josh.” - sprach sie ihn an, als er sich den Teller vollud. “Das heißt also, du wirst Dad und Elinore von der Party nichts erzählen?” - wollte sie es genau wissen.
“Ja, das heißt es.” - sagte er nur ohne sie anzusehen.
“Ehrlich?” - fragte sie und folgte ihm auf Schritt und Tritt.
“Jen. Hör` auf zu nerven.” - sagte Josh und blieb abrupt stehen, so dass Jennifer auf seinen Rücken stieß. “Ich gebe dir mein Wort, dass ich Mom und deinem Vater nichts von der Party am Montagabend verraten werde.” - meinte er und hielt zwei zusammengepresste Finger in die Luft. “Indianer Ehrenwort.” - sagte er. “Und jetzt lass mich in Ruhe essen.” - bat er sie und lief mit vollem Teller zum Tisch zurück. Jennifer blieb alleine zurück und sah ihm nach. Sein Verhalten gab ihr Rätsel auf. Machte er jetzt auf fürsorglichen und verständnisvollen Bruder? Sie wusste keine Antwort. Aber da er jetzt so nett war, sollte sie ihn vielleicht auch auf die Tatsache ansprechen, ob er vorhatte nach der Hochzeit die Sache mit dem beinahe Autounfall an die Eltern zu verraten.
Sie ging zurück zu ihrem Tisch.
“Josh.” - fing sie an. Genervt seufzte er auf.
“Was ist?” - wollte er wissen.
“Die Sache mit dem Vorfall. Als ich dich beinahe überfahren habe.” - machte sie ihm deutlich, nachdem er sie fragend angesehen hatte. “Wirst du das auch für dich behalten?” - sagte sie.
“Ja, das werde ich auch für mich behalten.” - meinte er und machte sich über seinen Teller her. Noch verwirrende als zuvor sah sie ihm beim Essen zu.
Irgendwie konnte sie es immer noch nicht glauben, dass es so einfach war Josh um etwas zu bitten. Vielleicht meinte er es auch nicht ernst? - kam ihr der Gedanke, doch sie sprach Josh darauf nicht an, aus Furcht, er konnte sich darüber aufregen und sein Wort brechen.
“Ich hole mir dann was zu essen.” - meinte sie dann und stand auf. Sie hörte Josh etwas sagen, was sich sehr stark nach “Na endlich” anhörte, aber gab nichts darauf.
Noch immer über das Gespräch mit Josh grübelnd, nahm sie einen sauberen Teller und nahm sich noch ein paar Sushiröllchen.
“Hi Schatz.” - hörte sie auf einmal Gabes Stimme im Rücken und ließ beinahe ihre Teller fallen. Erschrocken drehte sie sich um und bekam sogleich einen Kuss von ihm Mitten auf den Mund.
“Hi.” - konnte sie herauspressen.
“Sorry, dass ich zu spät komme. Ich musste noch mit meinem Anzug in die Reinigung.” - entschuldigte er sich. Jennifer sah ihn an. In dem schwarzen Nadelstreifenanzug sah er sehr gut aus. Hochgewachsen wie er war, saß der Anzug wie angegossen. Sein blondes Haar war zu einer eleganten Frisur gekämmt. Er war wirklich ein hübscher Kerl, doch Jennifer liebte ihn trotzdem nicht. “Ich hoffe, du bist nicht böse.” - meinte er dann und sah sie bedauernd an.
“Ich … nein, ich bin nicht böse.” - kam Jennifer wieder zu sich und zauberte sich ein Lächeln auf die Lippen.
“Das ist schön.” - sagte er dazu und lächelte über das ganze Gesicht. “Wo sitze ich denn?” - wollte er dann wissen.
“Neben mir. An dem Tisch, wo Josh gerade sitzt.” - antwortete sie nur.
Es wurde getanzt und gefeiert. Überall wurde gelacht und geredet. Für den Rest des Tages vermied es Jennifer mit Josh zu sprechen und überhaupt ihn auch nur anzusehen. Sie redete mit Gabe und tanzte auch mit ihm.
Als die Dämmerung anbracht, wurden die ganzen im Garten verteilten Lichter eingeschaltet und auch die Schwimmkerzen im Pool wurden angezündet. Gabe und Jennifer standen beiseite des ganzen Trubels und unterhielten sich.
Der Anblick des Gartens verschlug Jennifer allerdings den Atem. Die Lichter sahen aus, wie tausende von Glühwürmchen. Es war einfach traumhaft. Der Garten lag im Halbdunkeln und sah eine mystische und romantische Atmosphäre.
“Gabe.” - wandte sich Jennifer ihrem Freund zu. “Leg` bitte deine Arme um mich.” - bat sie ihn.
“Was?” - wollte er nur lächelnd wissen.
“’Tu` es einfach.” - meinte Jennifer dann. Sie kam auf ihn zu und legte seine Stirn auf seine Brust. Gabe legte seine muskulösen Arme um sie. Jennifer schloss die Augen, doch es fühlte sich irgendwie fremd an und falsch.

Fortsetzung folgt ...





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