Die vier Farben des Districts - Teil 11

Autor: Riefie
veröffentlicht am: 01.07.2012


Hey Leute, es tut mir so wahnsinnig leid, das der Teil erst so spät kommt. Ich bin momentan im Urlaub und komm noch nicht mal dazu, einen Teil einzuschicken, dabei hatte ich extra so viel vorgeschrieben. Aber hier ist alles so spannend und ich hab lauter neue Ideen für neue Geschichten also: versprochen! es geht jetzt regelmäßig weiter. Ich hoffe ihr kommentiert weiter so fleißig und die Geschichte gefällt euch trotzdem. Über Kritik, Änderungsvorschläge etc. freue ich mich natürlich auch. <3

Als wäre Nik ein Magnet, blieben meine Augen an ihm hängen. Seine Haare hatte er wieder zerzaust gegelt. Seine Augen sahen müde und traurig aus, er schien auch nicht viel geschlafen zu haben. Das Flugzeug rollte los und ich sah den Flughafen immer kleiner werden, als wir auf die Startbahn rollten. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass wir bereits 20 Minuten zu spät waren. Ich hörte, wie die Turbinen antrieben und kurzerhand hielt ich Nik meine Hand hin. Für einen kurzen Moment huschte die Verblüffung über sein Gesicht, dann nahm er sanft meine Hand und das Flugzeug setzte sich mit einem riesigen Ruck in Bewegung. Mein Bauch krummelte und mir war total unwohl. Ich wurde in den Sitz gedrückt und atmete schwer. Ich hasste diese blöden Starts. Aber schon wenige Sekunden später spürte ich, wie das Flugzeug abhob.
„Emma, meine Hand…“ Oh! Schnell ließ ich seine Hand los und sah, wie sich die weißen Abdrücke meiner Hand rot verfärbten. Das Blut wurde wieder gepumpt.
„Tut mir leid. Ich krieg da irgendwie solche Panik.“ Er lächelte und es war, als wäre nie etwas passiert. Doch schon bei dem Gedanken wurde mir schmerzlich bewusst, was erst vor nicht mal 24 Stunden passiert war. Ich zog meine Hand zurück und sah aus dem Fenster. Die kleinen Autos wurden noch kleiner und die Häuser sahen bald wie Playmobilteile aus.
Ich beschloss mir die Kopfhörer zu nehmen und einen Film zu schauen. Doch zu meiner Enttäuschung waren die Bildschirme noch gesperrt, da der Startvorgang noch nicht beendet war. Also nahm ich meine Kopfhörer kurzerhand wieder raus und steckte sie in mein iPod. Ich stellte die Musik ganz laut und schloss die Augen. Piep! Genervt schaute ich auf meinen iPod der mit einem letzten Sound sich schlafen legte. Toll, ich hatte ihn vor lauter Stress ganz vergessen aufzuladen.
„Akku leer?“ Ich sah Nik an, während ich den iPod in die Ablage tat und nickte.
„Hier nimm meinen.“
„Willst du nicht hören?“
„Nee, ich warte noch bis man Filme gucken kann und zieh mir irgendeinen Horrorfilm rein.“
„Danke. Aber du sagst, wenn du ihn brauchst.“ Er nickte und gab mir seinen.
Schnell steckte ich mir die Kopfhörer ins Ohr und drückte auf Play.

Friends are cool but we both know
They don´t want to see us together
Don´t wanna lose what I live for
I´m willing to do whatever
Cause I don´t wanna see you cry, cry
Give our love another try, try
I bet we get it right this time, time
As long as you´re prepared to fight, fight.

What They say, it don’t even matter
They don´t really understand
Without each other we are barely breathing
Let´s get air in these hearts again
Cause I don´t wanna see you cry, cry
Give our love another try, try
I bet we get it right this time, time
As long as you´re prepared to fight, prepared to fight

I don’t wanna live another day
Without your body next to me
I´m not gonna let them break us down
Cause Baby I know now
It´s gonna take a lot to drag me away from you
-I´ll fight for you-
There´s nothing that 100 men or more could ever do
-I´ll fight for you-
Just like the rain down in Africa
-I´ll fight for you-
It´s gonna take some time but I know you´re worth fighting for!
Ich drehte meinen Kopf zum Fenster, damit niemand die kleinen Tränen sah, die langsam meine Wangen hinunterliefen. Es war halt nicht leicht, Gefühle einfach abzustellen, auch wenn es kurzzeitig wehtat, sie zu fühlen. Aber ich konnte eben nicht verleugnen, dass ich Nik immer noch liebte und irgendwie bezog ich das Lied auf ihn und mich. Ob er es wohl mit Absicht als erstes in die Playlist getan hatte? Ich beschloss ihn darauf anzusprechen.
„Das ist ein schönes Lied.“ Er nickte und ich wusste, dass er es mit Absicht reingestellt hatte.
„Ich hab es die ganze Nacht gehört…“
Ein lautes Ping zeigte an, dass die Gurte jetzt locker gemacht werden durften. Die Bildschirme wurden hell und ich gab Nik, der ziemlich niedergeschlagen aussah, seinen iPod wieder. Dann steckte ich meine Kopfhörer in die Armlehne, nahm die dünne Decke und suchte mir einen Film aus.

„Emma, aufwachen.“ Langsam öffnete ich die Augen und sah in die blauen Augen Niks, der sich über mich gebeugt hatte. Ich musste eingeschlafen sein, denn mein Ohr tat weh, als ob ich auf dem Kopfhörer geschlafen hätte.
„Hey, bin ich eingeschlafen?“
„Ja, allerdings. Das Essen ist da.“ Eine freundliche Stewardess sah mich an.
„Wir haben Hühnchen oder Pasta?“
Ich sah Nik an, er schien meine Gedanken zu lesen, denn er lächelte nur und meinte:
„Ich Hühnchen, du Pasta? Wenn’s nicht schmeckt, tauschen wir.“
Ich nickte dankbar, mich jetzt nicht sofort entscheiden zu müssen. Klappte meinen Tisch runter und nahm das Tablett entgegen, welches die Stewardess mir reichte. Ich hatte seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und mein Magen machte sich nun bemerkbar, als ich den leckeren Duft der Pasta einsog. Es gab eine Schale mit Tortellini in einer Tomaten-Sahne-Soßen, einen kleinen Salat und einen Brownie.
„Was willst du trinken?“
„Hmm… eine Cola?“
„Okay.“ Nik sah die Stewardess an und kurz darauf gab sie ihm 2 Dosen Cola und zwei volle Becher mit Eis. Ich grinste, als ich die vielen Eiswürfel sah und schüttete ein wenig Cola in den Becher. Viel passte da ja nicht mehr rein. Die Tortellini waren verdammt lecker, doch auch Niks Hühnchen sah nicht schlecht aus. Ich nahm eine Gabel mit einer Tortellini und hielt sie ihm hin. Voller Elan hatte ihm etwas Soße an die Nase geschmiert und musste tierisch lachen. Ich bekam ein Stück Hühnchen und am liebsten hätte ich mich an ihn gekuschelt, als dass Essen abgeräumt wurde.
Bevor ich jedoch in Versuchung geraten konnte, stand ich auf.
„Ich müsste mal aufs Klo.“ Nik nickte und stand auf. Schnellen Schrittes ging ich zu den Toiletten und schloss die Tür hinter mir. Ich stützte meine Hände am Waschbecken ab und sah mich durch den Spiegel hinweg an.
„Was tust du da eigentlich?“ Ja, das würde ich selbst wirklich gerne mal wissen. Auf der einen Seite vermisste ich ihn total und wollte ihm verzeihen, aber sobald ich in seine Augen sehe, sehe ich das Bild von Melanie und ihm, wie er sie küsste und so berührte, wie er mich einst berührt hatte. Es brach mir das Herz immer und immer wieder und ich fragte mich langsam, wie oft ein Herz brechen konnte, damit man es nicht mehr heilen konnte. Ein leises Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken.
„Einen Moment bitte.“
„Emma, ich bin’s Pia.“ Ich öffnete die Tür und sie zwängte sich in den eh schon so kleinen Raum.
„Geht’s dir gut?“ Ich schüttelte nur den Kopf und sie nahm mich in die Arme.
„Ich werde mit Nik die Plätze tauschen. Ich seh doch, wie es dich quält.“ Ich nickte dankbar und wir gingen langsam zu unseren Plätzen zurück.
„Nik, kannst du dich vielleicht zu Jason setzen. Emma und ich würden gerne ein bisschen quatschen.“
„Ja klar.“ Ein bisschen enttäuscht schnappte er sich seine Sachen und setzte sich gerade auf den Platz auf der anderen Seite des Ganges, gab Pia ihre Sachen und wir setzten uns nebeneinander. Ich schloss die Augen und versuchte, die aufkommenden Kopfschmerzen zu unterdrücken. Doch sie schoben sich in Schüben vorwärts und ich fasste mir an den Kopf.
„Kopfschmerzen?“
„Ja, das ist irgendwie zu viel für mich…“
„Verständlich. Schlaf doch ein bisschen. Ich wecke dich, wenn das nächste Essen kommt.“
Dankend nahm ich den Vorschlag an und sah aus dem Fenster. Die Wolken waren unermüdlich und gaben keinen Blick auf den blauen Atlantik preis, über den wir die nächsten Stunden fliegen würden. Langsam schloss ich die Augen und schlief ein.
„Emma, aufwachen. Wir sind da.“ Ungläubig öffnete ich die Augen und sah Pia neben mir sitzen.
„Wie? Wir sind da?“
„Ja, du hast so tief geschlafen, da war jeglicher Aufweckversuch vergeblich.“
„Bitte stellen sie ihren Sitz gerade.“ Irritiert sah ich die Stewardess an, tat was sie sagte und tippte auf dem Bildschirm vor mir rum. Tatsächlich waren wir bereits 12 Stunden und 20 Minuten geflogen und hatten sogar schon das Festland unter uns. Ich schaute schnell aus dem Fenster und sah die ersten Häuser, oder Favellas wir man sie ja hier nannte.
„Hand?“ Pia grinste mich an und hielt mir ihre Hand hin. Ich musste auch lachen und war dankbar, dass mir jemand bei der Landung beistand. Das Flugzeug flog immer tiefer und dann setzte es mit einem Ruckeln auf. Die Vollbremsung zerrte an meinen Nerven und ich würde heilfroh sein, wenn ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben würde.
„Sehr geehrte Passagiere, willkommen in Rio de Janeiro. Draußen sind es angenehme 26°C und die aktuelle Ortszeit lautet 18:43 Uhr. Ich hoffe sie hatten einen angenehmen Flug und wir wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt.“
Es dauerte noch geschlagene 10 Minuten, ehe die Anschnallzeichen erloschen und wir aufstanden. Nik gab mir meine Tasche und ich verstaute alle Sachen darin, ehe ich mich hinter Pia den Gang entlang drängelte.
Die Einreise verlief ohne Probleme und wir standen unschlüssig neben Sophie, da ja keiner von uns wusste, wo wir hin sollten. Als Sophie endlich zu merken schienen, dass keiner irgendeine Ahnung hatte, grinste sie uns an.
„Hier entlang bitte.“ Hä? Kein Wort nur hier entlang? Naja, also dackelten wir hinter Sophie her, durch einen langen Gang und in ein neues Gate. Eine weitere Kontrolle wartete auf uns, in der ich meine Schuhe, meinen Gürtel und meine elektronischen Geräte ausziehen und sie auf das lange Band legen musste. Ich stellte mich schon auf ein langes Warten am Gate ein, als wir auch schon ohne weitere Ticket oder Passkontrolle weitergeleitet wurden. Ich konnte gerade noch einen Blick auf das graue, kleine Flugzeug erhaschen, als wir auch schon in den langen sterilen Gang gelotst wurden.
Das Flugzeug war mit einem hellen Teppich ausgestattet und eine kleine, südländische Stewardess hieß uns Willkommen. Es gab nur einen Gang und als ich um die Ecke ging, sah ich dass es sich hierbei wohl um eine Privatmaschine handeln musste. Links und rechts waren 4 Sitzplätze um einen Tisch herum, dahinter 2 weitere Sitzplätze und dahinter der Gang zur Küche und zum Bad.
Fasziniert setzte ich mich auf einen der Plätze, als auch schon Pia neben mir und die anderen beiden gegenüber von mir Platz nahmen.
„Wir fliegen jetzt nur noch 2 Stunden, danach wartet eine kleine Überraschung auf euch Mädels.“
„Hey!“ Dave schaute Sophie gespielt vorwurfsvoll an und grinste.
„Ihr bekommt schon euer Fett weg, keine Panik.“ Wir Mädels fingen an zu kichern und ich wollte gerade aus dem Fenster gucken, als die Schalusien automatisch runtergefahren wurden.
„Und gucken ist nicht erlaubt.“ Sie grinste und setzte sich auf einen der hinteren Stühle.

Der erste Blick auf das District war atemberaubend. Es war ein riesiger Komplex aus mehreren großen, hellen Gebäuden. Die Gebäude waren alle auf einen bestimmten Punkt ausgerichtet, den riesigen Park in der Mitte mit jede Menge Teichen, Palmen und Wasserfällen. Es war unglaublich schön und dennoch so imposant. Ich wusste weder wo wir waren, noch ob es hier noch mehr Menschen gab, als die Leute, die für das District arbeiteten. Auch die anderen liefen mit offenen Mündern und riesigen Augen hinter Sophie her, die uns zu einem der kleineren Gebäude am Rande lotste.
„Also, nur damit ihr es wisst. Heute Abend findet ein Empfang statt. Zwei Leute werden euch nachher abholen und euch in das hauseigene Kaufhaus bringen, damit ihr für heute Abend etwas Passendes habt. Es sind hohe Leute da, also bitte zieht euch etwas anderes als Jeans und T-Shirt an.“ Dies sagte sie wohl eher zu den Jungs, als zu uns aber ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich bring euch jetzt in euer Gebäude, wo die vier Wohnungen von euch sind. Sie sind euch zugeteilt worden, als bitte macht keinen Aufstand. Jede Tür ist mit einem Handabdruck von euch gesichert, deshalb wäre es etwas schwierig, jetzt alles wieder umzuändern.“ Ich wusste, dass sie auf mich und Nik anspielte, doch ich hatte nicht vor, irgendwelche Probleme zu machen. Wir gingen in das Gebäude hinein. Eine geschwungene Treppe führte nach oben, doch sie deutete erst einmal auf die beiden Gänge rechts und links von uns.
„Leo und Finn, euch gehört dieser Flügel. Martha und Dave, geht ihr bitte dahinein. Wenn etwas mit dem Scanner nicht funktionieren sollte, ruft einfach kurz nach oben.“ Dann gingen wir restlichen vier mit ihr die Treppe nach oben, wo wieder zwei Gänge in entgegengesetzte Richtungen verliefen.
„Nik, Emma ihr geht bitte in den rechten, Pia und Jason in den linken. Ihr habt ca. eine halbe Stunde bevor Derrek und Nina euch abholen.“ Wir nickten und ich trabte hinter Nik her, unschlüssig wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich sah keine Tür, nur einen hellen Scanner der in der Wand angebracht war und auf den Nik nun seine Hand legte. Ein helles Licht ging einmal darüber, ehe es ein Ping gab und eine Schiebetür sich zur Seite schob. Dahinter befand sich ein riesen großes Wohnzimmer, welches eine offene helle Küche besaß. Eine große Kochinsel war da Schmuckstück der Küche, während eine riesige Couch die gegenüberliegende Wand schmückte. Ein großer Plasmafernseher war an der Wand angebracht und ein großes Bücherregal war darum gebaut worden. Rechts ging ein Gang entlang, wo sich drei weitere Türen befanden. Ich hoffte inständig, dass es zwei Schlafzimmer geben würde, doch zu meiner Enttäuschung war es nur ein Schlafzimmer mit einem großen Doppelbett. Hinter den anderen Türen fand ich das große, ja fast schon riesige Bad und ein Ankleidezimmer, das sowohl eine Tür zum Flur als auch eine zum Schlafzimmer hatte, ebenfalls das Bad. Unsicher stellte ich meine Koffer ab und sah Nik an. Dieser nahm sich ein Kissen und eine Decke und wollte das Zimmer verlassen, als ich ihn verwirrt ansah.
„Was machst du?“
„Naja, ich denke mal nicht, dass du mit mir in einem Bett schlafen willst. Ich werde die Couch benutzen.“ Erstaunt nickte ich nur und Nik schloss die Tür hinter sich. Ich war erledigt, total platt von den ganzen Strapazen und der kurzen unruhigen Nacht, die ich zuvor erlebt hatte. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie glaubte ich Nik, dass er es nicht gewollt hat, aber das machte den Betrug nicht besser.
Er hatte mich nie ernst genommen, wenn ich ihn vor Melanie gewarnt hatte. Im Gegenteil, er hat mich noch angezickt, wieso ich ihm nicht vertrauen würde. Ich hatte ihm vertraut, aber ihr nicht und manche Menschen konnten eben perfekt manipulieren. Ich beschloss meine Klamotten einzuräumen und mich ein wenig im Bad frisch zu machen. Ich würde sonst noch durchdrehen und wie ein Häufchen Elend im Bett rumheulen. Ich konnte mit solchen Problemen nicht umgehen, ich kannte sie nicht. Irgendwie… hatte ich mir meine erste große Beziehung anders vorgestellt, aber ich konnte nichts daran ändern und musste damit klarkommen, auch wenn es mir fast das Herz zerriss. Ich liebte Nik, wollte zu ihm in seine Arme, aber ich konnte einfach dieses Bild nicht vergessen.
Das kühle Wasser im Gesicht verschaffte mir ein wenig Linderung und ich beschloss hohen Hauptes ins Wohnzimmer zu gehen. Ich würde nicht winseln wie ein Baby. Er hat mich betrogen und jetzt sollte ich auch noch ihm hinterher heulen? Oh Mann, Emma! Deine Stimmungsschwankungen sind dermaßen anstrengend. Verzeih ihm oder lass es! Ich beschloss mir noch ein wenig Zeit zu geben und die nächsten Tage abzuwarten.
DingDong! Ich hörte wie Nik einer Frau die Tür öffnete und bekam gleich wieder ein Stich ins Herz. Würde ich jetzt jedes Mal so reagieren, wenn er auch nur mit einer Frau redete? Scham und Hass übermannten mich und ich kniff die Augen zusammen.
„Du wirst jetzt nicht heulen, Emma. Reiß dich gefälligst zusammen.“
„Ah da ist sie ja. Unsere gelbe Flamme Emma. Ich bin Marian.“ Ich sah eine etwas ältere, aber sehr sympathische Frau vor mir. Sie hatte ihre blonden, mit feinen grauen Strähnen gezeichneten Haare nach hinten zu einem Dutt gebunden und hielt mir ihre zierliche Hand hin. Ich ergriff sie und zwang mir ein Lächeln ab.
„Hallo, Emma.“
„Ich weiß.“ Sie lächelte erneut und sah mich liebevoll an.
„Ich bin da, um dich und die Mädels abzuholen. Wir wollen euch doch etwas schickes zum Anziehen aussuchen.“
Ich nickte und wollte mir gerade meine Tasche schnappen, als sie mich zurückhielt.
„Deine Tasche brauchst du nicht. Alles was in diesem Kaufhaus ist, könnt ihr euch nehmen.“
Mit großen Augen lief ich ihr hinterher. Nicht, dass ich mir die Klamotten nicht leisten könnte, aber das war doch mal ein Traum. Ich konnte also in dieses Kaufhaus gehen und mir kaufen was ich wollte. Auch die anderen schienen davon erfahren zu haben, denn sie hakten sich bei mir ein und wir liefen in einer vierer Kette hinter Marian her, die uns hinaus auf den großen Platz führte. Die Sonne senkte sich langsam herab und der Platz erstrahlte in dem Licht der Millionen LED Leuchten, die überall verteilt waren. Mir kam es immer noch komisch vor, hier zu sein und nicht zu wissen wo genau ich eigentlich war. Es musste eine Insel sein, wahrscheinlich irgendwo um Südamerika herum. Dennoch hatte ich keine Ahnung wo genau und das machte mein mulmiges Gefühl nicht gerade besser.
„Erzähl, wie geht’s dir?“ Ich sah Martha, die neben Leo lief und alle drei sahen mich sorgenvoll an. Ja, ich wusste was ich an ihnen hatte. Sie waren in der kurzen Zeit wie meine 2. Familie geworden. Immer da, immer ein offenes Ohr und für jeden Schwachsinn zu haben. Aber ich wusste ja selbst nicht, was ich fühlte und wie ich mich fühlte. Es war irgendwie… leer. Ich spürte keinen Schmerz mehr, aber auch keine Sehnsucht. Vielleicht lag es daran, dass Nik nicht in meiner Nähe war. Sobald ich ihn sah, ihn spürte, ihn fühlte waren alle Gefühle wieder da. Die guten, wie die Liebe, die Sehnsucht oder das ich mich vollständig fühle, aber eben auch die schlechten wie die Eifersucht, den Vertrauensbruch und diese Unsicherheit.
„Weiß nicht… es ist als ob ich einfach garnichts mehr fühle.“
„Wie meinst du das?“ Leo sah mich irritiert an.
„Irgendwie scheint es, als hätte ich alle Gefühle schon mal durchgemacht. Von Himmel hoch jauchzend bis wie ein Häufchen Elend am Boden heulen. Und nun ist das halt alles aufgebraucht.“
„Kannst du ihm nicht verzeihen?“ Jetzt war ich diejenige, die total verwirrt in Pias blaue Augen schaute. Gerade sie war es doch, die Nik so zusammen gestaucht hatte. Die so wütend auf ihn war, dass sie ihn bei jeder Gelegenheit anschrie. Sie schien meine Verwirrtheit zu bemerken, denn sie sah mich leicht lächelnd an.
„Ich kann nicht nachvollziehen, was er getan hat und warum er es getan hat. Aber ich hab mich mal umgehört, diese Melanie hat es nun mal Faustdick hinter den Ohren. Was, wenn sie dich wirklich gehört hatte und sie ihn dann einfach an sich gezogen hat? Natürlich ist das ein schwerwiegender Vertrauensbruch, aber Emma, ganz ehrlich. Er liebt dich und ich glaube, dass es ihm ernsthaft leid tut. Ich frag mich halt immer, ob diese Schlampe von Melanie wirklich ihr Ziel erreichen sollte und ihn von dir trennt, obwohl ihr beide füreinander gemacht seid.“
Ich konnte nicht lange über ihre Worte nachdenken, die mir irgendwie ein neues, gutes Gefühl gaben, denn wir waren bei dem Kaufhaus angekommen. Es war ein zweistöckiges, gläsernes Gebäude. Es sah wirklich wie in einem normalen Kaufhaus aus, was man überall her kannte. Dennoch schien es hier alles zu geben, was Frauenherzen und vielleicht auch Männerherzen höher schlagen ließ.
„Hui, das nenn ich mal geil.“ Auch ich musste mich bei Leos Ausdruck grinsend umsehen. Es waren diese kleinen Momente, in denen ich nicht an Nik und Melanie dachte. In denen ich die alte, glückliche Emma war, die sich nichts aus den Jungs machte, da sie sich eh nicht für mich interessierten.
„Also, wir gehen jetzt am besten gleich hoch zur Abendgarderobe. Ihr dürft alles anprobieren, aber bitte seit vorsichtig, einige der Kleider waren sehr teuer.“ Wir nickten Marian zu, während wir zusammen die Rolltreppe hochfuhren. Meine Augen weiteten sich, als ich die vielen bunten und eleganten Kleider sah, die sich über die ganze Ebene erstreckten. Unterwäsche, Schuhe und Taschen hatten sich dazwischen gereiht und ich konnte nicht glauben, dass dies alles kostenlos war. Ein Paradies! Die Malediven waren garnichts dagegen.
Martha hatte ich vor Begeisterung die Hand vor den Mund geschlagen und als wir anderen das merkten, hallte unser Lachen durch das ganze Geschäft. Auch Marian musste lächeln.
„Ja, auch ich hab so reagiert, als ich das erste Mal hier war.“
„Wie lange sind sie denn schon hier, wenn man fragen darf?“ Sie lächelte mich an und schien zu überlegen.
„Ach bestimmt schon 20 Jahre.“
„WAS? SO VIEL?“ Leo hatte laut aufgeschrien und sah die ältere Dame an. Marian nickte und ihr Lächeln hatte einfach etwas Warmes, etwas das man nicht beschreiben konnte, wenn man es selbst nicht sehen würde. Man fühlte sich sofort in ihrer Nähe wohl und hatte das Gefühl, hier sowas wie eine Mutter gefunden zu haben.
„Ja, ich kam damals hierher und seitdem bin ich nicht mehr gegangen. Ich fühle mich hier wohl und man bekommt alles. Das Essen Mädels, ihr könnt euch alles bestellen was ihr wollt.“ Sie sah uns verträumt an und jetzt mussten wir noch lauter lachen, angesichts der Tatsache dass sie so ans Essen dachte.
„Nun aber flott flott. Schaut euch doch um und jeder sucht sich seine Favoriten heraus. Nachher machen wir dann Modenschau und nehmen das Beste, was haltet ihr davon?“
„Ja, das ist toll“
„JA!!“ Leo schrie wieder und stürmte schon in eine Ecke, genau wie die anderen beiden. Marian hingegen sah mich fragend an.
„Ich werde schnell etwas zu Essen und Trinken holen. Ich weiß, dass es schwer ist, darüber hinweg zu sehen, aber Kleines,“ ich sah ihr verwirrt in die schönen großen Augen, da ich nicht wusste, woher sie das mit Nik kannte. „er liebt dich, das sieht sogar so eine alte Schreckschraube wie ich.“
Nun war ich es, die lachte und sie verschwand. Alle waren so liebevoll und nett zu mir. Dennoch wusste ich, dass mir keiner diese Last und Entscheidung abnehmen konnte. Aber was ich wusste, war das ich ihn liebte, mir fehlte nur der Denkanstoß. Die Überwindung, mich ihm vollkommen hinzugeben und ihm mein Vertrauen erneut zu schenken.
„Wooooow! Geil! Leute! Ich hab das G E I L S T E Kleid gefunden.“
Leo und ihre Ausraster, zum Glück waren sie meist glückliche aber dennoch, entweder mochte man sie oder nicht. Und ich mochte sie definitiv. Als ich sah, dass die anderen schon mehrere Kleider herausgesucht hatten, ging ich auch auf die Suche. Belanglos nahm ich ein Kleid nach dem anderen in die Hand, doch keines war wirklich das, was ich wollte.
Kleider sind wie Männer. Man trägt sie, weil man ansonsten nichts zum Anziehen hat. Doch manchmal werden sie zu eng, reißen, bekommen Löcher, man wächst heraus oder sie werden bleich. Männer können klammern, wegen ihrer Eifersucht oder betrügen einen. Sie können einen fast erdrücken und dadurch reißt das Band, das einen zusammen hält. Man hat keine Lust mehr auf diese Kinderspielchen und man trennt sich. Nach und nach verblassen die Erinnerungen und der Teufelskreis beginnt von vorne.
Ich musste grinsen, als mir dieser Spruch in den Kopf kam und beschloss, ihn später definitiv aufzuschreiben. Als hätte mir dieser Spruch die Augen ein wenig geöffnet, sah ich DAS Kleid. Nicht irgendeines, nein es war DAS Kleid! Es war weiß, so weiß wie nur Engel es sein konnten. Es hatte einen dünnen, aber dichten Stoff, der schon so aussah, als würde er im Wind wunderschön wehen.
Das Oberteil war mit hellen Perlen besetzt, die schon jetzt das Dekoltee was sich darin befinden sollte, hervor brachte. Schnell griff ich es mir und ging zu den anderen zurück, die mich fragend ansahen.
„Wo sind deine Schuhe…“
„und deine Tasche…“
„und wieso hast du nur ein Kleid?“ Nacheinander sahen sie mich mit großen Augen an und ich grinste, ehe ich mich auf dem Absatz umdrehte und mir ein paar Schuhe raussuchte. Verzweifelt musste ich aber feststellen, dass keines der Schuhe das wunderschöne Kleid noch verschönern konnte. Im Gegenteil, sie sahen irgendwie alle zu hässlich, zu unmodern und zu schlicht aus. Eine Tasche hatte ich schnell gefunden. Sie war klein, weiß und man hielt sie einfach schlicht in der Hand. Sie war groß genug um ein Handy und eine weitere Kleinigkeit zu tragen. Doch die Schuhe… Schuhe brachten eine Frau schon immer zum verzweifeln. Immer und immer wieder hatte man entweder zu wenige oder zu viele und man konnte sich nicht entscheiden, welche man anziehen sollte. Ich wusste auch garnicht, ob ich blaue oder weiße Schuhe nehmen sollte. Ob sie hervorstechen sollten oder das Kleid ja nicht in den Hintergrund stellen sollten.
„Wie wäre es mit denen hier?“
Marian tauchte neben mir auf und sie hielt DIE Schuhe hin. Sie hatten einen 8cm Absatz und waren ebenfalls weiß. Doch schräg versetzt waren jeweils eine Blüte draufgemacht worden, die ebenfalls weiß waren, doch bestimmte Akzente waren in hellem blau bemalt worden. Ich lächelte und nahm sie dankbar entgegen.
Schnell gingen wir zu den anderen zurück und setzten uns hin. Leo war die erste, die sich natürlich ein knallrotes Kleid herausgesucht hatte, welches um die Taille mit einem schwarzen Gürtel gebunden war. Sie hatte schwarze Highheels, in etwa der Höhe wie meine es waren, an und stellte sich mit einem „Tata“ vor uns hin. Es stand ihr sehr gut und wir ließen sie erst garnicht die anderen Kleider anziehen. Martha war in ein samtenes grünes Kleid gehüllt, welches ihr bis zu den Knien reichte. Es hatte einen tiefen Ausschnitt und ich musste bei dem Gedanken an Dave grinsen. Ihm würde das mit Garantie gefallen und da sie ja zusammen wohnten… wer weiß. Sie hatte grüne Schuhe und eine weiße Tasche dabei, welche ihr hervorragend standen.
Aber Pia hingegen übertraf meine Erwartungen. Sie hatte ein langes, gelbes Kleid an, welches am Rücken einen Ausschnitt hatte, der zwar nicht bis zum Po ging aber auf dem besten Wege dahin war. Ihre Schuhe konnte ich nicht genau erkennen, aber sie mussten auch dieselbe Höhe haben wie wir alle und sie sah einfach traumhaft aus.
„Du siehst so wunderschön aus.“ Pia schmunzelte bei meinem Kommentar und nickte mit dem Kopf auf mein Kleid.
„Warte erstmal bis du rauskommst, dann hab ich hier garnichts mehr zu melden.“ Das war mein Stichwort. Ich ging in die Kabine nebenan und ließ mir lange Zeit. Das Kleid wurde am Rücken gebunden, wobei mir Marian half, da es sich wie ein Korsett verhielt. Ziehen, zwängen, Luft anhalten und festbinden. Da wir alle durch das viele Training ordentlich abgenommen hatten, war das zwängen kein Problem. Die Schuhe waren ein Traum und sie passten perfekt. Als ich mich im Spiegel ansah, war ich selbst vom Ergebnis überrascht. Sachte schob ich den Vorhang beiseite und stellte mich vor die anderen, die nur „Ohs“ und „Ahs“ von sich gaben und mich mit großen Augen ansahen.
„Das…ist…mal…der…Hammer…!“ Ich grinste, weil es Leo wohl die Sprache verschlagen hatte.
„Sehr schön. Dann gehen wir jetzt mal wohl zum Friseur und Kosmetikerin.“
Wie? Auch noch Friseur und Kosmetikerin? Ich glaubs ja nicht. Ich bin im Paradies. Ich weiß, das hab ich schon behauptet, als ich in das Kaufhaus gekommen bin, aber es war dermaßen unglaublich was hier passierte. Und ja, es ließ mich fast vergessen, warum wir hier waren. Dass die Welt von einem Vollidioten namens Jonathan bedroht wurde, der meint sein überschüssiges Testosteron damit zu verschwenden, die ganze Welt zu besitzen.
Wir gingen wieder hinaus und in ein weiteres Gebäude. Es war im Gegensatz zu den anderen relativ klein aber man fühlte sich auf Anhieb wohl. Marian begrüßte 3 Frauen und einen Mann, der eindeutig schwul war. Ich liebte schwule Männer. Sie waren immer so witzig, liebreizend und man konnte mit ihnen wunderbar über Mädchenkram reden und vor allem: sie kannten dennoch die Gedankengänge der Jungs!
„Emma, das ist Daniel. Daniel das ist Emma, unser kleines Sorgenkind.“
„Darling, Sorgen machen Falten. Komm, wir halten ein kleines Pläuderchen.“
Er nahm mich bei der Hand und ging mit mir in ein angrenzendes Zimmer.
„So, setz dich Schätzchen. Wir tratschen gleich über deine Sorgen. Vorher…“
Er deutete auch einen Stuhl, lächelte und sah mich genau an. Dann nahm er den Kleidersack, sah sich das darinliegende Kleid an und grinste.
„Wunderschön. Ich denke wir machen dir schöne Locken, die aber leicht fallen. Dann die Augen hervorheben und fertig. Du bist so schon super schön Darling.“
„Danke.“
„Ach danke niemals für die Wahrheit. Ich denke, wir schneiden dir noch die Spitzen ein wenig ab.“
Gesagt und schon am machen. Er wusch mir die Haare und plauderte ein wenig über sich. Daniel war auch schon ein paar Jahre hier, hatte einen Freund namens Jean und war glücklich. Sie würden demnächst heiraten und er war einfach überglücklich. Der Gedanke daran, ließ mich ein wenig traurig werden, da ich auch gerne so glücklich wäre wie er. Ich mein, wer wäre das nicht? Einen Mann haben, den man über alles liebte und der immer für einen da war. Mit dem man Kinder kriegen, heiraten und sich einfach wohlfühlen konnte. Aber mit dem man auch streiten konnte, der einem die Meinung sagte wenn die weiblichen Tage wieder durchkamen und ja, mit dem man verdammt guten Sex haben konnte. Bei dem Gedanken musste ich unwillkürlich grinsen. Ja, Nik war verdammt gut im Bett, auch wenn es nur einmal gewesen war und auch wenn die meisten es wohl als Blümchensex bezeichnen würden. Gott, woran dachte ich denn gerade bitte?!
„Darling, erzähl mir. Warum bist du so voller Sorge?“
„Ach weißt du. Da gibt es einen Jungen.“
„Oh ja, die gibt es doch immer Schätzchen.“
„Ja das stimmt wohl. Sein Name ist Nik und er ist ein totaler Traumtyp.“
Ich nahm mein Handy heraus und hielt ihm das Bild von Nik hin, das ich heimlich nachts von ihm gemacht hatte.
„Hui. Der ist heiß, Süße.“
„Ja, das ist er. Wir kamen zusammen, ich hab mit ihm geschlafen und es war wundervoll. Nur dann gabs so eine blöde Schlampe namens Melanie…“
„Lass mich raten. Blond, lange Beine und einen Charakter der einer Schlange gleicht?“
„Ja, genau so eine war sie. Und ich kam genau ins Zimmer, als sie sich geküsst haben.“
Er stockte in seinem Tun und sah mich an. Seine schwarzen Haare, die mit blauen Strähnen gespickt waren, waren hochgegelt und passten zu seinen dunklen Augen, die einen dunklen Ring aus blau umrandeten.
„Okay Darling, das ist wirklich… terrible.“ Bei seinem französischen Ausbruch musste ich grinsen, trotz der heiklen Geschichte.
„Entscheidend ist ja, hat er sie geküsst oder sie ihn?“
Irritiert sah ich ihn an.
„Ist das nicht egal?“






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